Transgender-Aktivistin Cléo ist nach Tunesien geflohen

Reisepass
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Von Benin nach Tunesien.

Die aus Benin stammende Cléo hat wegen ihrer Transsexualität und ihres Engagements für die Rechte der LGBT die Heimat verlassen. Seit ein paar Jahren lebt sie in Tunesien, wo ihr kürzlich der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Sie erzählt uns von ihrem Leben und ihrem Kampf.

Cléo ist eine große, elegante Frau. Sie lächelt und stellt sich mit ruhigen, wohlüberlegten Worten vor: „Ich heiße Cléo, bin 28 Jahre alt und komme aus Benin. Ich lebe jetzt im vierten Jahr in Tunesien und habe vor sechs Monaten den Flüchtlingsstatus erhalten, weil ich transsexuell bin.“ Der Reisepass von Cléo ist gespickt mit Ein- und Ausreisestempeln und kündet von ihrem chaotischen Lebensweg.

Überstürzter Aufbruch aus Abidjan

Nach und nach erzählt Cléo uns ihre Geschichte. Schon früh fühlt sie sich verkehrt mit dem Etikett des Jungen, das ihr per Geburt zugewiesen wurde. Als Kind weigert sie sich, Jungenkleidung anzuziehen. In ihrer Jugend, die sie in der Elfenbeinküste verbringt, wird sie als „viel zu weiblicher Teenager“ wahrgenommen. Ihr Vater, bei dem sie damals lebt, kritisiert ständig ihr Verhalten. In ihrer Schule, die ausschließlich von Jungen besucht wird, ist die Situation ebenfalls schwierig.

„Die Leute wussten nicht recht, ob ich ein Junge oder ein Mädchen bin, weil ich ziemlich androgyn aussah“, erklärt sie. „Ich hatte keine Freunde außer zwei oder drei schwulen Jungen, und ich habe viel Ablehnung erfahren.“ Immerzu muss Cléo Beleidigungen über sich ergehen lassen. Einmal werden sie und einer ihrer Freunde von fast der gesamten Schülerschaft erwartet, als sie die Schule betreten. „Sie haben gegen die Wände und auf die Tische getrommelt und ‚Schwuchteln! Schwuchteln! gerufen.“

Trotz all der Hänseleien beginnt Cléo, sich in ihrer Schule für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender (LGBT) zu engagieren, und organisiert Diskussionsveranstaltungen. „Ich habe mich in meinem letzten Schuljahr zu meiner Transsexualität bekannt“, erinnert sie sich, „und habe auch Unterstützung gefunden. Andere Schüler fühlten sich sogar ebenfalls ermutigt, ihre Homosexualität zu offenbaren.“ Als der Vater von Cléos sexueller Orientierung erfährt, jagt er sie aus dem Haus. Niemand aus der Familie will sie aufnehmen. Für fast ein Jahr kommt sie bei einem „großen Freund“ unter, der ihr auch hilft, mehr schlecht als recht das Abitur zu bestehen. „Am Ende des Jahres hat meine Mutter entschieden, dass es für mich besser wäre, zu ihr nach Benin zu kommen, damit sie mich beschützen kann.“ 2010 verlässt Cléo Abidjan.

 

Für ihre Modekreationen zeichnet Cléo ein paar Entwürfe auf ein Brett und hängt es in ihr Atelier.

Ein „denkwürdiges“ Coming-out

Bei ihrer Mutter kommt es zu einem Coming-out, das Cléo als „denkwürdig“ bezeichnet. Sie erinnert sich, dass ihre Mutter eines Abends in ihr Zimmer kam und verkündete: „Hör zu, ich möchte wissen, ob du schwul bist. Wenn du es bist, ist es mir lieber, es von dir zu hören, bevor ich es von anderen erfahre. Ich weiß dann, wie ich dich schützen kann.“
Cléo traut sich zunächst nicht, ihr die Wahrheit zu sagen. „Ich war darauf eingestellt, dass sie mich auch rausschmeißt“, erzählt sie. „Aber schließlich habe ich beschlossen, mit ihr zu reden, damit sie ein für allemal Bescheid weiß.“ So geht sie eine halbe Stunde später zu ihrer Mutter und sagt ihr, nein, sie sei nicht „homosexuell“.

„Eigentlich mag ich Jungen und fühle mich wohler in einem Kleid.“ Etwas gerührt wiederholt die junge Frau die Antwort ihrer Mutter: „Weißt du, auch ich mag Jungen und trage gern Kleider.“

„So leicht war mein Coming-out“, sagt Cléo lächelnd. „Ich habe mich gut und sehr erleichtert gefühlt, auch wenn es in den folgenden Wochen ein gewisses Unbehagen gab. Wir wussten nicht recht, wie wir uns anschauen und miteinander sprechen  sollten.“
Ihre Mutter macht wieder den ersten Schritt und gibt Cléo  vorsichtig zu verstehen, dass sie „sich als Mädchen anziehen“ kann, wenn sie es möchte. „Wir haben miteinander geredet und sie hat mir gesagt, dass sie schon, als ich noch ganz klein war, die Vermutung hatte, dass ich transsexuell bin. Sie hat mir zum Beispiel erzählt, dass ich keine Jungensachen tragen wollte und dass sie mir Zöpfe geflochten hat.“  
 

 

Cléo konnte aus Benin nur ihren Personalausweis und ihren Reisepass mitnehmen

Ein Leben als Aktivistin in Benin

Durch ihre Mutter, die älteste Tochter einer „ziemlich bekannten Adelsfamilie“, ist Cléo einigermaßen geschützt. „Ich konnte lange in Benin bleiben, ohne irgendetwas befürchten zu müssen, weil ich in gewisser Weise 'unberührbar' war.“ Cléo beginnt, sich in kleinen, im Verborgenen agierenden Organisationen für die Rechte der LGBT einzusetzen. Wie in Tunesien sind „manche von ihnen bei der Präfektur angemeldet, aber mit einer anderen Zielsetzung als die Verteidigung der LGBT-Rechte“, erklärt sie, „beispielsweise zur Aids-Prävention oder dem Schutz gegen Geschlechtskrankheiten.“

Eines Tages trifft Cléo die Beraterin des französischen Botschafters. Sie hilft ihr, in der Botschaft eine Plattform für Organisationen einzurichten, die gegen Homophobie kämpfen. Dies schafft die Möglichkeit, dass sich homo- und transsexuelle Menschen zusammenfinden und Aktionen planen. So wird etwa beschlossen, dass Aktivist/innen zu einem Treffen von religiösen Würdenträgern, Minister/innen und Journalist/innen aus Benin gehen, um dort die rechtliche Situation der LGBT anzusprechen, ein Thema, das Cléo als „Tabu“ bezeichnet. Die Aktivist/innen organisieren Diskussionen und Tage der offenen Tür. „Leider hat die Unterstützung der französischen Botschaft uns letztlich eher geschadet. Dadurch ist der Eindruck entstanden, die LGBT-Rechte seien aus Europa importiert und würden Benin aufgezwungen“, beklagt die junge Frau.

Durch all die Aktionen wird Cléo zu einer Aktivistin in vorderster Front. Sie spricht offen über Transsexualität und hat keine Scheu, die Fragen zu beantworten, die sich die Leute zu dem Thema stellen. Sich zu engagieren tut ihr gut und gibt ihr das Gefühl, wirklich etwas für ihre Community zu tun. „Die Tatsache, dass meine Mutter mich uneingeschränkt geschützt und unterstützt hat, gab mir den Antrieb, mich öffentlich zu äußern“, sagt sie. „Sie hat sogar versucht, eine Organisation von Eltern trans- und homosexueller Kinder zu gründen, aber das war leider ein großer Flop.“

"In einem Land wie Benin transsexuell zu sein, ist gefährlich. Cléo erhält Drohungen und muss fürchten, bei der Polizei denunziert zu werden und in die gleiche Situation zu geraten wie andere Transsexuelle, „die nackt in aller Öffentlichkeit gefilmt wurden, manchmal von Journalist/innen für irgendeine Skandal-Rubrik.“

Die Aktivistin wurde auch Opfer körperlicher und psychischer Gewalt. Einer ihrer Onkel mütterlicherseits sperrte sie drei Tage in eine Kirche, ohne Essen und Trinken. Dieses erzwungene Fasten hatte zum Ziel, ihr „das abgrundtief Böse auszutreiben“. Nur der Protest ihrer Mutter, die durch ihre Stellung als Älteste Macht besitzt, kann sie aus der Gefangenschaft befreien. Einige Wochen später wird sie erneut eingesperrt, diesmal im Haus ihres Onkels. „Ich konnte nicht mehr zur Universität gehen und sie haben mir meinen Computer und mein Telefon weggenommen“, erzählt sie. „Manchmal kam mein Onkel oder ein Pfarrer, um mit mir zu reden und mir zu sagen, dass das, was ich mache, widernatürlich sei und dass ich das meiner Mutter nicht antun dürfe, weil sie doch keinen anderen Sohn habe.“ Cléo bleibt fast einen Monat eingesperrt.

Die junge Frau bangt zunehmend um ihre Sicherheit. „Eines Tages erhielt ich eine Vorladung von der Polizei, die mich der Unzucht bezichtigte. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.“ Dieses Delikt wird mit mehreren Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe geahndet. Cléos Mutter gelangt nun zu der Einschätzung, dass der Benin für ihre Tochter kein sicherer Ort mehr ist und die Bekanntheit ihrer Familie sie nicht mehr ausreichend zu schützen vermag. Sie beschließen, das Land zu verlassen.

 

Auf jeder Seite von Cléos Reisepass prangt in Großbuchstaben das Wort „départ“ (Ausreise

Die Flucht

Hals über Kopf und ohne jemanden einzuweihen, verlässt Cléo in einer Nacht zusammen mit ihrer Mutter das Land. Die ganze Reise legen sie im Bus zurück, denn sie können nicht das Flugzeug nehmen. Cléos Vater arbeitet „im Luftverkehr“ und hätte informiert werden können, erklärt sie. „Er wäre sofort über meine Ausreise auf dem Laufenden gewesen. Und er hätte mich wissen lassen, dass er mich 'kaltmacht', wenn er mich erwischt, um zu verhindern, dass ich Schande über die Familie bringe.“ So durchqueren Mutter und Tochter Togo, Ghana und gelangen schließlich in die Elfenbeinküste. Dort wollen sie sich fürs Erste niederlassen. Die Reise dauert nur zwei Tage, aber Cléo ist am Ende. „Ich hatte Angst und war völlig gestresst“, gesteht sie.

„In der Eile konnte ich so gut wie nichts mitnehmen. Ich bin nicht materialistisch, aber ich hatte wirklich das Gefühl, alles zurückzulassen.“

Trotz allem kann sie heute über manche Anekdote lachen. Zum Beispiel über jenen Zollbeamten an der Grenze zwischen Benin und Togo, dem es nicht gelingt, das Geschlecht von Cléo zu bestimmen. „Er war völlig verwirrt, denn er hatte den Eindruck, dass ich eine Frau bin, aber mein Pass wies mich als Mann aus. Er hat mich eine halbe Stunde festgehalten, hat alle seine Kollegen nach ihrer Meinung gefragt und zum Schluss nannte er mich 'meine Freundin-Freund' und ließ mich passieren“, erzählt sie lachend. „Ich bin übrigens immer noch mit ihm in Kontakt.“

In Abidjan überlegen die beiden Frauen, in welchem Land Cléo sich fest niederlassen und ihr Modestudium beginnen könnte. Die angrenzenden Länder kommen nicht infrage. „In Westafrika sind die Repressionen gegen Transsexuelle überall dieselben“, seufzt sie, „ich hätte mich dort nicht sicher gefühlt.“

Cléo bewirbt sich deshalb an mehreren Modeschulen in Ländern, die „möglichst weit entfernt“ von ihrer Heimatregion liegen. Das Leben in Frankreich ist zu teuer und sie beginnt sich für den Maghreb zu interessieren, von dem sie  gehört hat, dort entstünde gerade eine schwarze homosexuelle Community. Marokko, Algerien oder Tunesien scheinen also gute Alternativen zu sein. „Am Ende wurde ich von einer tunesischen Schule angenommen, innerhalb einer Woche hatte ich mein Visum und Anfang 2012 bin ich nach Tunis  ausgereist“, resümiert sie.

 

Cléo beendet den Entwurf zu einem Kleid, das sie demnächst nähen will.

Komplizierter Anfang in Tunesien

Sich in Tunesien niederzulassen, bietet Cléo die Möglichkeit, ein neues Leben zu beginnen. „Aber ich war sehr schnell desillusioniert“, sagt sie mit Enttäuschung in der Stimme. „Bei meiner Ankunft musste ich ein Papier unterschreiben,  auf dem, im Unterschied zu dem, was mir die Modeschule bescheinigt hatte, stand, dass ich auf tunesischem Territorium nicht arbeiten dürfe.“ Die junge Frau beschließt, trotzdem zu bleiben, und sagt sich, dass sich zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts schon irgendetwas ergeben wird.

Zweieinhalb Jahre lang lebt Cléo hauptsächlich von ihren und ihrer Mutter Ersparnissen. „Die Schulgebühren und die Kosten für Transport und Essen haben die Reserven schnell verbraucht und meine Situation wurde wirklich prekär.“ Nach Ablauf ihres Visums ist ihr Aufenthalt in Tunesien zudem illegal und sie hat Angst, nach Benin ausgewiesen zu werden, wo sie keinerlei Unterstützung mehr hat, nachdem ihre Mutter auch das Land verlassen hat. Eine einzige Polizeikontrolle würde ausreichen, um sie in ihre Heimat zurückzuschicken. Die junge Frau fühlt sich hilflos und beschreibt diese Zeit als „extrem schwierig und voller Angst.“

Aber Cléo hat nicht nur Geldsorgen und Probleme mit ihrem Aufenthaltsstatus, sondern wird darüber hinaus häufig diskriminiert.

„Tunesien ist ein sehr schönes Land, ich fühle mich einigermaßen integriert und habe tunesische Freunde. Aber ich sehe auch, dass die Leute manchmal ein bestimmtes (negatives) Bild von schwarzen Frauen haben“, bemängelt sie. „Es gibt hier viel sexuelle Belästigung und darauf war ich nicht vorbereitet.“

Die junge Frau vermeidet, spät nach Hause zu kommen, und fährt mit Sammeltaxis. Doch Cléo ist auch Verbalattacken von tunesischen Ärzten ausgesetzt, die sie zur Hormonbehandlung aufsucht. „Wenn sie mir nicht moralisch kamen, behandelten sie mich verächtlich oder sogar aggressiv. Einer sagte zu mir, er würde mich behandeln, und dann ist er mit mir wie mit einer Verrückten umgegangen, das heißt wie mit einem Verrückten.“ Andere sind bereit, ihr die nötigen Medikamente zu verschreiben, wollen Cléo aber nicht weiter betreuen und sagen ihr, sie solle zusehen, wie sie zurechtkommt, „was ziemlich gefährlich ist, wenn man solche Hormone nimmt. Sie haben sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, die Dosierung einzustellen“, empört sie sich.

Angesichts all dieser Probleme bringt eine tunesische Freundin die Idee auf, einen Asylantrag zu stellen. „Sie hatte gehört, dass dieser Rechtsweg für Personen wie mich offenstehen würde“, erzählt Cléo. „Am Anfang wussten wir überhaupt nicht, wie das geht und wen wir kontaktieren könnten. Doch dank der Informationen, die ich im Internet gefunden habe, habe ich dann ein Touristenvisum für Frankreich beantragt und gehofft, dass ich, wenn ich erst einmal dort wäre, einen Asylantrag stellen könnte.“ Aber das Visum wird ihr verwehrt. Cléo bleibt also in Tunesien und denkt über andere Möglichkeiten nach. Im Lauf des Jahres 2013 kommt sie in Kontakt mit der tunesischen Hilfsorganisation Maison du Droit des Migrations, die sie unterstützt, beim UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge, der einzigen Institution, die den Flüchtlingsstatus für Tunesien vergeben kann, einen Antrag zu stellen, dem 2015 stattgegeben wird.

Obwohl Tunesien die Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 ratifiziert hat, die besagt, dass Flüchtlingen im Land, in das sie geflohen sind, der Aufenthaltstitel sowie das Recht auf Arbeit, Gesundheitsversorgung und Bildung zustehen, gibt es in dem nordafrikanischen Land weder ein Schutzgesetz noch eine nationale Instanz zur Prüfung von Asylanträgen. Bis zur Schaffung einer solchen Stelle prüft das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge gemeinsam mit dem tunesischen Roten Kreuz die Anträge und vergibt nach internationalem Recht den Flüchtlingsstatus, was den Antragstellern ein Minimum an Schutz gewährleistet.

 

Cléo schneidert am liebsten ihre eigenen Kreationen, aber es kommt auch vor, dass sie Stücke ändert, die ihr gebracht werden, wie diese Jacke.

Neue Perspektiven

Seit Erhalt des Flüchtlingsstatus kann Cléo aufatmen. „Der Druck ist kleiner geworden“, sagt sie lächelnd. Als Flüchtling anerkannt zu sein, ist für sie „ein Zukunftsversprechen“. „Ich bekomme finanzielle Hilfe vom UN-Hochkommissariat, die mir ein anständiges Leben ermöglicht. Ich habe meine Medikamente, Decken, Nahrung“, zählt sie auf. Cléo betont, der neue Status habe ihr „Stabilität“ gebracht. Sie ist nicht mehr illegal und ihre Geldstrafe, die sich auf 1500 Dinar belief, wurde aufgehoben. Die junge Frau wird zudem von einer Psychologin betreut, die ihr hilft, das Trauma der Verfolgung zu verarbeiten. „Ich komme voran, auch wenn es einige dunkle Bereiche gibt, die sich mir immer noch verschließen“, gesteht sie mit einer gewissen Zurückhaltung.

Ihre neue Stabilität machte es möglich, dass sie im Sommer 2015 ihr eigenes Schneideratelier eröffnen konnte, ein Projekt, das sie schon lange im Herzen bewegte. Aber der Anfang ist schwer. „In den ersten zwei Monaten wurde ich von einer Dame ausgebeutet, die mir 50 Dinar für Hochzeitskleider zahlte. Ich hatte keine andere Einkommensquelle, das war der einzige Auftrag, den ich hatte.“ Auf Anraten der Hilfsorganisation Maison du Droit et des Migrations, die Cléo finanzielle Unterstützung für ihr Projekt zusagt, beendet sie schließlich die Arbeit für die Frau. „Zur Zeit nähe ich Kleider für drei tunesische Modehäuser, und ich habe auch eine Modeschau organisiert“, erzählt Cléo begeistert. „Ich hoffe, dass ich mich bald in der Szene bekannt machen kann.“ Im Moment nimmt sie alle Aufträge an, will sich aber nach einer Fortbildung auf Haut Couture und Stickerei spezialisieren.

 

Ausgearbeitete, farbige Entwurfszeichnungen zu Cléos Kollektion

„Manchmal bereue ich ein bisschen“

Cléo gesteht, dass sie sich niemals vorgestellt hätte, ein solches Leben zu führen. „Wenn ich darüber nachdenke, sage ich mir, dass eine komplett vorgezeichnete Zukunft vor mir lag und nichts so gekommen wäre, wie es jetzt ist, wenn ich mich nicht engagiert hätte.“
Aus einem gewissen Abstand heraus wirft die junge Frau einen ziemlich kritischen Blick auf ihre Vergangenheit als Aktivistin. Sie glaubt, ihr Kampf für die Rechte der LGBT sei letztlich wirkungslos geblieben. „Es hätte anders werden  können, wenn die Tatsache, dass sich Transsexuelle in der Öffentlichkeit nackt ausziehen müssen, bei den Leuten auf Widerstand gestoßen wäre. Aber das ist bis heute nicht der Fall“, erklärt Cléo, „und niemand spricht darüber.“ Ihr zufolge muss sich bei den Menschen erst ein Bewusstseinswandel vollziehen. „Vielleicht ist es in zehn Jahren so weit.“ Die ehemalige Aktivistin ist daher eher pessimistisch, was eine Verbesserung der rechtlichen Situation für Transsexuelle  in Westafrika und generell auf dem Kontinent angeht. In Tunesien scheint es weniger schlimm zu sein als in Benin, was auch daran liegen mag, dass das Thema in der tunesischen Gesellschaft mehr unter den Teppich gekehrt wird. „Aber das ist immer noch besser als öffentliche Erniedrigungen. Im Verborgenen zu leben ist letztendlich eine Art von Schutz“, sagt sie desillusioniert.
Und auch wenn die Debatte über die Rechte von Homosexuellen Fortschritte mache, fügt sie hinzu, seien Transsexuelle, ob im Westen oder in Afrika, immer noch viel zu oft marginalisiert und würden im Kampf für LGBT-Rechte vergessen. Es brauche Zeit, damit sie wirklich wahrgenommen und in der Gesellschaft akzeptiert würden.

„Mittlerweile bin ich müde und möchte irgendwo ankommen, ein ruhiges Leben führen. Aber wenn ich eines Tages den Kampf wieder aufnehmen müsste, würde ich mich auf die Rechte von Transsexuellen konzentrieren und nicht mehr auf die der ganzen LGBT-Community.“

Über ihre persönliche Situation ist Cléo verbittert. „Ich denke, ich habe für meinen Kampf einen hohen Preis gezahlt und bereue ihn ein bisschen. Er hat meine Familie zerrissen. Meine Mutter erhält immer noch Drohungen (von Familienmitgliedern). Einer meiner Onkel hat sogar gesagt, er würde sie verbrennen, wenn sie ihm nicht verrät, wo ich bin.“ Die junge Frau fühlt sich schuldig, dass ihre Mutter solchem Druck ausgesetzt ist, aber sie weiß nicht, was sie dagegen tun kann. Sie hat schon daran gedacht, sie nach Tunesien zu holen, aber diese Möglichkeit hat sich schnell zerschlagen. „Sie hat immer in Benin gelebt“, erklärt Cléo. „Mit 58 Jahren und  ihrer labilen Gesundheit hat sie keine Kraft für einen Neubeginn. Manchmal sage ich mir, wenn ich nicht wäre, wie ich bin, wäre das Leben viel einfacher.“
Cléo macht eine Pause, bevor sie weiterspricht. Trotz allem, das möchte sie festhalten, war ihr Kampf keine „Dummheit“.

„Das musste alles raus, und es ist rausgekommen. Aber wenn ich es nochmal machen sollte, mit all dem, was ich heute weiß … ich glaube, ich würde es nicht tun. Weil ich deswegen nicht mehr nach Hause zurück kann.“

Die einzige Möglichkeit, in ihre Heimat zurückzukehren, wäre im Schutz einer anderen Staatsbürgerschaft. Aber sie macht sich keine Illusionen und sagt lapidar: „Wenn du aus deinem Land fliehst, kannst du nicht zurück.“
Ihrer Familie, die sie verstoßen und bedroht hat, sei sie nicht besonders böse, sagt Cléo ruhig. „Sie leben ihr Leben und ich lebe meins. Ich habe den Namen meines Großvaters mütterlicherseits angenommen, um alle Brücken abzubrechen.  Wir sind einfach unterschiedliche Wege gegangen.“

Die junge Frau hat noch keine langfristigen Pläne. Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge betrachtet Tunesien nicht als sicheres Land für Cléo, denn ihr könnte dort „ethnische und sexuelle Diskriminierung“ widerfahren. Sie wurde daher in ein Umsiedlungsprogramm aufgenommen und hat gerade erfahren, dass sie bald nach Europa gehen soll. Sie weiß nicht, wohin genau es sie verschlagen wird, aber sie wird jedenfalls eine Aufenthaltsgenehmigung, eine Unterkunft und Schutz erhalten. Ein neues Zukunftsversprechen.

Anmerkung der Autorin:
Der Vorname der Porträtierten wurde zu ihrem Schutz geändert. Wir haben ihr Schicksal vorgestellt, weil es exemplarisch die Repressionen zeigt, denen Transsexuelle in vielen Ländern ausgesetzt sind. Außerdem macht es die Schwierigkeiten deutlich, auf die Migrant/innen bei ihrer Ankunft in Tunesien treffen können.

Mitarbeit:
Monia Ben Hamadi, Redaktion
Abir Ben Smaya, Integration und Entwicklung

Die Artikel „LGBT-Rechte in Tunesien: Der Kampf kommt ins Fernsehen“, „Transgender-Aktivistin Cléo ist nach Tunesien geflohen“, „In Tunesien tötet die Homophobie Menschen“ sind zuerst auf der tunesischen Seite Inkyfada.com auf Französisch erschienen. Sie wurden am 17. Mai 2016 veröffentlicht, dem Internationalen Tag gegen Homophobie und Transphobie. Zum ersten Mal haben an diesem Tag alle tunesischen LGBTI-Menschenrechtsorganisationen in Kooperation mit der Koalition für individuelle Rechte eine gemeinsame öffentliche Veranstaltung in einem Theater organisiert. Die Veranstaltung entstand in Zusammenarbeit mit dem hbs-Büro in Tunis.