Angriffe auf die Geschlechterforschung. Von wem und warum?

Prof. Dr. Ilse Lenz auf der Gegner*innenaufklärung
Teaser Bild Untertitel
Prof. Dr. Ilse Lenz auf der Gegner*innenaufklärung

Am 31.05.2016 fand die Tagung des Gunda-Werner-Instituts “Gegner*innenaufklärung – Informationen und Analysen zu Anti-Feminismus” statt. Im Rahmen der Veranstaltung wurden mehrere Tagungsberichte von Stipendiat_innen der Heinrich-Böll-Stiftung verfasst. Eine PDF dieses Berichts findet sich hier.

Das Panel Angriffe auf die Geschlechterforschung. Von wem und warum? wurde von Andreas Heilmann moderiert und von Prof. Dr. em. Ilse Lenz inhaltlich geleitet. Ilse Lenz ist Professorin für Soziologie mit den Schwerpunkten Soziale Ungleichheit und Geschlechterforschung. In letzter Zeit hat sie zu wechselwirkenden Ungleichheiten (Geschlecht/Migration), Geschlecht und Globalisierung, Männlichkeitenpolitik und Frauenbewegungen veröffentlicht und eine inzwischen klassische Quellensammlung zur Neuen Frauenbewegungen in Deutschland herausgegeben (http://www.springer.com/de/book/9783531174365).

Nachdem Andreas Heilmann inhaltlich in die Thematik der zunehmenden Angriffe auf Vertreter*innen der Geschlechterforschung einführte, folgte Ilse Lenz mit einem Impulsvortrag. Daran anschließend konnten die Teilnehmenden konkrete Fragen stellen und den Vortrag kommentieren, bevor zur Diskussion im Plenum über mögliche Strategien im Umgang mit den Gegner*innen der Geschlechterforschung übergegangen wurde.

Zunächst wies Ilse Lenz auf den Unterschied zwischen Anti-Feminismus, Geschlechterkonservativismus und Kritik an der Geschlechterforschung hin. Der Antifeminismus richtet sich gegen Feminismus, gegen öffentliche Macht von Frauen (Politikerinnen, Richterinnen usw.) und Gendergleichheit generell und fordert die Abschaffung der Geschlechterforschung. Er verwendet häufig Hasssprache mit abwertenden und diffamierenden Aussagen und teils auch Drohungen (bis zu Mord und Vergewaltigung) gegen Feminist*innen. Der Geschlechtskonservativismus tritt für das Ernährer-/Hausfrauenmodell und die ungleiche geschlechtliche Arbeitsteilung ein und begründet das mit einem biologistischen Geschlechterdualismus. Aber er erkennt Frauen durchaus an und ist wegen seiner wertkonservativen Grundlage für Vorstellungen von Gleichheit und Differenz offen. Hiervon wiederum muss man Kritik an der Geschlechterforschung unterscheiden, die wichtig und weiterführend ist und mit der sich die Geschlechterforschung auseinandersetzen muss.

Anti-Feminismus zeichnet sich durch pauschale Angriffe auf die Geschlechterforschung aus, wobei er sich mit deren Theorien, Methoden und Ergebnisse meist nicht inhaltlich auseinander setzt. Vielmehr wird dieser apodiktisch die Wissenschaftlichkeit abgesprochen, da sie politisch, nicht aber wissenschaftlich motiviert sei. Ziel des Anti-Feminismus ist es, die Definitionsmacht über Begriffe zu erreichen und die wissenschaftliche Analyse von Geschlecht auszuschalten.

Ilse Lenz unterscheidet zwischen vier anti-feministischen Akteursgruppen: Teile der anti-feministischen Männerrechtsbewegung fordern die Abschaffung der Geschlechterforschung u.a. mit apodiktischen Vorwürfen der Ideologie und Unwissenschaftlichkeit, der Verschwendung von Steuergeldern sowie der Einseitigkeit der Geschlechterforschung, da sie nur von Frauen betrieben werde.

Eine weitere Akteursgruppe bilden die Anti-Feminist*innen in den Medien. Beispiele sind die ultrareligiöse Autorin Birgit Kelle, die in ihrem Buch Gendergaga der Geschlechterforschung eine vermeintliche Beliebigkeit von Geschlechtern unterstellt, oder Akif Pirincci, der sexistische und rassistische Aussagen zu Geschlecht und Migration tätigt und das Geschlecht als biologischen Zwangskäfig sieht, den es gegen Verschwulung und Männlichkeitsverlust zu verteidigen gelte.

In den Kreis der Anti-Feminist*innen reihen sich zudem die ultrareligiösen christlichen Kreise ein, welche die Sexualaufklärung und Gender-Mainstreaming als Förderung von Perversion oder gar sexuellem Missbrauch angreifen; sie ignorieren, dass Geschlechterforschung und Feminismus als erstes den sexuellen Missbrauch thematisierten und angriffen.

Festzustellen ist, dass die Angriffe auf die Geschlechterforschung mehrheitlich von außerhalb der Wissenschaft kommen. Ausnahme bilden hier Evolutionsbiologen wie Werner Kutschera, welcher Feminismus und Kreationismus aufgrund ihrer angeblichen Irrationalität und Ideologie gleichsetzt.

Die AfD ist als politische Partei ein neuartiger anti-feministischer Akteur. In ihrem Grundsatzprogramm fordert sie die Abschaffung der Genderforschung, das Einstellen der finanziellen Unterstützung für Genderforschungsprojekte sowie die Abschaffung entsprechender Professuren. Begründet wird die Forderung damit, dass die Genderforschung den Anspruch seriöser Forschung nicht erfüllen würde. Ebenfalls gefordert wird ein Stopp von Quotenregelungen. Die AfD stellt sich in ihrem Programm gegen die Abtreibung und reproduktive Rechte und betont die Bedeutung der traditionellen Rolle der Familie als Leitbild der Gesellschaft zu deren Förderung die Rolle der Hausfrau gestärkt werden solle.

Die Forderung nach Abschaffung der Geschlechterforschung im Parteiprogramm der AfD wendet sich gegen die Verfassungsprinzipien der Freiheit der Forschung und Lehre und das in der Verfassung verankerte Staatsziel der Gleichstellung der Geschlechter.

In der AfD lassen sich mehrere anti-feministische Strömungen erkennen. Neben den neoliberalen und ultrareligiösen Kreisen um Beatrix von Storch existieren rechtspopulistische Strömungen um den Pforzheimer Kreis und die Junge Alternative sowie die neue völkische Rechte um Björn Höcke und die Identitären.

Ilse Lenz weist daraufhin, dass die Mehrheit der Institutionen wie Parteien, Verbände und Stiftungen den Diskurs der AfD ablehnen und die Führungsebenen der Wissenschaft sich mehrheitlich solidarisch mit der angegriffenen Geschlechterforschung zeigten.

Die Angriffe auf die Geschlechterforschung, welche mehrheitlich von außerhalb der Wissenschaft kommen, können sich zu einem Angriff auf die Geisteswissenschaften insgesamt entwickeln. Deswegen sind interdisziplinäre Vernetzungen wichtig. Zudem sind der Dialog zwischen Geschlechterforschung und Geschlechterpolitik sowie die Förderung von Austausch und Diskussion mit den wissenschaftlichen Führungsebenen, den Studierenden und Kolleg*innen wesentlich Bei Gewaltdrohungen gegenüber und schweren Beleidigungen von GeschlechterforscherInnen kann zudem der juristische Weg über eine Klage erfolgreich sein, der aber eher defensiv ist.

Demgegenüber ist eine weiterführende Strategie, dass die Geschlechterforschung ihre Bedeutung in der Wissenschaft wie auch in der Öffentlichkeit belegt und beweist. Sie bringt z.B. wesentliche Ergebnisse für die drängenden Fragen der gegenwärtigen Modernisierung: Wer leistet die Versorgungsarbeit, wie sind neue flexible Formen der Sicherung jenseits des Ernährer-/Hausfrauenmodell zu konzipieren, wie sind Demokratie und soziale Rechte in der Globalisierung fortzuentwickeln? So können der vereinfachten Rhetorik der Gegner*innen die differenzierten Ansätze der Geschlechterforschung entgegengesetzt werden.

In der an den Vortrag anschließenden Diskussion unterschied Ilse Lenz auf Nachfrage noch einmal zwischen Kritik an der Geschlechterforschung und anti-feministischen Angriffen auf diese. Kritik setzt eine inhaltliche Auseinandersetzung mit und ein zumindest elementare Kenntnis des kritisierten Ansatzes voraus. Mit Kritik muss sich die Geschlechterforschung, wie jede andere Wissenschaft, auseinandersetzen. Hiervon unterscheiden sich Angriffe, welche apodiktisch und generalisierend Unwissenschaftlichkeit und Ideologie vorwerfen.

Ebenfalls auf Nachfrage differenziert sie genauer zwischen Anti-Feminismus und Geschlechterkonservativismus, da auch Letzteres durchaus als anti-feministisch gesehen werden kann. Während Anti-Feminismus einen Angriff auf Feminismus und Frauen in öffentlichen Positionen bedeutet, basiert der Geschlechterkonservatismus auf bestimmten Wertschätzungen und - zum Teil positiven – Wahrnehmungen der Frau.

Auf die Frage, inwieweit eine Nähe und Anschlussfähigkeit zwischen der AfD und der CDU/CSU besteht, wies Prof. Dr. Lenz darauf hin, dass die anfänglichen Angriffe auf die Geschlechterpolitik seitens des männerzentriertem Anti-Feminismus wenig Resonanz fanden. Seitdem fordern nun auch ultrareligiöse Kreise und die AfD die Abschaffung der Geschlechterforschung. Der aktuelle anti-feministische Diskurs steht somit auf einer breiteren Basis und ist daher auch anschlussfähiger. Dabei ist wichtig, wie sich die Parteien insbesondere zur AfD verhalten: Bisher lehnen sie offiziell ab und es wird zu sehen sein, ob die demokratische Mitte hält.

In der Diskussion über weitere Strategien wurde seitens der Teilnehmenden darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, die hinter den Forderungen der AfD stehenden Bedürfnisse, wie eine Sehnsucht nach Familie und Partnerschaft, zu verstehen und auf sie angemessen zu reagieren, da hierin die Parteien bisher versagt hatten und die AfD dieses Vakuum somit hatte füllen können.

Abschließend betonte Ilse Lenz die Notwendigkeit, dass die Geschlechterforschung Bündnisse innerhalb der Wissenschaft, mit der Praxis und der Politik schließen und dabei ihre Inhalte differenziert vertreten sollte.