Jungen und Körperkonzepte: vom Ritzen über Koma-Saufen bis zur Selbsttötung

Prof. Dr. Harry Friebel im Gespräch
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Prof. Dr. Harry Friebel im Gespräch

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1. Männliche Körperpraktiken im sozialen Feld
2. Stichworte zur Selbstverletzung: Suizid, Koma – Saufen, Ritzen
2.1 Stichwort Suizid
2.2 Stichwort Koma- Saufen: Initiationsritus für „echte“ Kerle?
2.3 Stichwort :Ritzen und andere Selbstverletzungen
3. Körperkonzepte
4. Perspektiven einer Biografiearbeit mit Jungen

 

Es geht um gestörte Körperkonzepte von Jungen. Jungen kommen auf die Idee, sich selbst körperlich zu verletzen – Symptome für seelische, körperliche und soziale Belastungen und Verletzungen? Diese Selbstverletzungen häufen sich im biografischen Kontext innerhalb der Pubertät. Selbstverletzungen sind geschlechts-und altersspezifisch verteilt – je nachdem wie/was/wann verletzt wird. Die Forschungslage und die Literatur hierzu sind ebenso desolat wie die Beratungspraxen für die Jungen.
Ein Beispiel: Jungen und Männer nehmen sich fast dreimal häufiger das Leben als Mädchen und Frauen; in den Beratungssituationen ist das Verhältnis umgekehrt. Einseitige Ursachenerklärungen für geschlechtsspezifische Selbstverletzungen wie bipolare Konstruktionen („Jungen und Mädchen sind sowieso verschieden“) sind ebenso wenig hilfreich wie uniforme Behandlungsweisen. Sinnvoll bei der Spurensuche nach Ursachen von körperlicher Selbstverletzung ist eine konzeptionelle Lebenswelt- und Lebensverlaufsorientierung, die Körperideale der Jungen genauso reflektiert wie Körperunzufriedenheit - ein Spurensuche, die schließlich institutionelle Beratungsangebote fordert und fördert.

1. Männliche Körperpraktiken im sozialen Feld
Wir fragen nach Sinn, Kontext und Prozessen des selbstverletzenden Verhaltens von Jungen. Der Erziehungswissenschaftler Eckart Liebau beschreibt die Körpersozialisation im familiären Kontext: „Die wichtigste Lernform ist das körperlich basierte mimetische Lernen – Lernen also durch Praxis, durch Nachmachen und Mittun, durch Aneignung von Routinen und Gewohnheiten und durch dementsprechende Entwicklung von Denk-,Wahrnehmungs-,Urteils- und Handlungsmustern, die aus der Herkunftskultur stammen und in ihr ihren Sinn haben. Für das Kind ist die Familie, die soziale Herkunft Schicksal: es hat keine Wahl. Wie hier mit Sprache und Stimme, wie hier mit Zeit und Raum , wie hier mit Körper und Bewegung, wie hier mit Beziehung und Gewalt umgegangen wird, hat schicksalhafte Bedeutung, und zwar auch dann wenn der Jugendliche oder Erwachsene sich einmal aus seiner Herkunftsfamilie lösen sollte“ .
Körperpraktiken gilt es in ihrer sozialen/kulturellen Prägung zu entdecken; es geht darum, die alltäglichen gesellschaftlichen Normierungen (und damit des Drama des geschlechtlich dramatisierten Körpers) nachzuvollziehen. Körper sind sowohl Objekte sozialer Einschreibungen als auch Agenten der sozialen Praxis. Die Beziehung zwischen dem Körper und dem Sozialen ist also grundsätzlich zweiwegig .Das virtuelle Drehbuch Männlichkeiten wird den Jungen in ihren Körpern sozial eingeschrieben und die Jungen gestalten ihren jeweils unvertretbaren, einzigartigen Körper – sie generieren Männlichkeit: „doing gender“ heißt hier, dass wir ständig unseren Körper inszenieren bzw. tun - ihn beileibe nicht haben und auch gar nicht er sind. Dabei gibt es Irritationen, Dilemmata und Konflikte in der Körper- und Männlichkeitsentwicklung: z. B. im Kontext des männlichen „Überlegenheitsimperativs“. Entweder erfülle ich als Junge, als Mann restriktive maskuline Imperative oder ich folge meinen komplexen Bedürfnissen. Im Mittelpunkt steht für den Jungen immer die Norm: sei nicht Nicht - Mann. Herb Goldberg hatte in den 70er Jahres des vergangenen Jahrhunderts sieben typisch männliche Imperative beschrieben:

  • „je weniger Schlaf ich benötige,
  • je mehr Schmerzen ich ertragen kann,
  • je mehr Alkohol ich vertrage,
  • je weniger ich mich darum kümmere, was ich esse,
  • je weniger ich jemanden um Hilfe bitte und von jemanden abhängig bin,
  • je mehr ich meine Gefühle kontrolliere und unterdrücke,
  • je weniger ich auf meinen Körper achte,

desto männlicher bin ich” . Und James M. O'Neil hatte entsprechende biografische Folgen bzw. Anschlussereignisse dieser Imperative beschrieben:

  • „ eingeschränktes Gefühlsleben,
  • Homophobie,
  • Kontroll-, Macht- und Wettbewerbszwänge,
  • gehemmtes sexuelles und affektives Verhalten,
  • Sucht nach Leistung und Erfolg,
  • unsorgsame Gesundheitspflege“ .

Das Drehbuch Männlichkeiten ist verdammt explosiv und es hat nicht an Aktualität verloren! Dem möglichen Vorwurf, dass ich hier zu Übertreibungen neige, will ich mit zwei zeitnahen Beispielen zum Stand des männlichen „Überlegenheitsimperativs“ begegnen.

Beispiel 1: Die Bundesfamilienministerin Schröder und die Bundessozialministerin von der Leyen haben 2011 die börsennotierten Unternehmen aufgefordert, Frauen gleichberechtigt in die Vorstände und Aufsichtsräte zu integrieren. Deren Zukunftsperspektiven: Adidas will den Anteil der Frauen in Führungspositionen bis 2015 auf 35 % erhöhen. Der LKW- Hersteller MAN sieht für sich bis 2014 eine Quote von 12 % vor . Also von Gleichwertigkeit von Mann und Frau keine Spur. Ist das Pinkeln im Stehen die Grundqualifikation für Vorstandsposten?

Beispiel 2: Homophobie ist immer noch ein bedeutsames Markenzeichen im Drehbuch Männlichkeiten. Homosexuelle Jungen und Männer stürzen heterosexuelle Jungen offensichtlich in schwere Nöte. Stefan Timmermann berichtet 2008 über seine sozialpädagogische Jungenarbeit und zitiert dabei stereotype Sichtweisen bei Jungen: „Wenn ich einen Schwulen sehe, habe ich immer Angst, weil er mich vergewaltigen kann“ . Das Bild von der „schwulen Sau“ dient als Instrument sozialer Kontrolle.

Jungen wollen Sicherheit, wenn es um ihre Identität in schwierigen Entwicklungsprozessen geht. Aber diese Sicherheit gibt es nicht (mehr!?); es existieren viele Widersprüche in den Männlichkeitskonstruktionen. Das geht unter die Haut! Die Jungen bekommen Angst, dass sie möglicherweise nicht „richtige“ Männer sein werden (sei nicht Nicht – Mann). Deshalb brauchen sie entgegenkommende starke Lernmilieus,

  • um Ambivalenzen und Widersprüche bewältigen zu können und 
  • um den persönlich richtigen Weg finden und gehen zu können.

Olaf Stuve verweist hier auf die Bedeutung für die Jungenarbeit, „Räume der Aushandlung zu erkennen und zu schaffen“ und Michael Herschelmann füllt gleichsam diese Räume mit spontan formulierten Themenwünschen von Jungen im Rahmen der freiwilligen Jungenarbeit: „Mädchen kennen lernen, das 1. Mal saufen, Homosexualität., Konkurrenz um ein Mädchen, Freundschaft , Brutalität /Gewalt“ . Es geht darum, Jungen Gelegenheit zur Selbstthematisierung zu geben „und ihnen zu vermitteln, dass der persönlich „richtige“ Weg nicht schon vorgegeben, sondern erst noch zu entwickeln ist“ .

Wenn aber das traditionelle Korsett der Männlichkeit nicht (mehr) passt und entgegenkommende starke Lernwelten fehlen, dann folgen Stress, Konflikte, seelische und körperliche Erkrankungen, Selbstverletzungen und Suizid!

 

2. Stichworte zur Selbstverletzung: Suizid, Koma – Saufen, Ritzen
2.1 Stichwort Suizid

Die beiden häufigsten Todesursachen der 15-20-jährigen jungen Männer sind seit Jahren Verkehrsunfälle und Suizide.

„Im Jahr 2008 starben allein 1.821 der 15 – 20-Jährigen durch Verletzungen. Dies macht einen Anteil von 62 % an den Sterbefällen in dieser Altersgruppe aus…. Im Jahr 2008 lagen der Anteil der tödlichen Verkehrsunfälle an allen Sterbefällen in dieser Altersgruppe bei 36 % und der Anteil der Suizide bei 15,8 %…. 15,8 %“ .

Der Selbstmord ist – wie oben bereits angemerkt - bei männlichen Jugendlichen dreimal so hoch wie bei weiblichen Jugendlichen. Hingegen kündigen weibliche Jungendliche um ein vielfaches häufiger als männliche Jugendliche Selbstmordpläne an.

Tobias Elsässer hat jüngst ein Jugendbuch über Selbstmordplanungen Jugendlicher veröffentlicht. Sein Fazit über seine Recherchen im Internet:"Schockiert hat mich wirklich vor allem die Tatsache, dass wenn man „Suizid“ eingibt und noch ein paar Stichworte bei Google - wie man es eben so macht, wenn man recherchiert. Dann wird man feststellen, dass man unglaublich viele Foren findet, wo sich die Leute gegenseitig empfehlen, wie man sich am besten umbringt. Das war für mich die Erkenntnis, die ich am erschreckendsten gefunden hab, bei der Recherche: Dass es schwieriger ist, eine Telefonnummer zu finden, wo man wirklich anrufen kann. Und da jemand sitzt, der auch fachlich einem in so einer Notsituation helfen kann. Stattdessen findet man einfach lauter Chats, wo die Leute sich eher austauschen, in einer merkwürdigen Sprache. Wo man auch nicht weiß, ob sie es ernst meinen. Spielen die jetzt eine Rolle, wollen die sich eigentlich jetzt über das Themas "Suizid" unterhalten, weil es ein spannendes Thema ist, ein düsteres Thema, mit dem man einfach das Gespräch länger am Laufen halten kann? Das fand ich schon sehr erschreckend, dass das Internet da im Prinzip oft keine Hilfe bietet" .

2.2 Stichwort Koma- Saufen: Initiationsritus für „echte“ Kerle?

2009 wurden rund 26.400 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 10 und 20 Jahre aufgrund akuten Alkoholmissbrauchs stationär im Krankenhaus behandelt. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, ist das fast eine Verdoppelung (178 %) der Fälle im Vergleich zu 2000:„ Bei den Jugendlichen und Erwachsenen im Alter von 15 bis 19 Jahren wurden mehr Männer (65 %) wegen Alkoholmissbrauchs behandelt. Bei den Kindern von 10 bis 14 Jahren stellten die Mädchen den größeren Anteil (52 %)- ihr entsprechender Anteil an der Bevölkerung beträgt nur 49 %…“ .

2.3 Stichwort :Ritzen und andere Selbstverletzungen

Körperliche Gewalt gegen sich selbst hat viele Gesichter. Es sind partielle Selbstmorde; d.h. Selbst- verletzendes Verhalten(SVV) hat suizidales Potential. Die Gefahr des Suizids bei Personen mit SVV sollte also nicht unterschätzt werden! 

SVV kann kaum aus der Krankenhausstatistik 1:1 abgeleitet werden. Eine Ausnahme bildet z. B. die Diagnose einer Vergiftung durch Medikamente - hier lassen sich gewisse Hinweise auf eine beabsichtigte Verletzung erkennen. Ein Zahlen-Beispiel des Statistischen Bundesamtes:
Behandlungsquoten bei Vergiftungen durch Arzneimittel, Drogen u. Ä. bei Jugendlichen im Alter von 15-19 Jahren 2008 (Behandelte je 100000 Einwohner):

  • ca. 90 Mädchen bzw. junge Frauen
  • ca. 30 Jungen bzw. junge Männer. 

Also: Dreimal mehr Mädchen als Jungen sind betroffen.
Auch darüber hinaus ist selbstverletzendes Verhalten geschlechtstypisch. Kim Gratz stellt eine geschlechtstypisch fokussierte Liste auf:

  • sich selbst zu beißen erscheint dabei nur bei Mädchen/Frauen( 6 %)
  • sich selbst mit Zigaretten die Haut zu verbrennen erscheint nur bei Jungen/Männer (6 %) .

Selbstverletzendes Verhalten ist ein Symptom gestörter Körperkonzepte in einem gestörten sozialen Raum. Jugendliche sind in der biografischen Phase zwischen Pubertät und Adoleszenz konfrontiert mit kognitiven, sozialen und sexuellen Reifungs – und Entwicklungsprozessen - und der Weg vom Jugendlichen zum Erwachsenen „geht“ über den Körper:„Bei Jungen ebenso wie bei Männern steigt die Körperzufriedenheit mit dem Größenumfang bestimmter Körperpartien (Körpergröße, Brustumfang), während bei Mädchen bzw. Frauen ein umgekehrter Zusammenhang besteht: je kleiner der Umfang (z. B. Hüfte, Oberschenkel) desto größer die Zufriedenheit. Die einzige Ausnahme stellt der Brustumfang dar“ .

 

3. Körperkonzepte

Das geschlechtshierarchische Körperbild macht den Jungen - wie auch den Mädchen - zu schaffen. Gerade im Sport existiert für Jungen der „Überlegenheitsimperativ“ . Sport gilt immer noch eher als männliche Domäne: Kampf, Einsatz, Härte und Risiko sind die Markenzeichen „ernster Spiele“ des Wettbewerbs im Rahmen der Männlichkeitssozialisation! Diese „Spiele“ der Jungen werden immer unberechenbarer, weil sich die Lebensphase zwischen dem körperlichen und dem sozialen Erwachsenwerden immer mehr verlängert. Joshua Goldstein spitzt die biografischen Konsequenzen im folgenden Zitat zu:„Genau dann, wenn Jungen in der Pubertät am meisten Hormone produzieren( Zeitpunkt größter Ausschüttung von Testosteron) steigt auch ihre Wahrscheinlichkeit zu sterben“ .

Selbstverletzendes Verhalten der Jungen vom Ritzen über Koma-Saufen bis zum Selbstmord sind insbesondere – so meine These – Symptome krisenhafter Körperentwicklungen und Körperkonzepte insbesondere im Rahmen rigider geschlechtlicher Normierungen von der Pubertät bis zur Adoleszenz. Die Jungen wurden und werden in ihrer Biografie verletzt und verwundet und verletzen sich/verwunden sich im Sinne einer schier ausweglos scheinenden Reinszenierung selbst - eine gegen sich selbst gerichtete Aggression. Die Gefühle während und unmittelbar nach der Selbstverletzung sind häufig tranceähnlich, signalisieren Erleichterung/Entlastung einerseits und Scham/Selbsthass andererseits.

Die Befunde einer empirischen Studie von Annette Degener an der Sporthochschule in Köln führen uns in die negativen Körperkonzepte von sich selbst verletzenden (SVV) Jungendlichen ein:

 

  • „Jugendliche mit SVV fühlen sich zumeist in ihrem Körper nicht gesund und stark, das körperliche Wohlbefinden ist herabgesetzt“.
  • „Jugendliche mit SVV haben oft Schwierigkeiten mit ihrer Sexualität und machen sich Sorgen hierzu“.
  • „Bei Jugendlichen mit SVV ist der Grad der eigenen Akzeptanz gegenüber ihrem Körper sehr gering“.
  • „Jugendliche mit SVV vermuten, dass sie von Anderen in Bezug auf ihre äußere Erscheinung sehr negativ beurteilt werden“.

Das Phänomen des SVV scheint also grundsätzlich mit einer schwerwiegenden Störung des Körperkonzepts einherzugehen. Annette Degener schlussfolgert aus ihren Untersuchungsbefunden, dass bei den Jugendlichen mit SVV eine „Körper-Haben-Dimension“ dominiert: „ In dieser Dimension verdinglichen sie ihren Körper, er wird benutzt und muss funktionieren, Gefühle werden abgespalten. Ein Jugendlicher, der eine gute, gesunde Beziehung zu seinem Körper hat, seinen Körper in sein Selbst integriert hat, bei dem also die „Leib-Sein-Dimension“ überwiegt, wird nicht in der Lage sein, seinem Körper wiederholt Verletzungen zuzufügen“ .

 

4. Perspektiven einer Biografiearbeit mit Jungen

Ich gehe davon aus, dass therapeutische Konzepte/Beratungskonzepte allesamt in eine biografische Arbeit mit Jungen einmünden können. Es geht darum, dass die Jungen sich ihre Lebens- und Körpergeschichte (wieder) aneignen können, dass die Jungen sich selbst ein Konzept ihrer körperlichen, sozialen und sexuellen Entwicklung experimentell erproben und dialogisch erschließen können.

Biografiearbeit ist deshalb wichtig und notwendig, weil SVV nicht vom Himmel gefallen ist, weil SVV das Phänomen eines lebensgeschichtlichen Prozesses ist! Die Frage nach dem „Warum?“ ist nur zu beantworten, wenn wir die Jungen in ihrer Lebens- als Körpergeschichte respektieren. Ein Beispiel aus den Erfahrungen eines Selbsthilfenetzwerkes dokumentiert die Prozesshaftigkeit von Selbstverletzungen :

  • „Innerhalb eines Jahres nach dem ersten Suizidversuch begehen 10 – 20 % der Personen einen weiteren, innerhalb von 2 Jahren bis zu 35 %“.
  • „Schätzungsweise 50 % der Suizidalen suchen 1 Monat vorher einen Arzt auf; 25 % 1 Woche vorher. Dabei erfolgt aber meistens keine direkte Ansprache der Suizidabsicht, diese wird daher oft nicht als solche erkannt “.
  • „Etwa 75 % der Suizide werden direkt oder indirekt (z. B. über Verhaltensänderungen oder Anspielungen wie: „bald habe ich das alles hinter mir“) angekündigt“.

Wenn wir Sinn und Bedeutung, Kontext und Rahmenbedingungen, Prozess und Biografie des Selbstverletzenden Verhaltens verstehen lernen, dann können wir diesen Jungen auch zur Seite stehen. Ein methodisch hilfreiches Instrument der Biografiearbeit mit Jungen kann hierfür die sozialwissenschaftliche Biografie - und Lebenslaufforschung in ihrem Wechselwirkungsverhältnis sein. Der Lebenslauf als sozialwissenschaftlicher Begriff meint die Einprägungen der gesellschaftlichen Normen und der „objektiv- strukturellen Ordnung“ in die Person. Unter Biografie als Begriff wird die von der Person erlebte und mit Sinn erfüllte persönliche „Lebensgeschichte“ verstanden . Innerhalb dieser Spannungslage lässt sich symbolisch das Verhältnis von Risiken (normatives Modell hegemonialer Männlichkeit als Lebenslaufregime) und Chancen (erfahrungsbezogene, dialogische Selbsterprobungs- und Selbstfindungsprozesse) der Männlichkeitssozialisation fassen. Biografiearbeit kann dann eine die durch Jungenarbeit geschützte Thematisierung der Lebens- und Körperbiografie der Jungen im Kontext der hegemonialer männlicher Lebenslaufregimes sein. „Hilfreiche Begleiter“ dieser Biografiearbeit mit Jungen sollten sich – wie Monika Specht – Toman hervorhebt - darauf verstehen, „subjektive“ Wahrheiten(„objektive“ und „subjektive“ Wahrheiten können nicht gleichgesetzt werden) und Unvollständiges (Lebensgeschichten sind nie wirklich fertig erzählt) zu akzeptieren . Jungenarbeit kann dann ein geschützter „Zwischenraum“ sein um Männlichkeitsmythen (Lebenslaufnormen) infrage zu stellen und sowohl befreiende als auch befriedigende Körperkonzepte (Biografieperspektiven) zu generieren.

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