Die Begründung der Jury: Anne-Klein-Frauenpreis 2023

Ehrung

Die syrische Juristin, Frauenrechtlerin und Menschenrechtsaktivistin Joumana Seif erhält den Anne-Klein-Frauenpreis 2023.

Die syrische Juristin, Frauenrechtlerin und Menschenrechtsaktivistin Joumana Seif erhält den Anne-Klein-Frauenpreis 2023. Joumana Seif, geboren im Jahr 1970 in Damaskus, lebt bereits seit langem im erzwungenen Exil in Berlin. Seit 2001 engagiert sich die herausragende und mutige Kämpferin für Frauenrechte. Frauenrechte sind für sie Menschenrechte. Aktivist*innen wie ihr ist es zu verdanken, dass sexualisierte Gewalt als systematisch eingesetzte Kriegswaffe eingestuft und in internationalen Verfahren als Verbrechen gegen die Menschlichkeit juristisch verfolgt und verurteilt werden kann.

Begründung der Jury

Auch das syrische Regime bedient sich sexualisierter Gewalt, um die Zivilbevölkerung einzuschüchtern und zu demütigen. In Deutschland ist in den vergangenen Jahren ein wegweisender Gerichtsprozess gegen Vertreter das Assad-Regime geführt worden, in dem belegt wurde, wie systematisch das Regime dies als Waffe einsetzt, gegen Kinder, Frauen und Männer. Durch das Engagement von Frauen- und Menschenrechtsorganisationen wurde sexualisierte Gewalt erstmals als eigener Straftatbestand in die Anklage aufgenommen. Daran hatte Joumana Seif maßgeblichen Anteil.

Unter dem Assad-Regime waren Kritiker*innen wie Joumana Seif immer in Gefahr; viele mussten willkürliche Haft und Demütigungen ertragen. Nachdem Joumana im Jahr 2003 im Namen ihres Vaters den Menschenrechtspreis der Stadt Weimar entgegennahm, erfuhr sie immer stärkere Repressionen. Das konnte ihren Mut jedoch nicht brechen und so beteiligte sie sich kontinuierlich an der syrischen Demokratiebewegung. 2012, ein Jahr nach dem Beginn der Aufstände gegen das Assad-Regime, verließ Joumana Seif nach Morddrohungen gegen ihren inhaftierten Vater und ihre Kinder Syrien. Mit ihrer Familie flüchtete sie 2013 nach Berlin. Seither engagiert sie sich aktiv in syrischen Frauenrechtsorganisationen und feministischen Netzwerken in Europa.

So ist sie Mitbegründerin des „Syrian Women’s Network“ (2013), das sich für Geschlechtergerechtigkeit und die Einbindung von Frauen in die politischen Entscheidungen eines Syriens von Morgen einsetzt. Außerdem begründete sie die „Syrian Feminist Lobby“ (2014) mit, die sich für gleiche politische Rechte für Männer und Frauen in Syrien einsetzt, ebenso wie das „Syrian Women’s Political Movement“ (2017), welches sich dafür einsetzt, dass Frauen mindestens 30 Prozent der aktiv an politischen Entscheidungen Beteiligen darstellen und Forderungen von Syrer*innen vertritt.

Im Mai 2017 kam sie als Research Fellow zum ECCHR in den Programmbereich Völkerstraftaten und rechtliche Verantwortung. Seit März 2022 ist sie Legal Advisor des ECCHR zu den Schwerpunkten Syrien und sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt. So arbeitete sie insbesondere zum Al-Khatib-Prozess vor dem Oberlandesgericht Koblenz und begleitete eng die beteiligten Folterüberlebenden. Joumana Seifs Bericht „Words against Silence“ analysiert die Gründe und Auswirkungen von politischer Haft und Folter aus der Perspektive von Frauen, welche nach ihrer Freilassung zusätzlich zu Traumata und Schuldgefühlen gesellschaftliche Stigmatisierung und Diskriminierung erfahren. Joumana Seifs Arbeit ermöglicht es, das Ausmaß sexualisierter Gewalt in Syrien und die verheerenden individuellen und gesellschaftlichen Folgen zu verstehen. Die Bedeutung ihrer Arbeit reicht weit über den syrischen Kontext hinaus: Hier wird Völkerrecht weiterentwickelt.

Weltweit setzen Kriegsparteien sexualisierte Gewalt in zahlreichen Konflikten ganz systematisch als Kriegswaffe ein. Vergewaltigung, sexueller Missbrauch, sexuelle Sklaverei, erzwungene Schwangerschaft und Nacktheit - all diese Verbrechen und viele mehr sind Formen sexualisierter Gewalt, die gerade in bewaffneten Konflikten lange Zeit als tragische Einzelfälle und keinesfalls als Teil der Kriegstaktik angesehen wurden. Insofern ist es ein grundlegender Wandel, gezielt eingesetzte sexualisierte Gewalt in bewaffneten Auseinandersetzungen, um den „Gegner“ zu demütigen und Gesellschaften nachhaltig zu zerstören, zu ahnden.

Stellvertretend für die vielen Aktivist*innen gegen sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten in aller Welt zeichnen wir Joumana Seif deshalb mit dem Anne-Klein-Frauenpreis 2023 aus. Die Jury verneigt sich.


Der Jury des Anne-Klein-Frauenpreises gehören an:

Dr. Imme Scholz, Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung, Juryvorsitzende

Renate Künast, MdB, Bündnis90/Die Grünen

Prof. Dr. Michaele Schreyer, ehem. Vize-Präsidentin des Netzwerks Europäische Bewegung Deutschland

Jutta Wagner, Rechtsanwältin, ehemalige Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes

Berlin, den 7.12.2022