Katholische Kirche lenkt in Polen vom Missbrauchsskandal ab

Kommentar

In Polen hetzten Regierung und katholische Kirche ganz offen gegen Menschen aus der LGBTQ-Community, der Erzbischof von Krakau bezeichnete sie jetzt sogar als Regenbogenplage. 

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Artur Kapturkiewicz

Artur Kapturkiewicz ist trans und Christ. Das sind zwei Dinge, die zurzeit in Polen nicht besonders gut zusammenpassen. Denn die katholische Kirche dort lehnt in einem Grundsatzdokument der polnischen Bischofskonferenz aus diesem August „Genderideologie“ ab, spricht sich für „Konversationstherapien“ aus und behauptet Eingriffe zur Geschlechtsanpassung seien „Selbstverstümmelung“. Der 59-jährige Kapturkiewicz sagt, er habe schon als Kind gewusst, dass er ein Mann ist: „Aber das Leben war kompliziert“. Den größten Teil seines Lebens outete er sich nicht, erst seit elf Jahren lebt er nun zusammen mit seinem Mann offen als trans Mann in Krakau. 

LGBTQ in Polen: Hassrhetorik hat sich verschärft

In den vergangenen Jahren hat sich die Hassrethorik gegenüber queeren Menschen in Polen verschärft. Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum eine baut die in Polen regierende Recht und Gerechtigkeitspartei (Prawo i Sprawiedliwość, kurz PiS) gerne ihre Macht aus, in dem sie gegen Minderheiten hetzt. 2015 waren es Geflüchtete und nun ist es die LGBTQ-Community.

Zum anderen schürt die katholische Kirche immer mehr Hass – vor allem um die Schuld am Missbrauchsskandal in den eigenen Reihen zu verdecken: 2019 hatte der polnische Journalist Tomasz Sekielski in seiner Dokumentation Tylko nie mów nikomu (deutsch: Erzähl es niemanden), aufgezeigt, wie Kindesmissbrauch dort systematisch vertuscht wurde.

Polen: Katholische Kirche versucht, Schuld am Missbrauchsskandal zu verdecken

Die Doku bekam riesige Aufmerksamkeit, mehr als 23 Millionen Menschen schauten sie auf YouTube. Anstatt sich nun an die Aufarbeitung zu machen, schiebt die Kirche die Schuld dafür der LGBTQ-Community in die Schuhe. Mit dem Argument, dass es, weil mehr Jungen als Mädchen missbraucht worden seien, gebe es einen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Pädophilie. „Dass mehr Jungen missbraucht wurden, liegt daran, dass die Priester viel eher Zugriff auf sie haben“, sagt Karol Wilczyński, Journalist und Aktivist. So seien in Polen zum Beispiel alle Ministranten männlich. Die Fakten halten Marek Jedraszewski, Erzbischof von Krakau, aber nicht davon ab von der queeren Community als „Regenbogenpest“ zu sprechen.  
 „Für mich ist klar, dass sich queere Menschen von der Kirche abwenden“, meint Kapturwiewicz. „Aber sie verlieren nicht ihren Glauben“. So geht es zumindest ihm – obwohl ihm von der Kirche hauptsächlich Hass entgegenschlägt, kann er aus seinem Glauben Kraft schöpfen. Vor rund zehn Jahren hat er darum die NGO Wiara i Tęcza (Glaube und Regenbogen) gegründet. Sie soll auf der einen Seite den Dialog zwischen der LGBTQ-Community und der Kirche fördern, auf der anderen aber vor allem eine offene und freundliche Umgebung für queere Christen und ihre Familien bieten. Bei den Treffen tauschen sie sich gegenseitig zu ihrem Glauben und dem Umgang mit ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität aus. Einige Pfarrer unterstützten die Arbeit von Wiara i Tecza, aber im Dialog mit der Kirche gibt es mehr Rück- als Fortschritte.

LGBTQ in Polen: „Das ist Zensur“

Nicht nur queere Menschen bekommen den Hass zu spüren. Karol Wilczyński lebt mit seiner Frau in Krakau. Er betreibt einen Blog über den Islam in Polen. Im vergangenen Jahr hatte er auf einem katholischen Portal ein Interview mit einem Theologieprofessor der Uni Krakau veröffentliche, in dem es darum ging, warum man Homophobie nicht mit der Bibel zu belegen versuchen sollte. Daraufhin bekam er Drohanrufe, der Professor verlor fast seine Anstellung, der Text wurde von der Plattform genommen. „Das ist Zensur“, sagt Wilczyński. Seitdem arbeitet er nicht mehr für katholische Medien.
Welche Rolle katholische Medien in der polarisierten Situation in Polen spielen, zeigt auch der Radiosender „Maryja“. Der Sender ist so beliebt wie offen rassistisch und für viele Polen eine der Hauptinformationsquelle. Dort schimpft der bekannte Pater Rydzyk wahlweise über Geflüchtete, LBGTQ-Personen, aktuell immer wieder Frauen oder Abtreibungen und behauptet sie alle bedrohten die polnische Familie. „Die Kirche und die Regierung nutzen diese Angstmacherei bewusst, um ihre Macht zu erhalten“, meint Wilczyński.

Karol Wilczynski

Hass gegen LGBTQ in Polen: „Die Leute glauben wirklich, dass wir eine Gefahr sind“

Zumindest teilweise mit Erfolg: „Die Leute glauben wirklich, dass wir eine Gefahr sind“, meint Artur Kapturkiewicz traurig. All das ist für ihn nur sehr schwer zu ertragen - auf vielen Ebenen. „Ich fühle mich schrecklich“, sagt er mit leiser Stimme. Einmal ist er auf offiziellen Dokumenten noch immer eine Frau. „Weil ich meinem Mann nicht noch mehr Kummer bereiten will“, sagt er. Vor einer legalen Geschlechtsanpassung müsste er sich scheiden lassen - von seinem Partner, den er liebt, denn gleichgeschlechtliche Ehen sind in Polen nicht möglich.
Kapturkiewicz stellt sich darum immer als Artur und Barbara vor – wer ihn nicht als Mann akzeptieren will, spricht ihn bis heute als Frau an. Außerdem trifft ihn die Verurteilung der LGBTQ-Community als pädophil besonders hart. Er ist Kinderarzt und hat drei eigene Kinder. Nicht zuletzt schmerzt es ihn, dass sein Lebensentwurf von der Kirche nicht akzeptiert wird, „Was gerade passiert ist genau das Gegenteil vom christlichen Glauben“, sagt er. „Ich wünsche mir, dass die Kirche uns und unsere Familien auch mit Liebe und Respekt behandelt zu werden, so wie alle anderen Menschen“.

„Eine LGBTQ-Person zu sein und katholisch, das ist zurzeit in Polen unmöglich“

Statt besser wird die Situation Polen aber immer angespannter. „Eine LGBTQ-Person zu sein und katholisch, das ist zurzeit in Polen unmöglich“, meint Journalist Karol Wilczyński. Artur Kapturwiewicz sieht das ähnlich, vor rund zwei Jahren hat er darum einen offenen Brief an verschiedene Kirchenvertreter geschrieben und erklärt, dass er nicht mehr zu katholischen Gottesdiensten gehen kann, solange die katholische Kirche solche Ablehnung gegen queere Menschen zeige – auch wenn er noch immer an Gott glaubt. Darum will Kapturkiewicz nicht die Hoffnung aufgeben: „Ich glaube daran, dass es besser wird, weil ich Christ bin“. 

Dieser Artikel erschien zuerst in der Frankfurter Rundschau.