Alles aus Liebe? Warum eine Aufwertung sorgender Tätigkeiten längst überfällig ist

Liebe
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Care-Arbeit ist keine reine private Liebesleistung, sondern gesellschaftliche und politische Verpflichtung

Die Zukunft der Arbeit liegt nicht (nur) im Beruf. Das Statistische Bundesamt hat es in seiner Zeitbudgeterhebung aus dem Jahre 2001/2002 auf den Punkt gebracht: Unbezahlte Arbeit – darunter fallen laut Statistischem Bundesamt alle häuslichen Tätigkeiten wie Haushalt, Kinderbetreuung, Pflege älterer Menschen, aber auch bürgerschaftliches Engagement – umfasst weit mehr Zeit als bezahlte Arbeit.

Hier wurde auch deutlich, dass Frauen mit 31 Stunden pro Woche mehr unbezahlte Arbeit leisten als Männer mit 19,5 Stunden pro Woche. Viele der klassischen Ansätze der Frauenpolitik versuchen das Muster umzudrehen und Frauen durch gezielte Förderprogramme in die bezahlte Arbeit zu bringen. Ein anderer Weg ist die Infragestellung, mit der sich der Ansatz der Care Economy befasst. Dieser lautet: Wieso werden häusliche Tätigkeiten eigentlich nicht bewertet und damit sichtbarer gemacht?

Ja, wieso eigentlich nicht? Und welche Möglichkeiten gibt es für die Politik, hier einzugreifen und umzusteuern?

Der meistens verwendete Indikator, um den Wohlstand einer Bevölkerung zu erfassen, ist das Bruttoinlandsprodukt oder auch das Bruttonationaleinkommen. Hierbei werden alle im Land erwirtschafteten Güter – also Waren und Dienstleistungen – erfasst, die innerhalb eines Jahres in einer Volkswirtschaft erwirtschaftet werden. Je nachdem ob hier nur von den Gütern, die im Inland produziert worden sind (BIP), oder zusätzlich auch von den Gütern, die im Ausland produziert worden sind (BNE), gesprochen wird, soll so der Fortschritt einer Gesellschaft bewertet werden.

Innerhalb dieser tradierten Bewertung spielen Privathaushalte als Produktionseinheiten keine Rolle. Sie werden als Konsumeinheiten betrachtet. Dabei wird übersehen, wie viel in den Haushalten aber auch geleistet wird.

In den letzten Jahren reißen die Diskussionen um alternative wirtschaftswissenschaftliche Ansätze nicht ab und finden auch ihren Einzug in die Vorlesungen neoklassischer Ökonomen. Im Bereich der Umweltökonomie wird beispielsweise versucht, Umweltschäden durch den Nutzen, der durch ökonomische Produktion entsteht, „auszugleichen“. Auf internationaler Ebene haben die Vereinten Nationen versucht, mit dem Human Development Index (HDI) ein Instrument zu schaffen, welches außerhalb der klassischen wirtschaftswissenschaftlichen Größen weitere Faktoren einbezieht, die den Entwicklungsstand einer Gesellschaft messen können.

Hierzu gehören beispielsweise Größen wie die Lebenserwartung, Bildung, aber auch die mittlere Anzahl an Schuljahren.

Bislang gibt es nur wenige bekannte Ansätze, welche die klassischen umsorgenden Tätigkeiten in die ökonomische Betrachtung einbeziehen. Über die Gründe haben unter anderem Adelheid Biesecker und Gisela Notz viel geforscht und diskutiert.

Die Tätigkeiten und die geleistete Arbeit in den Privathaushalten ökonomisch zu erfassen, ist sicherlich nicht einfach. Es ergeben sich daraus viele Fragen. So zum Beispiel:

Wie viel Zeit wird im Haushalt benötigt für das Umsorgen der Kinder, aber auch für andere reproduktive Tätigkeiten wie Reinigung und Einkäufe? Einige Kritikerinnen und Kritiker verweisen hier auch auf ein mehr oder weniger ethisches Problem: Müssen alle Tätigkeiten monetär erfasst werden? Muss jeder Tätigkeit ein (ökonomischer) Wert zugeschrieben werden? Und gehören sie nicht einfach zu dem Bekenntnis zu einer Verantwortung füreinander, zu Partnerschaft und zu Familie?

Diese Kritik greift zu kurz. Denn der Vorteil der feministischen Ökonomie mit einem ganzheitlichen Ansatz und der Care Economy ist, dass solche Ansätze endlich die Tätigkeit, die – meist von Frauen – im Haushalt verrichtet wird und bislang immer als selbstverständlich hingenommen wurde, einmal einer tiefergehenden Untersuchung unterzogen wird. Beide helfen dabei auch, wichtige Punkte zu analysieren, in denen Politik tätig werden kann, um zum einen die sorgenden Tätigkeiten aufzuwerten, aber andererseits auch, um die Personen, die solche Tätigkeiten im Haushalt mehr oder weniger unentlohnt verrichten, abzusichern und nicht nur moralisch anzuerkennen.

Wo muss Politik tätig werden?

Auf politischer Ebene haben BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Versuch unternommen, mit dem Green New Deal ein alternatives Modell anzubieten, der neben der ökonomischen Perspektive auch die ökologische und soziale Perspektive erfassen soll. Der Green New Deal kann sicherlich nicht alle Probleme lösen, die es im Bereich der versorgenden Dienstleistungen gibt, dies war und ist auch nicht das primäre Ziel des Green New Deal. Er kann, gerade wenn er mit dem neuen solidarischen Gesellschaftsvertrag zusammen gedacht wird, aber dazu beitragen, soziale Tätigkeiten aufzuwerten und mehr Geld in die Einrichtungen zu bringen, in denen soziale Tätigkeiten klassischerweise ausgeübt werden und so neben den ökologischen Zielen Geld in Bereiche bringen, in welchen überdurchschnittlich Frauen beschäftigt sind. Gleichzeitig kann eine ökonomische Aufwertung bestimmter Bereiche, beispielsweise durch bessere Bezahlung auch eine soziale Aufwertung dieser Tätigkeiten mit sich bringen.

Mit Blick auf die Care Economy muss das ganz konkret heißen:

Wir brauchen mehr Investitionen ins Bildungswesen und den Gesundheitssektor und den qualitativen und quantitativen Ausbau der betreffenden Infrastruktur für Bildung, Erziehung und Pflege. Denn bei vielen Dienstleistungen z.B. in der Pflege und der Frühkindlichen Bildung werden Fachkräfte benötigt. Der drohende bzw. bereits vorhandene Fachkräftemangel in der Alten- und Krankenpflege macht es überdeutlich.

Diese Leistungen können und dürfen nicht länger in die „Privatsphäre“ der Familien gedrängt werden, die einerseits häufig mit der Pflege überfordert sind, andererseits zudem in vielen Fällen für eine qualifizierte Betreuung nicht hinreichend ausgebildet wurden. Es reicht eben nicht die Devise „Satt und sauber“, sondern auch hier ist Fachlichkeit und Professionalität gefragt. Das jahrzehntelang propagierte und auch finanziell subventionierte Modell der so genannten Versorger-Ehe, in der meist die Frauen die Pflege- und Betreuungsarbeit für Familienmitglieder übernahmen, ist längst kein Zukunftsmodell mehr. Zum einen wollen und sollten Frauen sich um eine eigenständige Absicherung kümmern – nicht nur, aber auch weil sie nach der Reform des Unterhaltsrechts nicht mehr auf Unterhalt ihres Ex-Partners zurückgreifen können. Dies gilt in besonderem Maße für Alleinerziehende, die wissen wie notwendig eine gute und qualifizierte Betreuung für eine eigenständige Erwerbssicherung ist. Zum anderen ist auch in vielen Partnerschaften und vielen Familien eine Berufstätigkeit beider Partner schlichtweg unerlässlich, um das Familieneinkommen zu sichern.

Aber natürlich können und sollten nicht alle Sorgearbeiten in den öffentlichen Dienstleistungssektor ausgelagert werden. Das entspricht auch nicht dem Wunsch vieler Menschen, selbst für ihre Angehörigen und FreundInnen da zu sein. Auch hier braucht es eine professionelle Unterstützungsstruktur, die dabei unterstützend wirkt und die Betroffenen vor Überlastung schützt.

Zu nennen sind hier beispielsweise ambulante Dienste und Familienberatungszentren. Gerade hierfür ist es wichtig, die Bedeutung und das „Wertschöpfungpotenzial“ der geleisteten Care-Arbeit zu kennen und anzuerkennen, um zu einer besseren gesellschaftlichen Anerkennung und zu besseren Arbeitsbedingungen zu kommen.

Nach wie vor sind es vor allem Frauen, die maßgeblich in Bereichen der sozialen Berufe tätig sind. Annelie Buntenbach vom Bundsesvorstand des DGB hat es bei der grünen Bundesfrauenkonferenz auf den Punkt gebracht: „Es ist eine Schande, dass in unserer Gesellschaft die Menschen, die wirklich verantwortungsvolle Aufgaben in sozialen, erziehenden und pflegerischen Berufen übernehmen, so unglaublich schlecht bezahlt werden. Da müssen wir gegensteuern und uns natürlich auch die Kriterien bei den Tarifverhandlungen genauer anschauen.“ Berechtigt und überfällig ist auch die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn als Unterschranke, der vor allem den vielen Frauen, die unter prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten, ein Auskommen sichert, von dem sie auch leben können.

Darüber hinaus gibt es einige sozialpolitische Fragen, die noch zu klären sind. Geklärt werden muss, wie die Personen, die innerhalb der Familie lange Zeit umsorgende Tätigkeiten verrichtet haben, abgesichert werden können. In diesem Rahmen müssen wir Maßnahmen entwickeln und schaffen, die eine gerechtere Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen befördern und weit über die so genannte Herdprämie – das Betreuungsgeld – der Bundesregierung hinausgehen.

Hier gilt es auch, die Subentionierung der Ehe in Form des Ehegattensplittings endlich abzuschaffen und auf individuelle Ansprüche umzulenken – gleiches gilt auch im Bereich der Krankenversicherung, beim Aufbau von Rentenansprüchen und bei den sog. Bedarfsgemeinschaften von BezieherInnen von Regelleistungen.

Hier fordern BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deren Abschaffung und die individuelle Anerkennung jeder und jedes Einzelnen, auch was diese Ansprüche auf Hilfeleistungen anbelangt.

Die Chance: Wandel von Rollenbildern

Eine Bewertung von „Care“ kann so letztendlich auch mit einer Aufwertung der versorgenden Tätigkeiten einhergehen und wird perspektivisch dazu beitragen, dass die klassischen Rollenmuster, welche sich innerhalb der Gesellschaft verfestigt haben, aufgebrochen werden. Indem die Sorgearbeit in ihrer Bedeutung bekannt und aufgewertet wird, wird sie gesamtgesellschaftlich attraktiver und somit auch für Männer erstrebenswerter. Denn auch Männer wünschen sich zunehmend neue Wege und Entwicklungsmöglichkeiten, sowohl im Privat- wie auch im Erwerbsleben. Forschung und Politik müssen die sich wandelnden Rollenbilder von Jungen, Männern und Vätern stärker in den Blick nehmen. Dazu gehört ganz zentral eine Arbeitskultur und flexible Ar­beitszeitmodelle, die es Frauen wie Männern möglich machen, z.B. ein Leben mit Kindern und eine erfolgreiche Berufstätigkeit zu vereinbaren. Und nicht zuletzt erhielten dann viele Frauen die Anerkennung, die ihnen zusteht für ihre geleistete, aber nicht bezahlte Tätigkeit, die mit 31 Stunden pro Woche auch fast eine volle Arbeitsstelle umfasst.