Die ausgesperrte Mutter. Der Mutterschutz schützt vor allem die Betriebe

Feministischer Zwischenruf

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend plant eine Reform des Mutterschutzgesetzes. Es soll zeitgemäßer, verständlicher und europarechtlich auf den neuesten Stand gebracht werden. Doch geht es in dem Entwurf tatsächlich um die Mütter*?

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Schutz wird zur Aussperrung, während das Beschäftigungsverbot im Arbeitsschutz das letzte Mittel ist, ist es im Mutterschutz „Mittel der Wahl“.

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend plant eine Reform des Mutterschutzgesetzes. Es soll zeitgemäßer, verständlicher und europarechtlich auf den neuesten Stand gebracht werden. Das Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter gibt es seit 1952, es ist in den Jahrzehnten seines Bestehens in der Struktur weitgehend gleichgeblieben. Es dient dem Schutz werdender und stillender Mütter in der Arbeitswelt. Eine Reform ist dringend notwendig, denn „Mutterschutz“ sollte heute diskriminierungsfrei gestaltet werden, also das Selbstbestimmungsrecht von Schwangeren* (nicht nur Frauen im Rechtssinne können schwanger werden und Kinder gebären, insofern wäre auch der Titel Mutterschutzgesetz und die Terminologie  zu überdenken), den Gesundheitsschutz und die berufliche Integration von Müttern gleichermaßen in den Blick nehmen.

Prof. Dr. Maria Wersig ist Juristin und Politikwissenschaftlerin. Sie unterrichtet Sozialrecht an der Fachhochschule Dortmund und forscht und publiziert zu sozial- und geschlechterpolitischen Themen und den Schnittstellen von Sozial- und Familienrecht. Sie ist Mitglied des Bundesvorstands des Deutschen Juristinnenbundes.

 

Nicht zu arbeiten, ist kein Angebot

Der Gesundheitsschutz vor und nach der Geburt, so eine aktuelle Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbundes, sollte nicht wie eine Sollbruchstelle im Leben wirken. Der Verband und andere Verbände (zum Beispiel der Deutsche Ärztinnenbund) thematisieren eine problematische Praxis in Betrieben und Unternehmen, die zu häufig Beschäftigungsverbote für Schwangere zum Mittel der Wahl macht. Schutz während der Schwangerschaft bedeutet demnach immer noch zu häufig Zuhausebleiben und Nicht-Arbeiten, ohne Einbeziehung anderer Möglichkeiten der gesundheitsgerechten Gestaltung der Arbeit im Dialog mit den Schwangeren. Die Verbände sprechen sich gegenüber dem zuständigen Ministerium für einen zeitgemäßen Mutterschutz aus, der Schutz, Selbstbestimmung und Freiheit von Diskriminierung vereint.

Tatsächlich werden ärztliche Beschäftigungsverbote während der Schwangerschaft öfter und häufiger ausgestellt, seit im Jahr 2006 das Umlageverfahren für die Entlastung der Arbeitgeber von der Entgeltfortzahlung für die Zeit der Beschäftigungsverbote gilt. Damit hinkt das so kritisierte Leitbild des Mutterschutzgesetzes den Gedanken der menschengerechten Gestaltung der Arbeit hinterher – auch im sonstigen betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz geht es um Prävention von Gesundheitsrisiken und die bedürfnisgerechte Ausgestaltung des Arbeitsplatzes, nicht unbedingt um den Schutz vor der Arbeit. Insofern sollte es nicht in erster Linie um Beschäftigungsverbote gehen, sondern um die Auseinandersetzung mit den Lebenslagen Schwangerschaft und Stillzeit als ganz normaler Teil des betrieblichen Arbeitsschutzes. Das, so die Kritik, findet aber nicht ausreichend statt und ist auch strukturell nicht vorgesehen. Schutz wird so zur Aussperrung, während das Beschäftigungsverbot im Arbeitsschutz das letzte Mittel ist, ist es im Mutterschutz „Mittel der Wahl“.

So kritisiert der Deutsche Ärztinnenbund pauschale Beschäftigungsverbote für Ärztinnen, weil diese dadurch gezwungen sind, ihre Schwangerschaft dem Arbeitgeber zu verschweigen oder aus dem Beruf für längere Zeiten ausgeschlossen werden (mit den Folgen einer Verlängerung ihrer ärztlichen Ausbildungszeiten und entsprechenden Nachteilen im Beruf). Zu wenig werde im Einvernehmen mit der Schwangeren geprüft, wie der Arbeitsplatz im Sinne des Gesundheitsschutzes und einer Fortführung der ärztlichen Tätigkeit ausgestaltet werden könne.

Natürlich können Beschäftigungsverbote auch im Sinne der Schwangeren sein. Aus der Praxis werden aber beispielsweise Fälle berichtet, in denen Arbeitgeber bereits das Formular zum Ausstellen eines individuellen Beschäftigungsverbots der Arbeitnehmerin übergeben und sie bitten, ihr Arzt möge es unterschreiben. Niemand stellt den bezahlten Mutterschutz in Frage – es geht um Konzepte und Strukturen, die verhindern, dass Schutz zu Benachteiligung wird.

Schutzlos schwanger in Studium, Schule, Selbständigkeit – Verbote für Sexarbeit

Die Integration von Selbständigen, Schülerinnen und Studentinnen in den Mutterschutz geht nur schleppend voran. Während zumindest Schülerinnen und Studentinnen in einem früheren Entwurf Erwähnung fanden, dann aber wieder gestrichen wurden, ist das selbstständige Arbeiten leider gänzlich außerhalb des Radars des Mutterschutzes. Gleichzeitig hat das BMFSFJ aber mit dem Prostituiertenschutzgesetz einen Gesetzentwurf durch das Kabinett gebracht, der schwangeren Sexarbeiterinnen (die in der Regel keine Arbeitnehmerinnen, sondern selbständig tätig sind) sechs Wochen vor der Geburt das Anmelden ihrer Tätigkeit verbietet, beziehungsweise den Behörden das Ausstellen der für die Prostitutionsausübung künftig erforderlichen Anmeldebestätigung. Dahinter steht der Gedanke, die schwangere Person möge sich doch anderen Dingen widmen als der Prostitution, wenn der Entwurf auch nicht so weit geht, ihr das ausdrücklich zu verbieten. Niemand wird sich politisch gegen diesen Vorschlag wenden, um sich nicht dem naheliegenden Vorwurf auszusetzen, Hochschwangere in die Prostitution treiben zu wollen.

Bequem und billig

Nach all dem liegt die Frage nahe, um wessen Schutz es eigentlich geht. Das fürsorglich-aussperrende Modell ist letztlich damit zu erklären, dass die Interessen von Schwangeren immer noch zu geringgeschätzt werden, weil die „Gefäß“-Theorie (der schwangere Körper als Gefäß für das „werdende Leben“) noch immer dominiert. Auch in der Abtreibungsfrage wurde ein Gegensatz zwischen Schwangerer und Embryo konstruiert, um diese vermeintlich gegenteiligen Interessen gegeneinander in Stellung zu bringen und zu dem Schluss zu kommen, dass die Interessen der Schwangeren leider zurücktreten müssen. Mit dieser Argumentation gelangte das Bundesverfassungsgericht dazu, der Schwangeren eine  Austragungspflicht aufzuerlegen. Heute ebenfalls populäre Diskursen über akzeptables Verhalten in der Schwangerschaft (Stichworte Rauchen, Alkohol) und die kleingeschriebene Selbstbestimmung knüpfen hier an.

Zurück zum Mutterschutz. Wenn Verzicht auf Arbeit in Form des Beschäftigungsverbotes normal, kostengünstig und bequem ist, als generell und regelmäßig gut für Schwangere und stillende Mütter betrachtet wird, so lange muss sich in der Arbeitswelt gar nichts ändern und das Thema bleibt ein Frauenthema und ein Frauenproblem.


Der Deutsche Frauenrat hat eine Übersicht zusammengestellt der Stellungnahmen verschiedener Verbände zum aktuellen Referenten-Entwurf zum Mutterschutzgesetz