Liberianischer Expräsident Taylor verurteilt. Meilenstein gegen sexualisierte Kriegsverbrechen?

v.l.n.r. Katharine Orlovsky, Barbara Unger, Ibrahim Tommy

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Der 26. April 2012 war für viele Menschen in Sierra Leone ein Freudentag. Sie feierten das Urteil des in Den Haag ansässigen Sondergerichtshof gegen den früheren Kriegsherrn und Ex-Präsidenten Liberias Charles Taylor. Es herrschte regelrechte Euphorie, beschrieb Ibrahim Tommy, Direktor der sierra-leonischen Menschenrechtsorganisation Centre for Accountability and the Rule of Law (CARL) die Stimmung in der Hauptstadt Freetown. Nach einem mehrjährigen Prozess entsprach das Urteil dem Verlangen vieler Kriegsgeschädigter nach Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht. Das ist laut Tommy insbesondere für Frauen wichtig, die von Wiedereingliederungs- und Entwicklungsprogrammen bislang ausgeschlossen sind. Viele im Krieg vergewaltigte und sexuell versklavte Frauen sind noch immer schwer traumatisiert, verarmt und werden sozial ausgegrenzt. Das Urteil helfe ihnen, die erlittenen Gräuel besser zu bewältigen, so Tommy. Schließlich wurde Taylor nun für Planung, Beihilfe und Unterstützung von Vergewaltigungen und sexueller Sklaverei zur Rechenschaft gezogen.

Der Menschenrechtsaktivist Ibrahim Tommy kam auf Einladung des Gunda-Werner-Instituts in der hbs Anfang Juli nach Berlin, um auf einer Veranstaltung am 4.7.2012 zusammen mit der Juristin und Vertreterin von der Women's Initiative for Gender Justice, Katharine Orlovsky, die frauen- und gender-politischen Hintergründe und Folgen des Urteils in Sierra Leone zu erörtern.

Der Bürgerkrieg in Sierra Leone
In dem von knapp fünf Millionen Menschen bewohnten tropischen Land herrschte zwischen 1991 und 2002 ein äußerst brutaler Bürgerkrieg: Über 250.000 Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt, mindestens 120.000 Menschen wurden umgebracht oder starben an den Kriegsfolgen. 500.000 Menschen mussten fliehen; über 300 Dörfer und 80% aller staatlichen Einrichtungen wie Gesundheitsstationen und Schulen wurden zerstört. Und schon vor dem Krieg wies der kleine westafrikanischen Küstenstaat Sierra Leone trotz großen Diamantenreichtums nur eine rudimentäre Infrastruktur auf. Bereits in den 1980er Jahren zählten grassierende Korruption, Armut, Unterernährung sowie hohe Mütter- und Kindersterblichkeit zu den Strukturproblemen. Während der langen Kriegsjahre mussten mehr als 72.000 Jugendliche und junge Menschen in konkurrierenden Guerillagruppen kämpfen, etwa ein Drittel waren Frauen und Mädchen. Häufig wurden die Kombattantinnen zwangsrekrutiert, mussten töten und wurden von den Kommandanten sexuell missbraucht.

Sexualisierte Gewalt – für Taylor Kriegsstrategie
Ibrahim Tommy schilderte, wie sexualisierte Gewalt als Kriegsstrategie angewandt wurde: Die Gewalttäter und ihre Auftraggeber wollten die Zivilbevölkerung systematisch terrorisieren, die Bewohner ganzer Landesteile zur Flucht zwingen und ressourcenreiche Gebiete erobern. Tommy wies darauf hin, dass sowohl Frauen als auch Männer Opfer von Gewaltübergriffen wurden, Frauen müssen jedoch bis heute mehrfache Traumata bewältigen.

Der aus Sicherheitsgründen in Den Haag tagende Sondergerichtshof befand Charles Taylor für schuldig, als Warlord und damaliger Präsident Liberias im Nachbarland Sierra Leone sexualisierte Gewalt angeordnet zu haben. Während des grenzübergreifenden Bürgerkriegs begingen Guerillagruppen, die von Liberia unterstützt wurden, schwerste Menschenrechtsverbrechen.

Der Prozess gegen Taylor knüpfte an Prozesse an, die gegen Guerillaführer bereits in Freetown stattgefunden hatten. Anschaulich schilderte Tommy, dass die Prozesse für viele Irritationen und Diskussionen vor Ort gesorgt hatten. So waren die Anklagepunkte für die einzelnen Beschuldigten sehr unterschiedlich und vier von dreizehn Angeklagten verstarben während der Prozesse. Nur sieben wurden für sexualisierte Kriegsverbrechen verurteilt, sie hatten die Kampfgruppen der Revoluntionary United Front (RUF) bzw. des Armed Forces Revolutionary Council (ARFC) kommandiert. Anführer der Civil Defence Forces (CDF), die ebenfalls  gegen die Regierung in Sierra Leone kämpften, mussten sich dagegen nicht für sexualisierte Kriegsgewalt verantworten, obwohl ihre Einheiten ebenfalls solche Gewaltverbrechen verübt hatten.

Das Taylor-Urteil– ein Zeichen gegen Straflosigkeit sexualisierter Kriegsverbrechen
Als erschwerend für eine gesellschaftliche Aussöhnung benannte Tommy, dass die Strafprozesse nahezu zeitgleich mit den Anhörungen der Wahrheits- und Versöhnungskommission stattfanden. Zahlreiche Täter weigerten sich daher, vor der Kommission auszusagen. Sie befürchteten, für ihre Verbrechen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden. Viele Gewalthintergründe blieben im Unklaren. Entgegen der verbreiteten Vorstellung, Vergewaltigte würden aus Scham eher schweigen, berichtete Tommy, dass viele der Vergewaltigten durchaus bereit gewesen, über die erlittenen Qualen zu sprechen, zumal die Übergriffe in seinem Heimatland öffentlich stattgefunden hätten. Deshalb hätten Opfer bzw. Überlebende während der Anhörungen der Wahrheits- und Versöhnungskommission das Wort ergriffen. Dagegen hätten die Täter nicht zur Aufklärung der oftmals angeordneten Gewaltakte beigetragen. Dies habe, so Tommy, zum Teil die Aussöhnung zwischen Tätern und Opfern sogar verhindert.

Umso bedeutsamer hält Ibrahim Tommy das Taylor-Urteil für Sierra Leone. Es sei ein deutliches Zeichen gegen die Straflosigkeit dieser Kriegsverbrechen und entspreche dem Gerechtigkeitssinn der Opfer bzw. Überlebenden. Es sei auch ein Warnsignal für Politiker, Gewalt im Umfeld von Wahlen zu meiden, da der Internationale Strafgerichtshof Verantwortliche für politisch motivierte Gewaltexzesse zur Rechenschaft ziehen würde.

Sexualisierte Gewalt – Kampf gegen ein gesellschaftliches Tabu
Deutlich hob Tommy hervor, dass sexualisierte Gewaltverbrechen in einer gesellschaftlichen Kontinuität zu sehen sind. Dank Wahrheits- und Versöhnungskommission und Gerichtsverfahren wurde in Sierra Leone erstmals öffentlich über sexualisierte Gewalt und Demütigungen von Frauen im Kontext des Bürgerkriegs gesprochen. Bereits vor dem Krieg seien diese Gewaltformen schon verbreitet, aber stark tabuisiert gewesen, und die Betroffenen hätten keine Foren gehabt, sie öffentlich zu machen.

In der gegenwärtigen Post-Konflikt-Gesellschaft Sierra Leone kommt laut Menschenrechtsexperten Tommy den Nichtregierungsorganisationen eine wichtige Bedeutung zu, die als Interessenvertretung der Opfer weiterhin gegen genderbasierte Gewalt vorgehen. Dazu gehört auch das von ihm geleitete Centre for Accoutability and the Rule of Law (CARL). Es engagiert sich unter anderem dafür, dass an den lokalen Gerichten nach den neu verabschiedeten Gesetzen Recht gesprochen wird. Hier hob Tommy das 2007 verabschiedete Vergewaltigungsgesetz positiv hervor. Das Problem: Richter würden Klagen oft abweisen als vermeintliche Familienangelegenheiten, die außergerichtlich geregelt werden sollten. Die wenigen Richter auf dem Land seien zudem überarbeitet und hätten traditionelle Vergewaltigungsmythen und Geschlechterstereotypen verinnerlicht. Deshalb bildet CARL u.a. Prozessbeobachter aus. Ein Ziel: auch Männer sollen Empathie für die Opfer erlernen und für faire Gerichtsverfahren sorgen. Zudem leisten Tommy und seine Mitstreiter politische Lobbyarbeit, damit die Regierung weitere Gesetzesreformen zu Frauen- und Menschenrechten verabschiedet.

Lehren für Internationale Strafgerichtsprozesse
Schlussfolgerungen aus dem Taylor-Verfahren und Urteil für den Umgang mit Gewaltüberlebenden vor dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zog Katharine Orlovsky aus Den Haag, die als Juristin für die Women’s Initiative for Gender Justice die Arbeit des IStGH beobachtet. Sie skizzierte erforderliche Unterstützungsmaßnahmen für Zeuginnen, die gegen Angeklagte bei sexualisierten Gewaltverbrechen aussagen wollen. Dazu gehören sowohl die juristische als auch die psychologische Begleitung sowie der Zeuginnenschutz in den Herkunftsländern. Wie Tommy unterstrich sie die Bereitschaft und oft den Wunsch von Gewaltüberlebenden, über die erlittenen Qualen zu sprechen, damit Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Doch oft werde ihnen nicht angemessen Raum gegeben und die Befragung vor allem durch die Verteidigung, aber auch die Richter erfolge ohne ausreichende Kenntnis der zugrunde liegenden Problematiken und Verhaltensmuster Überlebender. Für die Gender-Expertin zeigte der Prozess gegen Taylor, wie zuvor bereits andere Verfahren, dass der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag verstärkt daran arbeiten müsse, ein Umfeld für Zeuginnen zu schaffen, das ihre erneute Traumatisierungen vermeidet. Notwendig sei auch eine verbesserte Öffentlichkeitsarbeit über Ziele, Möglichkeiten und Grenzen solcher internationaler Verfahren in den jeweiligen Nachkriegsländern, um Fehlinformationen zu verhindern.

Doch bei allen Schwachpunkten in konkreten Ausführungen: auch für Orlovsky ist das Urteil, gegen das Taylor Berufung einlegen will, ein Meilenstein für die internationale Strafjustiz. Erstmals ist ein früherer Staatschef für sexualisierte Kriegsgewalt verurteilt worden.

Die geforderten notwendigen Verbesserungsmaßnahmen – auch darauf verwies die Aktivistin – brauchen Ressourcen, vor allem Geld.

Um so bedenklicher ist die Ankündigung der Deutschen Regierung, zehn Prozent ihrer Zahlungen zur Finanzierung des Internationalen Strafgerichtshofs zu streichen. Wer Straflosigkeit für Kriegsverbrecher beenden und Menschenrechte verwirklichen will, sollte nicht die Handlungsfähigkeit einer mühsam geschaffenen Institution mit großer Wirkung für Nachkriegsgesellschaften einem kurzsichtigen Spardiktat opfern.