Frauen in bewaffneten Konflikten

Diskussionspanel "Frauen in bewaffneten Konflikten – Sexuelle und geschlechterbasierte Verbrechen strafrechtlich verfolgen“

Sexuelle und geschlechterbasierte Verbrechen strafrechtlich verfolgen

Im Rahmen des Rückblicks auf Peking +20 haben das Gunda-Werner-Institut und das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) eine Veranstaltung organisiert, um Erfolge und verbleibenden Leerstellen im Hinblick auf ein zentrales Thema der Pekinger Aktionsplattform zu betrachten: Frauen in bewaffneten Konflikten. Der Fokus der Veranstaltung lag auf dem kolumbianischen Bürgerkrieg, und den aktuellen Friedensverhandlungen zwischen Regierung und Guerillas, der FARC und ELN, in Havanna. Hoffnungen und Ängste, sowie die Notwendigkeit einer geschlechtersensiblen Perspektive auf den Friedensprozess in Kolumbien, werden in unserem Veranstaltungsbericht (Englisch) beleuchtet.

Einführung in das Problem:

Die Globalisierung und neue Machtkonstellationen überall auf der Welt haben die Bedeutung von Frieden und Sicherheit in den letzten 20 Jahren stark verändert. Die Zahl der bewaffneten Konflikte und Bürgerkriege in unterschiedlichen Regionen nimmt zu; damit geht eine wachsende Militarisierung und Brutalisierung in den betroffenen Gesellschaften, insbesondere unter Kommandeuren und Kämpfern einher.

In allen bewaffneten Konflikten erfahren Zivilist_innen Gewalt, vor allem geschlechterbasierte und – in extremer Form - sexualisierte Gewalt, wobei Frauen und Kinder am stärksten gefährdet sind. Wir wissen von diesen Kriegsverbrechen, seitdem mutige bosnische und kroatische Frauen am Ende der Kriege im ehemaligen Jugoslawien in den 1990er Jahren über das Ausmaß und die exzessive Brutalität solcher Verbrechen berichteten.

In der Zwischenzeit haben wir zudem aus Studien und Berichten aus vielen Regionen dieser Welt erfahren, dass geschlechterbasierte Verbrechen wie Massen-  oder Gruppenvergewaltigungen, Frauen- und Mädchenhandel, Sklavenhandel und Zwangsehen als Kriegsstrategien eingesetzt werden, die zu exzessiver Brutalität oder sogar zu Morden führen können.

Derzeit sind wir Zeug_innen derartiger Verbrechen vor allem in Syrien und im Irak, in Nigeria und im Südsudan. Wir wissen, dass auch Männer Opfer sexueller Gewalt werden, obgleich es noch immer ein wesentlich größeres Tabu ist, über derartige Straftaten gegen Männer und Jungen zu sprechen.

Diese Verbrechen legen es auf die Erniedrigung und Zerstörung des Feindes, der Kämpfer und der Gesellschaft insgesamt an. Sie werden von Rebell_innen und Partisan_innen, von Terrorist_innen, Freiheitskämpfer_innen und Regierungstruppen, d.h. von regulären Angehörigen der Streitkräfte, verübt. Es sind vorwiegend  Männer, die diese Straftaten verüben, wobei teilweise auch Frauen beteiligt sind (wie Beispiele des US-Militärs im Irak gezeigt haben).

Die gewalttätigen Übergriffe haben oft komplexe und vielschichtige Auswirkungen auf die Opfer und Überlebenden und treffen Frauen und Männer in unterschiedlicher Art und Weise. Viele sind anschließend schwerst traumatisiert und haben keine Gelegenheit, ihr Trauma zu verarbeiten. Vor allem, aber nicht ausschließlich bei Männern, sind die Opfer geschlechterbasierter Verbrechen häufig gleichzeitig auch Täter_innen. In jedem Fall hinterlassen die Kriegserlebnisse und die durch diese Gräueltaten hervorgerufene Brutalisierung tiefe Narben, die sich in der Postkonfliktphase, der Zeit des Wiederaufbaus, der Versöhnung und der Neuordnung, sowohl auf einzelne Personen als auch auf die Gesellschaft insgesamt auswirken. Frauen und Männer, Opfer und Täter, die gesamte Nachkriegsgesellschaft sowie die soziale Interaktion sind in unterschiedlicher Art und Weise betroffen. Frauen und Kinder erfahren in ihrem familiären Umfeld besonders oft häusliche Gewalt, die von heimkehrenden Kämpfern, Vätern oder anderen Verwandten ausgeübt wird. Diese Tatsache wird beim Konfliktmanagement und bei Friedensverhandlungen jedoch nur selten berücksichtigt.

In den letzten Jahren haben sogenannte „Transitional Justice“-Ansätze zur Aufarbeitung der konflikthaften Vergangenheit immer mehr an Bedeutung gewonnen. Diese werden von Friedensforscher_innen und Politiker_innen als Mittel der Friedenssicherung hervorgehoben. „Transitional Justice“ beinhaltet aber nicht nur juristische Verfahren, die auf dem Verständnis westlicher Demokratien beruhen, wie internationale und nationale Kriegsgerichtshöfe, sondern auch eine ganze Reihe unterschiedlicher Instrumente und Mechanismen zum politischen und rechtlichen Umgang mit derartigen Straftaten. Hierbei handelt es sich u.a. um Wahrheits- und Versöhnungskommissionen, Reparationszahlungen an die Überlebenden von Kriegsverbrechen, ihre Rehabilitation, symbolische Wiedergutmachungen und die Reform staatlicher Institutionen wie Polizei, Militär und Justiz; internationale und nationale Kriegsgerichtshöfe spielen aber auch eine Rolle.

Das vorrangige Ziel dieser Ansätze ist Versöhnung und nicht Gerechtigkeit; zumindest werden Verbesserungen in den Beziehungen zwischen den ehemaligen Konfliktparteien angestrebt. Sie sind darauf ausgelegt, gespaltenen Gesellschaften und verfeindeten Gruppen zu helfen, eine friedliche Form des Zusammenlebens zu finden und dadurch zukünftige Konflikte zu vermeiden.

Das Problem ist: Im Allgemeinen kennt der „Transitional Justice“-Ansatz keine Geschlechterperspektive, d.h. geschlechterbasierte und insbesondere sexualisierte Gewalt sind keine Themen, wenn „Transitional Justice“-Instrumente verhandelt und eingesetzt werden. Folglich kommen derartige Verbrechen fast nie ans Licht, z.B. im Zusammenhang mit bestimmten Wahrheits- und Versöhnungskommissionen. Daher müssen die für diese Verbrechen Verantwortlichen, die Täter also, keine Verantwortung für ihre Taten vor Gericht übernehmen. Und ganz wichtig: Den Überlebenden konfliktbedingter sexualisierter Gewalt wird keine Gerechtigkeit zuteil, was im Umkehrschluss bedeutet, dass sie keine Chance auf Wiederherstellung ihrer Würde bekommen. Als Folge dieses geschlechterblinden Ansatzes werden existentielle Bedürfnisse wie medizinische Versorgung, materielle Unterstützung, Beratung sowie Schutz, der normalerweise gewährt wird, vernachlässigt.

Wenn es um das notwendige Ausmaß der Offenlegung geschehener Verbrechen geht und darum, die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen, gehen die Meinungen auseinander. Aus feministischer Perspektive ist dies jedoch entscheidend, sowohl im Namen der Überlebenden als auch im Namen der Gesellschaft, um dauerhaften Frieden zu finden.

Der erste internationale Gerichtshof wurde geschaffen, um sich mit den Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien zu befassen; weitere Gerichthöfe folgten. Auf internationaler Ebene wurde sexuelle Gewalt als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Straftatbestand des Völkerstrafrechts anerkannt. Dies wurde durch UN-Resolution 1325, insbesondere aber durch UN-Resolution 1820 sowie durch die folgenden UN-Resolutionen zu „Frauen, Frieden und Sicherheit“ vom UN-Sicherheitsrat bestätigt und rechtsverbindlich, zumindest in Bezug auf Frauen und Kinder.

Derartige internationale Instrumente machen deutlich: Geschlechterbasierte und insbesondere sexuelle Gewalt müssen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bzw. Kriegsverbrechen vom Gesetz bestraft werden.

Trotz dieser positiven Entwicklungen dauerte es noch bis Juni 2013, dass der UN-Sicherheitsrat – kraft der neuen Resolution 2106 - ein klares Signal an alle nationalen Regierungen sendete, dass der Kampf gegen sexualisierte Gewalt oberste Priorität bei Konflikten haben müsse. Der Sicherheitsrat hat die Mitgliedsstaaten und Konfliktparteien aufgerufen, nicht nur jedwede Form sexueller Gewalt zu verhindern, sondern auch die Täter härter und konsequenter strafrechtlich zu verfolgen – ebenfalls als Mittel der Prävention. Im Regelfall dürfe es hier keine Straferlasse geben. Damit reagiert der UN-Sicherheitsrat auf die derzeitige Praxis im Umgang mit vergangenen Geschehnissen, bei denen Geschlechterdynamiken und sexuelle Gewalttaten entweder marginalisiert oder gar nicht erst mit einbezogen werden.

Nichtsdestotrotz gibt es sehr großen Widerstand gegen die Anerkennung geschlechterbasierter Gewalt als Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit und dagegen, dass diese im Strafverfahren  Berücksichtigung finden.

Sowohl die etablierte Politik als auch die Wissenschaft messen dem Thema geschlechterbasierte Gewalt in Analysen und in der praktischen Umsetzung nach wie vor nicht die gebotene Ernsthaftigkeit bei. Stattdessen wird das Thema oft als „Kollateralschaden“ bagatellisiert. Das gilt nicht nur für Krisenländer und Konfliktregionen, sondern auch für westliche Staaten und (inter)nationale Strafverfolgungsbehörden. Folglich sind politische Institutionen sowie die Rechtsprechung, Ermittlungsbehörden und der Internationale Strafgerichtshof nicht ausreichend gerüstet, um sicherzustellen, dass geschlechterbasierte Gewalt angemessen geahndet wird.

Das Gunda Werner Institut (GWI) arbeitet seit vielen Jahren daran, Friedens- und Sicherheitspolitik an den Prinzipien der Geschlechterdemokratie auszurichten. Das Institut verfolgt unter anderem die Strategie, Themen aufzugreifen, die als klassische Männerdomänen gelten. Im Geiste dieser Strategie beschäftigen wir uns seit 2011 auch mit Aspekten der „Transitional Justice“. Im Zuge von Fachgesprächen und öffentlichen Podiumsdiskussionen hat das GWI Beispiele aus bestimmten Ländern wie Südafrika, Sierra Leone, den Ländern des ehemaligen Jugoslawien, Kambodscha und der DR Kongo herangezogen. Im Zentrum dieser Diskussionen steht die Frage, ob und inwieweit Überlebenden geschlechterbasierter Gewalt durch „Transitional Justice“-Instrumente, wie Wahrheits- und Versöhnungskommissionen, Gerechtigkeit zuteilwerden kann und ob sie zu Geschlechtergerechtigkeit und Versöhnung in der Gesellschaft als Voraussetzung für tragfähige Friedenslösungen beitragen können. Durch ihre eigenen Auslandsbüros unterstützt die Heinrich Böll Stiftung zudem Partner, die aktiv im Bereich Konfliktmanagement und Konfliktbeilegung in krisengeschüttelten und Postkonfliktländern tätig sind.

In diesem Zusammenhang ist es uns wichtig, dass sowohl die Bundesrepublik Deutschland als NATO-Mitglied und Land, das selbst Militäroperationen unterstützt und durchführt, als auch die EU einen angemessenen Beitrag zur Versöhnung leisten, und zwar auch nach dem Ende von Kriegen und Militäreinsätzen.

Es reicht uns nicht, dass europäische Länder, Deutschland und die NATO einen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 entwickelt haben, der einige Maßnahmen zur Verhinderung geschlechterbasierter Gewalt enthält bzw. die Absicht hat, diese strafrechtlich zu ahnden. Wir brauchen konkrete Vorschläge, Maßnahmen und breite finanzielle Unterstützung sowie zu guter Letzt auch das Engagement, Frauen für Friedensverhandlungen mit an den Verhandlungstisch zu holen.

Wir werden viele dieser Probleme und Fragen in Bezug auf den langandauernden Konflikt in Kolumbien, der selten aus Geschlechterperspektive diskutiert wird, beispielhaft beleuchten.

Zum Weiterlesen: Der Veranstaltungsbericht des Events "Women in Armed Conflicts - Prosecuting Sexual and Gender-Based Crimes in Colombia and Beyond" findet sich hier (auf englischer Sprache).