Hat Terrorismus ein Geschlecht?

PDF

Bericht über eine spannende Veranstaltung

Das zweite Fachgespräch einer Gesprächsreihe des Gunda-Werner-Instituts rund um Friedens- und Sicherheitspolitik, Gewaltprävention und Geschlechterverhältnisse setzte sich unter der Frage „Hat Terrorismus ein Geschlecht?“ mit unterschiedlichen Erscheinungsformen des sogenannten Terrorismus auseinander und fand am 28.10.2009 statt.

Wie lässt sich Gender in die Problematisierung von Terror einbeziehen, um die Terrorismusforschung zu ergänzen, und inwiefern kann bzw. muss Gender als Schlüssel zu den Querlegungen struktureller Gewalt in Bezug auf Terrorismen genutzt werden? Dies waren zentrale Fragen des Fachgesprächs, zu dem Expert_innen aus ganz unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen eingeladen waren.

Die Interaktionsdynamiken von terroristischer und anti-terroristischer Gewalt unter der Konstruktion von Geschlecht zu beleuchten, hieß im Rahmen des Gesprächs, Gender nicht isoliert, sondern als sich selbst komplex, multidimensional und in Überlappung herstellende Analysekategorie zu betrachten. So zumindest formulierte die Moderatorin und Gleichstellungsbeauftagte der Humboldt-Universität zu Berlin, Ursula Fuhrich-Grubert, das Anliegen des Fachgesprächs. Demzufolge wurden die wechselseitigen, dynamischen und interdependenten Ausgestaltungen des Zusammenhangs von Geschlecht und Terrorismen von den Referent_innen aus verschiedenen Perspektiven aufgegriffen und von und mit dem Publikum lebhaft diskutiert.

Terrorismus und Gender – Begriffliche Einführung  zu Terrrorismen

Das Feld der Begriffsfindungen rund um Terror, Terrorismus und Terrorismen eröffnete Hans-Gerd Jaschke von der Hochschule für Wirtschaft und Recht, der zu Beginn konstatierte, dass über 110 Definitionen eine Universalisierung des Begriffs nahezu verunmöglichen. Dennoch ließe sich zusammenfassen, dass es sich bei terroristischen Aktionen um gewalttätige Aktionen kleiner bewaffneter Gruppen handele, die den Staat und die Gesellschaft öffentlich provozierten und Angst und Schrecken in der Bevölkerung erzeugten. Diese Psychologisierung in der Erzeugung von Angst bezeichnte er als wesentlich, da sie sich im Zuge der globalen Medialisierung zunehmend verstärke, wie in Folge von 9/11 zu beobachten war. An diese Globalisierung der Wirkungen terroristischer Aktionen knüpfte er die Frage, ob die Antworten auf Terrorismen überhaupt noch national erfolgen könnten oder sich im Zuge der Globalisierung internationalisieren müssten. Erschwert würde dabei die Frage des strategischen Umgangs durch die Asymmetrie in der Ausübung von Terror, da dieser sich im Vergleich zu militärischen Interventionen einer direkten und offenen Gegenwehr entzöge. Aufgrund dieses Entziehens wäre er folglich nicht mehr im Sinne der klassischen Kriegsführung greifbar. Dabei müsse jedoch zwischen Terrorismen differenziert werden, so dass sich die Frage der Gegenwehr in Bezug auf einen von Jaschke als „ethnischen Terrorismus“ bezeichneten Kampf insofern anders stelle, als die Unabhängigkeitskämpfe „kleiner Minderheiten“ die Zentralmacht wie z.B. Spanien im Falle der ETA adressiere. Nichtsdestotrotz auch der Staat ein System des Terrors zur Durchsetzung bestimmter Ziele generieren könne, was Jaschke als sogenannten Staatsterrorimus kategorisierte. 
Die entworfenen Diskurse zum Umgang mit den verschiedenen Ausformungen des Terrorismus bezog Jaschke in Folge auf die Frage nach neuen Männlichkeitsbildern im Militärischen unter der Prämisse der Umdeutung von Präventionsarbeit als Informationsgewinnung. Ist statt Panzerkraft nun also die hinter dem Computer sich generierende Verstandeskraft des Mannes im Zuge präventiver Informationsansammlungen die Ablöse eines stereotypen Männlichkeitsbildes? Vor dem Hintergrund eines westeuropäischen Diskurses der Moderne im Sinne der Polarisierung von Mann=Verstand und Frau=Körper wohl kaum. (MP3 anhören)

Die Deutungskraft geschlechtergeschichtlicher Ansätze

Sylvia Schraut, Professorin an der Universität der Bundeswehr München, konkretisierte den Umgang mit Terrorismen im öffentlichen Diskurs auf Gender-Dimensionen. Insofern Debatten rund um die „Wunde staatlicher Verletzbarkeit“ durch Terrorismus auch den aktuellen Stand von Geschlechterverhältnissen spiegeln, ließen sich Deutungsmuster weiblicher Akteurinnen in terroristischen Aktionen herauskristallisieren. Diese Muster ließen sich als historische Linien der Irrationalisierung von Weiblichkeit verstehen, in deren Folge Frauen als politikunfähige Wesen deklariert würden. Dies funktioniere im Rahmen eines Täterinnen- oder eines Opferdiskurses sehr ambivalent. Als Täterinnen gälten sie, wenn sie ihrer Irrationalität folgend politisch voreingenommen agitierten, und als Opfer, wenn sie sich der politischen Tragweite ihrer Handlungen scheinbar nicht bewusst seien bzw. ihre Handlungen nicht ausreichend auf ein politisches Fundament aufbauten. Im Rahmen des Opferdiskurses würden Terroristinnen entweder als tugendhafte Märtyrerinnen oder außerhalb von Politik und Gesellschaft imaginiert. In jenes Außerhalb von Gesellschaft verbannt, werde zugleich ihr Gewaltpotential diskursiv gebannt, was ermögliche, dass ihnen sogar Gnade zu Teil werden könne. Gnade sei jedoch nur in den historischen Linien traditioneller Weiblichkeitsnarrative möglich. (MP3 anhören)

Queered Terrorist. Vergeschlechtlichte Bilderpolitiken seit 9/11
Ähnliche historische Linien der Vergeschlechtlichung zeigte Katrin Köppert, wissenschaftliche Autorin und Freie Mitarbeiterin des GWIs, in den Bildpolitiken des „War on Terror“ auf. Die im Rahmen des Anschlags von 9/11 produzierten schockierenden Bilder würden ihrer Analyse nach anhand der Reaktivierung eines kollektiven Gedächtnisses kolonialer- und/oder normativer Geschlechterordnungen „gezähmt“. Ein Mittel der Zähmung und Immunisierung sei das visuelle “Othering“ von Gewalt und Terror, das sich u.a der Homophobie bediene, um okzidentale Heldengeschichten amerikanischer heteronormativer Feuerwehrmänner, Soldaten und Politiker zu erzählen. Osama bin Laden sei im Zuge dessen zum „flickering signifier“ des Terrors anhand von Bildern gemacht worden, die auf postKoloniale Schemen der Sexualisierung und Feminisierung nicht-weißer Männlichkeit und/oder der Homosexualisierung zurückversetzt werden können. Dieses  visuelle „Queering“ – als Praxis der Delegitimierung ethnisierter Männlichkeit – werde als WiederHerstellung weißer amerikanischer Männlichkeit und Nation instrumentalisiert. Dabei verschränkten sich Bildpraxen der Entmännlichung von Terroristen mit BildPolitiken der Entmenschlichung von Terroristen.

Wenn die Terrorismusforschung zum Feminismus konvertiert
Entsprechende Bilder der Sexualisierung und Entmenschlichung lassen sich auch in Bezug auf Selbstmordattentäterinnen finden. Darüber hinaus würden diese in der journalistischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung nicht nur als Wissensobjekt einer „Mainstream“-Terrorismusforschung hervorgebracht und angeeignet, sondern mit dem Prädikat „Feministin“ belegt. Dies machte Dr. Claudia Brunner, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität Berlin und Universität Wien, in ihrem Input deutlich. Dabei problematisierte sie den von Krista Hunt entlehnten Begriff des „Embedded Feminism“, der als Einlagerung feministischer  Argumentationen in Legitimationsdiskurse terrirismusbekämpfender Gewaltformen   Verschiebungen in der geschlechterblinden Terrorismusforschung sowie feministischen Konzeptionen bedinge. Solche Konzeptionen könnten dann nicht mehr als emanzipativ verstanden werden, da sie das Wissensobjekt „Selbstmordattentäterin“ in eine Ordnung zwängen, die lediglich ein feministisch-okzidentalistisches Selbstverständnis bestätigen helfen soll. Demzufolge stelle die Einbettung von Feminismus und/oder Gender in die Terrorismusforschung nicht zwingend eine neue analytische Tiefe oder emanzipative Erweiterung dar, sondern evoziere die Gefahr einer neuerlichen Verengung und Essentialisierung. mehr»

RAF – Exzess feminisischer Emanzipation?
Vor diesem Hintergrund ließe sich auch der journalistische Umgang mit den RAF-Frauen analysieren, die in die Nähe von Feminismus, Irrationalismus und einem „Exzess der Emanzipation“ gebracht wurden, ohne dass sich feministische Diskurse in den Dokumenten der RAF finden ließen – so Vojin Sasa Vukadinovic, Promovent des Graduiertenkollegs „Geschlecht als Wissenskategorie“. Er konstatierte Antifeminismus und Homophobie nicht nur im Sprechen und Agitieren der RAF selbst, sondern in der Linksterrorismus-Rezeption in Staat, Wissenschaft, Klerus und Medien in den 70er Jahren als strukturelle und strukturierende Merkmale einer Debatte, die um die Wiederherstellung von Ordnung bemüht schien. Die konstruierte Verbindung von RAF und Emanzipation diente somit einem hegemonialen Diskurs, der die RAF als terroristischen und gleichsam irrationalen Einfall abzuspalten versuchte. Was Claudia Brunner als feministische Einlagerung für die Legitimation von Terrorismusbekämpfung theoretisierte, analysierte Vojin Sasa Vukadinovic als eine Form von Antifeminismus, der sich der Irrationalität bemächtige, um Gewaltanwendungen als Terror im Gegenzug zur strategischen Kriegsführung zu irrationalisieren und zu delegitimieren.

Debatte
Irrationalisierung und „Othering“ als Herstellungsmodi der Andersheit jeglicher Formen von Terror wurde in der Diskussion anschließend präzisiert. Dabei, so Brunner, müsse unterschieden werden zwischen der Herstellung von Andersheit und Differenz, die analytische Dimensionen bereit hält, und einem Sinnüberschuss, der ohne analytischem Tiefgang das Differente nur noch im Sinne von Devianz zu beherrschen versucht. Zudem im Zuge der Internationalisierung, aber auch der verstärkten Kriegsführung des „War on Terror“, die Verschiebung hin zu einer Religiosisierung hinzukomme. Folglich würden alle Formen gewaltförmiger Auseinanderssetzungen nur noch im Kontext von Islam und Islamisierung betrachtet. Problematisiert wurde hierbei auch die unhinterfragte Überrnahme der Begrifflichkeit von Terror und Terrrorismus, ohne dass gesellschaftliche Hintergründe und Reaktionsweisen differenziert würden. Stattdessen würden Aspekte der Geschlechterverhältnisse und des islamisch verorteten Patriarchats benutzt und Vorurteile mobilisiert, um die „Andersheit“ des Terrors mit der „Andersheit“ des islamischen Geschlechterarrangements global zu unterfüttern. Mit dem Othering und Beopfern nicht-weißer Frauen würden auch feministische Stimmen anschlussfähig gemacht für Ausformungen des Antifeminismus im interkulturellen Diskurs und entsprechenden Politiken. Darin liegt nach Claudia Brunner der Unterschied zu den hegemonialen Diskursen der 70er in Deutschland über die RAF und die RAF-Frauen, in denen laut Vojin Sasa Vukadinovic Antifeminismus schnell verfügbar war.

Fazit
Als Ergebnis des Fachgesprächs ist festzuhalten: die Frage „Hat Terrorismus ein Geschlecht?“ kann aus zweierlei Gründen so nicht gestellt werden bzw. ist nicht erkenntnisleitend. Einerseits handelt es sich nicht um einen Terrorismus, sondern um vielfältige Formen in der Herstellung und Ausübung. Andererseits verkürzt die Frage nach dem Geschlecht von Terrorismen vor allem vor dem Hintergrund der Internationalisierung, dass es sich nicht um ein Geschlecht handeln kann, sondern um sich interdependent gestaltende Vergeschlechtlichungsprozesse im Kontext von Terror. Dies zu berücksichtigen, hieße, sich die jeweiligen Konfliktfelder in ihrer Spezifik und ihren sich verändernden Eigenschaften immer wieder aufs Neue ganz konkret anzuschauen. Demzufolge könnte eine Umformulierung der Frage lauten: „Welche Terrorismen werden anhand welcher Interdependenzen wann wie vergeschlechtlicht?“ Eine Frage, die als Aufhänger eines weiteren Fachgesprächs auch auf internationaler Ebene dienen kann.

Der Bericht von Katrin Köppert zum download.