Ukrainer*innen in deutschen Haushalten

Feministischer Zwischenruf

Hunderttausende arbeiten illegal als Putzhilfe oder in der Altenpflege. Der Staat unterstützt ihre Ausbeutung indirekt über die Verweigerung von Arbeitsvisa.

carer taking an older person for a walk

Eine junge Ukrainerin schlägt in einer Facebook-Gruppe Alarm: Sie war mit einem deutschen Mann verheiratet, der hat sie verlassen, und nun sucht die ukrainische Frau nach anderen Wegen, um in Deutschland bleiben zu können. Tja, sie wird wohl anfangen müssen zu putzen, pflegen und oder einen anderen Deutschen heiraten. Da sie in der Regel nur illegal arbeiten kann, muss sie Bedrohung, Belästigung, vielleicht auch Gewalt befürchten.

Dies ist der traurige Lauf der Dinge, der vom Stereotyp zur tausendfach gelebten Realität geworden ist. Frauen aus der Ukraine, die vergessenen Flüchtlinge Europas, werden als billige Arbeitskräfte ausgenutzt. Zahlreiche Partnervermittlungsagenturen und Dienstleistungsplattformen zeichnen ein durch Stereotype und Unterstellungen charakterisiertes Bild von Frauen aus der Ukraine, Belarus oder Russland - die oft deren gesamtes Leben ruinieren.

Wenn Klischees Menschenrechte verletzen

Ukrainerinnen sind vor allem in Deutschland gefragt, weil sie so die einschlägigen Plattformen – die schönsten der Welt sindund eine Traumfigur haben. Deutsche Männer bevorzugten ukrainische Frauen, weil sie sehr trinkfest sind und gerne mit ihrem Partner feiern. Sie seien sexuell freizügig“, „fürsorglich für ihre Männerund würden „sich gut um den Haushalt kümmern. Und nicht zuletzt: Ukrainische Frauen seien „nicht anspruchsvoll. Das ist das ganze Paket für einen Heiratsantrag, und so funktioniert dieses Geschäft tatsächlich seit Langem. Doch wie ergeht es diesen Frauen nach einer so vermittelten Hochzeit? Werden sie glücklich? Oder passiert ihnen Ähnliches wie jener Frau, die auf Facebook nach Hilfe ruft?

Ukrainerinnen gelten in Deutschland nicht nur als attraktive Ehefrauen“ – auch als Haushaltshilfen sind sie gefragt, weil sie angeblich besser putzen könnenbzw. gerne putzen“. Natürlich stimmt nichts von dieser Online-Anpreisung, vielmehr geht es darum, schnell zu Geld zu kommen, genauer: auf den illegalen Arbeitsmarkt. Laut einer Studie des Instituts für Deutsche Wirtschaft in Köln beschäftigen über 3,3 Millionen Haushalte in Deutschland regelmäßig oder gelegentlich eine Hilfe rund 88 Prozent dieser Hilfskräfte arbeiten illegal. Sie reinigen, waschen oder kaufen ein, ohne irgendwie abgesichert oder auch nur für den Fall eines Unfalls versichert zu sein. Die meisten dieser Reinigungskräfte sind Frauen aus Polen oder der Ukraine.

Auch als sogenannte 24-Stunden-Pflegekraftwerden Ukrainerinnen billig verkauft. In etwa 300.000 Familien in Deutschland betreuen Osteuropäerinnen pflegebedürftige Menschen zu Hause, so Schätzungen aus der Pflegebranche. Aufgrund des regelmäßigen Personalwechsels könnten es bis zu 700.000 Arbeitskräfte jährlich sein. Weil polnische Pflegerinnen höhere Löhne verlangen, greift die Pflegebranche nun immer öfter auf die Dienste von Ukrainerinnen zurück, die eben oftmals illegal nach Deutschland gebracht werden. Das haben aktuelle Recherchen des ARD-Magazins FAKT, der Süddeutschen Zeitung und der polnischen Wochenzeitung Tygodnik Powszechny ergeben. Branchenexperten berichten, dass es extrem schwierig sei, auf legalem Weg eine entsprechende Arbeitszulassung zu bekommen.

2018 erhielten 527.000 Personen und 2019 757.000 Personen aus der Ukraine Aufenthaltstitel in der EU, die meisten von ihnen in Polen. Laut Prognosen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) wird die Bevölkerung in der Ukraine im Jahre 2050 32,9 Mio. Menschen betragen. Das bedeutet 9,9 Mio. Menschen weniger im Vergleich zum Jahr 2016. Die Anzahl der Einwohner*innen im Alter von über 60 Jahren wird dann 50 Prozent übersteigen.

90 Tage Aufenthalt sind nicht genug

Seit 2017 benötigen Ukrainer*innen kein Schengen-Visum mehr, um in die EU einzureisen. Die EU stärkte 2009 ihre Beziehungen zu sechs ehemaligen Sowjetrepubliken unter dem Namen „Östliche Partnerschaft, einem Teilprojekt der Europäischen Nachbarschaftspolitik. Dazu gehören neben der Ukraine auch Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldau und Belarus. So fördert die EU vor allem die wirtschaftliche Integration der Partnerländer mit der Union und versucht dabei, ihre politische Annäherung zu unterstützen. Deutschland übernahm dabei eine führende Rolle. Von einem EU-Beitritt der sechs Partnerländer ist allerdings nicht die Rede, trotz des politischen Willens in einigen Ländern wie der Ukraine und Georgien. Ein Element der Östlichen Partnerschaft ist visafreies Reisen für die Bürger*innen der Partnerstaaten innerhalb des Schengenraums. Nach Moldau im Jahr 2014 wurde auch Georgien und der Ukraine 2017 diese Visafreiheit eingeräumt. So benötigen ukrainische Bürger*innen für Aufenthalte von bis zu 90 Tagen innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen im Schengen-Raum kein Visum mehr. Sie dürfen sich zu geschäftlichen, touristischen oder familiären Zwecken auf den Weg in die EU machen. Doch die Befreiung von der Visumpflicht berechtigt in der Regel nicht zum Arbeiten. Also kommen viele Frauen aus der Ukraine als Touristinnen und arbeiten illegal. Das macht sie zu Zeitarbeiter*innen, die ihren Aufenthaltsort alle drei Monate wechseln müssen. Drei Monate Arbeit in Deutschland, drei Monate zu Hause in der Ukraine. Nur so können sie unauffällig bleiben.

Rückfall auf Facebook

Weil die Corona-Pandemie Flugreisen stark eingeschränkt hat, greifen viele Ukrainer*innen nun bei Angeboten in den sozialen Netzwerken zu. Allein auf Facebook existieren mehrere Gruppen, in denen Dutzende angebliche Privatpersonen ihre Leistungen für einen Transfer aus der Ukraine anbieten. Die gefragten Fahrstrecken führen nach Polen, in die Niederlande, nach Belgien und selbstverständlich nach Deutschland. Es gibt offenbar keine Vorkasse. Menschen bezahlen erst dann, wenn sie die Grenze erfolgreich überqueren. Dafür werden alle notwendigen Dokumentegestellt – Scheinpapiere, so haben es mir einige Ukrainerinnen berichtet.

Doch in Deutschland interessiert das kaum jemanden, Hauptsache gut und günstig. Hartgesottene Kapitalist*innen mögen argumentieren: Was ist eigentlich schlimm daran, eine Putzkraft oder eine Pflegerin illegal zu beschäftigen? Beide Seiten profitieren doch von der Arbeit am Finanzamt vorbei. Doch mehrere Frauen berichten, sie seien als Care-Arbeiterinnen häufig erniedrigt und bedroht worden. Sie erzählen von langen Arbeitszeiten und Gewalterfahrungen. Und nirgends konnten sie Hilfe finden – weil sie illegal in Deutschland arbeiten und das Geld ihren Familien schicken, die es dringend brauchen. Einige Frauen befinden sich in Täter-Opfer Beziehungen, in denen Täter ihre Macht missbrauchen.

Diese Frauen brauchen Emanzipation. Aber allein das ist nicht genug, um gegen Benachteiligung und Ungerechtigkeiten zu kämpfen. Dafür braucht es einen Staat, der Arbeitsvisa erteilt, aber auch insgesamt den Bewusstseinszustand: woke“ – eine proaktive Gesellschaft, in der Menschen sich sozialpolitisch bewusst verhalten.

Woke sein“, also aufwachenund wachsam bleiben“, bedeutet nicht nur Ungerechtigkeiten zu erkennen, sondern auch zu handeln. Diese Frauen verdienen Anerkennung, aber vor allem Unterstützung. Damit sie nicht auf die Hilfe in Facebook- Communities angewiesen bleiben und auf die Ratschläge von irgendwelchen komischen Typen eingehen müssen, weil ihnen keine Wahl bleibt.