Who cares?

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"Wen kümmert's?"

Dokumentation

Mit der Frage "Who Cares?" überschrieb das Gunda Werner Institut programmatisch seinen Beitrag zu 100 Jahre Internationaler Frauentag. Wer unter welchen Bedingungen die Sorgearbeit erledigt, stellt die Veranstaltungsreihe "Beyond Re/Production: Care Work" in Kooperation mit dem Kunstraum Kreuzberg/Bethanien zur Debatte.

Die Debatte begleitet die Berliner Ausstellung „Beyond Re/Production: Mothering“, die vom 25. Februar bis 24. April im Kunstraum/Bethanien gezeigt wird. Felicita Reuschling, die Kuratorin der Ausstellung gibt einen Rück- und Ausblick auf Veranstaltungsreihe und Ausstellung:

Die Veranstaltungsreihe Beyond Re/Production: Care Work hat versucht, auf verschiedenen Ebenen zu beschreiben, was es bedeutet, wenn Teile der gesellschaftlichen Reproduktionsarbeit zunehmend gegen Lohn ausgeführt werden. Ob unbezahlt oder bezahlt ist diese Arbeit jedoch weiterhin Frauenarbeit geblieben.
Ausgangspunkt der Reihe war die Einsicht, dass eine materialistische und herrschaftskritische feministische Diskussion um Reproduktion, Arbeitsverhältnisse und Ökonomie und der Position von Frauen darin seit den 1980ern nahezu abgebrochen ist.

Es ging in der Reihe deshalb darum, an alte Diskussionen um Hausarbeit anzuknüpfen und zugleich deren Beschränkungen aufzuzeigen, wie etwa bei der Kampagne „Lohn für Hausarbeit“. Andererseits wurde versucht, die Diskussion um soziale Reproduktion an gegenwärtig diskutierte politische Konzepte zurückzubinden, wie das der affektiven Arbeit von Negri und Hardt. Leider gibt es dort meiner Ansicht nach jedoch vorwiegend formale Anschlusspunkte, damit werden aber Klassenzusammensetzungen oder gar Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse eher de-thematisiert.

Die gut besuchten Veranstaltungen scheinen zu bestätigen, dass es einen Bedarf gibt, soziale Reproduktion aus einer feministischen Perspektive erneut zu diskutieren.
Die Konzeption der Reihe war vorwiegend auf eine Analyse des Bestehenden ausgerichtet.
Es wurde versucht, unterschiedliche Aspekte, Perspektiven und theoretische Konzepte einzubeziehen.
Dabei blieben die politischen Lösungsvorschläge für die Problematik meiner Ansicht nach meist recht schematisch an Formeln wie bedingungsloses Grundeinkommen und Senkung der Wochenarbeitszeit aller geknüpft.
Am besten hat mir hier Juliane Karakayalis Einschätzung gefallen, dass es sich um ein derart komplexes Feld handelt, dass schon Minimalforderungen wie „Grenzen auf für alle“ und „garantiertes bedingungsloses Grundeinkommen“ sich eigentlich jenseits einer realpolitischen Forderung befinden.
Darüber hinaus erscheint es mir fraglich, ob die Thematik, die Migration, Geschlechterverhältnis, Arbeitsverhältnisse und staatliche Regulation von sozialer Reproduktion umfasst, überhaupt in einer Forderung angemessen zu erfassen ist.
Mir scheint es deshalb wichtiger, eine Diskussion fortzusetzen, wie unter den gegenwärtigen Bedingungen ein materialistischer Begriff von sozialer Reproduktion und Arbeit aussehen muss, der über die Beschränkungen vergangener Diskussionen hinauskommt.

Besonders gut hat mir dazu der Vorschlag aus dem Publikum gefallen, die Kritik der politischen Ökonomie aus der Perspektive der Reproduktion neu zu schreiben. Dieser Blickwinkel könnte zumindest die Fixierung von Marxistischer Theorie und neoklassischer bürgerlicher Theorie auf produktive Arbeit und Kapitalakkumulation als Maßstab aufheben.
Ebenso sollte in die Diskussion zumindest als Kriterium einfließen, ob transnationale Elternschaften und die daraus resultierenden globalen Pflegeketten in einer Gesellschaft jenseits des Kapitalismus überhaupt wünschenswert erscheinen und wie andererseits die globale Delegation dieser Verhältnisse angemessen kritisch gefasst werden können.

Mir scheint in der Reihe vor allem auch deutlich geworden zu sein, dass reproduktive Arbeiten in der Privatsphäre auch in bezahlter Form aus verschiedenen Gründen nicht sogenannter freier Lohnarbeit entsprechen.
Ob dies durch die Forderung nach Arbeitsrechten oder Aufenthaltsrechten zu ändern ist, darüber gab es unterschiedliche Ansichten.
Es wäre im Sinne eines Ausblickes auf zukünftige Projekte und Ausstellungen daran festzuhalten, dass es darum gehen müsste, Care Work theoretisch und politisch so zu thematisieren, dass die Zusammenhänge zu anderen gesellschaftlichen Strukturen deutlich gemacht werden.

Gerade angesichts der Tradition dieser Trennung geht es darum, deutlich zu machen, dass soziale Reproduktion kein „Frauenthema“ oder eine „Frauenfrage“ ist.
Dies könnte zumindest theoretisch ein Schritt entgegen der Logik der Trennungen und Individualisierung sein, die der Kapitalismus von allen erwartet.
In unserem letzten Teil der Veranstaltungsreihe wurde mit dem Referat von Sarah Speck die Thematik von Ausstellung und Veranstaltungsreihe noch einmal enger miteinander verknüpft. Es ging um die Anforderungen an Mutterschaft, die hier zugleich zur Berufsbeschreibung geworden sind. Sarah Speck stellte am Beispiel der SOS-Kinderdörfer dar, wie dort Beruf und mütterliche Berufung miteinander verbunden sind.

Als Ausblick auf der Ebene der Ausstellung Beyond Re/Production: Mothering scheint mir eine utopische Perspektive sinnvoll. Nach der Analyse der Anforderungen an Mütterlichkeit und Fürsorglichkeit in der Gegenwart des Neoliberalismus könnte es stärker um eine Untersuchung von Formen sozialer Reproduktion gehen, die sich jenseits von Kleinfamilie und Privatheit strukturieren.
Andererseits wäre es wünschenswert, mit einer neuen Ausstellung das Thema migrantische Pflegearbeit stärker in Europa und damit zugleich bei uns selbst zu verorten und damit Pflegeketten und Hierarchien innerhalb und an den Grenzen der EU visuell und politisch zu repräsentieren.

 

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Mehr zur Veranstaltungsreihe Beyond Re/Production: Care Work

 

Sämtliche Bilder wurden von Stephan Röhl gemacht und sind lizenziert unter eine Creative-Commons-Lizenz: BY-NC-ND-SA (Namensnennung-Nicht Kommerziell-Keine Bearbeitung).