Frauen sind die Anderen, und Feministinnen die doppelt Anderen

Feministischer Zwischenruf

10.000 Menschen gehen am 8. März allein in Berlin auf die Straße. Aber keine Kamera sieht hin. Heide Oestreich denkt über Othering nach.

Foto von Streetart. Eine aufgeklebte Frau aus Papier fragt in einer Sprechblase, ob der*die Leser*in Feminist*in sei.
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Sind Sie ein Feminist? Warum nicht?

10.000 Menschen gehen am 8. März allein in Berlin auf die Straße. Aber keine Kamera sieht hin.

Der Frauentag ist rum und er war toll und erschütternd zugleich. Frauendemo mit 10.000 Leuten in Berlin? Super, kam aber in der Berichterstattung kaum vor. Ein Frauenstreik war geplant? Nie gehört, haben die Medien nicht angekündigt. Im Fernsehen sendet 3sat nacheinander: "Was wäre, wenn alle Männer weg wären?" und "Die Zukunft ist weiblich". Und gleich darauf: "Ist der Feminismus tot?" Könnte man böse zusammenfassen mit: Frauen wollen Männer weghaben und alles dominieren, zugleich ist der Feminismus tot. Mit anderen Worten, es war relativ beliebig, was da so lief. Als wäre nichts gewesen. Als hätte es nicht mit dem woman's march die größte Demonstration der Geschichte der USA gegeben, sogar laut konservativen Schätzungen. Als wären nicht rund um den Globus Machos angetreten, die Frauen wieder in die Küche sperren möchten. Und dann macht man Sendungen über das Verschwinden der Männer und fragt, ob der Feminismus tot ist?

Was passiert hier? Das, was alle aktiven Frauen zur Genüge kennen. Es gilt immer noch der Grundsatz "Was Frauen machen, ist langweilig". Keine Sendungen und kaum Zeitungsberichte über die Frauenfeindlichkeit der AfD. Ist doch egal. Frauen, denen das nicht egal ist, fehlt ein natürliches Verhältnis zu ihrer Weiblichkeit. Mit anderen Worten, Frauen sind weiterhin nicht der Rede wert. Und Frauen, die das ändern wollen, sind tendenziell lächerlich und peinlich. Zuhören muss man ihnen jedenfalls nicht.

Heide Oestreich ist Redakteurin der taz, die tageszeitung und betreut dort vor allem die Geschlechter- und Gesellschaftspolitik. 2004 erschien von ihr das Buch "Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam". 2009 wurde sie vom Journalistenverband Berlin Brandenburg für ihre langjährige Berichterstattung über unbewußte Geschlechterklischees mit dem Preis "Der lange Atem" ausgezeichnet.

"Othering" ist der Begriff dazu. Jemanden zum anderen erklären, der abgewertet wird, weil er nicht zu „uns“ gehört. Frauen sind anders und haben deshalb in der Öffentlichkeit mit wenigen Ausnahmen wenig zu melden. Sonst werden sie zurecht gewiesen. Verlangen sie gar Gehör und Veränderungen wie Feministinnen, dann sind die doppelt geothert, es sind nämlich keine „normalen Frauen“. Ein Moderator erklärt Frauenministerin Manuela Schwesig, als die ihre Gesetzesvorhaben aufgezählt hat, sie sei wohl "unersättlich". Die Pressemitteilungen von Frauenorganisationen werden in den meisten Redaktionen ignoriert, das sind die neuen Formen, Frauen das Wort zu entziehen. Und Madonnas T-shirt, auf dem „Feminist“ stand? Zeigt, dass uns der Pop-Feminismus offenkundig auch nicht weiterhilft.

Die Literaturwissenschaftlerin Gayatri Spivak hat uns den Begriff geschenkt, damals in erster Linie, um koloniale und postkoloniale Strukturen zu erkennen. Schwarze Frauen etwa kommen bei uns am ehesten als Opfer von Beschneidung vor. Wohingegen auch weiße Feministinnen die Anliegen ihrer schwarzen Schwestern, etwa gegen Rassismus zu kämpfen, oft den „weißen“ Anliegen „Gender First“ unterordnen. Doppeltes Othering, als Frau und als Schwarze. 

Ein weiteres Othering betreibt die hiesige Gesellschaft mit Behinderten. Sie sind die anderen, brauchen besondere Schulen und Werkstätten und keine einzige deutsche Kommune hat es geschafft, ihnen die Barrieren wegzuräumen. Wenn sie sich zu Wort melden, haben sie "besondere Anliegen", die man natürlich nur verwirklichen kann, wenn der Kassenstand es zulässt. Eine ewige Bittsteller-Position für Sondermenschen. Othering.

Bei den Frauen ist das Othering auffällig unauffällig. Es gibt eben biologische Unterschiede, das haben wir alle so gelernt. Und schon darin steckt Othering. Frauen können eben Kinder kriegen, und sind deshalb natürlicherweise "anders begabt" als Männer. Komischerweise ist dieses "anders" zugleich eine Abwertung, wie sich Männerbünde immer wieder durch Sexismus versichern müssen.

Und dann gibt es noch ein quasi ungesehenes Othering. Auch Alleinerziehende sind oft Bittstellerinnen, die diskriminiert werden. Benachteiligendes Steuerrecht. Oft kaum Unterhalt für ihre Kinder. Altersarmut. Die Gesellschaft bestraft sie für ihre Lebensform. Das kann man nur zulassen, wenn man ein Othering betreibt, das uns leise flüstert,  Alleinerziehende seien weniger wert als Verheiratete Mütter. Ein besonders hinterfotziges Othering, denn es besagt: Trenn dich nicht von deinem Mann, denn dann wirst Du bestraft und zu einer Ausgeschlossenen mit weniger Rechten. Und falls er dir weggelaufen ist, hast Du wohl etwas falsch gemacht. Womit wir wieder beim Anfang sind. Frauen sind Andere. Frauen, die nicht spuren, sind doppelt andere. Frauen, die demonstrieren, werden dennoch nicht gehört. Es ist viel vertrackter, als uns die Sendungen namens "Die Zukunft ist weiblich" oder "Wer braucht schon noch Feminismus" vormachen.