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Heiraten nach Sharia-Recht

Hochzeit in Kabul

Ein Seufzer der Erleichterung ist oft die erste Reaktion, wenn man auf das neue Hochzeitsgesetz zu sprechen kommt, das gerade die Runde macht. In den letzten Jahren sind Afghanistans junge Leute immer stärker unter den Druck drastisch ansteigender Ausgaben für Hochzeitsfeiern gekommen. Viele junge Männer verschulden sich hoch, um nicht nur den Braupreis zahlen zu können, sondern auch eine der farbenprächtigen, glitzerden Hochzetshallen anzumieten, Geschenke, Kleider und die Bewirtung von hunderten von Gästen übernehmen zu können.

Eines der Langzeit-Projekte der HBS thematisiert dieses Problem, denn die sozialen Auswirkungen sind gravierend. Eine Studie der Women and Children Legal Research Foundation hat schon vor Jahren auf einen Zusammenhang zwischen steigenden Hochzeitspreisen und häuslicher Gewalt hingewiesen. Der gesellschaftliche und finanzielle Druck auf Bräutigam und Familie bedingen unter anderem, dass man die Braut als Besitz betrachtet – und behandelt. Die hohen Schulden sind eine Bürde für die ganze Familie, und Eltern verheiraten Töchter, um die Hochzeit ihrer Söhne zu finanzieren.

Insofern wird die Initiative, eine Obergrenze für die Ausgaben und die Anzahl der Gäste festzusetzen, von vielen begrüßt. Weniger willkommen ist jedoch der Umstand, dass einmal angefangen, die Regelungswut der Behörden keine Grenzen zu kennen scheint. „Gebräuche und Traditionen abschaffen, die den Prinzipien der heiligen Religion des Islams entgegenstehen,“ ist die erste Zielsetzung, die diesem Gesetz vorangestellt ist. Viele Afghanen sind tiefreligiös, aber mindestens ebenso stolz auf die reichen, über Jahrhunderte gepflegen lokalen Traditionen. Nun will sich der Staat in alte wie neue Gepflogeneheiten einmischen. „Weder zu Hause noch in einer Festhalle,“ heißt es in dem Gesetz, dürften Verlobungen, das erste Haareschneiden eines Kindes, Beschneidungszeremonien, die Rückkehr von der Pilgerreise oder Abschlüsse gefeiert werden.

Hinsichtlich der Ausgaben beschränkt sich das Gesetz nicht auf die Festlegung einer Obergrenze, die nachvollziehbar ware, sondern spezifiziert darüber hinaus, welche Ausgaben worfür getätigt werden können. Ein Hochzeitskleid darf demzufolge nicht mehr als 80 Euro, kosten, und die jeweilige Stadtverwaltung wird angehalten, die Ausgaben für das Essen auf 250 Afs (knapp vier Euro) pro Person inklusive Getränken und Früchten zu beschränken. Essen ist in der afghanischen Kultur wichtig und in der Gastfreundschaft ist es ein Gebot, den Gästen nur das Beste anzubieten. Selbst für eine sparsam geplante Hochzeit im eigenen Hause außerhalb Kabuls beginnen die Schätzungen für ein annehmbares Menü bei 300 Afs pro Person. Welche Qualität das Essen in einer Festhalle bei dieser Einschränkung haben mag, wollen viele lieber nicht schmecken.

Die Paragraphen, die Frauenrechtsaktivistinnen auf die Barrikaden treiben, beziehen sich auf die Kleiderordnung. Zwar schließt das Gesetz gemischte Hochzeitefeiern ohnehin kategorisch aus, aber darüber hinaus soll Frauen nur Kleidung erlaubt sein, die mit der Sharia vereinbar ist. Die Verfasser dieses Gesetzes scheinen allerdings wenig zuversichtlich, dass die Adressatinnen wissen, was gemeint ist, denn sie fahren fort, dies beziehe sich auf „Outfits, die halbnackt, nackt, transparent oder in einer Weise enganliegend sind, dass sie Teile des weiblichen Körpers enthüllen.“ Diese detaillierten Angaben provozieren förmlich die Frage, ob die Nennung von ausschließlich Frauen an dieser Stelle bedeutet, dass Männer das Recht haben, halbnackt oder schllimer zu erscheien – nicht zuletzt, weil an anderer Stelle als Aufgabe des Frauenministeriums hervorgehoben wird, „Menschen und insbesondere Frauen zur Einhaltung dieses Gesetzes aufzufordern.“

Interessanter Weise geht dieses Gesetz – wie auch schon die jüngste Offensive gegen Frauenhäuser – auf eben jenes Ministerium für Frauenangelegenheiten zurück. Statt seine Aufgabe ernstzunehmen, die Rechte der Frauen zu sichern, entscheidt ich das Ministerium für das Gegenteil und erlaubt Taliban-Ideologie, wieder alle Lebenssphären zu durchdringen.

Es ist ein erneuter Vorstoß, sich den konservativen gesellschaftlichen Trends anzubiedern. Befürworter des Gesetzes argumentieren, dass es auf dem Lande viele Gerüchte über die unmoralischen Feiern in den Städten gebe, denen durch dieses Gesetz die Grundlage entzogen werden soll. Statt in der Bevölkerung für Verständnis zu werben, dass nicht jede soziale Norm in ein Gesetz gegossen werden muss, und dass viele der Neuerungen dem Wunsch von Bürgern entsprechen – beispielsweise die Hochzeitsmoden, – üben staatliche Einrichtungen sich in vorauseilendem Gehorsam gegenüber konservativen Trends. Die Gründlichkeit, mit der man sich Marginalitäten widmet, steht in keinem Verhältnis zu den politischen Herausforderungen vor denen Afghanistan steht.  

Frauenrechtsgruppen und –aktivisten befinden sich im Gespräch mit dem Justizministerium, um das Gesetz zu verändern, bevor es ans Kabinett oder Parlament weitergegeben wird. Es wäre allerdings interessant zu sehen, wer in diesen Kreisen diese Gesetzesinitiative unterstützen würde. Kaum eine prominente Familie in Afghanistan gibt sich mit bescheidenen, unspektakulären Feiern zufrieden, und einige betrachten festliche Gelegenheiten jeder Art als gute Gelegenheit zum Netzwerken. Als unlängst eine Abgeordnete die traditionelle „sechste Nacht“ nach der Geburt ihres Kindes feierte, mietete sie dafür das einzige Fünf-Sterne-Hotel in Kabul und erweiterte den üblicherweise familiären Kreis der Geladenen um Minister und Botschafter.

“Gestetzgebung muss in einer Art erfolgen, die erlaubt, Gesetze auch umzusetzen. Wenn es zu in der Praxis nicht handhabbar ist, taugt es nicht. Zweitens birgt ein detailliertes Gesetz mit widersprüchlichen Formulierungen die Gefahr, dass die Judikative der Lächerlichkeit preisgegeben wird,“ konstatiert ein afghanischer Rechtsanwalt. Einer der Punkte, die den meisten Spott hervorrufen dürften, sind die empfindlichen Strafen, die für Beihilfe beim Unterlaufen der neuen Regelungen fällig sein sollen. Schneider, die unangemessene Hochzeitskleider nähen, sollen erst mit einer Geldstrafe, im Wiederholungsfall mit temporärer Schließung ihres Geschäfts und letztlich mit dem Entzug ihres Gewerbescheins bestraft werden. Moralisch unzulässige Hochzeitskleider dürfen nicht mehr verkauft oder vermietet werden. Hier sollen sogar Wirtschaftsministerium und Handelskammer eingeschaltet werden, um die Einfuhr dieses moralischen Gefahrenguts zu verhindern. Solange die afghanischen Bürger sich reellen Bedrohungen durch den Import verunreinigten Treibstoffs, nicht sicherheitsgeprüfter Gasflaschen oder gefälschter Medikamente ausgesetzt sehen, wirkt es wie ein bitterer Witz, wenn der Staat nun ausgerechnet gegen den Import umstrittener Kleider ein hartes Vorgehen fordert (1).

Die Regelungen kommen konservativen Kräften entgegen, doch viele sind überzeugt, dass auch materielle Interessen eine Rolle spielen. Wie es ein Bekannter diplomatisch umschreibt: „In einem Nachbarland hat der Staat einmal festgelegt, es dürfe bei Hochzeiten nur eine einzige Speise aufgetragen werden. Die Polizei hat für die Einhaltung gesorgt, indem sie alle anderen Speisen mitgenommen hat.“  Ein anderer bringt es deutlicher auf den Punkt: „Das öffnet der doppelten Buchführung Tür und Tor, Hotelbesitzer und Regierungsbeauftragte werden sich gegen ein Entgelt sicherlich davon abbringen lassen, zu genau hinzusehen.“

Neben staatlich eingesetzten Kontrolleuren, deren Aufgaben an die Moralwächter unter den Taliban erinnern, sollen die Betreiber der Hochzeitshallen bereits als Handlanger fungieren und unter anderem dafür sorgen, dass keiner der Gäste die Hochzeit filmt. „Normalerweise hätten Leute gerne eine Erinnerung an ihre Hochzeit,“ meint eine Kabuler Bürgerin. „Aber vielleicht möchte man sich bei Einhaltung all dieser Standards später auch nicht so gerne an die Feier erinnern.“





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(1) Ein weiteres Element, dass die Verhältnismäßigkeit zeigt: Militärische Uniformen sind wiederholt von Selbstmordattentätern und anderen Aufständischen genutzt worden, um sich Zugang zu öffentlichen Veranstaltungen und militärischen Einrichtungen zu verschaffen. Obwohl diese Bedrohung bereits lange bekannt ist, hat erst nach dem Angriff auf das afghanische Verteidigungsministerium am 14. April der Sprecher des Innenministeriums, Mr. Bashari, erklärt, dass es Bemühungen gäbe, den “Verkauf von Uniformen und militärischer Ausrüstung auf Märkten” zu unterbinden. Daily Outlook, 25.04.2011

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