Modernes Österreich: Individualbesteuerung ist möglich

Individualbesteuerung und Gender Mainstreaming – in Österreich werden daraus keine Papiere und Worthülsen, sondern Gesetze und Institutionen.

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Geht es auch gerechter?

Ganz anders als hierzulande stellt sich die Situation in Österreich dar, wo in den 1970er Jahren die Individualbesteuerung eingeführt wurde. Zwar ist auch dieses Modell keine reine Individualbesteuerung, sondern mit dem „Absetzbetrag für Alleinverdiener“ enthält die österreichische Einkommensbesteuerung eine Kompromissformel für die Befürworter traditioneller eheinterner Arbeitsteilung. Trotz dieses Abzuges bleibt die Steuerbelastung von Einverdienerpaaren jedoch empfindlich höher als diejenige von Zweiverdienerpaaren. Zudem schließt das österreichische System PartnerInnen, die nicht verheiratet sind, nicht aus, sofern diese Kinder haben, denn dann stehen auch ihnen der Absetzbetrag für Alleinverdiener und die Kinderabsetzbeträge zu.

Darüber hinaus zeigt Österreich sehr eindrücklich, was mit den vorhandenen Instrumenten Gender Mainstreaming und Gender Budgeting bereits möglich ist, wenn man diese Möglichkeiten auch ernst nimmt. Auf der Basis nationaler Rechtsgrundlagen wie dem Gleichbehandlungs- und dem Bundesgleichstellungsgesetz (1978 bzw. 1993) und diversen Ministerratsbeschlüssen, in denen die Umsetzung von Gender Mainstreaming und Gender Budgeting in den Ressorts vereinbart wurde, ist in den Behörden vieles in Bewegung gekommen. So gibt es seit 2000 eine interministerielle [Arbeitsgruppe Gender Mainstreaming] und entsprechende Abteilungen in den Ministerien. Die Koordinatorin dieser Arbeitsgruppe in der Zentralleitung des Bundesfinanzministerium, Ministerialrätin Dr. Efriede Fritz, erläuterte die Arbeit dieser Gruppe ausführlich im Fachgespräch „Bitte UmSteuern!“ in der Heinrich-Böll-Stiftung [Präsentation "Gender und Steuern in Österreich", PDF]. Vorbildlich ist Österreich beispielsweise in der Erfassung geschlechtersensibler Daten – in Deutschland ist dies noch immer eine zentrale Forderung feministischer Steuerkritik. So konnte in einer [Steuerstudie, PDF] aus dem Jahre 2002 gezeigt werden, dass in Österreich zwar hohe geschlechtsspezifische Einkommensunterschiede existieren und die Einkommensbesteuerung insgesamt eine ausgleichende Wirkung hat, gewisse Ausnahmebestimmungen im Steuersystem aber eher Männern zu Gute kommen. Auch die Steuerreform 2004/2005 wurde einem Gender-Mainstreaming-Prüfverfahren unterzogen. Hier wurde deutlich, dass die Reform überwiegend Frauen zu Gute kam, beispielsweise durch eine Steuerentlastung von GeringverdienerInnen und den neu eingeführten Kinderzuschlag. Es zeigt sich: Allein die Tatsache, dass geschlechterrelevante Folgen der Reform erhoben werden können und nicht geschätzt oder als Modell gerechnet werden müssen, hat große Vorteile für eine geschlechtersensible Politikgestaltung, weil viel konkretere Ziele formuliert werden können – auch schon fernab von großen Reformen und Systemwechseln. In der [Steuerstudie 2006, PDF] wurden Wechselwirkungen von Steuern und Sozialabgaben analysiert, mit dem Ergebnis, dass diese die Einkommensunterschiede von Männern und Frauen nicht ausgleichen können.

Doch Papier ist bekanntlich geduldig, und gute Studien sind nur der Anfang. In Österreich wird Gleichstellung auch im Bundesfinanzministerium (BMF) als gesellschaftspolitischer Auftrag verstanden und ist im Frauenförderplan des Ministeriums festgeschrieben. Dies bedeutet nicht nur die Verpflichtung, Männern wie Frauen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. Die Verankerung von Gender Mainstreaming verpflichtet zur Überprüfung aller Handlungen auf geschlechtsspezifische Auswirkungen und zu Gender-Prüfungen in Entscheidungsprozessen. Dazu müssen Gesetze zunächst eine Gender-Prüfung durchlaufen, bevor sie als Regierungsvorlage behandelt werden. Dazu hat das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung im Auftrag des BMF 2006 eine Studie erstellt, die Grundlagen für die Umsetzung von Gender Budgeting – also die Anwendung von Gender Mainstreaming im Budgetierungsprozess – im BMF liefert. Im Rahmen der Studie wurden spezielle Leitfäden mit handlungsrelevanten Vorgaben für die Verwaltung in den Bereichen Steuern, Ausgaben und Personal erarbeitet und für einige Bereiche Checklisten erstellt, die Fragen bzw. Prüfkriterien und –indikatoren enthalten, die einer Gender-Prüfung zugrundegelegt werden können.

Eine konsequente Umsetzung der Maßgaben von Gender Mainstreaming und Gender Budgeting beinhaltet also weit mehr als ein geschlechtergerechtes Steuersystem mit Individualbesteuerung – ebenso wichtig sind Leitlinien für die Behörden zur Verankerung der Prinzipien, aussagekräftige und kontinuierlich durchzuführende Studien, sowie Stellen mit Entscheidungsbefugnis, die die Umsetzung koordinieren. Österreich ist hier – wenn auch mit Gegenwind aus dem eigenen konservativen Lager – auf einem mutigen, viel versprechenden Weg. Deutschland täte gut daran, sich an seinem Nachbarn ein Vorbild zu nehmen und aus der eigenen steuerpolitischen Steinzeit auszubrechen.