Höhlt die Arbeit zu Maskulinitäten feministische Ansätze aus?

Eine Soldatin des Äthiopischen Battalions der UNMIL erhält zusammen mit anderen militärischen Beobachtern eine Medaille für ihre Arbeit in Liberia
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Targeted masculinity training courses for male and female UN soldiers and their transparent evaluations would certainly be an important step. Because a completely different basic perception of security is needed for peace missions (male and female security, protection against rape, sexual harassment and humiliation), peace, human dignity and respect, which are not compatible with the current perception of soldiers

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Feministinnen haben das Patriarchat seit Jahrhunderten analysiert. Mary Wollstonecraft sagte schon 1790 „Männer haben sich die Welt als Ort des Regiments brutaler Macht eingerichtet“. Sich mit Maskulinitäten und vor allem ihren verheerenden Folgen für Frauen und Mädchen zu beschäftigen, gehört mit zur Arbeit im Kampf für mehr Geschlechtergerechtigkeit.

Die weitere Erforschung zu Maskulinitäten ist unabdingbar – besonders zielführend ist dabei ein inter-sektioneller Ansatz im Bewusstsein um Vielfalt und um komplexe Machtverhältnisse wie Paul Higate und andere es praktizieren.

Das Ziel von Männerforschung muss sein, Gerechtigkeit für beide Geschlechter zu befördern. Sie muss pro-feministisch sein, damit die Forschung in letzter Konsequenz positive Auswirkungen auf die Situation von Frauen in Kriegsgebieten und Nachkriegsländern hat, das heißt, Ziel muss sein, Gewalt gegen Frauen zu verhindern, zu bekämpfen und Ergebnis muss eine Reduzierung der Gewalt sein. Was wir definitiv nicht brauchen, ist eine Männerforschung zum reinen Selbstzweck. Was angebracht wäre, ist ein Stück Bescheidenheit von männlicher Seite, die anerkennt, was Frauen seit Jahrzehnten an Analyse und Aufklärung geleistet haben.

Feministinnen haben die Erkenntnis, dass Wissenschaft nicht objektiv ist, internalisiert. Durch Selbsterfahrung und Selbsterkenntnis muss die eigene Haltung reflektiert werden, wenn jemand wissenschaftlich arbeitet. Forscher müssen sich fragen lassen, ob sie sich auch selbst in Frage stellen.

medica mondiale fordert schon seit Jahren, dass es quasi eine komplementäre Arbeit für und mit Männern zur Arbeit von medica mondiale geben muss. Das Unrechtbewusstsein von Männern muss entwickelt, also ein Paradigmenwechsel in ihrer patriarchalen Haltung erreicht werden.

Maskulinitätsforschung, die Macht und Hierarchien zwischen Männern analysiert und parteilich Gewalt gegen Frauen (und auch zwischen Männern) eine Absage erteilt, hat im positiven Fall auch eine kritische Wirkung auf die Mainstreamforschung. Sie könnte gemeinsam mit emanzipatorischen Frauen/Gender-Forscherinnen die Mainstreamforschung zu Friedensmissionen, zur Sicherheitspolitik, zur Überschneidung von Militäreinsätzen und Entwicklungszusammenarbeit herausfordern. Sie könnten dieser Mainstreamforschung, die Männlichkeit im Handeln von Warlords, Staatschefs, Diplomaten, UN- und NATO-Kommandanten komplett ausblendet, einen Spiegel vorhalten.

Ins Visier der Kritik gerieten dabei nicht nur manche Militärhistoriker, Politikwissenschaftler und Sicherheitspolitiker, die sich mit leuchtenden Augen mit taktischen Feldzügen, bestimmten Waffengattungen und deren Einsatz, mit angeblich „sauberen Kriegen“ und Rüstungsfragen beschäftigen.

Was sind aus Aktivistinnen-Perspektive Gefahren, die durch das Arbeiten mit Maskulinitäten entstehen?

Natürlich gibt es die Sorge um Finanztöpfe, dass die eh schon geringen Ressourcen geteilt werden müssen, oder gar abgezogen werden. Natürlich gibt es auch die Sorge, dass Frauenorganisationen und ihre Arbeit verdrängt, reduziert oder in eine andere Richtung manipuliert werden. Schon jetzt müssen sich Frauenorganisationen immer wieder ob ihrer Arbeit rechtfertigen, weswegen ihre Arbeit überhaupt notwendig sei! Wenn Männer in Frauenprojekte integriert werden, besteht die Gefahr, dass diese die Macht zugeteilt bekommen und die Frauen in den Projekten marginalisiert werden.

Was gewinnen die Frauen durch die Beschäftigung mit Maskulinitäten?

Ganz klar: Wir gewinnen Mitstreiter für die Schaffung einer anderen globalen Gesellschaftsstruktur, in der Geschlechtergerechtigkeit ein Maßstab für alle Politik- und Lebensbereiche ist. Durchaus kann ein weiterer Gewinn für Frauen sein, mehr Erkenntnisse über unseren eigenen Anteil an der Mit-Konstruktion von Maskulinitätsmustern zu erhalten!

Auch wird die Wahrscheinlichkeit, dass sich etwas zugunsten von Frauen ändert, höher, wenn solidarische Männer mit im Boot sind, da so auch die politische Macht größer wird. Es ist also definitiv strategisch sinnvoll, solidarische Männer einzubeziehen!

Das Patriarchat hat weltweit eines gemeinsam: Gewalt gegen Frauen ohne entsprechende Sanktionierung ausüben zu können und das insbesondere in Kriegs- und Krisensituationen. Generell fußt militärisches Engagement auf maskulinen Wertvorstellungen von Macht und Hierarchie, deren Durchsetzung eine Affinität zur Gewalt bis hin zur individuellen Verrohung innewohnt. Gerade dieses Bewusstsein fehlt in militärischen Strukturen allerdings fast immer. Bewiesen ist: Militarisierung erzeugt eine Zunahme von Gewaltakten gegenüber Mädchen und Frauen. (siehe dazu auch Positionspapier von medica mondiale von 2007: Menschenrechtsarbeit im Spannungsfeld von Militäreinsätzen).

Die Beschäftigung mit Maskulinitäten ist also wichtiger denn je - weltweit haben sich massive Ungleichheiten, geschlechterspezifische Gewalttätigkeiten, sexuelle Ausbeutung aufgrund von neoliberaler Globalisierungs-Politik und aufgrund von Kriegen verschärft. Leider haben auch die meisten UN-Friedenseinsätze nicht zu mehr Gerechtigkeit für die weiblichen Bevölkerungen in Nachkriegsgesellschaften geführt, oft sogar ganz im Gegenteil.

Es geht darum weiter aufzudecken, dass Maskulinität durch Blauhelmeinsätze geprägt wird und zwar basierend auf der Prägung durch die militärische, martialische und kriegerische Ausbildung von Soldaten für Kampfhandlungen, von Mitarbeitern von privaten Sicherheitsfirmen ganz zu schweigen. Dieses Grundkonzept – durch Kampf- und Gewalteinsatz Frieden zu sichern – könnte radikal durch Forschungen in Frage gestellt werden. Gedrillte Blauhelmsoldaten (UN, Nato etc.), für die Frauenverachtung und übersteigerte, martialische Virilität zum kollektiven und antrainierten Selbstbild gehört, treten nicht einfach als fürsorgliche Friedensengel auf, auch wenn die Propaganda uns das weismachen möchte. Kollektive Vergewaltigungen und Misshandlungen schweißen Soldaten zusammen, das hat die Maskulinitätsforschung zum Militär erkannt, das sollten Mainstreamforscher und Politiker endlich ernst nehmen. (Darüber hinaus sind psychologische Erklärungen leicht nachvollziehbar, die besagen, dass mit übersteigertem Potenzgebaren die eigene Todesangst überspielt wird.) Übrigens: Wer nicht mitmacht, wird als Schwuler oder als verweiblicht angefeindet. Wie passen traumatisierte Soldaten in dieses Bild?

Gewalt ist ein Machtinstrument, um Herrschaft zu erhalten und zu sichern. Mit dieser Argumentation kann allen, die Gender-Gewalt bagatellisieren und beispielsweise nur ethnisch oder religiös motivierte Gewalt betrachten und alles darauf reduzieren, gekontert werden. Die Gefährlichkeit der Gewalt ist, dass sie so herrschaftsstabilisierend ist. Daher ist es umso wichtiger, sie aufzudecken, sie zu bekämpfen und zu reduzieren, weil sich sonst die Machtmuster, die Herrschaftsformen und die Gewaltakzeptanz als Mittel zur Interessendurchsetzung im öffentlichen und privaten Leben in Nachkriegsländern nicht ändern.

Die Grundfrage für Blauhelmeinsätze ist, ob „normale“ Soldaten dafür überhaupt geeignet sind. Viele Soldatinnen haben diese Muster auch übersteigert übernommen, um besonders gute Soldatinnen zu sein und von den männlichen Soldaten und Vorgesetzten anerkannt zu werden. Für Friedensmissionen braucht es ein völlig anderes Grundverständnis von Sicherheit (weiblicher und männlicher Sicherheit, Schutz vor Vergewaltigungen, vor sexistischen Belästigungen und Demütigungen), Frieden, Menschenwürde und Respekt, die mit dem derzeitigen Soldatenverständnis nicht vereinbar sind.

Um dies zu verändern, wären gezielte Maskulinitätstrainings für Blauhelmsoldaten_innen und deren transparente Evaluierungen sicherlich ein wichtiger Schritt. Welche Rolle könnten reflektierte männliche Blauhelme übernehmen, auch um Männlichkeit in post-conflict Gesellschaften zu demilitarisieren – könnten sie Vorbildfunktionen haben?

Wer auf jeden Fall bereits Vorbild ist, sind die indischen UN-Polizistinnen in Liberia – es haben sich in letzter Zeit massenhaft liberianische Frauen zur nationalen Polizei gemeldet! Die Inderinnen sind hoch motiviert, Sicherheit für Frauen und Mädchen herzustellen – trotz anstrengendem Einsatz weitab der Heimat gut gelaunt und mit Sinn für Schönheit: Frauen sind nicht das Problem, sie sind Teil der Lösung!

Dr. Monika Hauser: „Höhlt die Arbeit zu Maskulinitäten feministische Ansätze aus?“

Input zum Streitgespräch mit Paul Higate, Department of Politics, University of Bristol, U.K., und Henri Myrttinen, International Affairs Consultant and Contractor, Deutschland, am 29.10.2010: „Geht die Arbeit und Forschung zum Thema Männlichkeit auf Kosten feministischer Ansätze zur Konfliktlösung?“

Anlässlich der Internationalen Konferenz zum 10. Jahrestag der UN-Resolution 1325: „Krisen bewältigen, bewaffnete Konflikte beenden, friedenspolitische Strategien von Männern und Frauen“; eine Kooperation des Gunda-Werner-Instituts mit dem Deutschen Frauensicherheitsrat und den Friedensfrauen weltweit.