Lebenskonzepte – nachhaltig & geschlechtergerecht?

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Gutes Leben und gute Arbeit zwischen Selbstbestimmung und Beschleunigung

16. Juni 2010

Leben selbstbestimmt gestalten – entsprechend und entgegen welcher Normen? Die Gestaltung der eigenen Biographie löst sich immer mehr von vordefinierten Rahmen, aber auch Sicherheiten. Vielfältige Optionen scheinen offen zu stehen – das Individuum wird zum „Ich-Unternehmer“ der erfolgreichen eigenen Biographie. Beziehungsformen, Berufswahl, die Gestaltung von Lebens-Räumen und -Stilen werden durchlässiger und verlangen dem Individuum mehr Entscheidungen ab. Nicht zuletzt lässt sich die Frage nach dem „Lebensstil“ auch mit Blick auf die ökologische Umwelt beantworten.
 
Individualisierung und Pluralisierung von Lebensformen sind Teile eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Transformationsprozesses. In diesem Prozess verändert sich das Verständnis von Gemeinschaft, Familie, Arbeit, Freizeit, von Selbstverwirklichung und Solidarität. Mehr Wahlmöglichkeiten und der Abschied von normierten Lebensläufen bedeutet aber auch: mehr Eigenverantwortung, mehr Zwang zum Erfolg, mehr Beschleunigung und Unsicherheit. 
 
Geschlechtergerechtigkeit
 
In den bisherigen GWI-Fachgesprächen zu den Themen Grundsicherung, Steuerpolitik und Care Ökonomie wurde deutlich: Der Begriff der Arbeit und die Frage, wie Zusammen- oder Alleinleben gestaltet werden kann, sind zwei zentrale Punkte im Wandel von Lebensentwürfen. Beides hängt eng zusammen mit der Veränderung von  Geschlechterrollen und ist ohne „Gender“ nicht angemessen zu erfassen. Gender wirft bezüglich Lebensstilen auch weitergehende Fragen auf: Inwiefern ist „Wahlfreiheit“, die als positives Kennzeichen von Individualisierung gilt, eine Frage von Privilegien (wie z.B. Staatsbürgerschaft etc.)? 
 
Arbeitsverhältnisse
 
Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen. Neue, „freiere“ Arbeitsformen sind gekennzeichnet durch Selbstvermarktung und Prekarisierung. Zugleich setzt sich „Arbeit“ in den modernen westlichen Gesellschaften vielfältig zusammen und umfasst Hausarbeit, Care, bürgerschaftliches Engagement und Erwerbstätigkeit. Damit stellt sich die Frage nach dem Stellenwert von Arbeit in Lebensentwürfen von Männern und Frauen und den daraus resultierenden Konsequenzen für geschlechterdemokratisches(Zusammen-)Leben und Work-Life-Balance neu. Werden die gesellschaftliche Notwendigkeit und die Nützlichkeit von Arbeit in ihrer gesellschaftlichen Anerkennung reflektiert? Trägt ein Wirtschaftskonzept wie der Green New Deal dazu bei, „gute Arbeit“ und „gutes Leben“ zu fördern und Arbeit sozial und ökologisch auszurichten? 
 
Lebenszusammenhänge
 
Lebenskonzepte verändern sich gravierend hinsichtlich der Frage, wer für wen in welcher Form Verantwortung übernimmt. Familie kann eine von vielen Optionen eines demokratischeren Zusammenlebens sein, wird aber nach wie vor stark von einer restriktiven, an klassischen Rollenbildern orientierten Politik definiert. Zugleich gehen solidarische (Wohn-) Gemeinschaften weit über den klassischen Familienbegriff hinaus. In der Frage nach Pflege und Fürsorge – nicht zuletzt auch bezüglich gemeinsam genutzter Ressourcen bzw. Güter – wird deutlich, dass das staatlich geförderte Ideal von Familie unzureichend ist für die Vielfalt von Lebens- und Familienformen. Wie entwerfen Individuen oder Kollektive eigene, geschlechterdemokratische Lebenskonzepte? Wie kann demokratisches, nachhaltiges Zusammenleben aussehen, welche Strukturen sind dafür notwendig? 
 
Wir freuen uns, mit Ihnen über die Veränderung von Lebensentwürfen sowie notwendige politischen Rahmenbedingungen zu diskutieren!

Datum: Mittwoch, 16. Juni, 16.00 - 19.30 Uhr, anschließend Imbiss
Ort: Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstraße 8, Berlin-Mitte (gegenüber Deutschem Theater)
 

Programm und Beiträge:

15.45 Uhr
Anmeldung

16.00 Uhr
Begrüßung

16.10 Uhr
Arbeit ist das halbe Leben oder Arbeiten ohne Ende? –
Wechselverhältnisse und Wandel von Arbeit und Leben

  • Prof. Dr. Elisabeth Beck-Gernsheim, Soziologin
    "Was kommt nach der Familie?" [» PDF]
    Hintergrundtext aus dem Jahr 2002 zum Beitrag und Fachgespräch 
     
  • Dr. Alexandra Scheele, Politologin
    „Allzeitverfügbar“? Prekäre Lebens- und Arbeitsformen [» PDF]

16.50 Uhr
Diskussion

17.10 Uhr
Pause mit Kaffee & Kuchen

17.30 Uhr
Alternative Praktiken von Fürsorge, Arbeit und Solidarität? –
Arbeit und Leben neu organisieren

  • Rolf Fischer, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Projektgruppe „Für eine neue Kultur der Arbeit“
    Für eine neue Kultur der Arbeit – welche? [» PDF]
     
  • Kathrin Mahler Walther, Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft
    Neues Arbeiten – neue Familien? [» PDF]
     
  • Thomas Birk, MdA für queere Politik, Vorsitz „Selbstbestimmt Wohnen im Alter e.V.
    Netzwerke der Solidarität zwischen Selbstbestimmung und neuen Pflichten einer Helfergesellschaft
    [» PDF]

18.20 Uhr
Diskussion: Nachhaltige & geschlechtergerechte Lebensstile für alle?
Strukturelle Politiken für einen care-ökonomischen Wandel

19.30 Uhr
Imbiss und informeller Austausch

Moderation: Susann Worschech & Susanne Diehr

Pressestimmen:

 
 

Hintergrund des Fachgesprächs:

Das "Fachgespräch" ist eine Veranstaltungsreihe des Gunda-Werner-Instituts in der Heinrich-Böll-Stiftung. Es dient dem Erfahrungsaustausch, der Positionsbestimmung und Strategieentwicklung und richtet sich an ein interessiertes Fachpublikum. Anschließend findet jeweils ein informeller Austausch bei einem kleinen Imbiss statt, um die fachlichen Diskussionen weiter zu vertiefen.

Übersicht über alle Fachgespräche: