Gleichheit und Quote in Russland - Interview mit Irina Tartakovskaja

Russisches Parlamentsgebäude, die Duma
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Russisches Parlamentsgebäude, die Duma

Die Sowjetunion galt als erstes Land, in dem die Gleichheit obsiegte, auch die zwischen Frauen und Männern. War diese Gleichheit eine Realität?

Im Land war die Gleichstellung der Geschlechter verkündet worden. Tatsächlich jedoch, wenn wir uns die sowjetische Geschichte anschauen, gab es unterschiedliche Politiken hinsichtlich der Gleichstellung der Geschlechter. Das Hauptmotiv war nicht eine Gleichstellung als solche, sondern die Einbeziehung der Frauen in den Aufbau des Sozialismus, und dazu mussten sie aus der traditionellen patriarchalen Familie herausgelöst werden. Sie sollten die Möglichkeit bekommen, arbeitende Mütter zu werden, und sich dabei vorwiegend auf den Staat stützen. War das Gleichstellung? Nein, weil die Frauen hauptsächlich in gering bezahlten und wenig angesehenen Bereichen der Wirtschaft arbeiteten, weniger verdienten und niemals auch nur an irgendeinen Hebel der Macht gelassen wurden.

Zu Sowjetzeiten gab es aber doch die 30-Prozent-Frauenquoten im Obersten Sowjet...

Die gab es, doch der Oberste Sowjet war nur ein dekoratives Gremium, in dem keine wichtigen Entscheidungen getroffen wurden. Die Entscheidungen wurden im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei und im Politbüro gefällt. Und dort hat es in der gesamten sowjetischen Geschichte nur eine Frau gegeben, die Kulturministerin Jekaterina Furzewa.

Und gab es Feminismus in der Sowjetunion?

In der UdSSR verhielt man sich zum Feminismus von Anfang an wie zu einer bourgeoisen Bewegung (nach Engels und Bebel), also negativ.

In den 1990er Jahren hielten viele führende Frauen die Gendergleichstellung für erreichbar. Das ist jedoch nicht passiert. Warum?

Die Frauenbewegung, die seinerzeit entstand, teilte anschließend das Schicksal der gesamten Zivilgesellschaft in Russland. Die Bewegung war kein bedeutender Teil der Zivilgesellschaft und sie erlosch bald mit den anderen politischen Kräften.

Was denken Sie, braucht Russland Feminismus als politische Bewegung?

Feminismus als Kampf für die tatsächliche Anerkennung gleicher Rechte und gleicher – politischer und wirtschaftlicher – Möglichkeiten für Frauen, als Kampf für die Möglichkeit den Lebensweg frei wählen zu können und als Kampf für Achtung der Persönlichkeitsrechte eines jeden Geschlechts, diesen Feminismus brauchen wir zweifellos.

Übersetzung:
Hartmut Schröder

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