Menschenfeindliche Gardinenpredigten – garantierter Erfolg

Feministischer Zwischenruf

Eine neue Gardinenpredigt ist erschienen, für aktuell unter 20 Euro kann mensch sie im Buchhandel erstehen, und sie arbeitet sich an fast allen Syndromen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ab: Eine Werbeschrift unter anderem für Rassismus, Homophobie und Sexismus hat Akif Pirinçci mit „Deutschland von Sinnen“ gepinselt.

Gewitter
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Eine neue Gardinenpredigt ist erschienen, für aktuell unter 20 Euro kann mensch sie im Buchhandel erstehen, und sie arbeitet sich an fast allen Syndromen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ab: Eine Werbeschrift unter anderem für Rassismus, Homophobie und Sexismus hat Akif Pirinçci mit „Deutschland von Sinnen“ gepinselt

Eine neue Gardinenpredigt ist erschienen, für aktuell unter 20 Euro kann mensch sie im Buchhandel erstehen, und sie arbeitet sich an fast allen Syndromen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ab: Eine Werbeschrift unter anderem für Rassismus, Homophobie und Sexismus hat Akif Pirinçci mit „Deutschland von Sinnen“ gepinselt. Und wie das halt so ist mit Gardinenpredigten, die rassistisch, homophob und sexistisch sind: Es gibt eine große Zielgruppe für derlei Schriften in Deutschland.

Ich stelle mir diese Zielgruppe vor: Sie hat vor einigen Jahren schon das Sarrazin-Buch quasi aus in Buchfilialen aus den Kartons heraus gekauft, hat es in Seidenpapier einschlagen lassen und zum Kaffeeklatsch oder zu Weihnachten verschenkt, hat es nach Hause getragen um es heimelig auf dem Sofa, der Toilette, im Bettchen zu lesen, hat es bestellt und ungelesen in den Schrank gestellt, hat es wenn Besuch anreiste aus dem Bücherregal gezogen und den Gästen markante Stellen, die ihr besonders schlüssig erschienen, unter die Nase gehalten, hat es sich an die Brust gehalten und im Zuge der Reibungswärme gedacht: Endlich, endlich sagt es mal einer.

Heide Oestreich ist Redakteurin der taz, die tageszeitung und betreut dort vor allem die Geschlechter- und Gesellschaftspolitik. 2004 erschien von ihr das Buch "Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam". 2009 wurde sie vom Journalistenverband Berlin Brandenburg für ihre langjährige Berichterstattung über unbewußte Geschlechterklischees mit dem Preis "Der lange Atem" ausgezeichnet.

Nun sagen die immer selben Sachen die immer gleichen Leute nun schon seit Jahren immer wieder: Dass das mit dem Rassismus in Deutschland kein Problem sei, sondern dass dieser nur von den vermeintlich von Rassismus Betroffenen herbei geredet werde. Dass Feminismus nicht in einer Menschenrechtsbewegung wurzele, sondern vielmehr Ausdruck einer Bewegung fehlgeleiteter und feindseliger *Frauen sei. Dass nicht Menschenfeindlichkeit das Problem sei, sondern Tugendterror und Zensur, denn das wollen diese Schreiberlinge, die oftmals heterosexuell und männlich sind, im Panoptikum des Internets beobachtet haben: Dass es eine unbegründete Meinungsdiktatur verwirrter und verirrter Kreaturen gäbe, die nur daran interessiert sei, den rechtschaffenen Menschen der schweigenden Mehrheit die Butter vom Brot zu nehmen und in der Öffentlichkeit sichtbar ihrer diffusen Unterdrückungslust zu frönen.

Aber wie bereits angedeutet: Noch interessanter als die Leute, die derlei Pamphlete schreiben, sind nämlich eigentlich die Konsument*innen, die meinen, in diesen Schriften, die selbstredend fernab strenger theoretischer, methodologischer und methodischer Perspektiven arbeiten, immer wieder le plus nouveau résultat der Wissensarbeit zu finden, und die diesen Meinungsklumpatsch für tatsächliche Empirie halten.

Das sind nämlich die Leute, die das nötige Kleingeld haben, um mal eben knapp 20 Euro für ein Buch auszugeben, das in drei Monaten die meisten schon wieder vergessen haben werden – nämlich dann, wenn das neue  Pirinçci-Werk neben dem alten Sarrazin-Opus und einem halb gelesenen George-Orwell-Band im Buchregal verstaubt. Was wiederum nicht schlimm ist, weil es dann schon wieder neue Bücher geben wird, die den Islam mit Faschismus, Feminismus mit Kannibalismus und  Homophobie mit irgendeinem ist-aber-auch-gut-so in Verbindung bringen.

Auf der einen Seite gibt es die oft verhassten „Gutmenschen“. Auf der anderen Seite gibt es als Pendant aber auch die bürgerlichen Gutverdiener-Moralist*innen, für die Solidarisierung (vor allem in Richtung diffuses „Unten“) solch eine Horrorvorstellung ist, dass schnappatmend alle paar Lenze doch lieber irgendein neues schlechtes Buch gekauft wird – in der Hoffnung, irgendein neuer Messias würde es schon richten. Für diese Leute sind 20 Euro auch nicht viel Geld, wenn es darum geht, den kurzen Moment der Erleichterung zu verspüren, wenn irgendein Hans Dampf sagt, dass es für das eigene Überleben unabdinglich ist, Entsolidarisierungstendenzen zu befeuern, Missstände (wie beispielsweise Armut) zu dethematisieren oder soziale Widersprüche weiter zu ethnitisieren und/oder zu biologisieren.

Und deswegen ist Akif Pirinçcis Buch-Erfolg zwar ärgerlich und höchst bedenklich, als psycho-soziales Dokument deutscher (oder: eingedeutschter) Hegemonie jedoch auch wieder ein aufschlussreiches Barometer:  Nämlich für den festzustellenden Sachverhalt, dass eine Verbindung von Solidarisierung und Widerstand in einer Gesellschaft (die unter anderem auch durch die Hartz-IV-Reformen in den letzten Jahren an immer mehr Verrohung gewöhnt wurde) im Moment immer weniger realistisch scheint, und jegliche (auch gemäßigte) Gegengewichte zu diversen gefährlichen Tendenzen fast immer schon zum Scheitern verurteilt sind. Das, was Pirinçci schreibt, denkt die bürgerliche Mehrheit. Und damit wir das wissen ist es nicht notwendig, dass sie irgendwann aufhört zu schweigen: Es reicht, wenn sie weiterhin fleißig das Buch kauft. Und jede andere rassistische, sexistische und homophobe Gardinenpredigt, die in den nächsten Jahren noch erscheinen wird.