Zur Entwicklung des TSG unter Berücksichtigung der aktuellen politischen Debatte

Am 01. Januar 1981 trat das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) in der alten Bundesrepublik in Kraft. Damit gehörte es im internationalen Vergleich zu den frühen allgemeinverbindlichen nationalen Regelungen, die es trans Menschen ermöglichten, ihre Vornamen und Geschlechtszugehörigkeit an ihr erlebtes Geschlecht anzupassen.

Richterhammer

Während das TSG ermöglichende Effekte auf einige trans Menschen hatte, enthielt es zahlreiche restriktive und menschenrechtsverletzende Normen, gegen die sich innerhalb der Transbewegung ein anhaltender und teilweise erfolgreicher Widerstand regte. Später richtete sich der Widerstand zunehmend gegen Trans-Sondergesetzgebung als Konzept an sich1. Stattdessen schlugen Transorganisationen die Integration von vergleichbaren Rechten in bestehende Gesetze vor2 oder unterstützten den Gesetzesentwurf von Juni 2020 zur Aufhebung des Transsexuellengesetzes und Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes (SelbstBestG) der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Die Kritik am TSG, sowie die Forderungen nach einer Neuregelung der Anerkennung des Geschlechts wurden u.a. von Teilen weiterer sozialen Bewegungen,3 der Wissenschaft4 und der Politik5 aufgegriffen. Trotz dieses vielfach angemahnten Reformbedarfs des Transsexuellenrechts, ist eine gesetzliche Regelung, die das Selbstbestimmungsrecht aller Menschen über ihr Geschlecht respektiert, sowie die Entpathologisierung und Entstigmatisierung minorisierter Verkörperungen von Geschlecht umsetzt, an der Politikverweigerung bisheriger Regierungskoalitionen gescheitert.

Welche Rolle spielen Sexualität und Geschlecht im TSG?

Das TSG sieht eine Vornamens- und Personenstandsänderung nach den Regeln der Freiwilligen Gerichtsbarkeit vor.6 Hierbei darf das Gericht dem Anliegen nur dann stattgeben, wenn die Antrag stellende Person „sich auf Grund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht, sondern dem anderen Geschlecht als zugehörig empfindet und seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang steht, ihren Vorstellungen entsprechend zu leben“. Während mit dem „anderen“ Geschlecht eingangs nur „Mann“ und „Frau“ gemeint waren, entschied der Bundesgerichtshof am 22. April 2020, dass Menschen, die sich als weder weiblich noch männlich identifizieren, über § 8(1) TSG eine Streichung oder Änderung des Personenstandes in „divers“ zusteht.7 Zugleich halten die obengenannten Voraussetzungen an der Pathologisierung von „Transsexualität“ fest, beschränken sich auf „transsexuelle Personen“ und lassen die Geschlechtszuweisung bei der Geburt unhinterfragt .8

Darüber hinaus schreibt § 4(3) TSG als Grundlage für die richterliche Entscheidung zwei Gutachten von „Sachverständigen”, meist Psychiater*innen, vor. Gerichte wie Ärzt*innen haben diese Norm so interpretiert, dass die Expertise im Kompetenzbereich der Medizin liegt9 und damit zu Ungunsten des Selbstbestimmungsrechts von Transpersonen. Diese Perspektive wurde vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 11. Januar 2011 zur Verfassungsmäßigkeit von somatischen Maßnahmen als Voraussetzung für eine Personenstandänderung noch verstärkt.10 Hinzu kommt, dass die Antragstellenden für die Kosten der Gutachten aufkommen müssen, sofern ihnen keine Prozesskostenhilfe zusteht.

Bis zur zuvor genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verlangte § 8(1)3 TSG für eine Personenstandsänderung die dauerhafte Fortpflanzungsunfähigkeit der Antragstellenden. So wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass Männer keine Kinder gebären und Frauen keine Nachkommen zeugen.11 § 8(1)4 TSG forderte von Antragstellenden „sich einem ihre äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff“ zu unterziehen. Das Bundesverfassungsgericht hingegen entschied, dass diese beiden Normen mit dem Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit in Verbindung mit der Würde des Menschen unvereinbar sind. Damit wurde dem subjektiven Empfinden der Betroffenen ein höheres Gewicht beigemessen, eine Tendenz, die sich bereits in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Aug. 1996 angedeutet hatte.12

Der heteronormative Charakter des TSG in seiner ursprünglichen Fassung offenbart sich in § 7(1)3 TSG. Er bestimmte die Revision der Vornamensänderung bei Eheschließung. Damit sollten homosexuell erscheinende Ehen vermieden werden. In seiner Entscheidung vom 06. Dezember 2005 erklärte das Bundesverfassungsgericht § 7(1)3 TSG für verfassungswidrig, weil er das durch das Grundgesetz geschützte Namensrecht missachte und die Intimsphäre der Antragstellenden verletze, wenn eine Ehe mit dem Verlust des geänderten Vornamens einhergehe. Am 27. Mai 2008 entschied das Gericht, dass die Norm, die von verheirateten Antragsstellenden verlangt, vor einer Personenstandsänderung geschieden zu werden, nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei, hauptsächlich wegen des besonderen Schutzes von Ehe und Familie durch den Staat. Somit wurde eine gleichgeschlechtliche Ehe in Ausnahmefällen möglich, bevor die Ehe am 01. Oktober 2017 für alle gleichgeschlechtlichen Paare geöffnet wurde.13

Was ein neues Selbstbestimmungsgesetz leisten könnte

Während es der Transbewegung gelungen ist, zahlreiche menschenrechtswidrige Normen des TSG erfolgreich anzufechten, wurden langjährige Forderungen nach einem niedrigschwelligen, kostenfreien, zügigen und selbstbestimmten Zugang zur Vornamens- und Personenstandsänderung, z.B. per standesamtlicher Erklärung,14 sowie einer Entpathologisierung und Entstigmatisierung von Trans bisher noch nicht umgesetzt.15 Diese und weitere, über das TSG hinausgehende Forderungen haben in der Transbewegung schon seit längerem zur Erkenntnis geführt, dass eine Reform des TSG nicht ausreicht, um dem notwendigen Regelungsbedarf nachzukommen.16 Ein weiteres Beispiel ist die fehlende Anerkennung von trans Personen mit Personenstandsänderung, die Kinder gezeugt oder geboren haben, als das Elternteil, als das sie sich selbst erleben und wie sie wahrgenommen werden.17 Auch an einer Präzisierung und stärkeren Ahndung von Verstößen gegen das Offenbarungsverbot, das vor Fremdouting schützt, mangelt es bisher Die gesetzlichen Sicherung des Anspruchs auf selbstbestimmt gewählte Leistungen in der Transgesundheitsversorgung, sowie der Sicherung der Rechte von Menschen mit Variationen der Geschlechtsentwicklung stehen ebenfalls noch aus.

Vor dem Hintergrund obengenannter Sachlage, wie auch des von Organisationen der Trans- und Interbewegung kritisierten „Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragende Angaben“ vom 18. Dezember 201818 hat die grüne Bundestagsfraktion einen Entwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz verfasst. Dieser greift zahlreiche Forderungen auf, wie sie z.B. im „Policy Paper Recht” des Bundesverbands Trans* formuliert sind, und geht teilweise darüber hinaus. Der Gesetzesentwurf sieht die Aufhebung des TSG vor; die Möglichkeit für alle Menschen, ihren Vornamen und die Geschlechtsangabe über eine Erklärung beim Standesamt abzugeben; den Anspruch auf Achtung des Selbstbestimmungsrechts bei Gesundheitsleistungen, einschließlich eines Verbots von medizinisch nicht notwendigen genitalverändernden chirurgischen Eingriffen bei Kindern; eine Präzisierung des Offenbarungsverbots mit Strafbewehrung; ein Recht auf Beratung zu Fragen der Geschlechtsidentität; eine Regelung zur Elternschaft, die sowohl das Recht des Kindes wahrt, als auch Eltern mit Personenstandsänderung das Recht gibt, sich mit einem der Geschlechtszuordnung entsprechenden Vornamen und Personenstand zu bezeichnen; sowie eine Erweiterung der Optionen für den Geschlechtseintrag im Pass. Während der Entwurf – wie auch jener der FDPim Mai 2021 abgelehnt wurde, bleibt abzuwarten, ob eine neue Bundesregierung die jahrzehntelange Stagnation in diesem Politikfeld beendet und es zur Abschaffung des TSG zugunsten einer umfassenden Lösung kommt, die das geschlechtliche Selbstbestimmungsrecht aller Menschen wahrt.

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4 Beispielhaft hierzu: Güldenring, Annette-Kathrin, 2013, zur ‚Psychodiagnostik von Geschlechtsidentität‘, im Rahmen des Transsexuellengesetzes, in: Zeitschrift für Sexualforschung 26(2), 160-174; Schmidt, Gunter, 2013, Viel Aufwand und wenig Effekt: Anmerkungen zum Transsexuellengesetz, in: Zeitschrift für Sexualforschung (26)2, 175-177 und Sigusch, Volkmar, 2013, Liquid Gender, in: Zeitschrift für Sexualwissenschaft (26)2, 185-187 in der Sexualwissenschaft; Grünberger, Michael, 2007, Ein Plädoyer für ein zeitgemäßes Transsexuellengesetz, in: Das Standesamt (60)12, 357-368; Adamietz, Laura, 2011, Geschlecht als Erwartung: Das Geschlechtsdiskriminierungsverbot als Recht gegen Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität, Baden-Baden: Nomos (Schriften zur Gleichstellung), und Adamietz, Laura/Bager, Katharina, 2016, Gutachten: Regelungs- und Reformbedarf für trans-geschlechtliche Menschen (Begleitmaterial zur Interministeriellen Arbeitsgruppe Inter- & Transsexualität – Band 7. Berlin), zuletzt abgerufen am 13. Nov. 2021 in der Rechtswissenschaft; sowie de Silva, Adrian, 2005, Transsexualität im Spannungsfeld juristischer und medizinischer Diskurse, in: Zeitschrift für Sexualforschung (18)3, 258-271; de Silva, Adrian, 2018, Negotiating the Borders of the Gender Regime: Developments and Debates on Trans(sexuality) in the Federal Republic of Germany, Bielefeld: transcript; und Hoenes, Josch, 2009, „Du bist das Beste von beiden Welten“ – „Du gehörst hier nicht hin“: Loren Camerons Zerrbilder gegen heteronormative Zweigeschlechtlichkeit“ in: Paul, Barbara / Schaffer, Johanna (Hg.), Mehr(wert) queer – Queer Added (Value). Visuelle Kultur, Kunst und Gender-Politiken - Visual Culture, Arts and Gender Politics, Bielefeld: transcript, 43-58 in den Trans Studies.

5 Hierzu exemplarisch einige Gesetzesentwürfe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Deutscher Bundestag 2020, Deutscher Bundestag 2020a und Deutscher Bundestag 2010.

6 Für eine ausführliche Diskussion der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Normen des TSG, siehe: Adamietz, 2011, Geschlecht als Erwartung, 125-150 und de Silva, 2018, Negotiating the Borders, 272-327.

7 Seit dem 18. Dez. 2018 steht mit dem „Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragende Angaben“ für Personen mit Variationen der Geschlechtsentwicklung die Möglichkeit – neben „weiblich“ oder „männlich“ – „divers“ als Geschlechtseintrag zur Verfügung oder die Offenlassung des Geschlechtseintrags. Während der Anwendungsbereich zunächst juristisch kontrovers diskutiert wurde, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) am 22. April 2020, dass die Regelung ausschließlich für Menschen gilt, die körperlich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können.

11 Grünberger, 2007, Plädoyer, 363.

12 In jenem Fall hatte das Bundesverfassungsgericht beschlossen, dass eine Transfrau ohne Personenstandsänderung mit der ihrem geänderten Vornamen entsprechenden Geschlechtsbezeichnung anzusprechen ist (Bundesverfassungsgericht, 1997, Entscheidung vom 15. Aug. 1996 – 2 BvR 1833/95, in: Neue Juristische Wochenzeitschrift (50)24, 1632-1633, 1632.

14 Diese Forderungen finden sie etwa in den Entwürfen zu einer Gesetzesänderung des nicht mehr existierenden Transgender Netzwerks Berlin (TGNB 2006), der Stellungnahme des TGNB und TrIQ e.V. (TGNB/TrIQ e.V. 2009), dem Eckpunktepapier der dgti e.V. (2011), dem Forderungspapier des BAK TSG-Reform (2012), der Waldschlösschen Erklärung des Netzwerks Trans*Aktiv (2014) und dem Policy Paper Recht des Bundesverbands Trans* e.V. (2016). Die Seiten des TGNB und die Stellungnahme des TGNB und von TriQ e.V. sind nicht mehr online.

15 Siehe ebd.; für eine ausführliche Analyse transpolitischer Programme und Forderungen von ca. 2000 bis 2014, siehe: de Silva, 2018, Negotiating the Borders, 206-256; 327-339.

16 Siehe hierzu beispielsweise dgti. e.V. 2011; BAK TSG-Reform 2012.

17 Am 06. September 2017 entschied der Bundesgerichtshof im Falle eine Transmannes, der ein Kind geboren hatte, dass der Transmann im Geburtenregister als Mutter und mit seinem (früheren) weiblichen Vornamen einzutragen sei (Rn. 14). Der Bundesverband Trans* kritisierte diese Entscheidung mit der Begründung, dass sie nicht der Realität von Kindern transgeschlechtlicher Eltern entspricht und dass sie zudem Transeltern zur Offenlegung ihrer Transidentität zwingt.

18 Die deutsche Vertretung der Internationalen Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen (IVIM)/Organisation Intersex Internation (OII Germany) kritisiert, dass die Geschlechtsregistrierung für alle Menschen nicht schlicht entfällt, dass Menschen mit Variationen der geschlechtlichen Entwicklung weiterhin nicht vor uneingewilligten kosmetischen geschlechtsverändernden Maßnahmen geschützt werden und, dass wahlweise ein medizinisches Attest oder eine eidesstattliche Erklärung zur Grundlage der Eintragung „divers“ gemacht wird. Der Bundesverband Trans* kritisiert, dass Transpersonen von der Möglichkeit eines weiteren Geschlechtseintrags ausgeschlossen und weiterhin auf das TSG verwiesen sind.