Die Europawahl
Die Europäische Union und ihre Institutionen beeinflussen nationale Politik und damit die Lebensgestaltung aller Menschen, die in Europa leben und arbeiten, in immer stärkerem Ausmaß. Eigentlich müsste folglich die Europawahl eine immer wichtigere Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung spielen, was sich auch in der Wahlbeteiligung zeigen müsste. Dies ist nicht der Fall. Die Wahlen zum Europäischen Parlament haben ihre Kinderkrankheiten – geringes Interesse des europäischen demos, des Wahlvolks, an der Materie und die daraus resultierend geringe Wahlbeteiligung – seit ihrem Debüt 1979 bis heute nicht überwunden.
Da die Europawahl inzwischen lange volljährig ist, muss davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei um eine chronische Störung handelt. Die Politikwissenschaft hat dafür einen Namen gefunden: das Konzept von der Nebenwahl. Demnach gibt es „erstrangige“ Wahlen, z.B. die Wahlen zum nationalen Parlament, und „zweitrangige“ Wahlen, unter die auch die Europawahl fällt. Diese werden als weniger wichtig empfunden. Sie werden vor allem von nationalen Faktoren beeinflusst, obwohl es sich Abstimmungen zu anderen Politikfeldern handelt. Regierungsparteien schneiden üblicherweise schlechter bei Nebenwahlen ab, kleinere Parteien hingegen verzeichnen oft Stimmgewinne im Vergleich zu ihren üblichen Ergebnissen.
Vermutlich wollen die Wählenden die etablierten Parteien für deren Politikgestaltung auf nationaler Ebene abstrafen und halten es für weniger riskant, bei einer als unwichtig empfundenen Nebenwahl kleine, neue oder Außenseiterparteien zu wählen. Zudem ist die Wahlbeteiligung deutlich niedriger. Umfragen haben ergeben, dass dies entgegen der landläufigen Meinung nicht darauf zurückzuführen sind, dass das Europäische Parlament zu wenig von den WählerInnen ge- und beachtet wird. Vielmehr ist es sowohl die bekannteste als auch die beliebteste EU-Institution. Aber die Mehrheit der Wählenden interessiert sich vielmehr für nationale als für europäische Politik und nimmt daher an Europawahlen nicht teil.
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