Solidarität statt Verfehmen: Wenn schon nackte Brüste, dann bitte für die richtige gute Sache

Feministischer Zwischenruf

Am Donnerstag, dem 30.5., soll der Prozess gegen Amina Tyler stattfinden; zuletzt hatte sie im tunesischen Kairoun das Wort Femen auf eine Mauer geschrieben und wurde festgenommen. Ihr drohen etliche Monate, evt. sogar zwei Jahre Haft.

Femenaktivistin Alexandra Shevchenko
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Femenaktivistin Alexandra Shevchenko. COM:FAL

Und immer wieder Femen. Was gehen mir diese Frauen auf die Nerven! Einerseits ist ja wunderbar, dass es überhaupt Frauen gibt, die den Mumm haben, sich lauthals mit Patriarchen jeder Couleur anzulegen. Anderseits wäre es natürlich schön, wenn sie nicht den Eindruck erweckten, die besten Argumente einer Frau seien ihre Brüste. Grips zum Beispiel - es wäre schön, wenn diese Frauen mal ein bisschen mehr nachdenken würden, bevor sie losstürmen. Einfach mal ein klein Bisschen mehr nachdenken.

Da wäre zum Beispiel diese Aktion, bei der sich die Femen-Frauen „freedom“ auf die nackte Brust schreiben und vor eine Moschee stellen. Dabei speist sich die ganze Notwendigkeit ihres sonstigen Protestes ja gerade aus der Tatsache, dass Frauen eben nicht frei sind, wenn sie nackt sind. Jedenfalls nicht automatisch. Das Recht auf Nacktheit ist kein Garant für Freiheit. Ebenso wenig wie umgekehrt die Tatsache der Verhüllung automatisch Unfreiheit ist. Nur der Zwang zur Verhüllung ist es.

In Iran, Saudi-Arabien: gesetzlicher Zwang zum Tschador. In Deutschland, Frankreich: Diskriminierung von Verschleierten und teils sogar Berufsverbote für Verschleierte. Großer Unterschied. Ist das wirklich so schwer zu verstehen? Anscheinend. „Wenn du eine Feministin bist und die Freiheit der Frauen willst, dann zieh deinen Schleier so lange aus, bis er kein Symbol mehr für die Verbrechen gegen Frauen ist“, fordert Inna Shevchenko Musliminnen auf. Starke Worte für eine, die im eigenen Haar den Blumenkranz der ukrainischen Nationalisten trägt. Ist ja irgendwie auch Symbol für allerlei Verbrechen und Unterdrückung. Aber so what.

Kein Wunder, dass sich etliche muslimische Frauen beschwerten: Sie brauchten nicht befreit zu werden, danke sehr, sie seien bereits frei! Ist ja auch wieder Quatsch. Freie Frauen gibt es nicht. Aber das ist eben der Kern der Malaise: Das die Einen mit ihren blöden Sprüchen die Anderen zwingen, sich den Status quo schön zu reden, um nicht pauschal entmündigt zu werden. Vielleicht würden die besagten muslimischen Frauen, von denen ich einige kenne und die ganz schön kluge Feministinnen sind, nämlich auch gern für etwas mehr Freiheit kämpfen. Nur halt nicht vorrangig für die vom Kopftuch. Und gern auch mit anderen Frauen, statt sich erst mal gegen deren Unterstellung zu erwehren, sie wüssten gar nicht, was gut für sie sei.

Es gibt ein Wort dafür: Solidarität. Komisch, dass dieses Wort eigentlich nirgends mehr zu lesen ist. Wenn ich bei Femen wäre, hätte ich mir nicht „Freiheit“ und „gegen Islamisten“ auf die nackte Brust geschrieben, sondern „Solidarität“. Nämlich Solidarität mit Amina Tyler, von deren Aktion in Tunesien dieser ganze Streit ausging. Solidarität ist etwas, das man anbietet – nicht aufzwingt. Solidarität bedeutet, dass man Andere in dem unterstützt, was diese Anderen selbst wollen und brauchen. Ich muss sagen, die Solidarität mit Amina Tyler habe ich auch bei den deutschen Musliminnen vermisst. Sie waren so beschäftigt mit dem Abwehren von Femen, dass sie ganz vergessen haben, dass es anderswo tatsächlich Frauen gibt, für die die Wahl zwischen verschiedenen Graden der Nacktheit und Unbedecktheit keine Selbstverständlichkeit ist.

Weil Nacktheit bei uns aber erlaubt ist, gehen Femen-Aktivistinnen in England, Deutschland, Frankreich kaum ein Risiko ein, wegen ihrer Nacktheit belangt zu werden. Diese Provokation ist leicht zu haben. Anders als bei Amina, die wirklich etwas riskierte. Und anders übrigens auch als bei einigen Männern, die mir in letzter Zeit auffielen, weil sie sich etwas ungewöhnlich kleideten. Ungewöhnlich jedenfalls für sie. Erinnert sich die Leserin noch an die indischen Männer, die Anfang des Jahres Frauenkleider anzogen, um gegen sexuelle Gewalt gegen Frauen zu protestieren? Erinnert sie sich noch an die Männer in den USA und in Kanada, die zum selben Zweck in Stöckelschuhen „a mile in her shoes“ protestierten? Hat sie die Fotos jener kurdischen Männer gesehen, die kürzlich Frauenkleider anzogen und sich ablichten ließen? Ein iranisches Gericht hatte einen gewalttätigen Mann verurteilt, Frauenkleider zu tragen. Und diese Kurden zogen freiwillig welche an, um zu sagen: Frauenkleider zu tragen, ist keine Strafe. Frau zu sein, ist keine Schande! Diese Männer gefallen mir deutlich besser als die Nackten von Femen. Diese Männer überschreiten eine Grenze, gestrickt aus Scham, Spott und Demütigung. Sie tragen die ungewohnten rosa Rüschen mit Stolz und zeigen: Solidarität.

Von der auch Amina Tyler jetzt wieder eine Menge brauchen wird. Am Donnerstag, dem 30.5., soll der Prozess gegen sie stattfinden; zuletzt hatte sie im tunesischen Kairoun das Wort Femen auf eine Mauer geschrieben und wurde festgenommen. Ihr drohen etliche Monate, evt. sogar zwei Jahre Haft. Die Femen-Frauen werden sich sicher mal wieder ausziehen. Richtig interessant würde es hingegen, wenn sich auch westliche Musliminnen einmischen würden – zugunsten von Amina, einer Frau, die ganz andere Probleme und Anliegen hat als wir hier. Es gibt halt nicht „die Musliminnen“. Musliminnen leben weltweit unter unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen. Eine deutsche Muslimin leidet zumeist unter anderen Unfreiheiten als Amina. Und ob sie sich überhaupt als Muslimin ansieht oder nicht: Amina ist eine Frau in Bedrängnis, die unsere Unterstützung anscheinend sucht und will.