„Antifeminismus entspringt dem Wunsch, die Körper von Frauen und queeren Menschen zu kontrollieren”

Gespräch

Die ghanaische Schriftstellerin Nana Darkoa Sekyiamah erkundet gemeinsam mit Dr. Serawit Bekele Debele aus Äthiopien feministische Bewegungen auf dem afrikanischen Kontinent vor und nach der Verbreitung von Feminismus als Begriff.

Das Gespräch kuratierte und moderierte Chilufya Nchito aus Sambia. Es fand online im Oktober 2023 statt.

Illustration: Authors of "Anti-feminism is the desire of the state to control the bodies of women and queer people”

Chilufya: Meine erste Frage bezieht sich auf Antifeminismus sowohl aus historischer als auch aktueller Perspektive: Wie sah Antifeminismus in der Vergangenheit aus und welches Gesicht hat er heute?

Serawit: Das ist eine schwierige Frage. Ich denke nicht, dass wir historisch von Antifeminismus sprechen können, da sich die Menschen damals nicht als Feminist*innen bezeichnet haben. Bevor es Antifeminismus geben kann, muss der Feminismus-Begriff allererst geprägt worden sein.

Beispielsweise arbeite ich gerade an einem Projekt zur Geschichte der Sexualität in Äthiopien und schaue mir dabei insbesondere die 1990er Jahre an. Nach dem Sturz der Militärregierung 1991 nahm die Zahl der Printmedien explosionsartig zu. Es waren vor allem pornografische Publikationen – allerdings mit einem liberalen Zeitgeist, der sie zunächst als Teil einer sexuellen Revolution erscheinen ließ. Zu dieser Zeit organisierten sich Frauen, vor allem in den Städten und insbesondere in der Hauptstadt Addis Abeba, und veranstalteten riesige Protestkundgebungen gegen die Medienbranche. Sie fühlten sich zu Sexualobjekten herabgewürdigt. Kurz darauf verbot die Regierung viele dieser Veröffentlichungen. War dies ein feministischer oder ein antifeministischer Akt? Ich stelle diese Frage, weil die Meinungen über die Publikationen weit auseinandergingen. Für einige stärkten und ermutigten sie die Frauen dazu, ihre selbstbestimmte Sexualität zu erkunden. Aus dieser Perspektive waren die Veröffentlichungen Teil einer feministischen Agenda, um Frauen aus der sexuellen Unterdrückung zu befreien. Andere verurteilten die Publikationen, weil sie Frauen verdinglichen würden – aus dieser Perspektive hatten die Veröffentlichungen nichts Stärkendes oder Feministisches an sich.

Nana: Wenn Frauen sich organisieren, ist das zweifellos ein feministischer Akt. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob die Frauen aus freien Stücken an diesen Demonstrationen teilgenommen haben. Wenn dem so war, dann haben sie feministisch gehandelt.

Serawit: Meine Definition von Feminismus ist vermutlich ein wenig enger gefasst. Ich verstehe Antifeminismus als eine Form der organisierten Reaktion auf eine Form der organisierten feministischen Bewegung im afrikanischen Kontext. Damit will ich jedoch nicht sagen, dass es Antifeminismus nicht gab oder gibt, sondern nur, dass die Bezeichnung nicht zutrifft. Angesichts der raschen Ausbreitung des Antifeminismus online wie offline könnte er ebenso gut als koordinierte Kampagne gegen Frauenrechtsaktivist*innen durchgehen.

Nana: Dem kann ich mich vollkommen anschließen.

Wie sieht die Antifeminismus-Bewegung heute aus? Trägt sie die Spuren eines kolonialen und religiösen Erbes?

Nana: Gegenwärtig zeigt sich Antifeminismus am stärksten beim staatlichen Wunsch, die Körper von Frauen, queeren Menschen und Angehörigen der LGBTQI+ Community zu kontrollieren. Der Staat will vorschreiben, wer wen lieben und wer mit wem sexuelle Beziehungen haben darf. So sieht es zurzeit in vielen Ländern Afrikas aus – es ist sehr beängstigend.

Die Rückeroberung unserer Körper beginnt damit, dass wir alles in Frage stellen, was uns über sie erzählt wurde und wozu Körper gut sind.

Serawit: Diese Entwicklung kommt aber nicht nur von staatlicher Seite. Auch die Popkultur trägt maßgeblich zur Verbreitung dieser Form von Antifeminismus sowie ingesamt von Antifeminismus bei. Zahllose Musikvideos, Talkshows und moderne religiösen Praktiken, insbesondere Straßenpredigten, und viele Posts auf YouTube und TikTok, verbreiten schräge Vorstellungen von Weiblichkeit und Feminismus. Wir müssen uns daher immer wieder fragen: Wie werden Frauen dargestellt – insbesondere erfolgreiche, berufstätige, hart arbeitende Frauen? Zumeist nämlich werden sie auf ihr Äußeres reduziert. Auch in den Kommentarspalten geht es fast immer darum, wie sie sich kleiden oder wie sie ihre Haare tragen. Oder es wird ihr Intimleben diskutiert. Frauen in hohen Positionen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft lösen in Äthiopien, aber auch in vielen anderen Ländern Afrikas, große Ängste aus. Insgesamt werden Frauen, die sich den Regeln des Patriarchats widersetzen, massiv zurückgedrängt.

Der weibliche Körper ist ein Kampfschauplatz. Warum ist er so heftig umstritten?

Nana: Ich denke, das liegt daran, dass weibliche Körper nie als Eigentum der Frauen selbst gelten, sondern als Eigentum ihrer Familien und auch des Staates. Männern wollen den weiblichen Körper kontrollieren, weil sie die Kontrolle über die weibliche Fruchtbarkeit behalten wollen. Sie wollen sicherstellen, dass sie ihre eigenen und nicht die Kinder anderer Männer großziehen. Staaten indessen verfolgen hinsichtlich weiblicher Körper unterschiedliche Strategien. Einige wollen mithilfe der Kontrolle die Bevölkerungszahlen regulieren. Dafür erlassen sie dann repressive Abtreibungsgesetze und vernachlässigen die Sexualaufklärung an den Schulen. Andere wollen vor allem kontrollieren, wen Menschen lieben oder mit wem sie eine Beziehung eingehen dürfen. Für mich ist der Kampf um sexuelle Freiheit daher ein zutiefst feministisches Anliegen. Einer der bekanntesten feministischen Slogans lautet: „Das Persönliche ist politisch.“ Gibt es etwas Persönlicheres als körperliche Selbstbestimmung?

Serawit: Der weibliche Körper ist sogar noch mehr zum Kampfschauplatz geworden, nachdem Frauen vermehrt „Nein“ zur patriarchalen Kontrolle gesagt haben. Vorher war es normal, einfach nur im Dienste des Patriarchats, des Staats, der Männer zu stehen. Es gab einfach kein „Nein“. Die Debatte darüber, was das Frausein und den weiblichen Körper ausmacht, setzte erst dann massiv ein, als Frauen die ihnen zugewiesene Rolle hinterfragten. Und damit auch die Erwartung, ihren Körper bereitwillig als Gefäß für die Produktion von Arbeitskräften im Dienste des Kapitalismus oder als Mütter, als Töchter, für den Erhalt der Nation zur Verfügung zu stellen. Bis heute gibt es keine einheitliche Antwort auf die Frage: Was ist eine Frau? Unter welchen Bedingungen darf eine Frau eine Frau sein? Woran darf sie teilhaben, und woran nicht? Wann wird eine Frau ihrer Rolle nicht mehr gerecht und muss aus dem gängigen Weiblichkeitsbild ausgeschlossen werden? Männer müssen nicht auf dieselbe Weise um die Selbstbestimmung über ihre Körper kämpfen.

Interessanterweise soll sich eine Frau nicht darüber wundern, wenn man sie belästigt. Du sitzt irgendwo und ein Mann kommt zu dir und berührt einfach deinen Oberschenkel oder deinen Arm. Und du sollst nichts dazu sagen. Wenn du dich wehrst, versuchen alle – auch Frauen –, dich zu beruhigen und appellieren an deinen „Verstand“, den du angeblich verloren hast.

Wie können wir die Selbstbestimmung über unseren Körper zurückgewinnen? Wie bekämpfen wir Antifeminismus, privat und als Kollektiv?

Nana: Wenn wir selbst über unseren Körper bestimmen wollen, müssen wir zunächst alles hinterfragen, was man uns über Körper und über die Funktion unserer Körper erzählt hat. Diesen Weg müssen wir individuell und kollektiv beschreiten. Wenn ich etwas aus der Arbeit an meinem Buch The Sex Lives of African Women gelernt habe, dann dass wir hinterfragen müssen, was man uns in unserer Kindheit und Jugend gesagt hat. Bei mir hat das Lesen feministischer Bücher mein Denken verändert. Es hat mir geholfen, die Widersprüche in meinem eigenen Leben zu sehen.

Serawit: Genau. Außerdem denke ich, dass es beim Feminismus um mehr geht als um Selbstbestimmung über den Körper. Wir müssen das feministische Anliegen breiter definieren. Denn eine neoliberale kapitalistische Agenda hat den feministischen Kampf auf dem afrikanischen Kontinent fast vollständig gekapert. Im Zusammenhang mit Feminismus reden wir heute ständig von der gläsernen Decke. Wir feiern den individuellen Erfolg – der tatsächlich wichtig ist. Doch dabei rückt die größere historische und strukturelle sozioökonomische Frage oft in den Hintergrund. Wir legen großen Wert auf Repräsentation und Sichtbarkeit – und geben uns zu häufig damit zufrieden. In Äthiopien zum Beispiel gab es 2018 eine politische Wende. Der umjubelte Premierminister Abiy Ahmed, der später den Friedensnobelpreis erhielt, besetzte sein Kabinett zu 50 Prozent mit Frauen. Seine Entscheidung begründete er damit, dass Frauen mütterlich, liebenswürdig und weniger anfällig für Korruption seien. Als Feminist*innen haben sich einige von uns gegen diese Vorstellung von Frauen als entpolitisierte Subjekte gewehrt und auf die möglichen Gefahren einer solchen Sichtweise verwiesen. Daraufhin bezeichnete man uns als undankbar, ja sogar als antifeministisch, weil wir uns über eine solch problematische Form der Repräsentation nicht freuen konnten.

Nana: Das war alles andere als antifeministisch!

Serawit: Das Problem bestand nicht darin, dass wir ihre politische Repräsentation nicht feiern wollten, sondern kritisch blieben und zum Beispiel gefragt habt, warum Frauen am meisten von Armut betroffen sind und die Säuglingssterblichkeit noch immer so hoch ist. Für diese Themen muss es Raum geben. In Äthiopien tobte von 2020 bis 2022 ein Krieg. Vergewaltigung war zu dieser Zeit eine Kriegswaffe. So viele Kinder, so viele Frauen wurden vergewaltigt. Doch der Premier sagte nur: „Warum sprecht ihr über Vergewaltigung? Vergewaltigung ist normal in Kriegszeiten.“ Es muss also immer um den Systemwandel und nicht allein um Repräsentation gehen. Auf der persönlichen Ebene, möchte ich noch anfügen: Ich bin eine beruflich relativ erfolgreiche unverheiratete Frau in den Vierzigern. Doch alle fragen mich danach, ob ich verheiratet bin oder ob ich Kinder habe oder nicht. Wie kann ich Selbstbestimmung über meinen Körper erlangen, wenn ich ständig auf diese Fragen reduziert werde?

Nana: Es gab in der Vergangenheit einige Situationen, in denen ich privat nicht so reagiert habe, wie ich es mir gewünscht hätte. Wir müssen großzügig und gütig gegenüber uns selbst sein.

Serawit: Das kenne ich. Es gibt offensichtlich eine Kluft zwischen unseren feministischen Ideen und unserem Blick auf uns selbst.

Nana: Zusätzlich haben wir die Männer nicht auf unserer Seite, auch wenn wir unsere Solidarität mit Schwarzen Männern zum Ausdruck bringen wollen. Der äthiopische Premierminister, den du gerade erwähnt hast, ist ein Beispiel dafür.

Gerade jetzt ist Solidarität unglaublich wichtig, denn die Welt versinkt im Chaos.

Was wollt ihr jüngeren Generationen von Feminist*innen mitgeben?

Nana: Wir sollten uns nicht allzu sehr auf die antifeministische Bewegung konzentrieren, dürfen sie jedoch auch nicht aus den Augen verlieren. Es muss unbedingt mehr Räume für Feminist*innen geben, in denen wir voneinander lernen, Erfahrungen teilen und einander unterstützen können. Dafür gibt es meines Erachtens nicht genügend finanzielle Unterstützung. Unsere Bewegung ist auch deshalb so gespalten, weil es nicht genügend Raum für Dialog, Zusammenkunft und das Erkennen von Gemeinsamkeiten gibt. Es ist nicht leicht, die nötige Zeit zu finden, um sich zu treffen, zu reden, einander kennenzulernen und Beziehungen aufzubauen. Gerade jetzt ist Solidarität ist unglaublich wichtig, denn die Welt versinkt im Chaos. Aus meiner Sicht finden im Sudan, Kongo und in Palästina Genozide statt, indessen vermeintlich progressive Regierungen sich total antifeministisch verhalten. Sie sagen etwa Israel uneingeschränkte Unterstützung zu und schweigen zu der palästinensischen Forderung nach Freiheit und Selbstbestimmung. Hinzu kommt die Scheinheiligkeit der offen antifeministischen Bewegungen. Etwa ihre Behauptung, Homosexualität sei unafrikanisch, während sie sich gleichzeitig von Evangelikalen aus dem Westen finanzieren lassen. Trotz alledem plädiere ich dafür, dass wir uns auf den Feminismus selbst und die feministischen Bewegungen konzentrieren.

Serawit: Unbedingt! So wie einige sagen, Homosexualität sei unafrikanisch, so wird auch über Feminismus als unafrikanisch gesprochen. Wir müssen ganz genau hinsehen und uns fragen: Wer sind diese Gruppen, die sagen, Feminismus sei unafrikanisch? Inwiefern profitieren sie von einer solchen Aussage? Wie wirkt sich das auf unsere Praktiken aus? Wenn wir die Genealogie des Feminismus in Afrika verstanden haben, sind wir besser gewappnet, die afrikanischen Feminismen in ihrem jeweiligen Kontext zu verteidigen und zu unterstützen. Jüngeren Feminist*innen empfehle ich, sich folgende Frage zu stellen: Was machen die Frauen in eurer Umgebung? Die meisten meiner feministischen Überzeugungen habe ich von meiner Mutter, von den Müttern, die mich aufgezogen haben. Nicht von Judith Butler. In diesem Sinne ist Feminismus nicht westlich. Für mich ist Feminismus das, was meine Mutter und ihre Freundinnen bei meiner Erziehung und der Erziehung einer ganzen Generation gemacht haben, damit wir uns unserer sozialen, politischen, historischen und kulturellen Umgebung bewusst werden konnten. Ich überlege immer, wie sie angesichts der Gewalt gegen Frauen in Äthiopien, Sudan, Kongo und Palästina, und eigentlich fast überall in der Welt, regiert hätten. Ich frage mich, wie ihre Vorstellungen und Träume von Freiheit ausgesehen hätten und was wir von diesen lernen könnten, um dieser ungeheuerlichen Gewalt eine feministische Ethik und Praxis entgegensetzen zu können.

Tausend Dank Euch – für Eure Einblicke und für Eure Arbeit!

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Aus dem Englischen übersetzt von Kathrin Hadeler.

Das Gespräch ist Bestandteil des Dossiers Feminist Voices Connected.