#metoo, three, four – Sexismus für Anfänger

Feministischer Zwischenruf

Vielleicht ist es an der Zeit, sich von der Vorstellung zu befreien, dass das Patriarchat nur Frauen schadet, denn das Patriarchat verstümmelt uns alle. 

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Es ist an der Zeit endlich aufzuräumen mit Sexismus. Urheber
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Es war einmal ... eine Mutter, die es nicht in Ordnung fand, dass der Prinz Dornröschen ohne ihre Zustimmung küssen will. Ihr Name ist Sarah Hall, sie kommt aus North Shields, England, regt ein Kuss-Verbot für Grundschulen an und wird gerade auch in Deutschland mit hämischen Kommentaren bedacht wie: “Wegen sexueller Belästigung: Dornröschen schläft ab jetzt für immer” oder auf Englisch “this is #metoo gone mad”.

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Nun ist es eine interessante Frage, ob das konsensuell ist oder nicht, tatsächlich ist das erste Problem mit Dornröschen aber nicht der Kuss, sondern der 100jährige Schlaf, die absolute Passivität dieser Proto-Märchenprinzessin. Wer fairy tale princess sagt, denkt an das blonde, schlafende Dornröschen oder an Cinderella, ebenfalls blond, aber ausgestattet mit einem Besen, mit dem sie artig hinter ihrer Familie herfegt. Weibliche Rollenmodelle in Disneycolor.

Die Kinder sind halt so

Vor ein paar Monaten ging ein Clip der BBC mit dem Titel “The Experiment” viral. Es war ein Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm “No More Boys and Girls” und das Experiment bestand darin, dass zwei anderhalbjährige Kinder die Kleidung tauschten. Marnie bekam die graue Hose und das blau-karierte Hemd von Edward, dem dafür ihr Blümchenkleid und ihre orange-pinke Strickjacke angezogen wurde.. Dann lud Dr. Javid Abdelmoneim, Leiter des Experiments, eine Gruppe von Erwachsenen ein, mit den Kindern zu spielen. Überraschung, Überraschung „Sophie” wurde am häufigsten die pinke Puppe angeboten, während “Oliver” den Robotter und das Spielzeugauto in die Hand gedrückt bekam. Und das von Erwachsenen, die stolz darauf waren, dass sie nicht auf Genderstereotype hereinfielen. Ein rundherum befriedigender Film, den ich sofort an “Freund*innen” schicken möchte, die mir im Brustton der Überzeugung erklären: “Wir haben unsere Kinder völlig gleich erzogen. Das steckt halt so in denen drin.”

“Wenn Kinder viel mit Spielsachen wie Autos spielen, die die räumliche Wahrnehmung fördern, ändert sich ihr Gehirn innerhalb von drei Monaten messbar,”[1] erklärt der Film. Vergeblich warte ich darauf, dass der neuronale Gewinn von kommunikativen Toys wie Puppen ebenfalls ausgeführt wird. Denn das ist das Perfide am Geschlecht, Informationen darüber sind so omnipräsent, dass wir, auch wenn wir etwas ändern wollen, immer mit den gängigen Bildern operieren. In diesem Fall heißt das: Spielzeuge für Jungs sind Trumpf, deshalb sollen Mädchen die ganzen tollen Sachen zur Verbesserung ihrer räumlichen Wahrnehmung bekommen, um genauso gut zu werden wie die Jungen. Dabei wird komplett übersehen, dass soziale Skills wie Empathie, Kommunikation, emotionale Ausdrucksfähigkeit ja genauso trainiert werden müssen.

Sexismus geht uns alle an

Vor ein paar Tagen las ich einen einen der besten Artikel zur #metoo Debatte und musste an “The Experiment” denken: “Jungs sind halt so” von Barbara Vorsamer in der Süddeutschen Zeitung. Darin stellt sie die Frage, welchen Einfluss die Spielzeuge (also die Rollenzuschreibungen), mit denen Kinder aufwachsen, auf ihre spätere sexuelle Interaktion nehmen. Ergebnis: Jugendliche werden eher übergriffig, wenn sie stereotype Rollenbilder haben. Das konnten die Psychologinnen Jenifer Jewell und Christia Brown nachweisen: “Männliche Jugendliche werden umso eher übergiffig, je stereotyper ihre Rollenbilder sind.” Denn obwohl Vorsamer mit der Frage losgeht, wie bei beiden Geschlechtern Stereotype enstehen, bleibt davon am Ende:  Wie können wir Jungen nicht zu Machos erziehen? Das ist eine berechtigte Frage, allerdings schwingt darin mit, dass nur Jungs etwas ändern müssten und dass Sexismus etwas sei, das nur Mädchen betreffe. Und dieser Gedanke ist bereits sexistisch. Schon in der Krabbelgruppe, die ich mit meinem wenige Wochen alten Baby besuchte, waren die Mädchen laut ihren Müttern „richtige kleine Zicken”, und die Jungs „richtige kleine Machos”. Leben mit einem Neugeborenen ist anstrengend, aber das liegt nicht am Geschlecht

Und deshalb ist der Artikel von Vosamer trotz meiner Kritik an ihrem Fokus auf Machovermeidung so wichtig, weil er da ansetzt, wo Sexismus anfängt. Nämlich bei den Geschlechtervorstellungen, die wir von Anfang an eingetrichtert bekommen. Ähnlich wie die Dornröschen-kritische Mutter fokussieren wir uns bei Sexismus häufig auf sexuelle Anzüglichkeiten/Übergriffen, weil darin die Vorsilbe “Sex” enthalten ist. Nun kann Sexismus natürlich auch sexuelle Grenzüberschreitungen beinhalten, allerdings kommt “sex” in diesem Fall gar nicht von “Sexualität”, sondern von dem Englischen “Geschlecht”. Es gibt verschiedene Definitionen von Sexismus mein Favorit – “von Menschen zu erwarten, dass sie sich entsprechend ihrer Geschlechterrolle verhalten”.

Deshalb ist der erfolgreichste Weg, unsere Söhne nicht zu Machos zu erziehen, ihnen die Wärme und Geborgenheit geben, damit sie ihre zarten, kommunikativen Persönlichkeitsanteile nicht nur ausleben, sondern vor allem auch ausbilden können. Denn, und darin sind sich alle Forschungen einig, je besser Menschen mit ihren eigenen Gefühlen in Kontakt sind, desto besser können sie auch mit den Gefühlen und Grenzen anderer Menschen umgehen. Vielleicht ist es an der Zeit, sich von der Vorstellung zu befreien, dass das Patriarchat nur Frauen schadet. Das Patriarchat verstümmelt uns alle. Weil es uns allen Menschlichkeit verweigert.

 

[1] BBC 2: No More Boys And Girls: Can Our Kids Go Gender Free?“ 16.8.2017