In der Krise werden die Rufe nach einem „starken Mann“ laut. Doch dies lässt rückwärtsgewandte Rollenbilder wiedererstarken. Dem müssen wir etwas entgegenstellen.

Anton Hofreiter, seines Zeichens Parteilinker bei den Grünen, forderte am 13.04.: „Der Kanzler muss Führungsstärke zeigen“. Und damit ist er nicht der einzige. Nicht nur Politiker:innen, auch Jounalist:innen, Intellektuelle und andere öffentliche Personen gehen der Logik des Krieges zu schnell auf dem Leim. Warum ist das so und was können wir dagegen tun?

Neues altes Heldentum

Wenige Tage nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine schrieb der Journalist Emran Feroz einen langen Artikel über rassistische Berichterstattung. Neben Beispielen aus internationalen Medien stieß im vor allem die Talkshow Hart aber fair vom 28.02.2022 mit Frank Plasberg ins Auge. Zu Gast war unter anderem der pensionierte deutsche NATO-General Hans-Lothar Domröse. Im Kontext von Flucht und Migration ist Folgendes interessant daran: Nach Domröse waren es 2015 zu einem großen Teil junge Männer: „wehrfähige, starke Männer, die eigentlich ihr Land verteidigen sollten“. Zum jetzigen Zeitpunkt sei dies anders, denn ukrainische Männer würden ihre Heimat gegen die russischen Truppen verteidigen, während nur die „Frauen, Mütter und Kinder“ gehen. Was Feroz klar als Rassismus in der Berichterstattung benennt, ist allerdings nicht nur das.

Ein zweiter Blick lohnt, denn auch patriarchale Rollenbilder sind Teil der beschriebenen rassistischen Narrativen. Behalten wir die jungen Männer von 2015 und die „Frauen, Mütter und Kinder“ mal im Hinterkopf, aber konzentrieren uns zuerst auf die vermittelten Vorstellungen von Männlichkeit. Der Angriffskrieg Putins verrückte den öffentlichen Diskurs. Die kognitiven Korridore der deutschen Medienmacher:innen wurden enger. Doch der enge Korridor muss verlassen werden, um das neue, männliche Heldentum aus vergessenen Zeiten zu hinterfragen. Denn dieses ist in den letzten Wochen eingesickert in die Köpfe vieler.

„Ästhetik und Rhetorik des Krieges“

Der Stern ließ Mitte März einige Stimmen zu Wort kommen, die die positive Besetzung von „Tapferkeit“, „Vaterland“ und „Heldentum“ kritisierten. Unter ihnen war der Sozialpsychologe Harald Welzer. Nach ihm „gibt es plötzlich männliche Kriegshelden, die martialisch agitieren und dafür Titel wie ‚Widerstandsikone‘ oder ‚Freiheitsheld‘“ verliehen bekommen. Diese Erzählungen stammen aus einer längst vergangenen Zeit, nämlich der vor dem Ersten Weltkrieg. Diese neue „Ästhetik und Rhetorik des Krieges“ sollte nicht nur Welzer Gedanken machen, denn vor kurzem lebten wir doch eigentlich noch in postheroischen Zeiten.

Das Problem liegt offen auf der Hand. Die Geschehnisse des Krieges verschleiern den autoritären Charakter des neuen männlichen Heldentums. Problematisch ist es deshalb, weil dieses längst vergessene Gedankengut nicht nur außenpolitisch oder in der Berichterstattung über die Ukraine die Oberhand gewinnt, sondern auch innenpolitisch wirkmächtig ist. In Zeiten der Mehrfachkrisen werden die Rufe nach einem „starken Mann“ immer öfters laut.

Zeitenwende des Autoritären

Dies ist kein einmaliges Phänomen. Auch schon während der Pandemie avancierte Markus Söder, seines Zeichens bayrischer Ministerpräsident, zum Hoffnungsträger. Seine Beliebtheitswerte waren bundesweit hoch. Die Pandemie war eine Zeit der Exekutive. Das Parlament und die parlamentarische Debatte, das demokratische Aushandeln, traten in den Hintergrund. Doch mit einer demokratischen, pluralen und friedlichen Kultur, haben diese Rufe nichts zu tun.

Selbiges passiert auch – wenn nicht sogar noch rasanter – seit den ersten Tagen des Krieges. Nur einen Tag nach den größten Friedensdemonstrationen seit dem Beginn des Irakkrieges, trat der Bundeskanzler, Olaf Scholz, – ohne davor eine parlamentarische oder gesellschaftliche Debatte zuzulassen – vor den Bundestag und verkündete ein 100 Milliarden Paket für die Bundeswehr. Scheinbar waren selbst die Koalitionspartner:innen nicht eingeweiht. Demokratische Entscheidungsfindung? Nein, danke. Wahrlich eine Zeitenwende, nämlich die des Autoritären.

Fliehen ist eine Absage an Gewalt

Damit wieder zum Anfang. Die Berichterstattung über die scheinbar wehrlosen „Frauen, Mütter und Kinder“ sind eine Stigmatisierung von Flüchtenden sondergleichen. Die Berichterstattung zeigt Männer, die an die Front gehen und sich tapfer, unverzagt und ehrenvoll im Kampf aufopfern. Mannhaft wischen sie sich die Tränen aus den Augen und sagen ihren Liebsten Lebewohl. Und dann gibt es ja noch die Männer von 2015, die nach Domröse nicht Mannes genug waren und dem Krieg den Rücken gekehrt haben.

Es wird Zeit diesem martialischen, männlichen und autoritären Heldentum ein demokratisches, pluralistisches und friedvolles Held:innentum entgegenzustellen. Wenn Menschen Held:innentum in der Krise brauchen, dann lieber ein demokratisches. Dafür muss aber die Stigmatisierung und der Paternalismus enden, mit denen Flüchtenden begegnet werden. Flucht ist keine Kapitulation. Flucht bedeutet handlungsfähig zu werden und eine aussichtslose sowie gewaltvolle Situation zu verlassen. So ist sie nicht nur grausame Vertreibung, sondern eben auch eine Entscheidung, ein Aufbruch und ein Neuanfang. Fliehen ist eine Absage an Gewalt. So wohnt dem Sich-Entziehen eine urdemokratische Wurzel inne.

Tapfer und unverzagt – trotz alledem

Wenn charismatische Held:innen nötig sind, dann darf es kein Rückgriff in autoritäre Zeiten geben. Unsere Gesellschaft hat es eben noch nicht geschafft jeglichen Heroismus hinter uns zu lassen. Es zeigt sich, dass die postheroischen Zeiten noch nicht gekommen sind. Doch dann soll es zumindest ein zeitgemäßer Heroismus sein. Dafür braucht es keinen „starken Mann“, der sich dem Feind entgegenstellt. Dafür braucht es Menschen, die tapfer und unverzagt – trotz alledem – gewillt sind, sich im Exil eine neue Existenz aufzubauen.

Frauen und Kinder, die jetzt aus der Ukraine nach Deutschland kommen. Ebenso die, die es seit 2015 nach Deutschland geschafft und sich gegen den Krieg entschieden haben. Aber genauso auch alle Russ:innen, die jetzt ihr Land verlassen, weil sie unter dem derzeitigen Regime keine Zukunft mehr für sich sehen. Sie alle trotzen dem Autoritären. All jene stehen für ein demokratisches, pluralistisches und friedvolles Held:innentum.

Für einen demokratischen Heroismus

Friedvoll, weil sie blutige Realität des Krieges nicht akzeptieren. Pluralistisch, weil es sich bei Geflüchteten um individuelle Menschen mit unterschiedlichen Biografien und nicht um eine homogene Gruppe handelt. Und demokratisch, weil sie eine Wahl getroffen haben, sich nicht dem Autoritärem unterzuordnen. Allen Umständen zum Trotz sind sie es, die uns Leitfiguren in krisenhaften Zeiten sein sollten. Um unserer selbst willen, sollten wir besser Geflüchtete heroisieren. Nicht den „starken Mann“, der allein Entscheidungen trifft, sondern die, die für Demokratie, Pluralismus und eine friedliche Konfliktlösung stehen.

So und nicht anders müssen die Leitlinien für eine kommende Politik aussehen. Diese kommende Politik zeichnet sich dadurch aus, dass Krieg eben nicht die bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist. Für ein zeitgemäßes Held:innentum und damit ein demokratischer Heroismus, jenseits der Mär patriarchaler Rollenbilder vergangener Tage.

Dieser Artikel ist zuerst im MiGAZIN erschienen.