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Wohlstand und Lebensqualität für alle Geschlechter?!

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Prof. Jutta Allmendinger
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Prof. Jutta Allmendinger

Am 26. September 2011 befasste sich die Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" des Bundestages mit dem Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Geschlechterverhältnissen.

Die Enquete, die Ende 2010 eingesetzt wurde, soll den Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft ermitteln und einen neuen Index für Wohlstand entwickeln, wobei sie die Frage nach den Möglichkeiten der Entkopplung von Wachstum, Ressourcenverbrauch und technischem Fortschritt beantworten muss.

Als Expertin war Prof. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin, geladen. Die Soziologin und Sozialpsychologin stellte eine enorme Fülle von statistischen Daten vor, um geschlechterspezifische gesellschaftliche Trends darzulegen. Damit wurde zunächst indirekt deutlich: Auch das traditionelle Messinstrument Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat eine (meist) unreflektierte Geschlechterkomponente.

„Wir steigern das Bruttosozialprodukt…“: Wachstum durch Erwerbsarbeit

Prof. Allmendinger konzentrierte sich auf ihre eigenen Forschungsgebiete, auf den Bildungsbereich und den Arbeitsmarkt. Seit 1952 lässt sich eine erfreuliche Bildungsexpansion verzeichnen. Mehr Frauen als Männer bestehen das Abitur, und es sind deutliche Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen zu erkennen, fast jeder vierte 15jährige Junge erwirbt nur geringe Kompetenzen in der Schule. 1,5 Millionen Jugendliche hatten 2007 keinen Ausbildungsabschluss, die Bildungsarmut bleibt auf hohem Niveau.
Seit 1960 sind in der Bundesrepublik immer mehr Frauen erwerbstätig, die Erwerbsquote von Frauen stieg von 47,6 Prozent auf 66,3 Prozent im Jahre 2010. Aber zwischen Männern und Frauen unterscheidet sich das Arbeitsvolumen der bezahlten Arbeit stark, Frauen sind viel mehr in Teilzeit beschäftigt. Mütter mit Kindern unterbrechen die Erwerbsarbeit für längere Zeit, während Väter mehr arbeiten. Außerdem besteht nach wie vor eine starke Aufteilung in Frauen- und Männerberufe. Seit 1950 wächst der Dienstleistungssektor, während das produzierende Gewerbe ebenso stark abnimmt.

Grenzen der Erwerbsarbeit

Auch wenn immer mehr Frauen in der Erwerbsarbeit tätig sind, bleibt der Anteil der Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen von Unternehmen gleichbleibend gering. Es besteht nach wie vor eine geschlechtsspezifische Kluft bei den Löhnen, die zu einer massiven Abhängigkeit von Frauen aufgrund niedriger Renten führt. In den alten Bundesländern sind die durchschnittlichen Witwenrenten weitaus höher als die Altersrenten der Frauen aus eigener Arbeit. Die Erwerbstätigkeit von Frauen in der DDR war vergleichsweise hoch, in den neuen Bundesländern entsteht jedoch ebenfalls eine Abhängigkeit vom Ehepartner.

Mit den von ihr präsentierten Statistiken ging Prof. Allmendinger - allerdings nur kurz - auf die demographische Entwicklung in Deutschland ein: der Anteil der 80jährigen und älteren Menschen wird bis 2050 stetig zunehmen und mit 15 Prozent dem Anteil der unter 20jährigen entsprechen.

Mehr Erwerbsarbeit bedeutet nicht unbedingt mehr Lebensqualität

Was aber bedeuten Prof. Allmendingers wissenschaftliche Erkenntnisse für die Suche nach einem neuen Modell für die Wohlstandmessung? Was muss ein Index beinhalten, der eine Wirtschaft auch nach ihrer Geschlechtergerechtigkeit misst, die Verteilung von Wohlstand und Lebensqualität für alle Geschlechter berücksichtigt?

Hausarbeit und Kindererziehung sind zwischen den Geschlechtern enorm ungleich verteilt. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern, insbesondere Finnland, ergibt sich ein geringerer Anteil von erwerbstätigen Müttern. Ein großes Angebot an Kitas und anderen Betreuungseinrichtungen verbessert die Möglichkeit für Eltern, mit Kindern erwerbstätig zu sein oder für eine bestimmte Zeit in Elternzeit zu gehen. Diesbezüglich besteht vor allem in den alten Bundesländern Nachholbedarf. Wenn auch 5,6 Millionen Frauen nicht erwerbstätig sind, wollen die meisten Frauen laut Befragungen arbeiten, auch wenn sie nicht arbeitslos gemeldet sind, sie wollen unabhängig sein. Wobei Prof. Allmendinger betonte, dass sie nicht eine Vollzeitbelastung von Frauen und Männern in der Erwerbsarbeit für erstrebenswert und gesund hält, sondern Lebensqualität auch mit Zeit für Weiterbildung und Kinder verbindet. Sie plädiert für eine gleichmäßige Aufteilung auf Männer und Frauen. Prof. Allmendinger ist überzeugt, dass eine geschlechtergerechtere Gesellschaft auch eine glücklichere Gesellschaft wäre, deshalb sollte die Geschlechtergerechtigkeit von einem Wohlstandsindikator auch gemessen werden.

Für die Erweiterung der Perspektive, die nicht nur auf Erwerbsarbeit fokussiert, sondern alle gesellschaftlich notwendige Arbeit und ihre geschlechtergerechte Verteilung in den Blick bekommt, fehlten jedoch in der Anhörung Zahlen zur Pflege, denn nach wie vor leisten mehrheitlich Frauen die bezahlte und unbezahlte Versorgungsarbeit.

Nicht zur Sprache kamen in der Anhörung außerdem beispielsweise Lebensentwürfe, die nicht auf Ehe und Kleinfamilie orientiert sind. In einem Beitrag wurde die „Vier-in-einem-Perspektive“ erwähnt, eine Vision der gerechten Verteilung von Erwerbsarbeit, Familienarbeit, Gemeinwesensarbeit und Entwicklungschancen. In der Debatte fiel außerdem das vielfach diskutierte Stichwort „degrowth“ (Wachstumsrücknahme) nur ganz kurz, die Idee einer Postwachstumsgesellschaft, einer Ökonomie ohne Wachstum spielte bei den Überlegungen keine Rolle. Wie sähe eine geschlechtergerechte Gesellschaft ohne Wirtschaftswachstum aus?

Grenzen des Wachstums und globale Gerechtigkeit

Möglicherweise wird die Wachstumskritik eine größere Rolle spielen, wenn Prof. Dennis L. Meadows („Die Grenzen des Wachstums“) die Enquete-Kommission am 24. Oktober 2011 beehrt. Im Dezember wird die Nord-Süd-Dimension thematisiert, Martha Nussbaum („Gerechtigkeit oder das gute Leben“) referiert über globale Gerechtigkeit.
Die Anhörungen der Enquete-Kommission sind jedoch so angelegt, dass Sachverständige jeweils ein Thema erörtern, aber keine Zeit bleibt, Zusammenhänge zwischen Themen wie zum Beispiel Geschlechtergerechtigkeit und Ökologie zu beleuchten. Die Berichte aus den Projektgruppen der Kommission verweisen auf kontroverse Diskussionen, beispielsweise zur Frage der Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wachstum. Am 21. März 2012 soll ein öffentliches Symposium stattfinden, vielleicht ergeben sich dann themenübergreifende Analysen. Hinweise auf eine geschlechtergerechte Wirtschaftsordnung spielten bei der vorhergehenden Anhörung zum Thema Nachhaltigkeit am 4. Juli kaum eine Rolle. Bei der Einsetzung der Kommission wurde die Zusammensetzung des Gremiums stark kritisiert, von 17 Sachverständigen (nebst 17 ParlamentarierInnen) wurde zunächst keine einzige Frau nominiert (mittlerweile ist eine Expertin nachgerückt).

Ann Friday
Soziologin und freie Journalistin, Berlin.

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Sitzung der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" vom 26.09.2011
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