Mit Mut gegen die Mehrheit - Oder: Geduldet, aber nicht geachtet

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Zeder
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Zeder in Bischarri, Libanon

« Wo sind die Zeiten der Homoerotik hin, als Arabiens Cafés voller männlicher Bauchtänzer waren und Dichter wie Abu Nuwas Liebesgedichte an schöne Jünglinge richteten? » Der Libanese Georges Azzi möchte gern erreichen, dass Schwule nicht nur stillschweigend geduldet, sondern gesellschaftlich akzeptiert werden. Das ist sein Traum, und dafür hat er mit anderen Mitgliedern des Clubs Free « Helem » gegründet, das auf Arabisch Traum bedeutet und zugleich das Akronym ist für « Libanesische Schutzorganisation für Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle und Queer ».

« Dass sich Helem in Beirut gegründet hat, überrascht kaum », sagt Layla Al-Zubaidi, die Leiterin des Büros Mittlerer Osten, « ist die Stadt doch von jeher für ein relativ offenes Klima und nebeneinander existierende Lebensweisen bekannt. » Neben dem Community Center von Helem im Innenstadtviertel Sanayeh, in das pro Monat 700 bis 800 Besucher kommen, gibt es mehr als ein Dutzend Treffpunkte für Schwule, die mehr oder weniger offen auf sich aufmerksam machen.

Doch diese zögerliche Toleranz wird von vielen Libanesen, Christen und Muslimen gleichermaßen, nicht geteilt und beruht auf einer prekären Balance. « Es gibt zwei Gesellschaften im Libanon», sagen die Aktivisten von Helem, « die konservative und die liberale. Viele Politiker stehen in der Mitte und fürchten die Reaktion der Konservativen zu heißen gesellschaftlichen Eisen wie dem der Homosexualität. Es gibt Homosexuelle, ja, aber man behandelt das besser als Tabu und spricht nicht darüber. » Immer wieder gibt es zudem Übergriffe von Passanten und der Polizei.

Deshalb ist das Hauptziel von Helem die Abschaffung des Paragraph 534 des libanesischen Strafgesetzbuches, der « unnatürlichen » Geschlechtsverkehr unter Strafe stellt. Um mehr Schubkraft und Legitimität dafür zu gewinnen, sucht Helem bewusst das Bündnis mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen des Landes, die sich der Sache nur zögerlich annehmen. Helem setzt sich seinerseits für andere gesellschaftspolitische Ziele und Zwecke ein; die Organisation war 2003 Teil der Oppositionsbewegung gegen den Irakkrieg und koordinierte im Sommer 2006 die Nothilfe für Flüchtlinge aus dem Süden, von denen viele der Hisbollah anhängen. Die Notsituation schaffte Berührungspunkte, die sich sonst kaum ergeben hätten.

Helem engagiert sich auch gegen HIV/Aids, man kann sich über das Büro einen Testtermin besorgen. Und als im Juni 2006 eine Sondersitzung der UN -Generalversammlung zum Thema HIV /Aids stattfand, legte Helem für die LBGT -Gemeinschaft einen « Schattenbericht » vor, in dem sie deutlich machte, dass die schwierige gesellschaftliche Situation von Homosexuellen auch das Verhandeln über « sicheren Sex » erschwert. Enttäuschend verlief 2005 die Begegnung mit dem CEDAW-Komitee in New York, das sich nicht dazu durchringen konnte, in die Empfehlungen für die libanesische Regierung auch die nach Abschaffung des Paragraphen 534 aufzunehmen. Doch Helem, international gut vernetzt, meldete sich 2008 erneut bei CEDAW, diesmal mit einem Schattenbericht über Gewalt gegen lesbische Frauen.

Jedes Jahr gibt es aus Anlass des internationalen Tages gegen Homophobie gezielte Aktionen: Flyer und Plakate werden verteilt, Podiumsdiskussionen veranstaltet, Vorträge über das Bild von Homosexuellen in den Medien gehalten und Dokumentarfilme gezeigt. Helem bringt auch einen Newsletter heraus, abwechselnd auf englisch und auf arabisch, sowie ein zweisprachiges Magazin, Barra. 2006 erschien mit Unterstützung der
Heinrich-Böll-Stiftung das erste arabischsprachige Buch über Homophobie mit verschiedenen Beiträgen und der klaren Ansage, dass nicht der Homosexuelle das Problem ist, sondern die Gesellschaft, die ihm grundlegende Rechte verweigert. Im Jahr 2009 förderte die Stiftung eine weitere Publikation mit dem Titel Myths on Homosexuality, die nicht nur in Arabisch und Englisch, sondern erstmalig auch in Armenisch erschien, um die im Libanon ansässige armenische Minderheit erreichen zu können. Am 23. F ebruar 2009 gab es erneut eine Premiere: ein erstes «sit in» gegen Gewalt gegen Minderheiten auf dem Sodeco-Platz. Für die 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer war es ein feierlicher Moment, als sie ihre Plakate in den Himmel reckten: « We shall no longer be afraid ».

Helem streitet für die Anerkennung von allen LGBT-Gemeinschaften; in einer Gesellschaft, in der Frauen nicht einmal das Recht haben, über ihre Sexualität zu bestimmen, ist das Engagement für Lesben jedoch vorrangig ein feministisches Thema. Deshalb haben vier Frauen im August 2007 Meem (A Community of Lesbian, Bisexual, Transgender, Queer and Questioning Women in Lebanon) gegründet. Ziel war es, einen « sicheren Ort» im Libanon zu schaffen, an dem sich nicht-heterosexuelle Mädchen und Frauen treffen können, wo sie Erfahrungen austauschen und diskutieren können. Inzwischen hat Meem schon fast 300 Mitglieder und mit dem Women House einen solchen Ort. Eine sehr lebendige Website (mit 6.000 Besucherinnen im Monat), ein monatlicher Newsletter, ein vierteljährliches Magazin (Bekhsoos) zeigen, wie attraktiv diese Gruppe ist und welche Vitalität dieses relativ junge Forum hat.

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Weitere Informationen:
Helem English | !EXIST
a community of queer women and transgenders - Meem

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