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Geschlechterpolitische Situation in Polen

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Kurzbeschreibung und -bewertung

Seit 2007 ist in der zweiten Amtsperiode eine neoliberale konservative Partei in Polen an der Macht. Dennoch stellt die Gleichstellung der Geschlechter keine Priorität dar in den beiden Regierungszeiträumen. Die jüngsten rechtlichen und institutionellen Änderungen im Zusammenhang mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts rührten eher von den Verpflichtungen der Mitgliedschaft in der Europäischen Union her als aus politischer Überzeugung oder Willen der Politik. Folglich reagierte die aktuelle Regierung nicht, als es zu einer stark einschüchternden "Anti-Gender" Kampagne, initiiert von der polnischen katholischen Kirche und ultra konservativen Kreise im November 2013 kam.

Die Kampagne kann als Angriff auf das Prinzip der Gleichberechtigung der Geschlechter angesehen werden, die als "Gender-Ideologie" gezeichnet wurde und als eine große Bedrohung für die Werte der Familie präsentiert wird. Sie zielte darauf ab, die traditionellen sozialen Rollen von Frauen und Männern wieder erstarken zu lassen und wendet sich gegen alle Arten von Gleichstellungspolitik, einschließlich der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Damit gelang ein negativer Einfluss auf die Strategien und Programme der öffentlichen Institutionen. Angesichts des Status und der Macht der Kirche in Polen, könnte dieser Mangel an einer wirksamen Gegenreaktion der Behörden zu dieser „Anti-Gender“ Kampagne weitere negative Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter in Polen haben.

(vgl. auch „Alternative report on the implementation of the Convention of the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women“ (CEDAW), Poland 2014)

Rund 90 % der Pol_innen zum katholischen Glauben und das hat auch Einfluss auf die öffentlichen Debatten. Gender Mainstremaing, das Recht auf Abtreibung, künstliche Befruchtung sind alles Punkte, gegen die, im Einklang mit der polnischen katholischen Kirche, alle konservativen Parteien (rechts der Platforma Obywatelska) sind. Das strikte polnische Abtreibungsverbot ist das schärfste in der EU und für manche Erzkonservative und Bürgerinitiativen sollte es auch bei Schwangerschaftsabbruch bei einer Vergewaltigung gelten. Paare, die eine kirchliche heiraten wollen (und das ist die überwiegende Mehrheit) müssen einen „Ehe-Kurs“ durchlaufen, in dem u.a. gegen Verhütungsmittel agitiert wird, aber das Messen der Temperatur als einzie Möglichkeit durchaus in Betracht gezogen wird.

Die dringlichsten Aufgaben in Sachen Gleichstellung liegen bei den prekären Beschäftigungsverhältnissen (Müllverträge - Umowa śmieciowa- genannt), von den vor allem junge Frauen und Mütter betroffen sind. Auch die Gewalt in der Familie stellt ein großes Problem dar, jährlich mind. 700.000 Opfer psychische oder sexueller Gewalt, 150 mit Todesfolge.

Die staatliche Gleichstellungspolitik steht nicht mehr am Anfang und bewegt sich im Spannungsverhältnis zwischen den Forderungen der polnischen Frauenbewegung und den konservativen Kräften in Staat und Kirche.

Seit Herbst 2015 ist Beata Szydło Ministerpräsidentin. Ihre Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) hat noch unter der vorhergehenden Legislatur die Ratifizierung der Konvention  des Europarats zur „Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“ verschoben. Der Wahlkampf von PiS war davon geprägt, Stimmung gegen Fremde, vor allem aus islamisch geprägten Ländern zu machen und von  Versprechungen für einen früheren Renteneintritt, für Verbesserungen für die Wirtschaft und für soziale Leistungen (Familie 500 plus Programm). Letzteres trat im Jahr 2016 in Kraft, die Finanzierung erfolgt aus dem laufenden Haushalt und hatte den Effekt, dass u.a. Frauen ihre Erwerbsarbeit aufgaben.
Detaillierter nachzulesen: „Familie 500 plus« – für Frauen ein Minus“. Die Familienpolitik der Regierung und ihre möglichen Folgen aus der Perspektive der Geschlechtergleichheit Małgorzata Druciarek, in Polen-Analysen Nr. 186, Warschau

An die Novellierung des Abtreibungsrechts traute sich seit Jahren keine Regierung. In Polen ist das Recht auf Abtreibung so eng mit der Emanzipation und Gleichstellung von Frauen verknüpft. Allerdings wurde die Aufnahme des Verbots der Abtreibung bzw. des Rechts des ungeborenen Lebens in die polnische Verfassung abgelehnt. Nicht zuletzt das Ergebnis einer Kampagne weiblicher Abgeordneten und der Partnerinnen männlicher Abgeordneten.

Doch seit der Machtübernahe von PiS im polnischem Sejm wurde an einer Verschärfung des Verbots eines Schwangerschaftsabbruchs gearbeitet.
Das polnische Abtreibungsrecht ist eines der striktesten in der EU. Schwangerschaftsabbrüche sollten fast komplett verboten werden.  Das polnische Parlament stimmte Ende September dafür, eine Gesetzesinitiative zu einem neuen Abtreibungsrecht weiter zu verfolgen und leitete es nach erster Lesung den zuständigen Ausschüssen zu.
Ein legaler Schwangeschaftsabbruch wäre dann nur noch möglich, wenn eine unmittelbare Lebensgefahr für die Schwangere besteht. Auch Kinder, die bei einer Vergewaltigung oder in Inzestfällen gezeugt wurden, müssten dann von den Frauen ausgetragen werden.
Die Debatte um eine Verschärfung des Abtreibungsrechts wurde von der Bürgerinitiative "Stop aborcji" ("Stopp Abtreibung") befeuert. Ihre Petition sieht unter anderem bis zu fünf Jahre Haft als Strafe für Abtreibungen vor, auch für die betroffenen Frauen selbst. Staat und Gemeinden sollen auch verpflichtet werden, Frauen und Familien finanziell zu unterstützen, die ein behindertes Kind großziehen. Die Initiative sammelte mehr als eine halbe Million Unterschriften für ihre Petition, nötig gewesen wären lediglich 100.000. Das Parlament stimmte nun mit großer Mehrheit dafür, mit der Petition den Justiz- und Menschenrechtsausschuss zu befassen. Eine Gegeninitiative für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts scheiterte dagegen schon in erster Lesung.
Frauen aus allen Schichten, aus Stadt und Land taten sich seit dem Frühjahr und dem Bekanntwerden der Pläne der Regierung zusammen und organisierten Proteste. Sie vernetzten sich international. Eine der bemerkenswertesten landesweiten Initiativen ist dabei „Dziewuchy Dziewuchom“ (Mädels für Mädels) (auf Polnisch) Sie bauten Regionalgruppen auf, organisierten Proteste, bekannt als czarny protest (schwarzer Protest – schwarze Kleidung als Zeichen des Protests), klärten auf und gewannen verbündete aus Wissenschaft, Medien und Kultur.
Nach den tagelangen Massenprotesten lehnte das polnische Parlament in einer eilig einberufenen Sitzung den Gesetzesentwurf nach zweiter Lesung ab. 352 Abgeordnete stimmten dafür, die heftig umstrittene Initiative zu verwerfen, 58 waren dagegen, 18 enthielten sich. Vor der Abstimmung im Parlament wurde ein Hilfsprogramm für Familien angekündigt, die sich bewusst für die Geburt eines beeinträchtigten Kindes entscheiden.
Nun ist zu befürchten, dass noch in der laufenden Legislatur ein Gesetz zum Verbot von Verhütungsmitteln eingebracht wird. Hier gibt es aber noch keine stichhaltigen Aussagen dazu. Allerdings wurde ein Expert_innen-Gremium für die Reformierung des Bildungskanons berufen. Sexuelle Selbstbestimmung und Reproduktionsrechte werden darin keinen Platz finden, vor allem nicht mit Prof. Urszula Dudziak, welche eine  strikte Gegnerin von Verhütungsmitteln ist.
Quelle: Gazeta Wyborcza online, 31.10.2016 „Nowa ekspertka MEN od wychowania do życia w rodzinie: Antykoncepcja jest przejawem niedojrzałości“ (Neue Expertin des Familien Ministeriums: Empfängnisverhütung ist ein Zeichen von Unreife) (auf Polnisch)

Die Erfahrungen der polnischen Frauen seit der Wende von 1989 sind für die neuen Mitgliedstaaten der EU exemplarisch. Verachtung der Rechte von Seiten der staatlichen Instanzen den Frauen gegenüber und mangelndes Interesse seitens der regierenden Parteien an der öffentlichen Meinung der Frauen in ihrer eigenen Sache ist in den osteuropäischen Ländern keine Seltenheit.

Für Letzteres ist der Umgang der Regierungen in Polen mit dem Amt für Geschlechtergleichstellung ein Beispiel. Es wurde 2006 von der Kaczynski-Regierung aufgelöst, am 17.03.2008 hat Ministerpräsidenten Tusk die Gleichstellungsbeauftragte ohne klare Kompetenzzuweisung wieder ins Amt berufen.

Die „Frauenfrage“ dagegen ist in Polen weiterhin aktuell, weil die Gleichstellung der Geschlechter seit 1989 nicht gerade oben auf der Agenda der Regierungen stand, unabhängig davon, ob sie sich als rechts oder links definierten. Ein Indikator für eine gewisse Beliebigkeit, mit der diese Problematik politisch behandelt wird, ist dabei die Tatsache des immer noch fehlenden Gleichstellungsgesetzes (Bozena Choluj, 2008).

Gender Mainstreaming, Gender, Homosexuelle Propaganda – das sind mittlerweile alles „Kampfbegriffe“, mit denen die Menschen aufgescheucht werden, nicht nur auf dem Land. Vielfalt wird geradezu „verteufelt“. Umso bemerkenswerter ist es, dass der neue Arbeitsschwerpunkt des Deutsch-Polnischen Jugendwerks „Vielfalt“ ist. Beide Fachministerien und damit Regierungen stimmten dieser Themenwahl zu. 

Polen ist das Land mit den meisten und ausdifferenziertesten Vereinen, NGOs und außerparlamentarischen Aktivitäten im Bereich der Frauen – und Geschlechtergleichstellung in der EU Mittel- und Osteuropas. Ein Ausschnitt davon wird in dieser Länderstudie gezeigt.  

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Rechtslage

Rechtslage

Gleichstellungsrecht

1997 hat sich der Text der VERFASSUNG geändert zugunsten der wörtlichen Gleichstellung von Mann und Frau. Gleichstellungsgesetze und die Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes wurden zum Teil als Pfand eingesetzt, damit die katholische Kirche auf dem polnischen Land für den EU-Beitritt wirbt. Die polnische Gesetzgebung folgt, zum größten Teil, allen erforderlichen EU Richtlinien bezüglich der Gleichbehandlung. Es gibt aber noch immer keine generelle Berufsklassifizierung zur Berechnung von Gehältern, das bedeutet, verschiedene Jobs können nicht miteinander verglichen werden.

  • Konstytucja Rzeczypospolitej Polskiej (Verfassung der Polnischen Republik) - vom 2. Juni 1997
    Garantiert die Gleichstellung ihrer BürgerInnen die Rechtssprechung, die Menschen- und die Bürgerrechte betreffend
  • Kodeks pracy/Arbeitsrecht; Gleiche Behandlung bei Einstellung
    Verbot der Diskriminierung aufgrund verschiedener Grundvoraussetzungen
  • Nationales Programm zur Bekämpfung der rassistischen, xenophobischen Diskriminierung und der Nichttoleranz (Krajowy Program Przeciwdziałania Dyskryminacji Rasowej, Ksenofobii i Związanej z Nimi Nietolerancji 2004 – 2009
    Darüber hinaus gibt es etliche Gesetze und Regelungen, die der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt oder durch Institutionen und Ämter entgegen wirken – darin sind aber Frauen als benachteiligte Gruppe nicht erwähnt.
  • Nationales Programm zugunsten von Frauenrechten (Krajowy Program Działań na rzecz Kobiet)
    als Resultat der internationalen Verpflichtungen Polens im Nachgang der Pekinger Frauenkonferenz

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Fakten

Die Diskriminierung der polnischen Frauen findet nach diesem Bericht vor allen Dingen in Politik und Wirtschaft statt. Sie verdienen im Lande 28 Prozent weniger als Männer mit der gleichen Ausbildung und Praxis und haben bei Beförderungen gegenüber ihren männlichen Kollegen meist das Nachsehen. In der polnischen Politik bestätigt das "World Economic Forum" sogar die Situation um die Gleichstellung der Frauen als schlimmer denn je zuvor, hier werden sie nämlich teilweise nicht einmal ernstgenommen.

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Expertenmeinung

Weder eine umfangreiche Gender Equality Strategie noch eine umfassende Gender Mainstreaming Strategie wurde in Polen ausgebildet. Es gibt keine speziellen Programme, die Männer ermuntern, eine größere Rolle im Familienleben zu übernehmen, welche die Einstellungen bezüglich der Verantwortlichkeiten in der Familie verändern oder die Teilung der Elternarbeit für beide Teile bestärken.

Es gibt ebenfalls keine speziellen Programme zur Förderung flexibler Arbeitsstrukturen oder Programme, die Gender Equality in den sozialen Sicherungssystemen problematisieren.

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Notwendig zu tun

Die Maßnahmen zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern in den Gesetzen zur Arbeit müssen verbessert werden Die Regierung sollte die Institutionalisierung der Gender - Rahmenbedingungen ausbauen durch die Etablierung eines Antidiskriminierungs-Büros mit quasi rechtsprechender Autorität, um Diskriminierungsfällen zu begegnen Die Regierung sollte systematisch Bemühungen unternehmen, um das Bewusstsein gegenüber Gender und Diskriminierung in der Gesellschaft zu schärfen.

März 2010
Die Europäische Kommission versendet heute an Österreich, Belgien und Polen ein letztes Mahnschreiben, die sogenannte mit Gründen versehene Stellungnahme (letzte Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens vor der Klage beim Gerichtshof der EU), weil diese Länder nicht mitgeteilt haben, mit welchen Vorschriften sie die EU-Richtlinie zur Gleichstellung von Männern und Frauen (Richtlinie 2006/54/EG) auf nationaler Ebene umsetzen. Gleichzeitig stellt die Kommission das Vertrags­verletzungs­verfahren gegen Estland ein, nachdem es seine Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie übermittelt hat.

Polen hat mehrere Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie mitgeteilt. Da aber noch nicht alle Umsetzungsmaßnahmen abgeschlossen waren, kann auch die Mitteilung nicht als vollständig gelten.

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Antidiskriminierungsgesetz

Seit der Wende 1989 wurden wichtige Gesetze im Arbeits- und Sozialrecht im Prozess der EU-Angleichung verändert bzw. erlassen, die auch die Rechte der Frauen stärken. 2003 fand die Reform des Arbeitsrechts statt, welches Diskriminierungsverbote bezüglich des Geschlechts enthält. Allerdings fehlen positive Maßnahmen, welche die Umsetzung des Anspruchs in die Wirklichkeit befördern. Kein gesondertes Antidiskriminierungsgesetz vorhanden.

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Gesetze zu Quoten v.a. im politischen und wirtschaftlichen Bereich

2001 führten die Parteien UP, SLD, PO eine 30% Quote für Frauen auf den Wahllisten ein. Das geschah vor allem dank einer überparteilichen Wahlkoalition.

Am 31.Januar 2011 unterschrieb der Präsident Bronislaw Komorowski den Beschluss zur Quotierung der Wahllisten 2011. 35 % der Plätze müssen für Frauen vorbehalten sein, die Listung muss abwechselnd geschehen. Der Präsident versprach bei seiner Wahl die Einführung der Quote für jegliche Wahllisten, wenn das Parlament es verabschiedet.

Dem Frauenkongress ist das natürlich nicht genug, wenn auch ein partieller Erfolg. Vor allem in der Wissenschaft und Kultur sind Frauen in Führungspositionen eine Seltenheit. Der sechste Frauenkongress findet 17.-18. September 2011 unter internationaler Beteiligung statt (Kongres Kobiet, polnisch)

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Weitere Gesetze/rechtliche Regelungen und Regierungsprogramme

Es gab ein Regierungsprogramm zur Gleichstellung – rowny status -, welches aber nicht mehr verfolgt wird (die Homepage wurde abgeschaltet).

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Aktueller politischer Diskurs

  • Bekämpfung der Zwangsprostitution (Polen ist sowohl Herkunfts-, Transit- und Konsumland von Zwangsprostitution)
  • Beteiligung von Frauen in der Wirtschaft
  • Recht auf Abtreibung, Homosexualität als Lebensentwurf oder in legalisierter Partnerschaft sind auf institutioneller Ebene keine Themen.
  •  Stattfindende „Gleichheits Paraden“ oder 2010 der Euro Pride lassen immer wieder hitzige Debatten aufleben. Die Gegendemonstrationen sind garantiert und sind oft sehr aggressiv und geschmacklos geführt.
  • Seit 2013 hat in der polnischen Öffentlichkeit eine heftige Debatte um den Begriff Gender und die dahinter stehende bzw. vermutete Politik eingesetzt. Gender ist dabei teilweise ein recht negativ konnotiertes Wort geworden. Vor allem seitens der polnischen katholischen Kirche und konservativer Zeitungen wurde Gender als postmarxistisch und die Weltordnung auf den Kopf stellend gegeißelt. Es wurde aber auch anders diskutiert, seitens der Wissenschaft und der in der Geschlechtergleichstellung aktiven NGOs.

Datei PolenAnalysen142.pdf (Seiten 2-7); interessante und aktuelle Umfrageergebnisse zum Thema Gleichberechtigung (Seite 8-16, gleiches Dokument.

Im Oktober 2015 fanden die Parlamentswahlen in Polen statt. Die sehr konservative und reaktionäre Partei PiS - Prawo i Sprawiedliwosc (Recht und Gerechtigkeit) erwarb dabei die absolute Mehrzahl im Sejm, dem polnischen Parlament. Ministerpräsidentin Beata Szydlo wurde im November vereidigt und war Gegenkandidatin zur vorherigen Ministerpräsidentin Ewa Kopacz (Partei PO, Platforma Obywatelska - Bürgerliche Plattform). Die polnische Politik wird von weiblichen Spitzen geführt. Aber ist die Politik auch weiblich? Dieser Frage geht die aktuelle Ausgabe der "Polen Analysen" des Deutschen Poleninstituts nach. ("Ist die Politik auch weiblich? - Die Parlamentswahlen 2015 in Polen aus der Geschlechterperspektive" von Malgorzata Druciarek und Aleksandra Nizynska)

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Akteur_innen

Akteur_innen

Frauen NGOs

Ständige Änderungen von Vorschriften führen auch zu Turbulenzen in den Frauen-NGOs, weil sie ihre Arbeitsschwerpunkte auf neue Problembereiche immer wieder verschieben müssen. Auch die Finanzierung von NGOs ist davon betroffen. Außer dem einen Prozent, den jeder Pole bzw. jede Polin zugunsten dieser oder anderer Organisation von der Steuer absetzen kann, gibt es keine andere Absicherung für ihre Tätigkeit. So suchen sie meistens nach Unterstützung im Ausland, wodurch sie in den Verdacht geraten, dass sie im Dienste fremder Kulturen handeln. Und so schließt sich der Kreis unter dem Motto der kulturellen Eigenheit, mit der sich das offizielle Polen die Mängel in seiner Geschlechterpolitik auf internationalen Foren gern rechtfertigt.

Die staatliche Unterstützung der Kampagne und Hilfe gegen die Gewaltanwendung gegenüber Frauen betrug 2007 nur 40.000 Zlotys (ca. 12.000 Euro). Das kann ein Hinweis auf die Vernachlässigung der Frauenfragen sein und ist sicher keine kulturelle Besonderheit Polens. Die politische Partizipation von Frauen wird immer nur bei Wahlkampagnen diskutiert, denn bis heute sind die Vorschläge in diesem Bereich über eine 30%-Quotierung auf den Wahllisten einiger Parteien nicht hinausgegangen.

Die Liste der nicht erledigten Probleme der Geschlechter- und Frauenpolitik in Polen, die in der politischen Rhetorik familienorientierter ist lang. Frauen werden nur als integraler Teil einer traditionell aufgefassten Familie betrachtet. Die Familienpolitik konzentriert sich vor allem auf sie als Schwangere. Nach der Entbindung bekommen sie 1000 Zloty "Entbindungsgeld" ("Becikowe"), unabhängig von ihrer finanziellen Lage, womit die staatliche Unterstützung für sie aber schon so gut wie ausgeschöpft ist. Denn das Kindergeld, welches kinderreiche Familien bekommen, ist sehr gering bemessen und stellt eher eine symbolische denn reale Hilfe dar. In der Arbeitswelt ist die Frage der Kinderbetreuung kaum gelöst. Die Rentenversicherung ist geschlechtsspezifisch geregelt, wodurch Frauen benachteiligt sind, weil sie früher pensioniert werden und dadurch eine kürzere Arbeitszeit erreichen.

Die so genannte "Frauenfrage" ist daher immer noch aktuell. Die Kommunikation zwischen der Regierung und den feministischen Nichtregierungsorganisationen (ca. 300 in ganz Polen), die sich seit Jahren um die Gleichstellung der Geschlechter in Polen bemühen, ist praktisch abgebrochen. Die Polinnen erfahren, dass die demokratische Idee der civil society als Informationsfluss und Zusammenarbeit zwischen allen politischen Strukturen praktiziert werden kann, aber nur, solange der politische Wille seitens der staatlichen Macht dazu besteht.

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Parteien, zivilgesellschaftliche Organisationen

Zahlreiche NGOs in Polen beschäftigen sich mit Gleichstellung, Antidiskriminierung und feministischen Themen. Nach Angaben des Fraueninformationszentrums existieren ca. 300 Frauenorganisationen in Polen. Die NGOs tragen den Löwenanteil der aktiven Antidiskriminierungsarbeit in Polen. Auch kleine Vereine widmen sich Frauen- und mädchenpolitischen Aktionen. Eine Linkliste hierzu findet sich sehr gut sortiert auf der Seite der Feminotek (siehe weiter unten).

Networt of East  East-West-Women (polnisch,z.T.englisch):
Eine der umfangreichsten Seiten zu Gleichstellungspolitik und aktuellen politischen Tendenzen in Polen. Mit zahlreichen Verweisen (auch zu Internet-Seiten anderer Länder), Artikeln, Aktionen, Kampagnen. Wird ständig aktualisiert.

Schlesische Gender Zone (polnisch):
Hier kann man die Kontakte zu den verbliebenen Gleichstellungsbeauftragten in den Wojewodschaften finden, sowie zahlreiche Artikel zu GM und deren Instrumente; ebenso sind die nationalen und EU Rechtsgrundlagen eingestellt sowie ein Glossar. Die Seite ist ein Projekt der Stiftung Feminoteka.

Konsola (polnisch):
Konsola ist ein „Frauenverein“ (so der Name), der seit 1997 existiert (offizielle Gründung 1999). Sie behandeln Themen, wie‚ Frauenrechte sind Menschenrechte’ oder der Zugang für Frauen auf den Arbeitsmarkt. Sie propagieren feministisches Denken und unterstützen den Auf- und Ausbau der Gender Studies. In Seminaren und Veranstaltungen machen sie die genannten Themen öffentlich. Zahlreiche Projekte wurden durch Konsola angestoßen und bereits realisiert.

Oska (polnisch):
Die Webseite der „Grand Dame“ unter den polnischen Frauenorganisationen, die sich allerdings im letzten Jahr verändert hat. Die polnische Szene der Frauen-NGOs ist tief gespalten, was sich auch hier in organisatorischen und inhaltlichen Änderungen niederschlägt. Sie ist aber immer noch eine Fundgrube mit einer umfassenden Sammlung von Verlinkungen zu anderen Organisationen, wissenschaftlichen Artikeln, politischen Reports und weiterführenden Adressen.

Efka (polnisch, z.T. englisch):
Stiftung der Frauen; aufgebaut u.a. mit Unterstützung der Heinrich Böll Stiftung; geben eigene Zeitschrift „Zadra“ heraus sowie Bücher im Eigenverlag.

Feminoteka (polnisch, z.T. englisch):
Feminoteka ist eine Bibliothek und Stiftung. Sie unterhält eine Stiftung, deren Leitmotto der Satz von Simone de Beauvoir ist: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ Sie haben sich zur Aufgabe gemacht, sich für die Beseitigung der Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts einzusetzen, in allen Bereichen des gesellschaftlichen, öffentlichen und kulturellen Lebens. ZU diesem Zweck führt Feminoteka Schulungen und Workshops durch, organisiert Treffen, Buchpräsentationen, Buchbesprechungen und gibt Bücher heraus.

Frauen Für Frauen (polnisch):
umfangreiche Seite mit Diskussionsforen und Artikeln, kulturellen Hinweisen usw. vor allem zur Homosexualität.

Demokratische Frauenunion (polnisch):
Seit 20 Jahren aktiv und in den Frauen-Netzwerken etabliert.

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Regierung, Ministerien

Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik

Das Ministerium ist u.a. zuständig für die Gleichstellung von Frauen und Männern. Bei der Stichwortsuche auf der Homepage des Ministeriums wird man unter den Stichworten rowne szanse/Chancengleichheit oder kobiet/Frau zu keinem Suchergebnis geführt.

Es unterhält aber eine eigene Seite zum Thema „Gleichberechtigung im Unternehmen“. Hier sind alle Aktivitäten aufgeführt, Seminare werden angeboten und Publikationen sowie ein Wörterbuch der Gleichberechtigung werden vorgehalten.

 

Regierungsbevollmächtigte für die Gleichstellung
Pełnomocnik Rządu do spraw Równego

Die Besetzung dieses Amts wird direkt von der/dem Ministerpräsidenten vorgeschlagen und ist auch dort angesiedelt. Aktuell seit 1.9.2014 ist es Małgorzata Fuszara.

Das Amt hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich: 2001 -2005 hieß es noch Regierungsbevollmächtigte für die Gleichstellung von Frauen und Männern, 2005 wurde es von der damaligen Regierung abgeschafft; erst die Regierung unter Donald Tusk und der Platforma Obywatelska (Bürgerplattform) aktivierte das Amt 2008 erneut mit der Erweiterung der Aufgaben hinsichtlich der „Bekämpfung der Diskriminierung und die Umsetzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung auf dem Gebiet des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit, Nationalität, Religion, Glauben, Glauben, Behinderung, Alter oder sexueller Orientierung.“

Die Regierungsbevollmächtigte hat vor allem die Aufgabe, die Aktivitäten der Regierung in Sachen Gleichstellung zu koordinieren.

Aktuell wird zum sechsten Mal zum Wettbewerb „Jestem szefową”(„Ich bin Chefin“) aufgerufen. Das ist eine gemeinsame Initiative der Regierungsbevollmächtigten für Gleichbehandlung und dem Bildungsministerium in Zusammenarbeit mit der Vertretung der Europäischen Kommission in Polen. Schülerinnen der Oberschulen werden aufgerufen zu beschreiben, was für sie persönlich Führungskompetenz ausmacht und ob es einen Einfluss auf Führungsqualitäten hat, dass sie eine Frau sind.

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Andere Gender-Akteur_innen:

Einzel-Akteur_innen

  • Bozena Choluj (E-Mail: b.choluj@uw.edu.pl), hat 1995 die Warschauer Gender Studies mit gegründet.
  • Agnieszka Graff, Schriftstellerin, Übersetzerin und Publizistin; sie ist  stark verbunden mit der feministischen Bewegung in Polen und Mitglied der Redaktion  von „Krytyka Polityczna“ (Politische Kritik) Email: abgraff@go2.pl

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Wissenschaft

Wissenschaft

Universitäten

An fast allen großen Universitäten kann man mittlerweile Gender Studies studieren.

uniGender ist eine sehr umfangreiche und gute Informationsseite.

Auch sehr gut und informativ ist der Studienbereich Gender Studies der Warschauer Universität.

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Quellen
Die Quellenlage ist unterschiedlich. In der Landessprache stehen viele Internetseiten seitens der schon erwähnten NGO-Szene zur Verfügung, wenig in Englisch. Die Regierungsseiten beschränken sich ebenfalls auf die Landessprache und sind keine ergiebige Quelle bei der Thematik Gleichstellung. Auffallend war das zunehmende Auffinden von frauenfeindlichen, genderfeindlichen und homophoben Seiten im Internet.
Internetadressen wurden immer direkt im Kontext genannt.

Außerdem:

Federacja na rzecz Kobiet i Planowania Rodziny (Vereinigung für Angelegenheiten der Frauen und Familienplanung, polnisch und englisch);  die Site wirkt inhaltlich auf den ersten Blick eher konservativ, gibt aber einen guten Überblick über aktuelle Entwicklungen und wirkt vor allem informierend und beratend (z.B. kritische betrachtung der restriktiven Politik einer Schwangerschaftsunterbrechung betreffend).

Feministyczno-Genderowo-Queerowa Mozaika Myslowa – feministisches-gender-queeres Gedanken-Mosaik (ausschließlich auf polnisch) – aktuelle politische Diskussionen und Ereignisse werden kommentiert.

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Literatur

Annette Jünemann/ Carmen Clement (Hg.): Die Gleichstellungspolitik der Europäischen Union, The Policy of Gender Equality in the European Union, Nomos 2005, 180 S., 36,- Euro, ISBN 3-8329-1107-3, Schriftenreihe des Arbeitskreises Europäische Union e.V., Bd. 52.

B. Choluj/C. Neusüß, Geschlechtergleichstellung in Polen, in : Implementation von Gender Mainstreaming

Bundeszentrale für politische Bildung, „Zum Stand der Gleichstellungspolitik in Polen“ (2009)

European Parliament - Directorate General for Internal Policies - Policy Department C: Citizen's rights and constitutional affairs - Gender Equality The policy on gender equality in Poland - Note (PDF, 21 Seiten, 747 KB, englisch), 2011

Malgorzata Fuszara, Unvollendete Demokratie, in: Hoecker/Fuchs, Handbuch Politische Partizipation von Frauen in Europa, Band IIVS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004

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Ergebnisse einer Recherche von Tanja Berger und Pamela Dorsch 2010 im Auftrag des Gunda-Werner-Instituts der Heinrich-Böll-Stiftung. Zuletzt aktualisiert: Dezember 2016


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