Geschlechterrolle rückwärts. Zum Antifeminismus bei der AfD in Baden-Württemberg

Dossier

Antifeminismus ist zentraler Bestandteil konservativer bis (extrem) rechter Ideologien. Die Bedeutung dieses Phänomens wird seitens der Forschung und der öffentlichen Meinung jedoch noch immer randständig behandelt, obwohl Antifeminismus als Mitmotiv rechter Terroranschläge in den letzten Jahren immer deutlicher wird. Auch bei der AfD Baden-Württemberg lassen sich zuhauf antifeministische Diskurse und Forderungen finden. Im folgenden Text wird deutlich was Antifeminismus ist, wo er bei der AfD auftaucht und wie er in einem größeren gesellschaftlichen Zusammenhang zu verorten ist.

Als die Alternative für Deutschland im Jahr 2013 aus verschiedenen Spektren heraus gründet wurde, galt sie zunächst vor allem als Anti-Euro-Partei. Doch schon zu Beginn waren Familie und die Abwehr von Gleichstellung zentrale Themen, die von den verschiedenen Strömungen der AfD geteilt wurden. So wetterten von Anfang an Parteiverantwortliche gegen Frauen- und Gleichstellungspolitik und positionierten sich gegen die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare (Lang 2017, S. 61-63). Dies gilt bis heute und antifeministische Forderungen und Anträge, oft in Kombination mit den Themen Bevölkerungspolitik und Rassismus, werden in den verschiedenen Bundesländern und von verschiedenen AfD-PolitikerInnen[1] regelmäßig gestellt. Anhand des Antifeminismus zeigt sich bei der AfD auch die Verschränkung verschiedener Ideologien der Ungleichheit wie Rassismus und Antisemitismus. Die AfD nennt sich selbst „Familienpartei“, wobei sie unter Familie stets heterosexuelle weiße verheiratete Paare mit bestenfalls mehreren Kindernversteht, und positioniert sich gegen sexuelle, geschlechtliche und familiäre Vielfalt. Daher ist die AfD als antifeministische bzw. als Anti-Gender-Partei zu verstehen. Trotzdem wird der Antifeminismus der AfD seitens der Forschung und des Journalismus oft nur am Rande verfolgt und selten als ein zentrales Element rechter Mobilisierung und Ideologie erkannt.

Um den Antifeminismus bei der AfD in einem größeren Zusammenhang zu sehen, gehe ich zunächst darauf ein, was Antifeminismus ist. Vor diesem Hintergrund lassen sich im Landtagswahlprogramm der AfD Baden-Württemberg, in Anfragen im Landtag und im Programm der Jungen Alternative Baden-Württemberg, der Jugendorganisation der AfD,verschiedene antifeministische Varianten finden.

Antifeminismus

Unter Antifeminismus ist grundsätzlich die Ablehnung feministischer und gleichstellungspolitischer Forderungen und Errungenschaften zu verstehen. Daher verfolgen viele AntifeministInnen das Ziel, die Geschlechterverhältnisse einer idealisierten Vergangenheit wiederherzustellen. Sie gehen dabei von einer hierarchisch organisierten Zweigeschlechtlichkeit aus und betrachten Geschlecht als einen gesellschaftlichen Platzanweiser, wobei Männer als für Politik und den öffentlichen Bereich und Frauen als für den privaten Bereich und die Sorge- und Erziehungsarbeit zuständig gelten (Blum 2019, S. 105-106). Antifeminismus geht über reine Frauenfeindlichkeit hinaus, denn AntifeministInnen stehen allen Menschen – auch Männern – feindlich gegenüber, die für eine emanzipierte Gesellschaft eintreten oder durch ihre Lebensweise oder mit ihren Zielen den engen Grenzen der antifeministischen Weltsicht widersprechen. Daher ist auch LSBTQIA*-Feindlichkeit[2] als Aspekt von Antifeminismus zu verstehen. Darüber hinaus tritt Antifeminismus eigentlich immer in Verschränkung mit Antisemitismus und Rassismus auf.

Antifeminismus hat im deutschsprachigen Raum eine lange Tradition. Spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts lässt sich ein organisierter Antifeminismus erkennen, der oftmals in Verbindung mit modernem Antisemitismus auftrat. Insbesondere seit den 1990er-Jahren wird Antifeminismus wieder einflussreicher und tritt anlassbezogen in verschiedenen Wellen auf. Zentral im Antifeminismus sind u. a. die Feindschaft gegenüber einer behaupteten political correctness, der Kampf gegen Gender Mainstreaming und insgesamt gegen vielfältige Gender-Konzepte. Außerdem behaupten AntifeministInnen regelmäßig, dass mittlerweile Männer und Jungen benachteiligt würden, und lehnen im Zuge dessen Quoten- und Gleichstellungsregelungen ab, die zur Gleichstellung von Frauen und LSBTQIA*-Personen beitragen sollen. Verschiedene AkteurInnen, darunter konservative JournalistInnen, religiöse Rechte, Maskulinisten[3], (extrem) Rechte und im großen Stil auch die AfD zeichnen das Bild eines angeblich omnipotenten Feminismus, der die Gesellschaft dominiere.

Auch der Landesverband der AfD in Baden-Württemberg ist deutlich antifeministisch ausgerichtet. Dies zeigt sich am angestrebten Familienbild, der Haltung LSBTQIA*-Personen und -Lebensweisen gegenüber und besonders zugespitzt in den Protesten gegen die Überarbeitung des Bildungsplans in den Jahren 2014 und 2015.

Familienbild

Im Vergleich zu anderen Parteien zeigt sich, dass familien- und geschlechterpolitische Themen bei der AfD deutlich überrepräsentiert sind. Das Familienbild der AfD im Bund und der AfD Baden-Württemberg baut auf dem Ideal der weißen, heterosexuellen Mehrkind-Familie auf. So bezeichnet die AfD Baden-Württemberg in ihrem Landtagswahlprogramm die Familie als „Keimzelle und Fundament von Gesellschaft und Kultur“ (AfD 2016, S. 18). Auch im Wahlkampf ist Familie regelmäßig Thema. Zur Landtagswahl 2016 wurde beispielsweise auf Wahlplakaten gefordert: „Mut zur Familie. Ehe und Familie stärken“. Bebildert wurde diese Forderung mit weißen, heterosexuellen Mehrkind-Familien, um mindestens subtil zu unterstreichen, um welche Variante von Familie es der AfD geht. Die akute Phase der Corona-Einschränkungen wurde als Möglichkeit für eine erhoffte Wiederherstellung traditioneller und teils reaktionärer Geschlechter- und Familienbilder begriffen. So erklärte die AfD-Politikerin Christina Baum in einer Pressemitteilung zur Änderung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes im März 2020: „Doch vielleicht stellt die Corona-Krise auch eine Chance zur Rückbesinnung dar, zur Rückbesinnung auf seit Jahrtausenden Bewährtes – dazu gehört an allererster Stelle die Familie als kleinste solidarische Gemeinschaft einer Gesellschaft.“ Baum klammert, anders als feministische Expert*innen, die Gefahr für Kinder und Frauen in der Heim-Quarantäne aufgrund von gewalttätigen Partner*innen/Eltern aus. Auch die Gefahr, dass sich soziale Ungleichheit aufgrund von Schulschließungen verfestigt, von denen insbesondere Kinder und Jugendliche aus finanziell schwachen Familien besonders schwer getroffen werden, da sie oft kein eigenes Zimmer zum Lernen oder keine mobilen Endgeräte haben[4], erwähnt Baum nicht.

Insgesamt bleiben im Familienbild der AfD Patchwork-Familien, Alleinerziehende und weitere Familienkonstellationen unerwähnt. Gleichgeschlechtliche Elternkonstellationen werden direkt abgelehnt. Besonders deutlich wird die Abwertung nicht-heterosexueller Beziehungskonstellationen im Programm der Jungen Alternative ausgedrückt: „Wir sehen die heterosexuelle Familie als schützenswerte und primäre Lebensgemeinschaft an. Damit bedarf sie als Keimzelle für das Fortbestehen unseres Volkes der Bevorzugung und Hervorhebung gegenüber anderen Lebensgemeinschaften.“[5]

Im Landtagswahlprogramm fordert die AfD Baden-Württemberg darüber hinaus verschiedene Varianten finanzieller Unterstützung und Entlastung für Familien, etwa den Kinderfreibetrag auf die Höhe des steuerfreien Existenzminimums anzuheben und angelehnt an das Ehegattensplitting ein „Familiensplitting“ einzuführen. Dass es der AfD hier vor allem um finanzielle Anreize, Kinder zu bekommen, und weniger um soziale Gerechtigkeit geht, zeigt sich daran, dass keine grundsätzliche Kritik an sozialer Ungleichheit geäußert wird.  Neben den finanziellen Anreizen soll für „das Positive und Erfüllende einer Mutter-Vater-Kind-Beziehung geworben werden“ (AfD 2016, S. 28). Spannend ist, dass die AfD Indoktrination und feministische Einflussnahme befürchtet und stets fordert, dass sich die Politik aus dem Privatleben herauszuhalten habe. Nicht so jedoch, wenn es um die Familie geht. Denn hier wird geradezu zu öffentlicher Einflussnahme aufgerufen: „Die AfD will auf die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einwirken und auch im Bildungsbereich Anstrengungen unternehmen, damit Ehe und Familie positiv dargestellt werden.“ (AfD 2016, S. 29)

Eine weitere Forderung im Landtagswahlprogramm lautet, dass Ehepaare beim Durchlaufen von Krisen unterstützt werden sollen (AfD 2016, S. 29). Wie das aussehen kann, bleibt offen. Als Begründung wird angeführt, dass Scheidungen Geschiedene und Kinder belasteten. Gewaltverhältnisse in Beziehungen und Ehen als wichtige Gründe für Trennungen und Scheidungen werden jedoch ignoriert. Auch die hohe Gewalt- und Femizidrate[6] laut einer Studie der UN wurden im Jahr 2017 in Europa mindestens 3.000 Frauen von ihren Partnern oder Familienangehörigen getötet[7] bleibt unerwähnt. Vielmehr sollen Scheidungen juristisch erschwert werden, etwa indem neben dem aktuell dominierenden Zerrüttungsprinzip auch Scheidungsgründe wieder stärker berücksichtigt werden sollen (AfD 2016, S.30).

Bevölkerungspolitik

Das Familienbild der AfD ist zudem völkisch geprägt. So wird das Ideal der heterosexuellen Mehrkindfamilie regelmäßig mit einer vermeintlich krisenhaften demografischen Entwicklung verknüpft. Im Landtagswahlprogramm der AfD Baden-Württemberg heißt es, dass eine ausreichende Anzahl von Kindern wichtig für die demografische Entwicklung und den Fortbestand „unseres Volkes“ (AfD 2016, S. 19) und die Funktionsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme sei. Gleichzeitig wird Einwanderung als Reaktion auf eine alternde Gesellschaft ausgeschlossen. Das völkische Denken zeigt sich auch anhand einer Anfrage der AfD im Landtag von Baden-Württemberg: Die AfD wollte wissen, wie viele Frauen mit deutscher bzw. „anderer“ Staatsangehörigkeit im „gebärfähigen Alter“ seien und wie viele Kinder von Frauen mit deutscher bzw. anderen Staatsbürgerschaften geboren wurden. Weiter fragte die AfD, wie viele Frauen darunter Muslima seien. Begründet wurde dies offen antimuslimisch: „Diese Kleine Anfrage dient dazu festzustellen, ob eine Islamisierung unseres Landes durch Geburten erreicht beziehungsweise befördert wird.“[8] Hier zeigt sich, dass Frauen vor allem als potentielle Mütter gesehen werden und insbesondere in diesem Zusammenhang von politischem Interesse sind. Im Zuge dessen lässt sich auch von familienzentriertem Antifeminismus sprechen.

Schwangerschaftsabbrüche

Der Bereich Bevölkerungspolitik und die Ablehnung von Einwanderung ist auch eng mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch verknüpft. So wird im Landtagswahlprogramm der AfD Baden-Württemberg und in Ablehnung der „Willkommenskultur für Geflüchtete“ eine „Willkommenskultur für Un- und Neugeborene“ gefordert. Daneben wendet sich die Partei dagegen, „Abtreibungen zu bagatellisieren“, und zeichnet damit das Bild, dass Schwangere willkürlich und undurchdacht ihre Schwangerschaft abbrächen (AfD 2016, S. 32). Darüber hinaus wird Misstrauen gegen Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen geschürt, wenn gefordert wird, dass Schwangere in Konfliktsituationen so beraten werden müssten, dass sie sich für ein Kind entscheiden können (AfD 2016, S. 32). Dabei ist dies bereits im Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) gesetzlich festgelegt.

Insgesamt findet das Thema Gewalt innerhalb von Beziehungen bei der AfD keine Beachtung. So werden Frauenhäuser erst in Bezug auf Bevölkerungspolitik Thema, wenn es darum geht Anreize fürs Kinderkriegen zu schaffen. So fordert die Junge Alternative: „[...] eine deutliche Stärkung positiver Anreize, ein Kind trotz Neigung zum Schwangerschaftsabbruch dennoch auszutragen. Dies soll unter anderem durch einen massiven Ausbau von Frauenhäusern und sogenannten Babyklappen geschehen.“[9]

Christliche Rechte und „Lebensschützer“

Die Ablehnung und Skandalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bietet auch Anknüpfungspunkte an selbsternannte „Lebensschützer“, die sich aus dem evangelikalen Milieu[10] und der christlichen Rechten hervortun. Neben dem Antifeminismus und der Ablehnung von Schwangerschaftsabbrüchen teilt die AfD mit der christlichen Rechten die Angst vor einer demografischen Krise, die in ihren Augen nicht durch Einwanderung gelöst werden sollte. Uli Jentsch, Mitarbeiter des Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums e.V. in Berlin (apabiz), charakterisiert die Verstrickung der christlichen Rechten in die AfD folgendermaßen: „[e]hemalige Exponentinnen der christlichen Kleinparteien (Martina Kempf) haben den Weg in die AfD gewählt.[…] der Einfluss der ‚Lebensschutz‘-Bewegung ist vor allem in deren Schwerpunkten in den südöstlichen Landesverbänden und in Baden-Württemberg deutlich spürbar.“ (Jentsch 2016, S. 105)

Diese Prägung zeigt sich auch daran, dass in Baden-Württemberg bereits im August 2013, also in der Anfangsphase der AfD, der „Pforzheimer Kreis“ gegründet wurde, ein Arbeitskreis in der AfD Baden-Württemberg (bundesweit: Arbeitskreis „Christen in der AfD“).  Auf der Bundesebene ist Beatrix von Storch im Arbeitskreis „Christen in der AfD“ aktiv und war als Gründungsmitglied bei der ersten Versammlung der Regionalgruppe Darmstadt anwesend.[11]  Der„Pforzheimer Kreis“ war insbesondere zu Beginn sehr aktiv und startete am 4. März 2014 die „Petition gegen die Umsetzung der Gender-Ideologie in Gesetzesvorhaben und Vorschriften“. Diese Petition wurde abgelehnt. In der Erwiderung des „Pforzheimer Kreises“ auf die Ablehnung zeigte sich ein klassisches Gemisch antifeministischer Narrative: Beispielsweise wurde behauptet, dass Geschlechterquoten zur Förderung der Gleichberechtigung stets zur Benachteiligung von Männern führen würden und Kinder gleichgeschlechtlicher Paare unter psychischen Erkrankungen leiden würden: „Die Auslieferung von Kindern an gleichgeschlechtliche Paare beraubt sie der Grundlage einer gesunden psychischen Entwicklung.“[12] Hier werden nicht nicht direkt die LSBTQIA*-Lebensweisen kritisiert, sondern eine nicht der Realität entsprechende psychische Gefährdung behauptet. Es ist ein typisch antifeministisches Argumentationsmuster, sich über den Umweg der vermeintlichen Kindeswohlgefährdung antifeministisch und LSBTQIA*-feindlich zu äußern. Imke Schmincke fasst dieses Argumentationsmuster wie folgt zusammen: „Das Argument ,Kindeswohl‘/,Sorge um Kinder‘ wirkt immer. Es sichert Aufmerksamkeit, verleiht Glaubwürdigkeit und vor allem moralisches Gewicht. Kinder repräsentieren in dieser Bezugnahme Unschuld und Bedürftigkeit.“ (Schmincke 2015, S. 93)

Rassismus und Ethnisierung sexueller Gewalt

Die AfD verbindet Bevölkerungspolitik und die Frage, wer Kinder bekommen solle, regelmäßig mit Rassismus bzw. rassistischen Feindbildkonstruktionen. Dies zeigt sich insbesondere beim Thema sexuelle Gewalt. Wie bereits beschrieben, werden das Thema sexuelle Gewalt in Beziehungen und die hohe Zahl an Femiziden seitens der AfD kaum behandelt. Beachtung findet dieses urfeministische Thema stets erst dann, wenn es um Straftaten durch Männer of Color bzw. Geflüchtete geht. Die Scheinheiligkeit der AfD zeigte sich beispielsweise daran, dass die Ermordung einer Studentin in Freiburg im Herbst 2016 von der AfD erst dann öffentlich skandalisiert wurde, als bekannt wurde, dass der Täter ein Geflüchteter war. Auch bei ähnlichen Fällen in Kandel im Frühjahr 2018 oder einer Gruppenvergewaltigung wiederum in Freiburg im Herbst 2018 schaltete sich die AfD erst ein, als bekannt war, wer die  Täter waren. Deutlich rassistisch bzw. antimuslimisch äußerte sich Dirk Spaniel, Bundestagsabgeordneter der AfD und ehemaliger Landesvorstand der AfD Baden-Württemberg, der im März 2018 zur Demonstration „Kandel ist überall“ aufrief: „Ich fordere alle Parteien auf, der Unkultur des Islams seine Grenzen aufzuzeigen. […] Die islamfreundlichen Politiker aller Parteien müssen sich endlich eingestehen: #Kandelistüberall gilt ausnahmslos für alle Frauen in unserem Land.“[13] Insgesamt zeichnen AfD-PolitikerInnen stets das Bild, dass männliche, sexualisierte Gewalt ausschließlich von außen komme. So wird auch in verschiedenen Landtagsanfragen nach sexuellen Übergriffen auf Frauen stets nach der Staatsbürgerschaft gefragt und so weiter am Bild des gefährlichen Fremden gezeichnet.[14] Dieses Bild ist deutlich verzerrt, denn rassistische Gewalt und die strukturelle Dimension häuslicher und sexueller Gewalt der Gesamtgesellschaft wird von der AfD nicht thematisiert.

LSBTQIA*-Feindlichkeit

Die im Antifeminismus veranlagte LSBTQIA*-Feindlichkeit, zeigt sich bei der AfD in Baden-Württemberg an verschiedenen Stellen und wird mit dem Ideal der heterosexuellen Mehrkind-Familie verknüpft. So heißt es im Landtagswahlprogramm, das vor der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare im Sommer 2017 formuliert wurde: „Wir respektieren die eingetragene Lebenspartnerschaft. Deren Gleichstellung mit der Ehe lehnen wir aber ab. Das Recht auf Adoption muss Ehepaaren vorbehalten bleiben.“ (AfD 2016, S.28) Dies wird, wie schon weiter oben beschrieben, mit dem Wohl der Kinder begründet.

Subtiler äußert sich Carola Wolle, Landtagsabgeordnete der AfD, in einer Pressemitteilung zum Christopher Street Day im Juli 2019 in Stuttgart. In dieser formuliert sie, dass es gut sei, dass sich Homosexuelle mittlerweile gleiche Rechte und Akzeptanz erkämpft hätten. Wolle knüpft jedoch die Akzeptanz von LSBTQIA*-Lebensweisen an die Bedingung, dass Lesben und Schwulen sich möglichst unauffällig verhalten und sich in eine heterosexuelle gesellschaftliche Norm einpassen sollen: „Wenn Schwule und Lesben weiter als selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft angesehen werden wollen, so sollten sie sich von diesem Polit-Zirkus einer offenbar radikalen Minderheit distanzieren!“[15] Daran anschließend wird im Landtagswahlprogramm das Bild gezeichnet, dass es mittlerweile keine Diskriminierung mehr von LSBTQIA*-Lebensweisen gebe (AfD 2016, S. 6). Dies schlägt sich auch im größeren Zusammenhang nieder. So wird Homosexualität im Bundesprogramm der AfD nur erwähnt, wenn es um eine behauptete „Frühsexualisierung“ im Zusammenhang mit Sexualpädagogik geht (Lang 2017, S. 66). Damit werden gleichgeschlechtliche Lebensweisen auf sexuelle Aspekte reduziert und die Förderung der Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt bei Kindern als Propagierung von Homo- und Transsexualität im Unterricht dargestellt. Im Landtagswahlprogramm der AfD heißt es: „Im Zeichen der Verantwortung für unsere Kinder steht die Forderung der AfD nach Beendigung der Frühsexualisierung und anderer ideologischer Beeinflussungen in Schulen und sogar Kindergärten, wie sie der grün-rote Aktionsplan und der Bildungsplan vorsehen.“ (AfD 2016, S. 5)

Die AfD scheint, wie AntifeministInnen insgesamt, von der Angst angetrieben, dass die heterosexuelle Norm infrage gestellt und um vielfältigere Varianten erweitert wird. Das öffentliche Eintreten von LSBTQIA*-Initiativen gegen Diskriminierung und für Gleichstellung wird mit einer Verschwörung und Indoktrination gleichgesetzt. Die große Sorge vor einer Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare macht das Grundmotiv deutlich: AntifeministInnen wollen politische und gesellschaftliche Privilegien nicht teilen. Sie scheinen davon auszugehen, dass mehr Möglichkeiten und Rechte für mehr Menschen zu einem Verlust der eigenen Möglichkeiten führen würden.

Anti-Gender

Neben familienbezogenem Antifeminismus, LSBTQIA*-Feindlichkeit und der Ethnisierung von sexueller Gewalt mobilisiert die AfD regelmäßig gegen alles, was sie mit dem Begriff Gender in Verbindung bringt (Anti-Gender-Antifeminismus). So werden Geschlechterforschung und Gender Mainstreaming als Feindbilder konstruiert und verkürzt dargestellt. Im Landtagswahlprogramm wird gar die Abschaffung der Geschlechterforschung an Hochschulen in Baden-Württemberg gefordert (AfD 2016, S. 31) und damit massiv versucht, Einfluss auf Forschung und Lehre zu nehmen. In Ungarn haben ähnliche Forderungen und Kampagnen bereits gewirkt: Das Studienfach Gender Studies wurde dort im Sommer 2018 abgeschafft. Paradox ist, dass die AfD an vielen Stellen eine vermeintliche Einflussnahme der Gender Studies behauptet und sich gegen eine angeblich versuchte Einflussnahme des Staates positioniert. Gleichzeitig wird im Landtagswahlprogramm gefordert, dass Projekte an Hochschulen und Lehrstühlen den Wert von Ehe und Familie darstellen sollten (AfD 2016, S.31). Hier wird das gefordert, was Feminist*innen vorgeworfen und unterstellt wird: eine Einflussnahme auf die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit.

Die Proteste gegen den Bildungsplan in Baden-Württemberg

Besonders zugespitzt und exemplarisch zeigten sich die verschiedenen antifeministischen Varianten bei den Protesten 2015 gegen den Bildungsplan in Baden-Württemberg. Gegen das Vorhaben, die Akzeptanz sexueller Vielfalt im Bildungsplan als Querschnittsthema zu verankern, wurde zunächst mit einer Online-Petition mobil gemacht. Gestartet wurde diese von einem Realschullehrer aus dem pietistischen Milieu. Begründet wurde die Mobilmachung gegen die Akzeptanz sexueller Vielfalt unter anderem mit der hohen Suizidrate homosexueller Jugendlicher. Hier wird deutlich Ursache (fehlende gesellschaftliche Akzeptanz von LSBTQIA*-Lebensweisen) und Wirkung (hohe Suizidrate homosexueller Jugendlicher) verdreht. Auf die Petition folgten mehrere große Demonstrationen in Stuttgart mit bis zu 2000 Teilnehmenden. Diese nannten sich später „Demo für alle“ in Anlehnung an die noch deutlich größeren „Manif pour tous“-Demonstrationen gegen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in zahlreichen französischen Städten 2013. An den Demonstrationen in Stuttgart waren verschiedenste AkteurInnen insbesondere aus der christlichen Rechten beteiligt, aber auch CDU und FDP ließen Grußworte verlesen. Auch PolitikerInnen und der Landesverband der AfD waren in die Demos involviert. So hielten AfD-Mitglieder Reden auf den Demonstrationen und Grußworte der AfD wurden verlesen. Schon zuvor hatte der baden-württembergische Landesverband der AfD zur Unterstützung der Petition aufgerufen, in der „eine pädagogische, moralische und ideologische Umerziehungskampagne an allgemeinbildenden Schulen“ (Billmann 2015, S. 3) behauptet wurde.

Auf den Demonstrationen wurde nicht nur gegen die Überarbeitung des Bildungsplans mobilisiert, sondern auch gegen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare gehetzt und vor der vermeintlichen Gender-Ideologie gewarnt. Die Proteste sind als Zusammenführung verschiedener Varianten von Antifeminismus (LSBTQIA*-Feindlichkeit, familienzentrierter Antifeminismus, Anti-Gender-Antifeminismus) zu sehen.

Die Gefahren des Antifeminismus

Die Betrachtung des Landtagswahlprogramms, von Anfragen der AfD und des Programms der Jungen Alternative Baden-Württemberg macht deutlich, dass Antifeminismus ein zentraler Bestandteil der Ideologie und des Programms der AfD ist. Antifeminismus ist darüber hinaus ein einigendes Moment der verschiedenen Spektren innerhalb der AfD und verknüpft sich sowohl mit dem völkischen, als auch dem religiösen Weltbild verschiedener AfD-PolitikerInnen.

Wie es sich bei den „Demos für alle“ zeigte, liegt die besondere Gefahr des Antifeminismus darin, dass durch das gemeinsame Feindbild Feminismus und das geteilte Ideal der heterosexuellen Kleinfamilie Mobilisierungen verschiedener AkteurInnen möglich werden. So können anlassbezogene Bündnisse verschiedener konservativer, religiöser bis extrem rechter AkteurInnen entstehen, die womöglich zu späteren Anlässen wieder aktiviert werden. Dadurch werden Gruppierungen mit menschenverachtenden Einstellungen nachhaltig gestärkt. Außerdem ist zu bedenken, dass Antifeminismus auf gesellschaftlich weit verbreiteten (hetero-)sexistischen Denkmustern und Stereotypen aufbaut. Dadurch ist Antifeminismus gesellschaftlich anschlussfähig, auch weil er oft nicht als Problem wahrgenommen wird. Dabei zeigt sich, dass Antifeminismus und das Narrativ einer drohenden Verdrängung des ,eigenen Volkes‘ bei mehreren rechten Terroranschlägen wie 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya, im Frühjahr 2019 in Christchurch und an Jom Kippur 2019 in Halle neben Antisemitismus und Rassismus zentrale Motive waren.

 


Literaturnachweise

Billmann, Lucie (2015): Einleitung, in: Billmann, Lucie: Unheilige Allianz. Das Geflecht von Christlichen Fundamentalisten und politisch Rechten am Beispiel des Widerstands gegen den Bildungsplan in Baden-Württemberg. Stuttgart: Rosa Luxemburg Stiftung, S. 3-5

Blum, Rebekka (2019): Angst um die Vormachtstellung. Zum Begriff und zur Geschichte des deutschen Antifeminismus. Hamburg: Marta Press

Jentsch, Ulli (2016): Die »Lebensschutz«-Bewegung und die AfD. Nur ein Teil der Bewegung ergreift Partei. In: Häusler, Alexander: Die Alternative für Deutschland. Programmatik, Entwicklung und politische Verortung. Wiesbaden: Springer VS, S. 99-107

Kemper, Andreas (2015): Christlicher Fundamentalismus und neoliberal-nationalkonservative Ideologie am Beispiel der „Alternative Für Deutschland“. In: Billmann, Lucie: Unheilige Allianz. Das Geflecht von Christlichen Fundamentalisten und politisch Rechten am Beispiel des Widerstands gegen den Bildungsplan in Baden-Württemberg. Stuttgart: Rosa Luxemburg Stiftung, S. 21-30

Lang, Juliane (2017): Feindbild Feminismus. Familien- und Geschlechterpolitik in der AfD. In: Grigat, Stephan (Hrsg.): AfD & FPÖ. Antisemitismus, Völkischer Nationalismus und Geschlechterbilder. Baden-Baden: Nomos, S. 61-78

Schmincke, Imke (2015): Das Kind als Chiffre politischer Auseinandersetzungen am Beispiel neuer konservativer Protestbewegungen in Frankreich und Deutschland. In: Hark, Sabine/Villa, Paula-Irene: Anti-Genderismus: Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen. Bielefeld: Transcript, S. 93-109

Teilbaum, Lucius (2015): „‚Kein Bildungsplan unter der Ideologie des Regenbogens‘. Homo- und transphobe Straßenproteste gegen den Entwurf eines neuen Bildungsplans in Stuttgart“. In: Billmann, Lucie: Unheilige Allianz. Das Geflecht von christlichen Fundamentalisten und politisch Rechten am Beispiel des Widerstands gegen den Bildungsplan in Baden-Württemberg. Stuttgart: Rosa Luxemburg Stiftung, S. 6-15

Quellen (nicht AfD)

Deutschlandfunk (ohne Jahr): Wenn das Geschlecht Gefahr bedeutet. Frauenmorde in Europa. Abrufbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/frauenmorde-in-europa-wenn-das-geschlecht-gefahr-bedeutet.922.de.html?dram:article_id=467196 (abgerufen am 30.06.2020)

Helbig, Marcel: Nachgefragt: "Werden durch das Homeschooling soziale Ungleichheiten manifestiert, Herr Prof. Helbig?" Abrufbar unter: https://www.uni-erfurt.de/en/forschung/aktuelles/forschungsblog-wortmelder/nachgefragt-werden-durch-das-homeschooling-soziale-ungleichheiten-manifestiert-herr-prof-helbig (abgerufen am 30.06.2020)

Quellen (AfD)

AfD Baden-Württemberg (2016): Für Unser Land – Für Unsere Werte. Landtagswahlprogramm 2016 Der AfD Baden-Württemberg. Stuttgart.

Baum, Christina (2020): Chance zur Rückbesinnung auf seit Jahrtausenden Bewährtes Die Familie. Stuttgart.
Abrufbar unter https://bit.ly/3l9YsSl (abgerufen am 30.06.2020)

Junge Alternative: Programm der Jungen Alternative, abrufbar unter: http://www.ja-baden-wuerttemberg.de/ueber-uns/programm/ (abgerufen am 30.06.2020)

Pforzheimer Kreis (2014): Erklärung in Bezug auf den abschlägigen Bescheid zur „Petition gegen die Umsetzung der Gender-Ideologie in Gesetzesvorhaben und Vorschriften”, abrufbar unter http://www.pforzheimerkreis.de/p1xs3/ (abgerufen am 30.06.2020)

Spaniel, Dirk (2018): Kandel Ist Überall. In AfD Kompakt, Berlin, abrufbar unter: https://afdkompakt.de/2018/03/05/kandel-ist-ueberall/ (abgerufen am 30.06.2020)

Wolle, Carola (2019): Der CSD als Fetisch-Karneval dient nicht der Akzeptanz von Homosexuellen, Stuttgart, abrufbar unter: https://www.presseportal.de/pm/127902/4330918 (abgerufen am 30.06.2020)

 

[1] Ich nutze im Artikel verschiedene geschlechtergerechte Sprachvarianten. Grundsätzlich nutze ich den Gender-*, um anzuzeigen, dass ich damit sowohl Männer, Frauen, als auch Personen, die sich nicht in diesen binären Geschlechterkategorien verorten, anspreche. Da Personen aus dem konservativen bis rechten Spektrum gender-non-binären Personen feindlich gegenüberstehen und sie pathologisieren, verwende ich für dieses Spektrum Formulierungen wie AnhängerInnen. Diese sprachliche Formulierung soll die ideologische Vorstellung des Spektrums aufzeigen.

[2] LSBTQIA* steht für lesbische, schwule, bisexuelle, trans, queere, intersexuelle, asexuelle/aromantische und weitere sexuelle und geschlechtliche Vielfalt.

[3] Mit dem Begriff Maskulinismus werden Gruppen und Bewegungen bezeichnet, die auf einer Ideologie der männlichen Überlegenheit aufbauen und die Aufrechterhaltung patriarchaler Machtverhältnisse zum Ziel haben.

[5] Junge Alternative, ohne Jahr bzw.: Junge Alternative: Programm der Jungen Alternativen, abrufbar unter: http://www.ja-baden-wuerttemberg.de/ueber-uns/programm/ (abgerufen am 30.06.2020)

[6] Femizid beschreibt die Ermordung von Frauen* im Zusammenhang mit patriarchalen Strukturen. Oft kommt es innerhalb von Beziehungen und in Trennungsphasen zu Gewalt und teilweise auch Morden an Frauen* durch ihre (Ex-)Partner.

[10] „Christliche FundamentalistInnen protestantischer Konfession sind zumeist Evangelikale, eine Strömung, die sich selbst als theologisch konservative ProtestantInnen versteht. Neben «evangelikal» als Selbstbezeichnung wird auch die Bezeichnung «bibeltreu» verwendet. Obwohl «fundamentalistisch» ursprünglich eine positive Eigenbezeichnung von Evangelikalen in den Vereinigten Staaten war, wird diese Bezeichnung aufgrund ihrer negativen Konnotation heutzutage meist abgelehnt. Evangelikale lassen sich dem Protestantismus zurechnen, unterscheiden sich aber vom evangelischen Mainstream.“ (Teidelbaum, 2015, S. 8)

[12] http://www.pforzheimerkreis.de/p1xs3/ (abgerufen am 30.06.2020)