Wird unsere Revolution feministisch?

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Intro

In diesem Artikel wird die feministische Haltung der ukrainischen linken aktivistischen und anarchistischen Bewegungen analysiert. Die Autorin versucht rauszufinden, ob in den de-jure nichtdiskriminierenden ukrainischen Bewegungen Sexismus und Diskriminierung vorkommen und mögliche Ursachen und Folgen der bestehenden Situation in der linken Community festzustellen.

«Unsere Revolution wird feministisch sein» - so ein Transparent wurde von spanischen Feministinnen aufgehängt, als sie sich ans Antiregierungscamp in der Stadtmitte Madrids Anfang Juni 2011 angeschlossen haben. Man könnte sagen, was ist denn selbstverständlicher, als die Solidarität der feministischen und linken Bewegungen. Aber schon nach zwei Wochen mussten die Aktivistinnen dieses Camp verlassen. Es war eine politische Entscheidung, denn im linken Kreis der „Gleichgesinnten“ erlebten sie eine richtige Mauer von sexistischen Stereotypen und Anforderungen. Das Feministische Komitee wurde dazu aufgefordert, für alle zu kochen und zu putzen, im Camp war diskriminierende Rhetorik verbreitet – und nur sehr wenige Aktivisten wollten es reflektieren oder abschaffen.

Es mag traurig klingen, aber die feministische und antidiskriminierende Haltung der linken Bewegungen erweist sich oft als rein formell. Und das ist das Problem nicht nur von Madrid. Deswegen ist es wichtig herauszufinden, ob Sexismus und Diskriminierung im ukrainischen linken Aktivistenmilieu vorkommen, welche Gründe sie haben und wie erfolgreich man sie bekämpfen kann.

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Fabriken den Arbeitern, Feminismus – den Feministinnen?

Es ist relativ klar, warum das patriarchalische System (die Quelle der Frauenausbeutung) und Sexismus als eine Art der Genderdstereotypisierung und Mechanismus der Produktion von der Genderungleichheit der ukrainischen Gesellschaft „von oben“ aktiv aufgedrängt wird: der Kapitalismus, der nur auf Profit gezielt ist, unterstützt sowohl die wirtschaftliche Ungleichheit, als auch die Ungleichheit in den Machbeziehungen der Geschlechter.

Diese Tendenz ist sehr gut nachvollziehbar „von rechts“ – Sexismus, Rassismus, Xenophobie und ihre übliche Aufteilung in höheres „Eigenes“ und niedrigeres „Fremdes“ stärken die wackelige Position der rechts-konservativen Ideologie. Die unterschiedlichen ukrainischen linken, „neuen linken“ und anarchistischen Kreise erkennen die vorhandene Ausbeutung und Diskriminierung der Frauen an und deklarieren ihre Unterstützung der feministischen Ideen sowie den Wert des Kampfes gegen die Erniedrigung und Diskriminierung aller Art. Allerdings bei solcher offiziellen (im Statut) oder inoffiziellen Position bleibt der feministische Kampf „von links“ (sowie der Kampf gegen andere Arten der Diskriminierung) für viele Menschen nach wie vor im Hintergrund.

Am wichtigsten bleibt eine spezifische, an die Gewerkschaft oder Bewegung gebundene „Rolle“ – Schutz der Rechte der Studenten, Arbeiter usw. Die Studentinnen und Arbeiterinnen, die besondere, nicht-männliche Schwierigkeiten und Probleme haben und andere Diskriminierungs- und Ausbeutungsformen erleben können, werden oft aus der Sicht (und der Tätigkeit) der linken Gruppen ausgelassen, obwohl selbst die Rede über die Interessen der Frauen, den Schutz ihrer Rechte und die Arbeit, die Aufmerksamkeit einer größeren Anzahl von Menschen auf die linken Ideen lenken könnten.

Trotz der historischen Zusammenhänge der linken und feministischen Kämpfe bleibt der Feminismus für die linken Kreise eine „abgesonderte“, „fremdartige“ Aktivität. Deswegen werden die feministischen Slogans meistens von der auf mit aufmerksamkeitswirksamen Skandalen ausgerichtete Gruppe Femen oder der kleinen und jungen Gruppe Feministische Offensive vermittelt. Und die Aktivisten beschäftigen sich währenddessen mit den akuten Problemen. Ganz selten, wenn sich der Staat mit den akuten Problemen befasst, die unmittelbar mit der Diskriminierung von Frauen zusammenhängen (z.B. der letzte Entwurf der Rentenreform), wird die feministische Meinung auch akzeptiert. Im „linken Alltag“ aber wird die Frau vergessen – sowohl auf der Ebene der Agitationstexte, als auch auf der Ebene der unmittelbaren Handlung.

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Der sphärische Feminismus im luftleeren Raum

Woran liegt solche Unachtsamkeit? Ich glaube, sie liegt am schwachen feministischen und antixenophoben Bewusstsein der Aktivisten und Aktivistinnen. Die Teilnahme an der Libertätsbewegung fördert oft die Forschung der entsprechenden Literatur und des Ideenkreises. Linke Ideen werden artikuliert und besprochen, über sie wird diskutiert, debattiert und recherchiert. In diesem Kontext scheinen Sexismus und Xenophobie so „simpel“ zu sein, dass sie einfach „zur Kenntnis genommen werden können“, ohne jegliche Reflexion und Analyse. Wir sind es gewohnt, dass Xenophobie und Rassismus immer von den Anderen kommen (von den Ultrarechten, Konservativen usw.). So bleiben die Selbstreflexion und Selbstkritik in Bezug auf Xenophobie und Sexismus der Linken ein Zeichen des schlechten Geschmacks – darüber kann man schon reden, aber üblich ist es gar nicht.

Auch heute bleibt der Feminismus eine terra incognita für viele Menschen – sowohl als Theorie, als auch als Praxis. Das mangelnde Verstehen der ganzen Fülle und Umsetzungsmethoden der feministischen Ideen verwandelt den Feminismus vom starken Kampfinstrument in ein „sphärisches Pferd im luftleeren Raum“ aus dem bekannten Witz1. Deswegen bleiben die Mechanismen der Gegenwirkung und Prävention von Sexismus und Diskriminierung immer noch unentwickelt. Leider ist die Gewalt gegen Frauen auch in linken Kreisen möglich, und wenn ein solcher Fall „hervorschwimmt“, haben die Aktivisten weder ein klares Reaktionsschema, noch Vorstellungen über die Maßnahmen, die solch eine schmähliche Situation künftig vorbeugen sollen.

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Verschiedene Seiten des gleichen Patriarchats

Noch eine Tatsache, die die Kritik „von innen“ unmöglich macht, ist das kollektive Wir, das immer noch männlich bleibt. Es ist bekannt, dass die meisten aktivistischen Gruppen von Männern geformt wurden. In der Ukraine werden Frauen bis jetzt als gute Hausfrauen, und nicht als gute Aktivistinnen erzogen. Aus diesem Grund war das Interesse der Frauen am Grassroots Movement und an Direct Action ziemlich niedrig. Mit der Zeit kommen immer mehr Frauen in den Aktivismus. Aber so, wie sie sind – gewohnt an die patriarchalische Unterdrückung und nicht gewohnt an aktives Handeln, „delegieren“ die Frauen das Treffen der Entscheidungen und die Organisationsarbeit an die Männer. Nur selten äußern Frauen direkte Kritik an ihren Kameraden. Wenn sie sogar bestimmte Ungerechtigkeit zu sich selber oder zu anderen gleichgesinnten Frauen erleben, finden sie diese Ungerechtigkeit nicht so wichtig, so dass man wegen ihr „gegen das Kollektiv“ handeln müsste.

Ich habe einige Aktivistinnen über die Teilnahme von Frauen und Männern am linken Aktivismus befragt. Ihre Kritik war sehr weich; die Respondentinnen neigten zur Selbstviktimisierung. Da muss man nur einige Zitate anführen: „Trotz der allgemeinen antisexistischen Haltung der männlichen Aktivisten bleibt auf der tieferen Ebene eine gewisse Überheblichkeit Frauen gegenüber, die oft aus typisch „weiblichen Benehmen“ motiviert ist. In ihren aktivistischen Aktivitäten kann die Frau das Ziel verfolgen, eigene psychische Komplexe zu befriedigen, Unsicherheit und Verletzungen auszuleben, wodurch ihr Aktivismus zum „Sich-Zur-Schau-Stellen“ wird“. „Den Frauen fehlen manchmal banale Kenntnisse, daher kommen auch Unsicherheit, Unobjektivität und Unwissen, wie man in der einen oder anderen Situation handeln muss. Den männlichen Kollegen, die sich in diesen Bereichen meistens viel besser auskennen, fehlt oft die Geduld, uns etwas zu erklären, zu erzählen“. „Wir teilen uns nicht in Frauen und Männer – jeder handelt nach eigenen Kräften und Möglichkeiten. Jede Initiative wird begrüßt, insbesondere die von den Frauen. Am Anfang, als ich nur zu DA [unabhängige Studentengewerkschaft Direct Action] gekommen war, war es etwas kompliziert, weil es überwiegend eine „männliche Gewerkschaft“ (85% Männer) war. Meine Schwierigkeiten lagen an mangelnden Kenntnissen, nicht ausreichender Erfahrung und einigen Erziehungsmängeln. Nach einiger Zeit aber, als ich an mir ein bisschen gefeilt habe, ging alles besser...“. Die Schuld für die überhebliche Haltung der Männer gegenüber den Frauen wird auf die Frauen verlegt. Auf sie wird auch die Verantwortung für ihre eigene (Nicht)Aktivität verschoben – den Männern fehle die Geduld, deswegen müssen die Frauen „an sich feilen“.

Die Aktivisten selbst geraten in die Grenzposition: zum einen unterstützen sie die feministischen Ideen, zum anderen leiden sie an den Resten der Sozialisation in der ukrainischen patriarchalen Kultur, die sogar bei den „Progressivsten“ unbewusst zum Vorschein kommen. Deswegen werden die Aktivistinnen zur aktiven Handlungen motiviert, in den Treffen und in den Pausen dazwischen kann man aber sexistische Kommentare und diskriminierende Aussagen von den Aktivisten hören. Die Frauen halten immer öfters die Reden in den Demos und Aktionen, aber unter sich können die Aktivisten immer noch Witze darüber machen, dass sich Frauen der Bewegung nur anschließen, um einen Partner zu finden. Im Statut wird der Kampf gegen alle Formen der Diskriminierung deklariert, aber beim Entwerfen der visuellen Symbolik wird die Frau oft als sexuelles Objekt dargestellt. Diese Beispiele belegen genug, dass für die echte Gleichheit eine Umwertung der Identitäten notwendig ist, so dass der „heterosexuelle Mann“ nicht die einzig mögliche und „bessere“ Variante ist. Sonst werden sexistische und xenophobe Stereotypen auch weiter eine versteckte Quelle der Ungleichheit, Diskriminierung und Gewalt bleiben.

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To be continued…?

Für mich klingt die Antwort auf die Frage, ob unsere  Revolution feministisch sein wird, ganz definitiv: ja. In den letzten zwei, drei Jahren war ich Aktivistin und Sympathisantin der Autonomen Arbeitergewerkschaft, der unabhängigen studentischen Gewerkschaft Direct Action, der anarcho-feministischen Initiative fem-aktion, der feministischen Initiative Feministische Offensive und einiger anderer Initiativen und Gruppen. So konnte ich viele Veränderungen im aktivistischen Milieu beobachten. Deshalb will ich glauben, dass weitere Änderungen künftig noch kommen werden. Die Frage ist nur, wie nah  diese Zukunft ist.

Der Kampf gegen jede Form der Diskriminierung ist viel komplizierter im eigenen, privaten Leben und im Kreis der Freunde und Freundinnen voranzutreiben, als in einer abstrakten „Welt“. Aber dieser Kampf ist nicht weniger wichtig als der politische Kampf. Denn genau die linke Community ist das experimentelle Feld, in dem künftige libertäre Gesellschaft geschaffen wird. Wenn die Bewegungen und Gruppen, die Gleichheit und Freiheit zu ihren grundlegenden Zielen erklären, manchmal selbst die Praktiken der Ungleichheit und Diskriminierung schützen und pflegen, was können wir denn dem Rest der Gesellschaft sagen, in dem die Diskriminierung von Frauen in verschiedenen Formen eine Lebensnorm und ein Teil des Alltags ist? Die Offenheit zur Selbstreflexion und Entwicklung, reale Unterstützung aller Unterdrückten und Kampf für ihre Rechte, Anerkennung und wirkliche Akzeptanz der linken, feministischen, antixenophoben Ideen sind einige kleine Schritte in Richtung zu großen Veränderungen. Denn „Wenn alle unfrei sind, ist niemand frei“.

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