Militärinterventionen schaffen keine Sicherheit

FriedensforscherInnen, zivilgesellschaftliche Gruppierungen, politische Parteien und sup-ranationale Organisationen hinterfragen die bisherigen Vorstellungen von Sicherheit und Entwicklung. Sie haben neue Konzepte zur zivilen Konfliktbearbeitung und Krisenprävention entwickelt und die Debatte über das Verständnis von Sicherheit vorangetrieben. Militärbündnisse wie die NATO und nationale Streitkräfte stehen schon seit langem im Zentrum ihrer Kritik.

Außerdem stellen sie das allein auf den Staat ausgerichtete traditionelle Sicherheitsverständnis in Frage und bemühen sich um eine von der feministischen Friedensforschung seit langem geforderte „ganzheitliche“ Betrachtungsweise, die die vielfältigen Ursachen für Konflikte in den Blick nimmt und dabei besonderen Wert auf die unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse von Frauen und Männern legt.

Die UNO griff diese Ansätze mit dem Diskurs um „Human Security“ („menschliche Sicherheit“) auf. Darunter wird nicht mehr die Sicherheit eines Staates verstanden, sondern die Sicherheit jedes einzelnen Individuums. Menschen sollen in „Freiheit von Furcht“ und in „Freiheit von Mangel“ leben können, so stand es erstmals 1994 im Human Development Report des UN-Entwicklungsprogramms UNDP zu lesen. Dieses Konzept bezieht auch Armut, ökonomische Ungerechtigkeit oder Krankheit als Bedrohung von Sicherheit mit ein. Im Unterschied zum traditionellen Sicherheitsbegriff, bei dem der Einsatz staatlicher Gewalt zur Abwehr möglicher Bedrohungen im Vordergrund steht, zeigt das Konzept der „Menschlichen Sicherheit“ eine Reihe von Strategien ziviler Konfliktbearbeitung auf, in deren Rahmen neben staatlichen Organisationen auch internationale Organisationen, zivilgesellschaftliche sowie privatwirtschaftliche Gruppen und Individuen agieren können. Das Ziel ist nicht allein der Schutz der Betroffenen, sondern auch Empowerment, ihre Stärkung.

Sicherheit ist eine Konstruktion, die sich seit dem späten Mittelalter als wichtiger Teil der Beziehung zwischen Staat und Individuum entwickelt hat. Der Sicherheitsbegriff und die aus ihm abgeleitete Politik haben sich im Kontext von Globalisierung und der wachsenden Bedeutung inter- und multinationaler Organisationen verändert. Siehe die Darstellung der verschiedenen Sicherheitsbegriffe.

Das Konzept der „Menschlichen Sicherheit“ kommt dem Sicherheitskonzept feministischer FriedensforscherInnen nahe. So orientiert es sich an einem Verständnis von Macht, das sich stärker auf die Idee von „Macht zu etwas“ (power to) anstatt auf „Macht über jemanden haben“ (power over) konzentriert. Dennoch wird die feministische Forderung, dass Sicherheit für Frauen und Mädchen nicht vor der privaten Haustür enden darf, auch in diesem Ansatz wenig beachtet. Der Zusammenhang zwischen sexualisierter Kriegsgewalt und häuslicher Gewalt wird in diesem Kontext ebenfalls so gut wie nicht thematisiert. Zusätzlich fehlt darin die konsequente Verbindung zu den Menschen- und Frauenrechten.

Der Ansatz, der von einigen entwicklungspolitischen NGOs und UN-Organisationen verfolgt wird, steht für die Ausrichtung des staatlichen und zwischenstaatlichen Handelns an den Menschenrechten: Die Pflichtentrias eines Staates umfasst den Schutz seiner BürgerInnen vor Eingriffen Dritter (to protect), den Respekt vor den Individualrechten als Abwehrrechten (to respect), und die Bereitstellung einer minimalen Grundversorgung zur positiven Ausübung von Rechten (to fulfill). Kann oder will ein Staat dies nicht leisten, ist die internationale Gemeinschaft gefordert, hier einzuschreiten – im Rahmen der „respon-sibility to protect“ bzw. durch humanitäre Handlungen. Im Falle von Menschenrechtsverletzungen muss so schnell wie möglich diplomatischer Druck ausgeübt werden. Geschieht dies nicht und wird die Unterdrückung von Frauen erst zur Rechtfertigung eines militärischen Eingreifens aufgeführt, setzen sich die handelnden Staaten dem Verdacht aus, die Forderung nach Menschenrechten zu instrumentalisieren.

Der Begriff von „Human Security“ operiert insofern mit einem erweiterten, wenn auch nicht umfassenden Sicherheitsbegriff. Abzugrenzen ist er allerdings von jenem als „neuen“ dargestellten oder „erweiterten Sicherheitsbegriff“, der von westlichen Sicherheitsstrategen und Militärexperten entwickelt wurde. Zwar definiert auch dieser neben internationalem Terror, „failed states“ und organisierter Kriminalität als neues Bedrohungspotenzial Armut, Seuchen und Umweltkatastrophen, jedoch erst an nachgeordneter Stelle. Im Unterschied zum Konzept der „Menschlichen Sicherheit“ ist der „erweiterte“ Sicherheitsbegriff staatsfixiert, insbesondere sieht er im Militär den zentralen Handlungsträger. Über diese Neudefinition des Sicherheitsbegriffs sollte der mit dem Ende des Ost-West-Konflikts funktionslos gewordenen NATO eine neue Legitimation verschafft werden. Dieses neue Sicherheitsverständnis findet in der NATO Verwendung und hat sich auch in der EU-Sicherheitsstrategie sowie in den Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundesrepublik und im neuen, 2006 veröffentlichten Weißbuch des Bundesverteidigungsministeriums niedergeschlagen. Damit verbunden ist eine Aufgabenerweiterung des Militärs, die zur Vermischung von zivilen und militärischen Aufgaben führt. So beteiligt sich die Bundeswehr in Afghanistan einerseits am Aufbau von Schulen, andererseits an militärischen Anti-Terror-Einsätzen. Siehe dazu „Menschliche Sicherheit“.

Die UNO, das Völkerrecht und die Ausformulierung der Menschenrechte bleiben von diesen Entwicklungen nicht unbeeinflusst. Gerade die UNO hat in der Dekade ihrer großen Konferenzen weltweit Bewusstsein über die Wichtigkeit von Frauen- und Menschenrechten geschaffen. Dennoch ist sie in ihrer Aufgabensetzung, Arbeitsweise und Zusammensetzung eine Reaktion auf die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Reform, die sie in die Lage versetzt, den globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen, ist dringend nötig, besonders unter geschlechterpolitischen Gesichtspunkten. Siehe dazu „Aktionsplattform von Peking“.

Lokale zivilgesellschaftliche Organisationen aus Nord und Süd haben wichtige Impulse für eine geschlechtergerechte, nachhaltig wirtschaftende und friedliche Welt gegeben. Im Bereich der Friedenspolitik ist die UN-Resolution 1325 zentral, die im Gefolge der Pekinger Konferenz dank jahrzehntelanger frauenpolitischer Lobbyarbeit vom Sicherheitsrat im Jahr 2000 verabschiedet wurde. Im Sommer 2008 kam UN-Resolution 1820 hinzu, die alle Formen sexualisierter Gewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen ahnden will. Siehe dazu „UN-Resolution 1325“ und „UN-Resolution 1820“.

Allerdings lässt die Umsetzung der Resolution 1325 und der Pekinger Aktionsplattform in den UN-Mitgliedsstaaten und im gesamten UN-System auf sich warten. Verwirklicht werden kann die Resolution nur, wenn Staaten und Staatenbündnisse ihre militärischen und zivilen Aktivitäten daran orientieren. Hier fehlt es auch in der Bundesrepublik und insgesamt in der EU an politischem Willen, an Know-How und den notwendigen Ressourcen.