Wir ermöglichen Mädchen ihre Träume zu verwirklichen

Interview

Die Moskauer Schule des Frauenfußballs „GirlPower" wurde vor vier Jahren eröffnet, inzwischen trainieren dort mehr als 200 Frauen verschiedener Altersgruppen. Doch Fußball als Frauensport ist in Russland noch nicht weit verbreitet, die Gründe dafür liegen in klischeehaften Rollenbildern und dem in der Gesellschaft verbreiteten Konservatismus. „GirlPower" überwindet diese Grenzen und beweist, dass das Fußballfeld für alle offen ist. Alina Filina, die Cheftrainerin und Gründerin der Schule, erzählt über die Schwierigkeiten und Herausforderungen des russischen Fußballs und seiner Zukunft.

Девочки из школы GirlPower с мячом
Teaser Bild Untertitel
Offene Trainings von GirlPower und Adidas, 2016

Das Interview führte Ekaterina Fomina.

Wann habt ihr die Fußballschule „GirlPower" eröffnet?

Vor vier Jahren haben wir die Schule sozusagen über Nacht gegründet. Davor haben wir nur Kinder trainiert, aber irgendwann haben wir uns gefragt: warum geben wir ihren Muttis nicht auch die Möglichkeit Fußball zu spielen? Dann haben wir eine Frauensektion gegründet. Sie hatte keinen Namen, wir haben einfach eingeladen: "Mädchen, spielt mit!" Zum ersten Training sind 12 Menschen gekommen. Und wir haben verstanden, dass das Interesse beidseitig ist — und dass wir eine vollwertige Schule daraus aufbauen müssen. Es gibt drei Arten des Fußballes: Massensport, Amateursport und Profisport. Massensport bedeutet, dass die Leute einfach kicken, auf Festivals, an Feiertagen, in Schulsektionen usw. Amateursport wird in Sportschulen, Sektionen, Mannschaften und bei Vereinen gespielt. Und es gibt Profisport — bei dem die Spieler*innen Gehalt bekommen. Wir arbeiten in den Bereichen des Massen- und Amateursports.

Wie war dein Weg zum Fußball?

Einerseits habe ich mit Fußball nichts zu tun, anderseits bin ich damit stark verbunden. Ich habe nie professionell Fußball gespielt. In meiner Kindheit habe ich das sehr gewollt, aber damals gab es keinen Frauenfußball in Russland und keine Fußballschulen für Mädchen. Viele Jahre haben wir auf den Straßen gebolzt — das war die einige Möglichkeit Fußball zu spielen. Ich habe andere Sportarten ausgeübt und hätte einfach zum Fußball wechseln können, wenn es eine Möglichkeit dazu gegeben hätte. Doch so ist Fußball für mich nur ein Traum geblieben.

Vor sechs Jahren habe ich zum ersten Mal ein mir nahestehendes, achtjähriges Kind zum Fußballtraining gebracht. Und ich habe gesehen, wie gut er war, wie sehr ihm das gefallen hat.

Und ich habe mich an meine Sportkarriere erinnert. Ich habe acht Jahre Basketball und Tennis gleichzeitig gespielt, acht Trainings pro Woche in zwei Sportschulen. Ich habe den Sport im Alter von 14 Jahren aufgegeben, als es in meinem Leben gerade drunter und drüber ging.

Als ich seine leuchtenden Augen gesehen habe, wollte ich, dass sie mit 15 noch genauso leuchten. Ich wollte, alles in meiner Macht stehende tun um ihm zu helfen: die Ernährung in Ordnung bringen, vielleicht selbst mit ihm trainieren. Nach dem Training bin ich mit Fragen auf den Trainer zugekommen, aber er hat mir gesagt: „Meine Gute, Sie gehören an den Herd, bitte stören Sie mich nicht. Sie verstehen sowieso nichts davon. Ihre Aufgabe ist das Kind zum Training zubringen und abzuholen." Das war ein Wendepunkt für mich. Ich habe beschlossen, dass ich eine Trainer-Lizenz bekommen muss. Das war ein optimaler Zeitpunkt dafür: ich habe eine innere Krise durchlebt, ich hatte lange in der freien Wirtschaft gearbeitet und wollte endlich etwas für andere tun, etwas bewirken.

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Und welche Schritte hast du untergenommen?

Ich habe erfahren, dass es in Moskau eine Trainerakademie gibt, dort bekommt man die Ausbildung zum Trainer. Die erste Stufe ist ein Kurs zum Jugendtrainer und für Amateur-Mannschaften. Dieser dauert drei Wochen, jeden Tag, acht Stunden Unterricht. Das ist beim Fortbildungskurs ähnlich, aber hier fängt alles von vorn an. Ich war die einzige Frau in der Gruppe. Die Männer haben über mich gelacht und gesagt, dass ich meine Zeit vergeude. Die Lehrer haben auch ironisiert, dass ein solcher Unterricht nichts für Frauen ist. Aber keiner hat mich gefragt, warum ich gekommen bin, welche Motivation ich hatte. Ich hatte doch kein Trainerpraktikum, habe nie Fußball gespielt, keine Mannschaft gehabt. Ich habe die Prüfungen mit großem Erfolg bestanden — im Gegensatz zu denen, die sich über mich lustig gemacht haben.

In der nächsten Stufe lernt man professionelle Mannschaften zu trainieren. Die Schulung ist länger — anderthalb Jahre. Man hat noch mehr über meinen Wunsch sie zu absolvieren gelacht. Man hat mich in der Aufnahmeprüfung durchfallen lassen — ich wurde nicht aufgenommen! Man sagte zu mir: „Hör mal zu, du wirst sowieso keine Arbeit bekommen, die Fußballwelt ist klein, alle kennen alle, du hast keine Erfahrung. Und du bist eine Frau, niemand interessiert sich für Frauenmannschaften. Vergeude bitte nicht unsere und deine eigene Zeit. Komm zurück, wenn wir eine Frauenklasse öffnen." Aber ich habe nicht aufgegeben. Ich habe nach einem Jahr noch einmal versucht, die Prüfungen abzulegen — ich war sehr erbost und motiviert.

Um sie nicht zu langweilen, bin ich im neunten Monat schwanger zur Prüfung angetreten. Das hatte natürlich erst recht niemand erwartet. Mein Bauch hat meine Unnachgiebigkeit verdeutlicht. Wenn ich so komme, will ich das wirklich. Von 60 Bewerbern wurden 25 aufgenommen, ich war darunter. Natürlich war mein Name der letzte, der aufgerufen wurde.

Wann haben sie angefangen, dich ernst zu nehmen?

Die besten Lehrer der Akademie haben uns unterrichtet. Zum Beispiel ist der technische Direktor der russischen Fußballunion eng mit den Siegen der russischen Fußballnationalmannschaft bei der WM-2018 verbunden, er hat die technische Zentrale geleitet und dem Haupttrainer in Echtzeit Hinweise gegeben, was auf dem Fußballfeld zu tun war. Er ist ein genialer Akademiedirektor, der Mensch, der allen Trainer*innen in Russland die Lizenzen erteilt, ohne seine Billigung wird keine Lizenz vergeben. Auch er sprach ironisch über meine Vorhaben. Die Fußballwelt ist sehr konservativ, und man kann nicht anders als auch konservativ sein, wenn man darin viele Jahre lebt. Ich hatte keine großen Hoffnungen. Ich verstehe, welche Kultur er vermittelt. Man erwartet nicht, dass Oma erfreut ist, wenn man sie in zerrissenen Jeans besucht. Sie machen ihre Arbeit und machen das perfekt — das war alles, was ich brauchte. Als die Mädchen aus unserer Schule angefangen haben, in der Akademie Prüfungen abzulegen um immatrikuliert zu werden, haben sie verstanden, dass es nutzlos ist, gegen uns anzukämpfen. Alle fünf Mädchen unserer Schule, die jetzt eine Trainerlizenz besitzen, haben das Studium an der Akademie mit hervorragenden Leistungen abgeschlossen. Ich glaube, nach einiger Zeit haben die Leiter der Akademie verstanden, dass wir keine Menschen sind, die eine Lizenz brauchen um unser Brot zu verdienen und dass das nicht das Einzige ist, was wir können. Unsere Trainerinnen sind sehr motiviert, sie sind keine beliebigen Leute.

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War es schwer, mit diesem konservativen Stereotyp zu brechen - dass Fußball eine Sportart nur für Männer ist?

Das hat mich nur angespornt. Es gibt die Vorstellung, dass Mädchen schwach sind, dass Mädchen nichts erreichen können. Aber wenn ein Mädchen etwas will, auch wenn das heißt Trainerin und Schiedsrichterin zu sein, wenn es begabt ist, kann es auch durch geschlossene Türen gehen. Man muss sich damit abfinden, dass das eine männliche Welt ist, und man darf sich keine Illusionen machen. Ein abgebrochener Absatz, PMS oder sonst was? Du muss begreifen, dass das niemand versteht und du deswegen keine Vorteile genießt. Aber es gibt auch Vorteile.

Egal wie man dich behandelt — du erregst immer Aufsehen, weil du eine Frau bist, du stehst immer im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Ja, man behandelt dich skeptisch. Aber wenn du wirklich an das glaubst, was du machst, kommt man nicht darum herum, dir zuzuhören. Ja, das ist schwer, ja, man lässt uns nicht hinein. Aber einen Versuch ist es wert!

Ich kann nicht von mir behaupten, dass ich für die Geschlechtergerechtigkeit kämpfe. Jedes Geschlecht hat seine Vorteile. Manche Sachen machen Männer besser und andere Frauen. Historisch wohnen der Frau Einfühlsamkeit, Feinfühligkeit, Sorge inne. Wenn du diese Stärken hast, weil du eine Frau bist, kannst du sie in deiner Arbeit nutzen. Eine Frau ist fähig völlig andere Verhältnisse in einer Mannschaft aufzubauen. Eine Mannschaft ist eine komplexe Struktur, da gibt es viele Einzelheiten zu beachten.

Frauen und Männer bringen verschiedene Energien mit, die sie dazu bringen, in verschiedenen Situationen auf unterschiedliche Art und Weise zu reagieren. Als Frau sollte man sich einfach denken: „Ja, ich bin eine Frau. Welche Situationen sind schwerer für mich als für Männer? Was kann ich tun, um diese Situation zu verbessern? Und nicht nur für mich, sondern auch für die Mannschaft.“

Ich trainiere immer noch Jugendliche und es ist schwer sie zu erziehen. Ich baue zu ihnen ein Verhältnis auf, das voll männlicher Energie ist. Nicht weil ich mich in einen Mann verwandle, sondern weil ich begreife, dass sie das von ihrer Trainerin brauchen — und ich überlege, was ich in einer solcher Situation machen kann.

Das ist ein einfaches Beispiel, aber wenn die Frauen einen Krieg führen würden, wäre der Krieg anders. Wenn die Männer etwas mit Maternität zu tun hätten, wäre das Leben anders.

Historisch ist Fußball eine männliche Welt. Aber das bedeutet nicht, dass es dort keinen Platz für Frauen gibt. Alle loben Fußballspieler, Trainer. Aber man vergisst, dass hinter ihrem Rücken die Mütter stehen, die sie zu Sektionen gebracht haben, ins Trainingslager geschickt, sich jeden Tag, mehr als zehn Jahre lang, um sie gekümmert haben. Und die streben nicht nach Berühmtheit oder Anerkennung, sie machen das einfach für ihre Kinder.

Wenn du dir die Geschichte Englands genauer ansiehst, findest du einen interessanten Fakt: Nach dem Krieg sind die Männer nach Hause zurückgekehrt und sahen, dass Frauenfußball in der Zwischenzeit sehr populär geworden war. Um die Popularität des „traditionellen Fußballs" zu erhalten, dachten sie sich nichts besseres aus, als Frauenfußball zu verbieten.

Warum kommen Frauen zu Ihnen um Fußball zu spielen?

In den meisten Fällen ist ihre persönliche Geschichte meiner ähnlich — sie kommen, weil das ihr Traum ist. Aber zuvor gab es keine Schule und keinen Trainer, und jetzt gibt es eine solche Möglichkeit.

Ich erzähle dir, wie das zum Beispiel laufen kann: Schon seit du klein bist, hast du davon gesprochen, wie großartig es ist, einen Rennwagen zu fahren. Stell dir vor: du hast einen Führerschein erworben, aber die Zeiten haben sich geändert, du nimmst mit weniger vorlieb, begräbst deinen Traum von einem Rennwagen, vergnügst dich mit einem PKW und Stadtfahrten. Und dann kommst du zu uns, und ich sage: "Toll, in zwei Monaten nimmst du an der Formel 1 teil!" Verstehst du, wovon ich spreche? Wow! Das ist es, was wir machen — wir machen die Träume von Mädchen erreichbar. Wir sind selbst Träumerinnen. Ich wünsche mir, dass so viel Frauen wie möglich Fußball spielen. Ich bin eine von denen, die keine solche Möglichkeit gehabt haben.

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Gibt es irgendwelche Einschränkungen – Alter oder die körperliche Verfassung?

Die Frauen müssen 18 Jahre alt sein, weiter nichts, keine Beschränkungen. Wir nehmen nur Volljährige auf — das bedeutet, dass sie die Verantwortung für ihre Entscheidungen selbst tragen. Ja, unsere Trainings sind ungefährlich, aber wir sind Erwachsene und müssen selbst die Risiken beurteilen. Wenn eine junge Frau heute nicht spielen kann, kommt sie heute nicht. Fußball ist eigentlich keine verletzungsträchtige Sportart. Aber die Frauen sollen sich bewusst sein und verstehen, dass sie das machen, nur weil sie es wollen.

Unsere älteste Spielerin ist 54 Jahre alt. Sie hat vor zwei Jahren angefangen, bei uns zu spielen. Für sie war das einen Traum, den sie seit ihrer Kindheit geträumt hat, jetzt ist sie 50 Jahre alt und kann endlich Fußball spielen.

Was sind diese Frauen von Beruf, außerhalb des Spielfelds?

Sie sind Rechtsanwältinnen, Journalistinnen, Hausfrauen, Dichterinnen, Managerinnen, Buchhalterinnen, Studentinnen — sie sind so verschieden, dass es schwer ist, ein durchschnittliches Bild zu erstellen.

Ist es realistisch, dass ein Mädchen, das als Amateur-Spielerin angefangen hat, in den Profisport einsteigt?

Für Mädchen — ja! Im Männerfußball ist die Konkurrenz sehr groß. Jedes Jahr schließen 40.000 Jungen Sportschulen ab. Und es gibt viel weniger solche Mädchen — ich weiß gar nicht, wie viele genau. So wenige, dass man sich das gar nicht merken kann. Natürlich sind die Chancen in den Profisport einzusteigen für jemanden, der mit 30 Jahren zu spielen anfängt, gleich Null. Mit 40 Jahren beendet man in der Regel die Fußballkarriere.

Aber wenn du 16 Jahre alt bist und eine Sportschule abgeschlossen hast, ist alles möglich, wenn auch nicht auf Anhieb! Nehmen wir den Fall an, dass du nicht in den Fußballverein aufgenommen wirst. Aber du gibst nicht auf und gehst mit Männern spielen. Sie sind schneller, stärker — und du entwickelst dich schneller. Zwei Jahre lang spielst du jeden Tag mit den Männern. Ist es möglich, dass ein Frauenfußballverein sich für dich interessiert? Sicher! Im Fußball sind viele Faktoren von Bedeutung.

Im Männerfußball ist alles anders: wenn du eine Schule abgeschlossen hast und nicht in den Verein aufgenommen wirst, gibt es keine Chance für deine Entwicklung im Berufssport, die Konkurrenz ist zu groß. Mit 16 Jahren, befinden sich junge Menschen mitten in der Pubertät. Wenn zu einem jungen Menschen gesagt wird: "Du bist nicht gut genug", ist es schwer, die Motivation zu finden und weiter zu kämpfen. Das heißt, er macht weiter, was er zuvor gemacht hat: fünf Mal pro Woche trainieren, einmal pro Woche Fußball spielen, ins Fitnessstudio gehen. Er ist abgeschrieben. Psychologisch ist das sehr schwer zu ertragen. Ist ein Trainer da, der ihm noch eine Chance gibt? Wahrscheinlich nicht.

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Wenn ältere Frauen zum Fußballspielen kommen, welcher Zweck verfolgen sie? Selbstverwirklichung?

Schwer zu sagen. Es handelt sich um Leistungen. Im Fußball kann man sich entwickeln, eine Verbesserung sehen. Das ist dasselbe wie bei Marathons: es wäre unsinnig sich anzustrengen, wenn alle Medaillen bekämen. Bei uns geht es darum, alle zu ermuntern.

Fußball ist nicht nur gesund. Wenn du deiner Verbesserung siehst, hilft dir das, dich sicherer zu fühlen, eine Karriere aufzubauen, dich zu entwickeln. Das ermöglicht, im Grunde genommen, auch sozialen Aufstieg.

Du baust dich selbst mit den Leistungen auf. Du fühlst dich freier, sicherer, zugehörig. Ein gutes Hobby entwickelt den Menschen immer weiter. Armbänder knüpfen, Tattoos malen, Fußball spielen — wenn einen das inspiriert, findet man darin Energie um zu leben. Das Leben wird farbiger. Ich liebe das, was ich mache, — und natürlich hilft mir das mich zu entwickeln.

Die Frauen kommen nicht für Leistungen oder Medaillen zu uns. Sie kommen um ihren Traum zu verwirklichen. Menschen träumen nicht von Pokalen, sie träumen von dem Spielen. Das ist ein Spiel. So wie Kinder mit Steinen spielen — sie machen das, weil sie das Spiel genießen. Die Frauen kommen auch wegen des Spielens.

Aber im Amateursport gibt es auch Wettkämpfe, nimmt eure Schule an diesen Spielen teil?

Wir zwingen die Mädchen nicht zu spielen, sie machen das, nur wenn sie das selbst wollen. Wir spielen in der Amateurfußballliga. Unsere Leistungen unterscheiden sich von einer Saison zur anderen: mal landen wir an der Tabellenspitze, mal am unteren Rand der Turniertabelle.

Im Fußball spielt immer auch das Glück eine große Rolle. Die Spiele unserer Nationalmannschaft haben das gut gezeigt. Wie die Mitglieder des Russischen Fußballbunds sagen, findet auch ein blindes Huhn mal ein Korn. Im Fußball sind viele Umstände von Bedeutung. In einem Amateurspiel können 20 Menschen das Spielfeld betreten und jeder von denen ist ein unbeschriebenes Blatt. Was daraus wird, weiß Gott allein.

Zwanzig Spieler einer Mannschaft?

Im Amateurfußball ist der Spielerwechsel erlaubt. Wenn du das Spielfeld verlässt, kannst du zurückkehren. Im Profifußball ist das verboten. Wir geben allen die Möglichkeit zu spielen.

Wer entscheidet über die Taktik für die Spiele?

Kennst du dieses komische Video mit dem Motorradfahrer: "Von Anfang an hatte ich eine Taktik, und ich habe daran festgehalten?"[i] Dasselbe gibt es bei uns. Wir haben viele Mannschaften, und die Taktik wird von der Trainerin festgelegt. Was im Amateurfußball gut ist — dass du als Trainer*in experimentieren, die Taktik während des Spieles oder von einem Spiel zu anderem ändern kannst. Taktik ist eine komplizierte Sache, es gibt sehr viele Einzelheiten zu beachten. Sogar die Spieler*innen wissen nicht um alle Einzelheiten, sie führen die Aufgaben aus, die von der Trainerin gestellt wurden. Natürlich gibt es eine Taktik für das Spiel und für jede Spieler*in. Und auch für den Gegenspieler.

In GirlsPower wird jedes Mädchen unabhängig von den Fähigkeiten und Begabungen das Spielfeld betreten und so lang wie das erfolgreichste, schnellste und begabteste Mädchen spielen. Solange sind wir GirlsPower. Manchmal fragen die Mädchen mich: "Ich bin gestern zum ersten Mal gekommen, und ich trainiere mit den Mädchen, die schon drei Jahre Fußball spielen. Darf ich spielen?" – „Ja, du darfst.“ Wie lang wirst du spielen? — So lang, wie die Trainerin es für angemessen hält. Und die Trainerin wird sagen, dass die Zeit angemessen ist, während der du dich wohl fühlst. Dass ich gut spiele, gibt mir kein Recht dazu mehr Zeit auf dem Feld zu verlangen. Wir alle sind gleich. In unserer Schule wird dir nie gesagt, dass du schlecht spielst und deshalb nicht am Wettkampf teilnimmst. Dir wird nie gesagt: „Vielleicht ist es besser für dich aufzugeben?"


[i] Dieses Video ist ein im Jahr 2015 aufgenommenes Interview mit dem russischen Reiter Alexander Nesjaew. Der Interviewer fragt: „Haben Sie von Anfang an eine Taktik gehabt und daran festgehalten?“ Der Reiter antwortet im Still von Capitan Obvious: „Ja, ich habe von Anfang an eine Taktik gehabt und daran festgehalten.“ Das Video wurde zu einem Internetmem, das verwendet wird, wenn zuvor beschriebene Sachverhalte zu kompliziert und vielschichtig zum Erklären sind, man aber keine komplizierten Einzelheiten dazu geben will.

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Habt an eurer Schule so etwas wie eine Schulordnung?

Unsere Werte sind nicht geschrieben, sie werden mündlich vermittelt. Der Hauptwert ist Liebe. Liebe zu einander, zu dem, was wir machen, wie wir das machen. Und wir überliefern diese Liebe mit allen Mitteln — in der ersten Linie in den Verhältnissen. Die Trainerin hat das Mädchen, das aus 30 Metern Entfernung trifft, genauso lieb wie das Mädchen, das den Ball gestern zum ersten Mal gesehen hat. Aus Liebe entstehen Respekt, Fürsorge, Solidarität. Wir teilen immer: Spielzeit, Bälle, Uniformen. Wenn es ein Fest gibt, ist es für alle. Wenn uns wir fotografieren, machen wir das alle zusammen. Die Schule ist ein Territorium der völligen Gleichheit. Du kannst hier gut und besonders sein, nur weil die Menschen beschlossen haben, dass du besonders bist — und nicht einfach, weil du toll spielst. Es geht nicht um Fußball, es geht um die Verhältnisse.

In jedem Büro gibt es eine besondere Kultur: jemand ist Anführer, jemand Hetzer, jemand spielt die Rolle des Gerüchtemachers und ein anderer ist Außenseiter. Wir haben beschlossen, nicht darauf zu warten, dass jede ihre Rolle wählt. Wir haben für die Mädchen die Rollenauswahl abgeschafft. Sie können sich der Kultur, die wir vermitteln, anschließen. Deshalb haben wir keine solche Probleme, die es in vielen Frauenkollektiven gibt. Das Interessanteste ist, dass das keine „Frauenkultur" ist — das ist eine menschliche Kultur.

Auf dem Feld flucht niemand und niemand beschuldigt andere. Wir haben das von Anfang an verboten. Du kommst zum ersten Training — und schon wird dir das gesagt. Und du triffst die Entscheidung, ob du mit uns spielst oder nicht.

Was meinst du, werdet ihr von Fans als Objekte betrachtet? Werdet ihr in erster Linie als Frauen, die gut in Form sind oder als Sportlerinnen empfunden?

Von Anfang an haben wir verstanden, auf welche Stereotype wir stoßen werden: Frauen in kurzen Shorts, figurbetonte T-Shirts, am besten noch im Regen. Aber die Frauen kommen nicht wegen der schönen Trikots zu uns. Natürlich will jede Frau schön aussehen, aber Schönheit bedeutet nicht immer lackierte Nägel, Make-Up und enge Kleidung. Es handelt sich um eine andere Schönheit. Wenn du unsere Fotos von Spielen anschaust, wird das deutlich. Mit diesen Fotos zeigen wir, was wir als schön empfinden: zum Beispiel, wenn eine junge Frau läuft, mit zerwühlten Haaren um den Ball kämpft, ohne Kosmetik, aber mit so vielen Emotionen, so viel Energie! Das ist die Kraft des Momentes. Das ist eine andere Schönheit, die weit vom Schönheitsideal der Gesellschaft entfernt sein kann.

Wenn ein Mädchen eine Sportuniform anzieht, ist das schön, weil es sich so zu einem Teil der Gruppe macht. Das erweckt viele Assoziationen. Das Mädchen zieht eine Uniform an, mit der es viel verbindet – seine Träume, Wünsche, die Mannschaft, die Atmosphäre darin.

Als ich älter war, habe ich Hockey gespielt. Wenn du 40 Minuten verbringst um Burstschutz, Gamaschen und die ganze Ausrüstung anzuziehen, schließt du an diese Kultur, an diese Schönheit an. Eigentlich glaube ich, dass allein dadurch man ein Team bilden kann, dass Leute einfach kommen und eine Uniform anziehen — das ist das ganze Training. Natürlich ist das ein Witz, aber die wichtigsten Erlebnisse fangen im Umkleideraum an. Das Training oder das Spiel beginnt dort. Alle meine tiefsten Erlebnisse aus der Sportkindheit sind auf eine oder andere Weise mit den Momenten im Umkleideraum verbunden, das ist der Platz, wo man sich konzentrieren und besinnen kann, was passieren wird oder was schon auf dem Spielfeld mit dir passiert ist.

Auf welche Schwierigkeiten stoßen die Mädchen, wenn sie zum Fußballspielen kommen?

Die Hauptbarriere ist psychologisch, das ist der Kampf gegen Stereotype. „Ich will nicht, dass man über mich lacht. Wie werde ich aussehen? Ich kann doch nichts."

Ein kleines Mädchen will Fußball spielen und fängt an darüber nachzudenken, dass es nicht in die Mannschaft aufgenommen wird, dass der Trainer es nicht mögen wird. Und was ist, wenn Mutti sagt, dass es besser sei tanzen zu gehen? Genauso denken die erwachsenen Frauen auch.

Die meisten Frauen, die zu uns kommen, müssen zuerst die Schüchternheitsbarriere überwinden. Ich bekomme Anfragen wie: „Darf ich zum Training kommen?" Hör mir mal zu: Wenn du einen Führerschein machen willst, schreibst du dann der Fahrschule: „Darf ich kommen?" Du kommst einfach. Natürlich, komm!

Eine Frau kann ein Geschäft führen oder eine erfolgreiche Spezialistin auf ihrem Gebiet sein, aber schon beim Gedanken daran, auf einem Fußballfeld zu stehen, schämt sie sich. Ein ganzer Abgrund von Scham: Sie hat noch nichts gemacht und schämt sich schon! Aber mit der Zeit kommen dennoch immer mehr Mädchen und Frauen zu uns. Vielleicht stellen wir eine Mannschaft aus älteren Spielerinnen zusammen und nehmen an der Weltmeisterschaft für Rentner*innen teil? Wir haben schon am Russland-Cup teilgenommen!

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Wie siehst du die Zukunft des Frauenfußballes?

Alles was in der Fußballwelt passiert, wird von der FIFA beaufsichtigt. Vor einigen Jahren hat die FIFA angemeldet, dass ihre Strategie für die nächsten zehn Jahren ist, aus dem Frauenfußball die populärste Frauensportart zu machen. Warum? Zwei Milliarden Männer auf der Welt spielen Fußball — es gibt keinen Platz mehr für Entwicklungen. Alle, die Fußball mögen, haben schon die Möglichkeit zu spielen. Nur Frauen hatten keine solche Möglichkeit. Stell dir vor, jetzt gibt es nur einige Hunderttausende Frauen, die Fußball spielen und in Zukunft werden Milliarden von Frauen spielen. Frauenfußball wird zum Massensport. Ein Mädchen geht auf die Straße hinaus um zu bolzen. Danach fängt es an, in einer Mannschaft zu spielen. Und dann wird es zu einer Profisportlerin.

In unserer Schule spielen etwa 200 Mädchen: 100 spielen regelmäßig, 100 kommen und gehen. Wenn wir weiter machen wie bisher, werden in einigen Jahren 500 oder vielleicht 1000 Mädchen bei uns spielen. Weil die Zeit vergeht, weil die FIFA ihre Arbeit gut macht, weil Fußball für Mädchen erreichbarer wird.

Verfolgst du persönlich die Profifußballspiele?

Ich schaue mir die Spiele an, aber es ist schwierig für mich Fan zu sein — ich fange sofort an, das Spiel als Trainerin zu beurteilen.

Für mich ist der Profifußball als soziales Phänomen interessant: die Menschen haben Bedürfnis danach, mit einer Mannschaft mitzufiebern, sie brauchen jemanden, dessen Flagge sie verteidigen. Das ist die sicherste Art des Patriotismus — nicht eines kriegerischen, sondern eines kämpferischen Patriotismus. Wo können Menschen sonst noch so starke Emotionen fühlen? Menschen brauchen es, ihre Kraft zu demonstrieren — und sie machen das durch eine Nationalmannschaft. Einerseits ist das ein hartherziges Phänomen: Millionen Menschen schauen an, wie 22 Männer Fußball spielen. Ich bin ein bisschen verwirrt, wenn ich aus moralischer Sicht darüber nachdenke. Ein Kind kommt zu mir, ich will ihm helfen, halte jahrelang seine Hand — will ich, dass es mal kämpfen muss? Ich will in erster Linie, dass ihm das Spiel Spaß macht.

Aber wir können den Masseneffekt nicht vermeiden. Je stärker er ist, desto geringer die Moral. In diesem Sinn ist Fußball ein sicherer Rahmen, in dem Masseneffekte existieren können, ohne brutal zu werden. Lasst es besser Fußball sein als Krieg.

Gott sei Dank, gibt es Fußball — in einem gewissem Sinn wird er zu einer legitimen Schlacht, in der Menschen nicht sterben, sondern sich vereint fühlen.