Lust auf Vielfalt

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Molecule Man ist eine Skultpur von Jonathan Borofsky und steht in Berlin. Sie soll daran erinnern, "dass sowohl der Mensch als auch die Moleküle in einer Welt der Wahrscheinlichkeit existieren". Vielfalt als Grundlage menschlicher Existenz.
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Molecule Man ist eine Skultpur von Jonathan Borofsky und steht in Berlin. Sie soll daran erinnern, "dass sowohl der Mensch als auch die Moleküle in einer Welt der Wahrscheinlichkeit existieren". Vielfalt als Grundlage menschlicher Existenz.

 

Bericht zur Fachtagung (23.11.2013) des Forum Männer "Homophobie, Sexismus unter Männern und andere Heteroängste".

Aktueller könnten die Bezüge einer Veranstaltung nicht sein: Unter dem Titel “Werden Europas Völker abgeschafft?” fand am 23. November in Leipzig eine “Souveränitätskonferenz” des Magazins Compact statt. Rechtspopulisten und christliche Fundamentalisten wetterten dort gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaften und “totalitäre EU-Gender-Ideen”. Am gleichen Tag trafen sich in Berlin Vertreter einer dialogisch orientierten Männerpolitik, um über “Homophobie, Sexismus unter Männern und andere Heteroängste” zu diskutieren. Eingeladen hatten das Forum Männer in Theorie und Praxis der Geschlechterverhältnisse, das Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung und das Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität.

Ein Anlass für die Tagung waren die Ereignisse in Frankreich, wo es im Frühjahr 2013 wegen eines geplanten Gesetzes zur Homo-Ehe zu Demonstrationen und gewaltsamen Übergriffen gekommen war. “Ist Frankreich auch hier möglich?” fragte einer der Workshops - und beantwortete die Frage mit einem “Ja, aber”. Der Kulturwissenschaftler und Queer-Theoretiker Peter Rehberg, einst Redakteur schwuler Publikationen wie Siegessäule und Männer, derzeit Professor am Department of Germanic Studies an der University of Texas in Austin, bot in seinem Eingangsvortrag erste Erklärungsversuche an. Unter anderem verwies er auf das besondere Erbe der Verfolgung Homosexueller in Nazi-Deutschland, das offene Homophobie stärker tabuisiere. Es sei bezeichnend, dass sich die größten Proteste in Paris seit dem Mai1968 nicht darum gedreht hätten, für Rechte zu streiten, sondern diese zu verweigern - zu Lasten der Schwulen und Lesben. Frankreich sei eine in dieser Frage gespaltene Gesellschaft, während hierzulande eine “Kultur der Zurückhaltung” herrsche. Weder Gegner noch Befürworter der rechtlichen Gleichstellung homosexueller Paare bezögen klare Positionen, die politische Richtung gebe das Bundesverfassungsgericht vor. Die deutsche Regierung verhalte sich “wie die bürgerliche Familie beim Coming-out des Sohnes oder der Tochter: einmal notgedrungen über das Thema reden, um dann nie wieder darüber sprechen zu müssen”.

Rehberg kritisierte eine thematische Verengung der Schwulenbewegung, die Ursache sieht er in der AIDS-Hysterie der 1980er Jahre. In einer Art Vertrag sei danach vereinbart worden, den sexuellen Experimenten abzuschwören und dies gegen die Anerkennung als Minderheit und die Zusicherung bürgerlicher Rechte einzutauschen. Die Tatsache einer “irritierend anderen sexuellen Identität” werde seither verschwiegen und verdrängt. Lesbischer Sex sei interessanterweise “symbolisch anders bewertet”, schwuler Sex die “größere Bedrohung”. Homophobie funktioniert Rehberg zufolge in westlichen Gesellschaften subtiler als in Russland oder den arabischen Ländern. Der “Comedy-Schwule” sei ein Symbol der “Desexualisierung”, sexuelle Praktiken wie der Analverkehr gelten weiterhin als “eklig”. Zugespitzt formulierte Rehberg, in einer Demokratie müsse “allen ein bisschen Ekel zugemutet und ertragen werden”.

Nach praxisorientierten Workshops, in denen es unter anderem um Homophobie in Schule und Sport sowie um Vorurteile gegen Schwule und Transsexuelle ging, diskutierte ein Podium unter dem Motto “Es hört nicht auf!” - gemeint war die Homophobie. Martin Rosowski, Geschäftsführer der Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland, lobte die neue Qualität der Zusammenarbeit im Bundesforum Männer, in dem heterosexuell geprägte Männerorganisationen mit Schwulenverbänden kooperieren. Andreas Goosses, Sprecher des Forum Männer, verwies darauf, dass es in den 1970er und 1980er Jahren deutlich mehr Berührungspunkte gegeben, dann aber eine Auseinanderentwicklung stattgefunden habe. Er identifizierte “Schnittstellen” etwa beim Thema “Mannsein und Identität” und betonte im Schlusswort als Perspektive für die Zukunft die gemeinsame “Lust auf Vielfalt”.

Netzwerk Forum Männer in Theorie und Praxis der Geschlechterverhältnisse
www.forum-maenner.de

 
 

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