Modelle – und Alternativen? Nicht alle Reformoptionen fördern Geschlechtergerechtigkeit

Eine umfangreiche Reform der Ehebesteuerung ist eine notwendige Voraussetzung für eine geschlechtergerechtere Gesellschaft. Doch nicht jedes Alternativmodell steht für mehr Gerechtigkeit – wie könnte eine geschlechtergerechte Ausgestaltung des Steuersystems aussehen?

An einer Wand sind Glühbirnen labyrinthartig angebracht
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Nicht alle Reformvorschläge führen zu mehr Geschlechtergerechtigkeit

Familiensplitting ist keine Familienförderung(1)Die Abschaffung des Ehegattensplittings ist eine notwendige Voraussetzung für mehr Geschlechtergerechtigkeit, eine höhere Erwerbsquote und eigenständige Existenzsicherung von Frauen und eine Anpassung des Steuersystems an die Erfordernisse des Gender Mainstreaming. Allein mit der Abschaffung ist aber noch keine Gerechtigkeit gewährt, denn nicht alle der möglichen und derzeit diskutierten Reformalternativen sind auch unter dem Aspekt der Gleichberechtigung sinnvolle Modelle. Wie sollte also eine geschlechtergerechte Ausgestaltung des Steuersystems aussehen?


Individualbesteuerung: Personen statt Paare besteuern!

Der radikalste Schritt wäre die Umstellung des Steuersystems auf Individualbesteuerung. Mit diesem System werden alle einkommenssteuerpflichtigen Personen in der Höhe ihres individuell erzielten Einkommens nach der Grundtabelle besteuert. Der persönliche Grundfreibetrag in Höhe des Existenzminimums (derzeit 7.664€) wird dabei jeder Person individuell gewährt. Die hohe steuerlich Hürde für die oder den Zweitverdiener/in, eine Erwerbsarbeit aufzunehmen, entfällt, da jeder mehr verdiente Euro auch tatsächlich das Haushaltsnettoeinkommen erhöht, anstatt erst einmal den entfallenden Steuervorteil „zurück“ zu erwirtschaften. Vergleiche mit Österreich, wo seit langem Individualbesteuerung gilt, zeigen, dass das Einkommen des bzw. der Zweitverdienenden ab einer wöchentlichen Arbeitszeit von 7 Stunden zu einem signifikant höheren Haushalts-Nettoeinkommen führt, wenn beide Einkommen individuell besteuert werden. Die Auswirkungen der Individualbesteuerung auf das Arbeitsangebot bei Männern und Frauen würden ausgleichend auf die Arbeitsverteilung wirken, da die Partizipationsquote der Frauen steigen, jene der Männer aber sinken würde (siehe dazu auch die [Präsentation, PDF] von Dr. Katharina Wrohlich). Das bedeutet: Es ist ein ausgeglicheneres Verhältnis von Erwerbs- und Familienarbeit zwischen Männern und Frauen zu erwarten, weil mehr Frauen in größerem Umfang erwerbstätig würden.

Soziale Auswirkungen der Steuerumstellung
Andererseits darf nicht verschwiegen werden, dass die Einführung der Individualbesteuerung zunächst zu Einkommenseinbußen bei Ehepaaren führen wird – in den alten Bundesländern beträgt der Medianwert 150€ pro Monat, in den neuen Bundesländern hingegen nur 17€ monatlich. Das bedeutet: 50% der steuerlich zusammen veranlagten Ehepaare in Westdeutschland hätten Nettoeinbußen von mehr als 150€ monatlich zu erwarten und für die Hälfte der steuerlich zusammen veranlagten Ehepaare in Ostdeutschland werden die Nettoeinbußen pro Monat 17€ nicht überschreiten. Hier wäre genauer zu fragen, welche Paare – betrachtet nach Einkommens- und sozialer Situation von diesen Einkommenseinbußen wie stark betroffen sind und ob diese ggf. Übergangsfristen und Lösungen zur sozialen Abfederung der Einführung der Individualbesteuerung rechtfertigen.

Rechtliche Aspekte
Allerdings steht der reinen Individualbesteuerung entgegen, dass diese Form dem Prinzip der steuerlichen Leistungsfähigkeit widerspricht, weil es die gegenseitigen Unterhaltsverpflichtungen zwischen den Eheleuten nicht berücksichtigt. Eine Option, um dieses Problem zu umgehen, wäre das Recht auf eine Übertragung des zweiten individuellen Grundfreibetrages in Höhe von (derzeit) 7.664€. Wenn beide Ehepartner ein Einkommen erzielen, das über diesem Grundbetrag liegt, wird der Betrag individuell angerechnet – entsprechend der reinen Individualbesteuerung. Liegt das Einkommen eines Partners aber unter dieser Grenze, kann der Differenzbetrag auf den anderen Partner übertragen werden. Damit würden sozialrechtlich bedingte Unterhaltspflichten gegenüber einem Ehepartner oder einer Ehepartnerin, der bzw. die kein eigenes Einkommen oder nur ein Einkommen unterhalb des Existenzminimums erzielt, berücksichtigt [Spangenberg 2005: "Neuorientierung der Ehebesteuerung", PDF, 56f.]. Effektiv würde die Steuerentlastung gegenüber der Grundtabelle durch den zweiten Grundfreibetrag steigen, gegenüber dem derzeitigen Splittingverfahren aber sinken, da die Abflachung der Progression entfällt. Erst ab einem Einverdiensteinkommen von 20.000€ steigt die Belastung gegenüber dem Splittingverfahren. Aufgrund des flexiblen zweiten Grundfreibetrages bestehen keine Negativanreize mehr für ein Zweiteinkommen, was negative Einkommensverluste effektiver und nachhaltiger ausgleichen dürfte als die Steuerentlastung durch Splitting.


Eherealsplitting: keine wirklich gerechte Lösung!

Als Alternative zum Ehegattensplitting wird besonders von Seiten der SPD das Eherealsplitting vorgeschlagen. Auch Bündnis 90 / Die Grünen favorisieren ein solches Modell, das hier „Individualbesteuerung mit übertragbarem Höchstbetrag“ genannt wird, technisch aber nach dasselbe ist wie ein Realsplitting. Der Gedanke des Realsplittings ist, die Effekte des Ehegattensplitting vor allem für Topverdiener-Ehen einzuschränken. Beide Ehepartner werden weiter zusammen veranlagt und dürfen bei entsprechender Einkommensdifferenz innerhalb der Ehe einen fiktiven Unterhaltsbetrag, der in der Höhe begrenzt ist, als Sonderausgabe steuerlich absetzen. Der Empfänger dieser Unterhaltsleistung muss diesen Betrag allerdings als Einkommen versteuern.

Bei diesem Modell hängt es von der Höhe des Absetzbetrages ab, wie ähnlich das Modell dem Ehegattensplitting ist. Bei einem möglichen Übertrag von beispielsweise 20.000€, wie es in der SPD von Gabriele Frechen  ["Ehegatten-Splitting zwischen Familienförderung und Diskriminierung"] vorgeschlagen wird, und einem Haushaltseinkommen von insgesamt 40.000€ würde sich gegenüber dem Splittingverfahren nichts ändern. Erst ab einem zu versteuernden Einkommen von 45.000€ würde sich für Alleinverdiener-Ehen eine Steuermehrbelastung von 31€ im Jahr ergeben (Spangenberg 2005: 60). Folglich wären auch die Anreize für die Aufnahme einer Erwerbsarbeit der oder des Zweiterverdienenden gering; die Partizipation von Frauen (als Zweitverdienerinnen) nach Arbeitsstunden würde sich um ca. 2,5% pro Woche erhöhen – gegenüber 11% bei Individualbesteuerung (Wrohlich 2009). Es bleibt also die Subvention des „Zu-Hause-Bleibens“ gerade für untere und mittlere Einkommensgruppen, deren Splittingvorteil zwar absolut nicht sehr hoch, in Relation zum Gesamteinkommen aber höher ist als bei Spitzenverdienern. Auch das Realsplitting – egal, unter welchem Titel – bleibt im System der gemeinsamen Veranlagung und der Benachteiligung von Doppelverdienerpaaren und Paaren mit geringen und mittleren Einkommen.


Familiensplitting ist keine Familienförderung

Gerade von Seiten konservativer FamilienpolitikerInnen wird in letzter Zeit über eine Umwandlung des Ehegattensplittings in ein Familiensplitting nachgedacht (1). Für eine solche Ausweitung des Splittingverfahrens wären zwei Varianten denkbar: das tarifliche Familiensplitting oder ein Familienrealsplitting. Das tarifliche Familiensplitting funktioniert analog zum Ehegattensplitting. Eltern und Kinder würden zusammen veranlagt und die Existenzminima für alle Familienmitglieder freigestellt.  Alle Einkünfte der Familie – möglicherweise auch von unverheirateten Eltern - werden zusammenaddiert und durch die Anzahl der Familienmitglieder geteilt. Für jeden Einzelbetrag würde dann die jeweilige Steuerlast berechnet und anschließend zusammengerechnet. Durch die Aufteilung des Einkommens würde eine Progressionsabflachung erzielt (Spangenberg 2005: 61). Probleme bereitet dieses Modell jedoch, weil das Splitting ja eigentlich als Nicht-Diskriminierung von Eheleuten als Erwerbsgemeinschaft eingeführt worden ist und in Analogie zur Besteuerung von Personengesellschaften, z.B. einer GbR, funktioniert. Eine Familie mit Kindern jedoch ist keine Erwerbsgemeinschaft, sondern eine Unterhaltsgemeinschaft, zumal niemand erwarten darf, dass Kinder zum Einkommen der Familie beitragen könnten. Der Vorstellung der Familie als reine Unterhaltsgemeinschaft entspricht daher eher das Familienrealsplitting, das die Absetzbarkeit von Unterhaltleistungen gegenüber Kindern und ggf. dem Ehepartner als Sonderausgabe ermöglicht.

Beide Modelle des Familiensplittings sind problematisch und sowohl aus geschlechter- wie auch familienpolitischer Sicht abzulehnen. Zunächst muss wieder festgestellt werden: Vom Familiensplitting profitieren bedarfsunabhängig vor allem Familien mit hohem Einkommen. Nichteheliche Familien könnten, müssen aber nicht am Familienrealsplitting Teil haben – dagegen würden auch Ehen ohne Kinder weiter gefördert, was die Idee des Familiensplittings fraglich erscheinen lässt und weiterhin ungerechtfertigte Steuervorteile ermöglicht. Nach wie vor würden die steuerlichen Entlastungen wieder nur dem (Haupt-) Erwerbstätigen, in der Regel dem Mann, zufließen. Eine Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Frauen ist vom Familiensplitting nicht zu erwarten. Da das Familiensplitting aber auch erheblich teurer wäre als das derzeitige Ehegattensplitting, ist dessen Einführung unter haushalterischen Gesichtspunkten nicht zu unterstützen – und auch derzeit kaum zu erwarten. Sinnvolle Familienpolitik sollte zudem besonders Kindern von ökonomisch schwächeren Eltern zu Gute kommen, durch Investitionen in Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, kostenlose Kitas, Musikschulstunden und Sportvereine. Das Familiensplitting jedoch fördert nur jene, die sich die Musikschule auch so leisten könnten und lässt sozial schwache Familien außen vor.

(1) siehe dazu auch ["CDU-Führung will Familiensplitting"], FAZ vom 17.06.2006; oder ["Die CDU wagt was"], Die Zeit vom 27.09.2006