Befreiungsbewegungen und Geschlechterkampf

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In Befreiungskämpfen können sich neue Handlungsspielräume für Frauen eröffnen. So nahm die sandinistische Befreiungsorganisation FSLN in Nicaragua ab 1973 vermehrt Frauen in ihre Reihen auf, schließlich waren etwa 30 Prozent der Guerillakämpfer weiblich. Im mexikanischen „Zapatistischen Heer zur nationalen Befreiung“ (EZLN) beträgt der Gesamt-Frauenanteil in allen Positionen rund 47 Prozent.

Die Konfliktsituation führt demnach zumindest teilweise zur Verschiebung von Frauenrollen: von der Versorgerin zur Kämpferin. Im zapatistischen Aufstand verstanden sich Frauen verstärkt als Akteurinnen und brachten ihre Interessen aktiv in den gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozess ein. Sie formulierten eine grundlegende Patriarchatskritik und wollten bei bloß punktuellen Verbesserungen für Frauen nicht stehen bleiben. In der zapatistischen Revolte versuchten die AkteurInnen also, den politischen Kampf mit dem Aufbau friedenssichernder ziviler Strukturen zu verbinden.

Demgegenüber lässt sich am Beispiel Nicaraguas die in Nachkriegsländern häufig feststellbare Tendenz zur Restauration herkömmlicher Geschlechterverhältnisse beobachten: Die Emanzipation der Frauen wurde auf breiter Front zurückgedrängt, ehemalige Kombattantinnen und Frauengruppen wurden gesellschaftlich ausgegrenzt. Um sich die Unterstützung der katholischen Kirche bei seiner Wiederwahl als Präsident im Herbst 2006 zu sichern, ließ der frühere Revolutionskommandant Daniel Ortega ein totales Abtreibungsverbot durch das Parlament beschließen. Im Herbst 2008 ging er mit Hausdurchsuchungen, Verfahren und Rufmordkampagnen gegen die Unabhängige Frauenbewegung Movimiento Autónomo de Mujeres (MAM), das Forschungsinstitut Cinco und AbtreibungsbefürworterInnen vor.

Quellen:
Guiomar Rovira (2002): Mujeres de maíz. Mexico; Millán, Márgara (1996): Las zapatistas de fin del milenio. Hacia políticas de autorepresentación de las mujeres indígenas
taz-Bericht über Nicaragua von Ralf Leonhard vom 18.10.2008