Fachgespräch: Militarisierte Männlichkeit - Auswertung und Bericht

  1. Einleitung
  2. Militarisierte Männlichkeit in Deutschland
  3. Auswirkung militarisierter Gewalt auf Nachkriegsgesellschaften
  4. Männlichkeitskonzepte, Politik und Religion
  5. Engagement von Männern für Geschlechtergerechtigkeit
  6. Offene Genderdialoge

Einleitung 
Was meint “militarisierte Männlichkeit“? Wie wirkt sie sich in bewaffneten Konflikten und in Postkonfliktsituationen aus? Wie kann diesem Problem begegnet werden?
Zentrale Fragen eines Fachgesprächs in Berlin im Mai diesen Jahres. Expert_innen, Aktivist_innen und Entscheidungsträger_innen aus verschiedenen Regionen und Kontinenten waren auf Einladung des Gunda-Werner- Institutes zusammengekommen, um die Gewaltdynamiken in und nach Kriegen und bewaffneten Konflikten zu analysieren und Praxisansätze zum Abbau und zur Prävention dieser Gewalt auf ihre Tauglichkeit hin zu überprüfen.

Anlass und Hintergrund dieser Zusammenkunft internationaler Expert_innen: die nationale und internationale Debatte über Ursachen und Auslöser von gewalttätigen Konflikten weist einen gravierenden blinden Fleck auf: immer noch wird der maßgebliche Einfluss der konkreten Geschlechterbeziehungen und die damit zusammenhängenden Geschlechtsidentitäten und Rollenvorstellungen in den jeweiligen Gesellschaften in der Konfliktforschung unterbewertet und auch in der Sicherheitspolitik ignoriert, welche zerstörerischen Auswirkungen Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen und damit einhergehende Identitätskrisen haben können. Bilder von Männlichkeit und Mannhaftigkeit, von Frauenleben und Weiblichkeit spielen bei der Austragung von Kriegen und bewaffneten Konflikten eine große Rolle. In der Institution Militär wird in der Regel zur Vorbereitung auf kriegerische Auseinandersetzungen in jeder Gesellschaft der Prototyp einer gesellschaftlich anerkannten, hegemonialen Männlichkeit herangezogen, der in Milizen und Söldnertrupps Entsprechungen hat. Auf der anderen Seite existiert das Bild der – zu beschützenden - Frauen und Kinder. Diese Dichotomie: männliche Kämpfer und weibliche Schutzbedürftige (Täter und Opfer) greift nicht nur gravierend zu kurz, sondern sie verklärt und verdreht die realen Verhältnisse, in denen Männer (auch als Täter) ebenso Opfer und Frauen zu Täter_innen werden. Doch die komplexen geschlechtsspezifischen Faktoren in Konfliktprozessen werden systematisch verkannt und verschleiert, mit verheerenden Auswirkungen.

Der Fokus dieses Fachgesprächs lag auf der Entstehung sowie den Auswirkungen militarisierter männlicher Identitätskonzepte, die auch in Postkonfliktphasen bei den Individuen wie in der gesamten Postkonfliktgesellschaft weiter wirken , wenn nach bewaffneten Konflikten die Militarisierung und Traumatisierung einer Gesellschaft unbeachtet und unbearbeitet bleiben. Sie schlagen sich darin u.a. auch nieder, dass massive Formen geschlechtlicher Gewalt – meist verübt von Männern an Frauen - die Sozialstruktur prägen. Häusliche Gewalt, Vergewaltigungen und institutionalisierte Homophobie sind nicht nur während, sondern auch noch nach bewaffneten Konflikten wirkungsmächtig. Ihnen zugrunde liegen Konzepte von Männlichkeit, die auf Wertigkeiten wie u.a. Stärke, nationaler Brüderlichkeit und kriegerischem Mut rekurrieren. Sie haben einen hohen Gewalt legitimierenden Charakter. Sie verhindern auch, dass Friedensansätze und Versöhnungsszenarien nachhaltig wirksam werden können.

Wie kann militärische Gewaltbereitschaft, wie männlicher Dominanz- und Hegemonie-Anspruch abgebaut werden? Welcher Arbeitsansatz muss für ein effektives Gegensteuern gegen die Verzahnung von militarisierter Männlichkeit und geschlechtlicher Gewalt angewendet werden? Wie können die entsprechenden sozialen Akteur-Innen erreicht werden? Wie sind die Menschen, die militaristische Wertigkeiten in ihrer geschlechtlichen Identität ausagieren, anzusprechen, um zu nachhaltig Gewalt losen Lösungen zu gelangen?

Militarisierte Männlichkeit in Deutschland 
Das Gunda-Werner-Institut hatte vier Referent_innen zum Einstieg gebeten, aus ihren spezifischen Arbeitserfahrung zu berichteten. Regionale Beispiele waren Projekte in Liberia, Uganda und Südafrika.
Den Auftakt machte die Publizistin Ute Scheub mit einem Abriss deutscher Militarisierungsgeschichte unter Gender-Aspekten. Sie zeichnete die Konstruktion einer militarisierten Männlichkeit durch die Institution Militär nach und spannte dabei einen Bogen von der deutschen kolonialen Vergangenheit, über die Überhöhung des Männlichen im Faschismus bis hin zur heutigen Umstrukturierung des Militärs zu einer freiwilligen Armee.
Eindringlich verdeutlichte Scheub , wie das Militär als „symbolische Recyclinganlage“ fungiert, die „die Normen militarisierter Männlichkeit und Männerdominanz immer wieder erneuert“, zu denen die Abwertung und Sexualisierung des Weiblichen ebenso gehört wie die Bagatellisierung der Traumatisierungen von Männern im Militäreinsatz . Auch das Tabu im Tabu, die Existenz sexualisierter Gewaltakte gegen Jungen und Männer im Krieg brachte Scheub zur Sprache und weitete damit den Blick für die Komplexität der Problematik sexualisierter Kriegsgewalt, auch wenn hiervon in erster Linie Frauen betroffen sind.

Scheub ging auch auf persönliche, biografische Erfahrungen mit militarisierter und traumatisierter Männlichkeit vor dem Hintergrund der NS-Zeit ein und stellte auf beeindruckende Weise die Verbindung von persönlicher Erfahrung, Selbstreflexion und wissenschaftlicher Auseinandersetzung her. Eine bewusste Verortung des eigenen Standpunktes im Diskurs um militarisierte Männlichkeit, die Frage : „Wo hat militarisierte Männlichkeit mit meinem Leben Berührungspunkte?“ fügte sich ein in die zentrale Erkenntnis des Fachgesprächs, dass ein Anknüpfen an die eigenen Diskriminierungserfahrungen eine essentiell wichtige Komponente in der Arbeit gegen militarisierte Männlichkeit und ihre zerstörerischen Auswirkungen ist.
Indem Ute Scheub das „Sprechen über die/das Andere“ durchbrach und die persönlichen Aspekte mit den globalen Interdependenzen des Problems militarisierter Männlichkeit verband, eröffnete sie den Einstieg in eine von (Selbst-)Reflexion geprägten, differenzierten Debatte.

Auswirkung militarisierter Gewalt auf Nachkriegsgesellschaften 
Die Initiatorin und Vorstandsfrau von medica mondiale, die Gynäkologin Monika Hauser, stellte „Auswirkungen militarisierter Männlichkeit auf Nachkriegsgesellschaften bis hin zur nächsten Generation“ dar mit Fokus auf sexualisierte Gewalt, und zwar vor dem Hintergrund von achtzehn Jahren Arbeitserfahrungen in Frauenprojekten und mit traumatisierten Frauen in Kriegs- und Krisengebieten. Dort verbindet medica mondiale psychosoziale Arbeit mit gynäkologischer und juristischer Begleitung und bietet Frauen Hilfe zur Selbsthilfe an. Neben Traumaarbeit fördert medica mondiale gezielt Empowerment von Frauen, beispielsweise im Bezug auf sexuelle Selbstbestimmung.

Eindrücklich beschrieb Hauser, was Traumatisierungen durch erfahrene Kriegsgewalt, meist verübt von Männern, für die Individuen, aber auch für die nachfolgenden Generationen bedeutet, wenn sie nicht aufgearbeitet werden. Daher ist für sie die Analyse patriarchaler Männlichkeitsbilder und –konstrukte in wie nach dem Krieg und die Klärung der Unterschiede zwischen „herkömmlicher“ und „militarisierter“ Männlichkeit und das Erkennen der „Ursachen der Perpetuierung und Pervertierung“ Voraussetzung, um Schlüsse für Gegenstrategien zu ziehen. Zugleich formulierte sie damit auch die Grenzen der Wirkmächtigkeit eines frauenfokussierten Arbeitsansatzes. Die begrenzte Handlungsfähigkeit von Frauen zeigt sich beispielsweise in Aushandlung mit dem (Sexual-)partner. Oft bewirken die Forderung von aufgeklärten Frauen nach Mitbestimmung keine Veränderungen, da der Mann der Frau ihr Recht auf Mitbestimmung nicht anerkennt. Hauser machte an diesem Beispiel deutlich, wie wichtig neben frauenfokussierter Arbeit, die Arbeit mit Männern ist, um nachhaltig Unterdrückungsstrukturen entkräften zu können. Denn auch die oft unbewussten, Identität verändernden Prozesse bei Männern, die durch Erfahrungen erlittener und ausgeübter Kriegsgewalt ausgelöst würden, bedürften systematischer Aufarbeitung. Doch die fehlt bisher fast überall, kritisierte Hauser und warf damit die Frage auf, in welcher Form und durch wen Arbeit mit kriegstraumatisierten Männern geleistet werden kann.

Für sie ist klar, dass parteiliche Arbeit für und mit Frauen, wie medica mondiale sie leistet, mit einer Arbeit für Männer nicht vereinbar ist. Monika Hauser sieht hier internationale Organisationen in der Verantwortung, sich der Problematik der Verknüpfung von Gewalt und Männlichkeitskonstruktionen zu stellen und Traumaarbeit mit Männernund Maskulinitätsreflexionen in ihre Programme zu integrieren als „unsere einzige Chance, mehr Gerechtigkeit für Männer und Frauen zu erreichen“. Allerdings reiche dies allein nicht, sondern müsse mit Frieden schaffenden Maßnahmen verbunden sein.

Männlichkeitskonzepte, Politik und Religion 
Chris Dolan, Leiter des „Refugee Law Projects“ in Uganda, verdeutlichte in seiner Präsentation die Verwobenheit von Männlichkeitskonzepten mit politischen und religiösen Komponenten. Dolan zeigte drei ineinander wirkende Phänomene auf, die das komplexe Gefüge von Männlichkeitskonzepten beeinflussen: die Struktur einer schwachen Staatlichkeit, versteckte oder sanktionierte Sexualität und die Verletzlichkeit entmachteter Männer.
Das „Refugee Law Projects“ hat als Zielgruppe Flüchtlinge und Asylbewerbenden und konzentriert sich sowohl auf Recherche- als auch Advocacy-Arbeit, Unterstützung von sogenannten LGBTTI-Flüchtlingen, sowie Trainings mit männlichen Überlebenden sexueller Gewalt. Dieser Arbeitsansatz beinhaltet die Anerkennung männlicher Verletzlichkeiten in Bezug auf sexualisierte und geschlechtliche Gewalt, ohne zugleich Männer als die „eigentlichen“ Opfer propagieren zu wollen. Dolan stellt klar, dass „gender“ sich nicht allein auf die Durchsetzung von Frauenrechten konzentrieren kann, sondern als ein Geflecht von sozialen Wechselwirkungen zu sehen ist, in denen es auch um den Schutz und die Rechte von Männern gehen müsse. Er veranschaulichte dies am Beispiel von sexringähnlichen Zusammenschlüssen im ugandischen Kontext, in denen religiöse Autoritäten männlichen Flüchtlingen Obhut versprechen, um sie dem sexuellen Missbrauch von Staatsmännern auszuliefern. Auch die Interdependenz zwischen Gewalt gegen Männern und Formen von gender based violence gegen Frauen griff Chris Dolan auf, indem er deutlich machte, dass die gewaltsame Unterordnung von Männern durch Männer in der Folge zu Gewalt gegen Frauen führe, da die Männer durch die Gewalttätigkeiten gegenüber Frauen und ihre Unterwerfung sich ihre Männlichkeit zu beweisen suchten. Dolan sieht in der Entmachtungserfahrung von Männern den Ansatz und Ausgangspunkt für psychosoziale Männlichkeitsarbeit, um mit diesen Männern gewaltfreie Handlungsalternativen zu entwickeln. Zugleich ist dies für ihn eine wichtige Komponente der Reintegration in sogenannten „Post“-Konfliktsituationen.

Engagement von Männern für Geschlechtergerechtigkeit 
Einen ähnlichen Ansatz beschreibt Patrick Godana, Projektmanager der Kampagne „One Man Can“ der südafrikanischen Nicht-Regierungsorganisation „Sonke Gender Justice Network“. Seit 2006 unterstützt die Kampagne gezielt Männer bei der Bekämpfung von gender based violence. „One Man Can“ fördert das Engagement von Männern für Geschlechtergerechtigkeit und die Gleichstellung der Frau, um gemeinsam gesunde und gewaltfreie Beziehungen zu ermöglichen. Besonders wirkmächtig ist der zivilgesellschaftliche Ansatz durch die Arbeit mit traditionellen männlichen Entscheidungsträgern, die laut Godana als „Gatekeeper“ sozialen Wandels gesehen werden können.
Godana erläuterte im Kontext der Apartheidsvergangenheit Südafrikas eindrücklich die Verschränkung von rassistischer und geschlechtlicher Gewalt, und auch den Übergang zwischen staatlich-struktureller Gewalt und dem häuslich-privaten Kontext. Seiner Erfahrung nach ist das Anknüpfen an individuelle Diskriminierungserfahrungen ein Ausgangspunkt für konstruktive und nachhaltige Bewusstseinsarbeit gegen militarisierte Männlichkeitskonzepte.

Offene Genderdialoge 
Die Frage nach Gegenstrategien militarisierter Männlichkeit fand in der Debatte eine einhellige Antwort: selbstreflexive, psychosoziale Ansätze kritischer Identitätsarbeit und –aufarbeitung als eine der wesentlichen Komponenten gewaltpräventiver Arbeit in (Post)Konfliktregionen.
Einig waren sich die Teilnehmer_innen auch darüber, dass eine effektive Arbeit gegen jegliche Formen geschlechtlicher Gewalt bedeuten müsse, einen offenen Genderdialog zu führen, und Männer wie Frauen in ihren unterschiedlichen Betroffenheiten in den Blick zu nehmen.

Offen blieben weiterhin zahlreiche Fragen: wie lassen sich angesichts geringer Kräfte und Ressourcen in diesem Bereich Konkurrenzen um die wenigen Mittel verhindern, wenn schon die Frauenarbeit extrem unterfinanziert ist und sich der Fokus nun möglicher Weise auf die Männer und die Förderung entsprechender Projekte richtet? Wie kann die Gefahr einer Schwächung von notwendiger frauenspezifischer Arbeit verhindert, und zugleich eine gender-sensible, emanzipative Arbeit mit Männern weiter voran getrieben werden? Ist die Arbeit von „Männern für Männer“ und „Frauen für Frauen“ die Lösung, oder verfestigen diese Zuordnungen nur binäre Geschlechterkonstruktionen? Wie könnte eine gemischtgeschlechtliche Arbeit in diesem Bereich aussehen?
Es bleibt für die genderfokussierte Friedensarbeit eine Herausforderung, den Rahmen eines progressiv feministischen Genderdialogs weiter auszuloten.