Das Wahlprogramm der Linken - Reform oder Revolution?

Das Wahlprogramm der Linken - Reform oder Revolution?

→ Die Linke: Solidarität, Demokratie, Frieden – Gemeinsam für den Wechsel in Europa!

Die Linke muss mit ihrem Wahlprogramm den Spagat zwischen EU-Gegnerschaft und EU-Kritik leisten, da ihre WählerInnen aus beiden Lagern kommen. Das Wahlprogramm zielt dabei auf einen Politikwechsel innerhalb der Europäischen Union ab, nicht auf deren generelle Infragestellung. Dennoch holt das Wahlprogramm zu einem Rundumschlag gegen die aktuelle Politik und Ausgestaltung der EU aus. Und auch deren Geschlechterarrangements finden in den Augen der AutorInnen des Wahlprogramms der Linken keine Gnade. Auf den 30 Textseiten nehmen sechzehn Textstellen einen Bezug auf Frauen und Gender-Themen, denen jeweils meist ein bis zwei Abschnitte gewidmet werden. Unter der Überschrift „Alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens demokratisieren“ erfolgt eine Auseinandersetzung mit geschlechterrelevanten Themen von anderthalb Seiten. Eine geschlechtergerechte Schreibweise liegt im gesamten Programm vor. Nach dem Wahlprogramm der Grünen findet im Parteiprogramm der Linken die umfangreichste Berücksichtigung geschlechterpolitischer Themen statt.

Als einziges Wahlprogramm wird im Programm der Linken die Forderung nach einem europaweitem Recht auf Abtreibung und freien Verhütungsmittel formuliert.

Als Kernstück der arbeitsmarktpolitischen Forderungen wird das Modell einer „neuen Art der Vollbeschäftigung“ entworfen: Demnach sollten alle Frauen und Männern, die dies wollten, eine „sinnvolle existenzsichernde und ökologisch verantwortbare Arbeit“ bekommen. Durch eine Neu- und Umbewertung der Arbeit, die gesellschaftlich sinnvolle Beschäftigung mit einbeziehe, sollten alle Tätigkeiten in Beruf und Erwerb, in Familie und Partnerschaft, in Gesellschaft und Politik, in kulturellem und sozialem Leben für Männer und Frauen gewürdigt werden. Diese Tätigkeiten sollten zudem zwischen den Geschlechtern gleichberechtigt verteilt sein. Als Instrument zur Realisierung dieses Entwurfes wird eine „radikale Verkürzung der Arbeitszeit“ genannt. Im Programmpunkt „Alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens demokratisieren“ wird zudem gefordert, Gleichstellungspolitik als europäische Querschnittsaufgabe zu etablieren und dabei besonders auf gezielte Frauenförderung zu setzen und Diskriminierung entgegenzuwirken. Ob hier etwas anderes gemeint ist, als Gender Mainstreaming, dass im Allgemeinen mit dem Ausdruck Querschnittsaufgabe ins Deutsche übertragen wird, geht aus dem Programm nicht hervor. Insgesamt ist festzustellen, dass der Begriff Gender Mainstreaming im Programm nicht fällt, weder mit positivem noch mit negativem Bezug.

Um eine Europäische Union zu realisieren, „in der Frauen und Männer endlich die gleichen Möglichkeiten in Beruf und Gesellschaft haben“, müssen Instrumente wie die Sicherung der Kinderbetreuung, die Bekämpfung der Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen, die Beseitigung von Frauenarmut, und die Gewährleistung eines armutsfesten Einkommens für Männer und Frauen eingesetzt werden. Zudem sei die die Einführung und der Ausbau von Gleichstellungsprogrammen für die Privatwirtschaft und den öffentlichen Dienst in allen Mitgliedstaaten, einschließlich der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Spitzenpositionen, sicherzustellen als Schwerpunkte der EU-Gleichstellungspolitik–Maßnahmen, um die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ „für Männer und Frauen“ zu gewährleisten. Die europaweite Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften auf dem jeweils höchsten Rechtsniveau sei unerlässlich. Für letzteres ist allerdings anzumerken, dass das Programm hierbei keine direkte Aussage zum Recht auf Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare macht.

Nach dem Willen der Linken soll Diskriminierung von Menschen wegen ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Identität oder aus anderen Gründen europaweit abgebaut werden. Dafür solle die EU in den Mitgliedstaaten Maßnahmen gegen Benachteiligung und für Chancengleichheit durchsetzen. Soziale und kulturelle Mindeststandards zur Bekämpfung von Frauen-, Kinder- und Altersarmut sollten dabei genauso festgelegt werden wie Arbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung und strukturelle Benachteiligung von Frauen beseitigt werden sollen. Besonders betont wird im Programm dabei die Doppelbelastung der Frauen, die auf dem Arbeitsmarkt flexibel und mobil sein sollen, und zudem die überwiegende Belastung durch Sorge- und Familienarbeit trügen.

Dabei hat laut dem Programm der Linken die aktuelle Wirtschaftskrise zur Verschärfung des Geschlechterwiderspruchs ebenso beigetragen wie die EU-Sozialpolitik. Die Partei kritisiert die Privatisierung der Daseinsvorsorge, welche zu einer stärkeren Belastung von Frauen geführt habe und zudem zu einem verstärkten Konkurrenzdruck unter Minijobbern und prekär Beschäftigten. Entstandene Defizite in Gesundheitsvorsorge, Pflege etc. müssten größtenteils von Frauen abgefangen werden. Die zukünftige Organisation der Daseinsvorsorge müsse gewährleisten, dass u.a. frauenpolitische Maßnahmen „nicht als Wettbewerbsverzerrung“ sanktioniert würden.

Im Programm wird die arbeitsmarktpolitische Strategie der EU, die Lissabon-Strategie, heftig angegriffen. Sie treffe vor allem Frauen und MigrantInnen negativ, da diese zu den „unfreiwilligen WegbereiternInnen von Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes gemacht worden seien. Daher seien sie besonders häufig von Armut, Erwerbslosigkeit, sozialer Ausgrenzung und Nichtversicherung betroffen. Auch wirke sich der Abbau des Sozialstaats auf Frauen besonders stark aus.

Auch für die EU selbst sieht das Programm die Notwendigkeit für gleichstellungspolitische Maßnahmen. So soll auf europäischer institutioneller Ebene eine Frauenquote von mindestens 50% durchgesetzt werden. Der Haushalt der EU solle solidarisch gestaltet sein, und mehr Mittel seien bereitzustellen für die Durchsetzung von Geschlechtergerechtigkeit und die Bekämpfung von Armut, für Entwicklungszusammenarbeit und Krisenmanagement. Einsparpotential sieht die Linke u.a. bei den Militärausgaben. In handelspolitischen Verträgen der EU fehlten zudem Entwicklungsklauseln, die soziale vor allem geschlechterpolitische Standards beinhalten.
Zum Zusammenhang von sicherheitspolitischen und geschlechterpolitischen Fragen fordert die Linke zudem die „entschlossene Umsetzung und Erweiterung der EU-Rahmenrichtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, Kinder und Jugendliche“. Auch müsse der Aufenthaltsstatus von Opfern von Frauenhandel gesichert und losgelöst von Zeugenaussagen gewährleistet sein. Auch die Familien der Betroffenen müssten geschützt werden. Frauenhandel und Zwangsprostitution müsse als Verbrechen gegen die Menschlichkeit behandeln und geahndet werden. Auch sollten die geschlechtspezifischen Fluchtgründe von Frauen, z.B. sexuelle Gewalt, geschlechtsspezifische Verfolgung und Unterdrückung, Zwangsheirat und Genitalverstümmelung, und auch Verfolgung aufgrund von sexueller Identität als Asylgründe anerkannt werden. Zudem müsse das Asylrecht sicherstellen, dass Familien zusammenbleiben dürften. Außerdem müssten Frauen in Zukunft maßgeblich an der politischen Vermeidung und Lösung bewaffneter Konflikte beteiligt werden und auch in die soziale und politische Neugestaltung der Nachkriegszeiten einbezogen werden.

Allerdings fallen auch Lücken im geschlechterpolitischen Programm der Partei Die Linke auf. Vor allem bei den insgesamt umfänglich ausgearbeiteten Forderungen und Empfehlungen zur Entwicklungspolitik bleibt das Programm relativ geschlechterblind. Zwar wird auf die Notwenigkeit zu zur Bekämpfung von Mütter- und Säuglingssterblichkeit hingewiesen, aber insgesamt werden die Stellungnahmen zur„solidarischen Entwicklungszusammenarbeit“ ohne konkrete Bezüge zu entsprechenden geschlechterpolitischen Maßnahmen gemacht. Empowerment von Frauen als Ansatz in der Entwicklungspolitik wird im Programm nicht erwähnt, es erfolgt lediglich der allgemeine Hinweis auf einzuhaltende soziale Standards und Menschenrechte. Dabei ist dem Programm nicht zu entnehmen, ob die Linkspartei entsprechende Konzepte ausgearbeitet, sie aber nicht in ihr Programm mit aufgenommen hat, oder ob sie in diesem Punkt inhaltlichen Nachholbedarf hat.

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