„Embedded Feminism“

Frauen(rechte) als Legitimation für militärische Intervention in den Medien - Variationen und Veränderungen einer Legitimationsfigur

Andrea Nachtigall

Inhalt:

Wer die Fernsehbilder von den feiernden Menschen in Kabul nach dem Abzug der Taliban gesehen hat – ich denke hier vor allen Dingen an die Bilder der Frauen, die sich endlich wieder frei auf den Straßen begegnen dürfen –, dem sollte es nicht schwer fallen, das Ergebnis der Militärschläge im Sinne der Menschen dort zu bewerten.“
(Gerhard Schröder, Frankfurter Rundschau, 17.11.2001)

Der Kampf gegen den Terror ist auch ein Kampf für die Rechte und die Würde der Frauen in Afghanistan.“
(Laura Bush, die tageszeitung, 20.11.2001)

von Andrea Nachtigall

 
Wurden bereits in den Kriegen der 1990er Jahre im ehemaligen Jugoslawien die Verletzung von Menschen- und Frauenrechten, zum Beispiel Massenvergewaltigungen im Bosnienkrieg, als Rechtfertigung für eine militärisches Intervention benutzt, so entdeckte man im Afghanistankrieg die von radikalen Islamisten unterdrückten Frauen, um den Krieg gegen die Taliban als einen ‚gerechten Krieg’ und als Kampf für Frauenrechte und Demokratie darzustellen. Selten war in Politik und Massenmedien so oft von der ‚Befreiung der Frau’ zu hören und zu lesen wie nach dem 11. September 2001; das Thema Frauenrechte und die Situation der afghanischen Frauen waren auf einmal in aller Munde. Selbst Bundeskanzler Schröder, für den frauenpolische Themen zuvor nicht mehr als ‚Gedöns’ waren, machte sich für die Rechte der afghanischen Frauen stark und erklärte sich glücklich über ihre zurückerlangte Freiheit als Resultat der Militärschläge. Feminismus wurde zur ‚Chefsache’. Nach dem Sturz des Talibanregimes trat das politische Interesse an den Lebensbedingungen der afghanischen Frauen jedoch genauso schnell wieder in den Hintergrund, wie es aufgekommen war.

Nicht nur in politischen Statements, auch in der medialen Kriegs- und Konfliktberichterstattung wurden genuin feministische Argumentationsstränge, wie die Forderung nach Gleichstellung und Emanzipation der Frau sowie die Skandalisierung von Gewalt gegen Frauen, in den letzten Jahren zugunsten der Begründung und Rechtfertigung kriegerischer Interventionen vereinnahmt und nutzbar gemacht. Die Legitimierung kriegerischen Handelns zum vermeintlichen Wohle und Schutz von Frauen und Kindern ist jedoch nicht neu.

Wie die feministische Forschung gezeigt hat, dominieren in Kriegskontexten in der Regel dichotome, stereotype Geschlechterrollen und -bilder: Männer sind die aktiven Handlungsträger, sie töten, kämpfen, beschützen oder verhandeln, wohingegen Frauen zumeist die Rolle des passiven Opfers und der Leidtragenden des Krieges zufällt. Kurzum: Kampf und Krieg sind Männersache. Diese dominanten Identitäten werden häufig für die Begründung politischen Handelns zur Vorbereitung oder während eines Krieges gezielt mobilisiert und verstärkt, um staatliche und militärische Gewalt zu legitimieren. (Visuelle) Repräsentationen von Frauen und Kindern als Bedrohte und Opfer von Gewalt und Krieg gehören zu den bekannten und bewährten Mustern, auf die in der Kriegsberichterstattung geradezu reflexartig zurückgegriffen wird. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass die Rolle des Opfers in der Kriegsberichterstattung zumeist weiblich besetzt ist: Frauen, häufig in Verbindung mit kleinen Kindern, verkörpern geradezu prototypisch die ‚unschuldigen’ und zivilen Opfer eines Krieges und werden besonders häufig, und zudem sehr eindringlich und an prominenter Stelle genannt und visuell in Szene gesetzt (vgl. Kirchner et al. 2002). Enloe (1990) hat dieses wiederkehrende Repräsentationsmuster von Opferrollen in Kriegskontexten mit dem Topos „womenandchildren“ umrissen, um die geschlechtlichen Implikationen ebenso wie die Funktionalität dieser diskursiven Figur kenntlich zu machen.

In Zeiten von Krieg und Konflikt kann der emotionalisierende Verweis auf bedrohte oder leidende ‚FrauenundKinder’ eine wichtige Appellfunktion einnehmen und einen besonderen moralischen Handlungsdruck erzeugen. Während die eigene Nation traditionell durch ‚FrauenundKinder’ repräsentiert wird, gehört die Konstruktion des Feindes als ‚Mörder’ und ‚Vergewaltiger’ derselben ebenfalls seit Jahrhunderten zu einem zentralen Motiv der Kriegspropaganda, das von allen Kriegsparteien regelmäßig aufgegriffen wird, um die Grausamkeit des jeweiligen Gegners zu illustrieren und das eigene Einschreiten – zur Rettung der FrauenundKinder – zu begründen (vgl. Wenk 2005). Der stete Verweis auf das weibliche Opfer evoziert nicht nur das Bild des männlichen Täters, sondern verlangt implizit oder explizit nach einem – traditionell ebenfalls männlich gedachten – Retter und Beschützer, der für das Wohlergehen der FrauenundKinder Sorge trägt und für ihren Schutz eintritt. In diesem Sinne kann der Verweis auf bedrohte FrauenundKinder dazu dienen, die Kampfkraft der eigenen Soldaten anzuspornen. Die ‚heldenhafte’ Männlichkeit des Eigenen wird zugleich gegen die ‚barbarische’ und ‚frauenmordende’ Männlichkeit des Feindes in Anschlag gebracht und darüber als überlegen begründet.

Fotos sind dabei mehr noch als Texte dazu angetan, bei den Betrachtenden Emotionen zu wecken und Gefühle wie Fassungslosigkeit, Abscheu oder Mitgefühl auszulösen (vgl. Sontag 2005). Gerade die Fotos von zivilen und ‚unschuldigen’ Opfern transportieren eine eindringliche Mahnung und fordern unterschwellig zum Einschreiten auf, um das Notleiden und die Gewalt des Krieges zu beenden. Kirchner et at. sprechen in diesem Sinne auch von „Bildern, die zum Handeln auffordern“ (2002), wofür sich Fotos von Frauen und Müttern mit Kleinkindern besonders eignen, da (nur) sie innerhalb der tradierten Geschlechterordnung als hilflos und schutzbedürftig gelten und deshalb besonders dazu geeignet sind, beim Betrachtenden Mitleid zu erwecken.

Neu an der im ‚Krieg gegen den Terror’ verwendeten Argumentation ist also nicht der Verweis auf das weibliche Opfer, sondern die Verknüpfung mit dem Thema ‚Frauenrechte’ bzw. die Explizitheit, mit der nunmehr ‚feministische’ Diskursfragmente in die Begründungsmuster staatlicher und militärischer Politik eingebunden werden. Krista Hunt spricht (in Anlehnung an die in Militär und Kampfgeschehen ‚eingebetteten’ Journalisten) passend von einem „embedded feminism“ (2006), mit dem der Afghanistankrieg moralisch begründet und eine breite Zustimmung innerhalb der Bevölkerung – gerade auch unter Feministinnen und Frauenrechtlerinnen, die von ihrem Selbstverständnis traditionell eher kriegskritisch eingestellt sind – erreicht werden konnte (vgl. auch Nachtigall/Dietrich 2003). Hunt definiert „embedded feminism” als „the incorporation of feminist discourse and feminist activists into political projects that claim to serve the interests of women but ultimately subordinate and/or subvert that goal“ (2006: 53).

Die Präsentation von Frauen in den Medien bedeutet nicht zwangsläufig eine Berichterstattung über Frauen und ihre Belange (Klaus/Kassel 2008: 275). Auch das plötzliche Auftauchen der ‚afghanischen Frau’ verbunden mit dem Thema Frauenrechte in den Medien setzt nicht unbedingt ein nachhaltiges Interesse an ihrer tatsächlichen Situation und deren Veränderung voraus. Zumeist bleibt es bei oberflächlichen Absichtsbekundungen, die eine praktische Umsetzung auf der Handlungsebene missen lassen, weswegen man besser von ‚pseudo-feministischen’ Argumentationsmustern sprechen müsste. Wie ich im Folgenden ausführen werde, erfüllt der Verweis auf Frauen(rechte) im Rahmen der Kriegsberichterstattung überwiegend eine symbolische Funktion. So werden beispielsweise die Repräsentationen von Frauen und die Thematisierung von Frauenrechten in die kriegsnotwendige Konstruktion von Freund und Feind eingepasst.

Während die mediale Vereinnahmung und Instrumentalisierung von Frauen(rechten) im Zuge des Afghanistankrieges bereits einige kritische Aufmerksamkeit erfahren hat (z.B. Kassel 2004; Maier/Stegmann 2003), ist jedoch nur geringes Augenmerk auf den weiteren Verlauf und Veränderungen der diskursiven Legitimationsfigur gelegt worden. Diese Lücke soll hier geschlossen, und mit zahlreichen Beispielen aus der deutschen Printmedien-Berichterstattung zum Afghanistan- und Irakkrieg illustriert werden. Zu diesem Zweck wurde eine stichprobenartige Recherche verschiedener deutscher ‚Leitmedien’ – Der Spiegel (Spiegel), Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), die tageszeitung (taz), Bildzeitung (Bild) – vorgenommen, die nicht nur die eigentliche Kriegs-, sondern auch die Post-Konflikt-Berichterstattung bis heute umfasst. Wie sich anhand des Materials zeigen lässt, kann der Verweis auf FrauenundKinder bzw. das Thema Frauenrechte eine legitimierende, aber auch eine delegitimierende Funktion erfüllen.

Die Funktionalisierung und Instrumentalisierung ‚(pseudo-)feministischer’ Argumente im Rahmen der Begründung und (De-)Legitimierung kriegerisch-militärischen Handelns geschieht dabei in beabsichtigter wie unbeabsichtigter Weise. So wird in den untersuchten Medien vielfach ein expliziter Zusammenhang zwischen Leid und Unterdrückung der Frau und der Notwendigkeit eines Krieges zu Gunsten der Frauen bzw. zur Implementierung oder Wiederherstellung von Frauenrechten hergestellt. Häufiger noch wird dieser Begründungszusammenhang indirekt nahe gelegt, zum Beispiel durch die spezifische Art und Weise wie über Frauen (und Männer) in Afghanistan und Irak während des Kriegsgeschehens, in bestimmten Phasen der Intervention und nach Kriegsende berichtet wird. Durch die stark emotionalisierende Fokussierung auf Frauen und Kinder als Notleidende, Bedrohte oder Opfer des Feindes wird ein besonderer Handlungsdruck suggeriert, der einen Krieg zur ‚Rettung’ der Frauen sinnvoll oder gar unausweichlich erscheinen lassen kann. Dieser Subtext muss nicht unbedingt intendiert sein, sondern kann auch im Widerspruch zu der eigentlichen, möglicherweise (kriegs-)kritischen Positionierung des Autors/der Autorin bzw. des Mediums stehen. Eine diskursanalytische Perspektive interessiert sich hier für die überindividuellen Deutungsmuster, die in der Berichterstattung produziert werden, und die einen Krieg als illegitim oder legitim erscheinen lassen können.

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1. Afghanistankrieg: Die Burka als Kriegsargument und die entschleierte Afghanin als Symbol der Befreiung

Nach dem 11. September, insbesondere im Vorfeld und Verlauf des Afghanistankrieges, war plötzlich quer durch die deutschsprachige und internationale Medienlandschaft von den von die Taliban unterdrückten afghanischen Frauen zu lesen – direkt oder indirekt verbunden mit dem Appell, die Afghaninnen von ihrem Leid zu erlösen. Es dominierte die Opferperspektive, die die afghanische Frau primär auf die Rolle des passiven Opfers der Taliban reduziert, häufig verbunden mit einem paternalistischen Gestus des Mitleids.

Der afghanischen Ganzkörperverschleierung, der Burka, kommt in diesem Kontext eine zentrale, symbolisch aufgeladene Bedeutung zu: Sie stellt das vordergründige Merkmal der Darstellung dar und wird zum alles beherrschenden Thema; kaum ein Text, eine Bildunterschrift oder ein Foto kommen ohne Verweis auf die Burka bzw. die generelle Bezugnahme auf das Thema Verschleierung aus. Die Burka wird als das zentrale ‚Problem’ der afghanischen Frau interpretiert und gilt als untrügliches Zeichen schlimmster patriarchaler Unterdrückung durch die Taliban und eines fundamentalistischen Islams schlechthin. Immer wieder wird die Burka ausführlich im Hinblick auf Elend und Leid ihrer Trägerinnen beschrieben. „Die Burka ist nicht eine rückständige Kleiderordnung, sondern macht aus Frauen blindes, hilfloses, konturloses Vieh. […] Die Taliban beherbergen eben nicht nur Ussama bin Laden und seine Dämone. Sie habe ihre eigenen Bürgerinnen zur Hölle verdammt“ (taz 12.10.2001).

Bis auf wenige Ausnahmen wird die ‚Afghanin’ als zutiefst gedemütigte und traumatisierte Frau dargestellt, die passiv und leidend ihr Schicksal unter der Burka erduldet. In den Medien werden ihr jegliche Freiheiten, Entscheidungs- oder Handlungsoptionen abgesprochen; kaum mehr vorstellbar ist (aus westlich-okzidentaler Perspektive), dass diese Frauen überhaupt ein lebenswertes Leben führen. Die Burka wird auf eine einzige Lesart hin verdichtet und ausschließlich als Zwangsmaßnahme bzw. als Zeichen totaler Unterdrückung und Erniedrigung gedeutet. So ist beispielsweise von der „entmündigenden Burka“ (Spiegel 48/2001) oder auch – in Anspielung auf das Gewicht einer Burka – von „sieben Kilo Schmach“ (FAZ 19.9.2001) die Rede, die ihre Trägerinnen zwinge, „wie lebendig begraben durchs Leben zu gehen“ (ebd.). Wiederholt wird auf die körperlichen und seelischen Qualen afghanischer Frauen verwiesen, die von den Taliban „geknechtet“ und „unterjocht“ (FAZ 29.10.2001; Spiegel 41/2001) und zu „Sklavinnen“ gemacht worden seien (FAZ 19.9.2001). Frauen unter der Burka seien „Kreaturen, die nur noch schlafen und essen durften“ (FAZ 29.12.2001).

„Fernsehbilder aus Kabul haben Frauen in der Öffentlichkeit gezeigt, denen nur noch Handschellen und Fußfesseln fehlten, um sichtbar zu machen, wie in Afghanistan ein irregeleiteter, den Islam mißbrauchender Fundamentalismus die Hälfte der Bevölkerung versklavt.“ (FAZ 28.9.2001)

„In ihren Koranschulen hatten sie [die Taliban, A.N.] nie eine Frau gesehen, sie waren auf übelste Weise frauenfeindlich, ließen mehr als sechzig Prozent der Bevölkerung hinter dem Schleier, der zwangsweise vorgeschriebenen Burqa, verschwinden. ‚Es war wie im Gefängnis, wir hatten kein Leben’, erzählt eine. Zehn Millionen Frauen waren unsichtbar geworden, sie haben mehr gelitten als die Männer.“ (FAZ 11.12.2001)
 
Die Darstellung der afghanischen Frau wird konstant mit dem Thema Islam bzw. dem ‚islamistischen’ und ‚frauenfeindlichen’ Regime der Taliban verknüpft, so dass die ‚Afghanin’ als spezifisch ‚islamische Frau’ und damit als ‚Andere’ des Westens sichtbar gemacht wird. Effekt dieser Darstellungsmuster ist die Konstituierung einer grundlegenden, hierarchischen Differenz zwischen ‚islamischer’ und ‚westlicher Frau’, wobei auf das altbekannte Stereotyp der ‚unterdrückten Muslimin’ als Opfer des ‚orientalischen Patriarchats’ bzw. eines ‚frauenfeindlichen Islam’ rekurriert wird. Die starke Fokussierung auf die Burka bzw. das Thema Verschleierung – Burka und Schleier werden häufig synonym verwendet – ist von daher nicht zufällig: Sie steht im Kontext einer Jahrhunderte währenden Tradition westlich-okzidentaler Imaginationen in Bezug auf den ‚Orient’. Der Schleier, wie Schmidt-Linsenhoff (zit. n. Kassel 2004: 175) es ausdrückt, „bebildert“ die unterstellte Differenz zwischen Islam und Westen und weist den Islam gegenüber dem Westen als fremd, unzivilisiert und vormodern, und deshalb unterlegen aus. Die stereotype und generalisierende Art der Darstellung verkennt jedoch, dass nicht jeder Schleier aus Zwang getragen wird. Die Zu- und Festschreibung der Opferrolle verunmöglicht zudem, afghanische Frauen in ihren tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten wahrzunehmen, und damit als eigenständige Akteurinnen und politische Subjekte anzuerkennen. Dass es auch in Afghanistan widerständiges Denken und Handeln gegeben hat, zeigt zum Beispiel das Engagement der Gruppe RAWA (Revolutionary Association of the Women of Afghanistan).

Die Viktimisierung der afghanischen Frau und die Dämonisierung des Feindes über eine brutale und fehlgeleitete ‚Hypermaskulinität’ sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Die ‚barbarische Frauenfeindlichkeit’ der Taliban bildet in allen Medien das zentrale Thema, an dem die Verabscheuungswürdigkeit und Gefährlichkeit des Gegners festgemacht werden. (Sexualisierte) Gewalt gegen Frauen und eine extreme Frauenfeindlichkeit werden dabei ausschließlich als Merkmal des ‚orientalisierten Anderen’ (der Taliban, der Terroristen oder des Islams allgemein) dargestellt und fungieren als definitiver ‚Beweis’ eines vermeintlich zivilisatorischen Rückstandes gegenüber der westlichen Wertegemeinschaft. Wiederholt werden die Taliban als frauenfeindliche Vergewaltiger und Unterdrücker herausgestellt. „Taliban-Krieger vergewaltigen Afghanistans schöne Töchter“, lautet beispielsweise eine Schlagzeile der Bildzeitung (27.9.2001), oder: „Taliban-Terror! Wie Mädchen in Afghanistan leiden müssen“ (Bild 20.10.2001). „Die kompromißlose Unterdrückung von Frauen gehörte zum Weltbild der islamischen Gotteskrieger“, betont die FAZ (2.12.2001). Darüber hinaus ist von einer „primitive[n] Tyrannei“ (FAZ 4.10.2001), „archaischen Brutalität“ (Spiegel 52/2001) und einem „archaischen Frömmigkeitswahn“ (FAZ 22.11.2001) der Taliban die Rede. Die Verweigerung von ‚Frauenrechten’ wird jedoch als das markanteste Zeichen einer vermeintlich unaufhebbaren kulturellen Differenz zwischen Westen und Islam interpretiert, und damit die ‚Unterlegenheit’ des Islams gegenüber dem Westen plausibel gemacht. Gleichzeitig wird dadurch das Bild einer auf Freiheit und Gleichheit beruhenden westlichen (Geschlechter-)Ordnung als ‚zivilisatorisches Gegenmodell’ zu der als besonders abartig und frauenverachtend gekennzeichneten (islamischen) Männerherrschaft der Taliban (implizit) gestärkt.

Diese Rahmung hat Auswirkungen auf die Wahrnehmung und Beurteilung (außen-)politischen Handelns, insbesondere im Hinblick auf die Legitimität des militärischen Vorgehens. Die wiederholt herausgestellte ‚barbarische Frauenfeindlichkeit’ des Feindes lässt ein militärisches Einschreiten – parallel zu den offiziellen Begründungsmustern des Krieges – aus humanitären und ethischen Gründen gerechtfertigt und geradezu unausweichlich erscheinen, um die afghanische Frau von ihrem Leiden zu erlösen, und machte den Krieg gegen die Taliban zugleich als ‚zivilisatorische Mission’ und ‚Maßnahme zur Verteidigung westlicher Werte’ verstehbar.

Die Beendigung der Gewalt gegen Frauen und die Implementierung von Frauenrechten werden explizit als Ziel der militärischen und diplomatischen Bemühungen genannt, oder aber durch die Art und Weise der medialen Inszenierung implizit mit dem Ziel und Zweck der Kriegesführung in Zusammenhang gebracht. So enthält die permanente Fokussierung der Entrechtung und Unterdrückung der afghanischen Frau einen besonderen moralischen Impetus und verlangt nach Schutz und Rettung der Frauen – bei gleichzeitigem Appell an die frauenfreundliche Ritterlichkeit und Beschützerrolle der eigenen Männer. Diese Rahmung rekurriert zudem auf ein kolonialistisches Wahrnehmungsmuster, dem zufolge sich der ‚weiße Mann’ als zivilisatorisch überlegen imaginiert, der die ‚Wilden’ von der ‚Barbarei’ befreien müsse. Dem vermeintlichen Schutz bzw. der Befreiung und Rettung der einheimischen Frauen kommt in der kolonialistischen Rhetorik eine zentrale Bedeutung zu, die Spivak (1990) mit dem Satz „white men saving brown women from brown men“ auf den Punkt bringt (zit. n. Dietze 2006: 225). So schreibt Franz Josef Wagner in seiner täglichen Kolumne der Bildzeitung, die diesmal mit der Überschriebt „Liebe Mama“ an seine Mutter – stellvertretend für alle Mütter – adressiert ist: „Mama, wir bombardieren Afghanistan, weil wir auch die afghanische Frau befreien müssen“ (30.10.2001).

Während vor und im Verlauf des Krieges das Thema Verschleierung der afghanischen Frau bzw. die Zwangsverschleierung durch die Burka im Vordergrund der Berichterstattung standen, rückt mit dem ‚Etappensieg’ in Kabul Anfang November und dem sich abzeichnenden Ende des Krieges das Motiv der Entschleierung in den Mittelpunkt. In der Darstellung der Medien scheint es geradezu zu einer euphorischen Massenentschleierung zu kommen, bei der sich die afghanischen Frauen enthusiastisch und fröhlich der verhassten Burka entledigen und damit zugleich ihr ‚wahres Gesicht’ hinter dem Schleier als modebewusste und geschminkte Frau offenbaren. Der in Wort und Bild vollzogene Prozess der Entschleierung wird dabei kontinuierlich mit einer Rhetorik von Befreiung und Freiheit verknüpft:
 
„Kabul grüßte die Eroberer wie lang erwartete Helden, die ein mittelalterliches Zwangssystem endlich verjagt hatten. Alles, was unter den überstrengen Gotteskriegern das Leben verkrüppelt hatte, galt auf einmal nicht mehr: Auf überfüllten Lastwagen bewegten sich heimkehrende Flüchtlinge im Takt einer Musik, die aus schnell aufgehängten Lautsprechern ertönte. Auf den Basaren fanden die Frauen, die zögerlich ihre Burkas abzuwerfen begannen, wieder Lippenstift und modische Kleidung. Kein Zweifel: Hier war ein Großteil des Landes befreit worden.“ (Spiegel 47/2001)
„Am Tag eins nach der Regierungsübergabe atmet die Stadt sichtbar auf. Viele Frauen, vor allem die jungen, laufen nun mit aufgeknöpfter Burqa […], darunter tragen sie schwarze Jeans und bunte Blusen. In Bussen schlagen manche sogar schon den Gesichtsschleier über den Kopf nach hinten, so daß ihr sieben Jahre lang vergitterndes Gewand wie ein alter Zopf am Körper hängt.“ (FAZ 24.12.2001)
 
Der symbolische Charakter der Darstellung spiegelt sich insbesondere in der Bilderpolitik wider: Nach dem Sturz des Talibanregimes zirkulieren zahlreiche Fotos von glücklich ‚entschleierten’ afghanischen Frauen, die die Burka abgelegt oder angehoben haben, in den Medien, und verleihen dem Krieg im Nachhinein einen moralischen Mehrwert. Die Fotos sind allesamt auffallend ähnlich aufgebaut: Zu sehen ist stets eine Frau mit einer über den Kopf hochgeschlagenen Burka oder einem Kopftuch inmitten einer gesichtslosen Menge von Frauen, die nach wie vor die Burka tragen – was Connie Uschtrin in der Zeitschrift Konkret (Heft 1/2002) zu der Aussage veranlasst, man brauche keine besondere Übung, um die Künstlichkeit und den Inszenierungscharakter der fast identischen Bildmotive zu erkennen.1 Häufig stehen die Fotos ohne expliziten Bezug zum Text, d.h. sie begleiten die Kriegsberichterstattung, ohne dass in den Artikeln überhaupt auf die spezifische Situation der Frauen eingegangen würde. Die Bedeutung der Fotos erschließt sich primär über den Kontext, insbesondere aus den Bildunterschriften, so z. B.: „Befreite afghanische Frauen: Über Jahre gequält“ (Spiegel 48/2001), „Afghanische Frauen nach dem Fall von Kabul: Lippenstift wiederentdeckt“ (Spiegel 47/2001), „Nach fünfjährigem Versteckt unter dem Ganzkörperschleier endlich wieder im Straßenbild von Kabul: Lächelnde Frauen“ (taz 15.11.2001) und „Frauen in Kabul nach dem Auszug der Taliban“ (Spiegel-Jahreschronik 2001; das gleiche Foto findet sich am 22.11.2001 auch auf der Titelseite der taz, hier lautet die Unterschrift: „Kabul, 21. November. Nach der Abschaffung des Burka-Zwangs legen Frauen nach und nach die Schleier ab“.

Die Fotos der ‚entschleierten Afghanin’ kreieren die Erwartungshaltung eines Vorher und Nachher (Dietze 2006: 228). Die Botschaft ist eindeutig. Sie verheißt: Eine Frau ist bereits entschleiert, die anderen werden bald folgen. Mehr noch als die textlichen Ausführungen vermitteln die Fotos Authentizität, sie scheinen unmittelbar und unmissverständlich zu belegen, dass der Krieg (doch) etwas Gutes bewirkt hat: die Entschleierung (= Befreiung) der afghanischen Frau, die wiederum stellvertretend für die ‚Befreiung’ der afghanischen Nation steht, hat stattgefunden. Die Betrachtenden werden gleichsam zum Augenzeug_innen des Geschehens: Wir sehen die Frauen, wir blicken ihnen direkt ins Gesicht, sie lächeln fröhlich zurück und tragen keine Burkas, sondern Lippenstift. Unter der Burka kommt stets eine jugendlich wirkende, strahlende und glücklich lächelnde Frau zum Vorschein, die keineswegs, zumindest äußerlich, von Krieg und Leid ausgezehrt und erschöpft erscheint.

Assoziiert wird vielmehr das Stereotyp der schönen und exotischen ‚Orientalin’ unter dem Schleier, wenn z.B. wie in der Bildzeitung wiederholt auf die verborgene ‚Schönheit’ der Afghaninnen, die nun sichtbar werde, hingewiesen wird. Das unter der Burka zum Vorschein kommende ‚wahre Ich’ der afghanischen Frau wird zugleich an einem modernen, westlichen Weiblichkeitsideal gemessen und entsprechend westlicher Weiblichkeitsvorstellungen vereinnahmt. Immer wieder werden westlich kodierte Kleidungs- und Weiblichkeitsnormen wie das Tragen von Lippenstift, hohen Absätzen, Jeans und modischer Kleidung in den Medien hervorgehoben, was den Eindruck erweckt, dass dies die Dinge seien, die die afghanische Frau unter der Burka am sehnlichsten vermisst hat. „Das neue Leben der Mädchen im befreiten Kabul. Sie träumen von Lippenstift und bunten Kleidern“, lautet eine Schlagzeile der Bildzeitung. Darunter im Text heißt es weiter: „Der Machtwechsel hat vor allem das Leben der Frauen … verwandelt. […] Fernsehbilder zeigen die ersten Frauenköpfe ohne Schleier. […] Gestern Morgen hat Jila mit ihrer Freundin Aziz … den ersten Ausflug gewagt. Staunend haben sie sich Lippenstifte angesehen, bunte Kleider, Haarteile, Nagellack. ‚Das war wie ein Kribbeln im ganzen Körper’, sagt sie, ‚aber gekauft haben wir nichts’“ (Bild 15.11.2001).

Auch wenn die Fotos nunmehr unverhüllte Personen und individuelle Gesichter zeigen, wird die Anonymität der Darstellung nicht durchbrochen; keine der ‚entschleierten’ Frauen kommt selbst zu Wort oder wird mit vollem Namen benannt. Das Bild der entschleierten afghanischen Frau erfüllt vielmehr eine über den konkreten Kontext hinaus weisende symbolische Funktion und zeigt stellvertretend die ‚Befreiung’ Afghanistans von den Taliban: Durch die Fotos und das Narrativ der Entschleierung wird der Krieg rückwirkend als ein ‚gerechter Krieg’ für die ‚Befreiung’ der ‚unterdrückten muslimischen Frau’ und ‚Kampf für Frauenrechte und Demokratie’ lesbar gemacht – bei gleichzeitiger Ignoranz gegenüber den afghanischen Frauen selbst.

Auch die Bilderpolitik in der Berichterstattung über die politische Nachkriegsituation in Afghanistan offenbart die symbolische Funktion der Repräsentationen. Im Kontrast zu dem textlichen Schweigen über die Interessen und Meinungen der afghanischen Frauen werden die weiblichen Delegierten der Afghanistankonferenz auf den Fotos überproportional häufig in den Fokus genommen. So weckt in einem Spiegel-Artikel, der primär die Konferenz auf dem Petersberg zum Gegenstand hat, gleich auf der ersten Seite das Foto einer Frau die Aufmerksamkeit der Leser_innen (Spiegel 49/2001). Die Frau spricht in ein ihr vorgehaltenes Mikrophon und schiebt soeben mit beiden Händen das Tuch zurück, welches locker über ihren Kopf fällt. Im Text wird mit keinem Wort ein Zusammenhang zu der Frau auf dem Foto hergestellt. Wir erfahren weder Namen, Beruf, politischen Hintergrund oder die konkrete Funktion, die sie im Rahmen der Konferenz innehat, noch ihre persönliche Einschätzung in Bezug auf die Konferenz oder ihre Forderung bezüglich der politischen Neugestaltung des Landes.

Dennoch ist das Foto auch ohne Textbezug unmittelbar ‚lesbar’, die Botschaft ergibt sich aus dem bereits im Vorfeld etablierten Bedeutungskontext: Das Bild einer Frau ohne Burka in Zusammenhang mit der Afghanistan-Konferenz erbringt erneut den ‚Beweis’ für die erfolgreiche ‚Befreiung’ und Demokratisierung des Landes – ungeachtet der tatsächlichen Beteiligung von Frauen an der neuen Regierung, ihren konkreten Aufgaben, Ämtern oder Zuständigkeiten, sowie den realen gesellschaftlichen Veränderungen für Frauen. Gemäß dem etablierten Deutungsmuster von ‚Entschleierung = Befreiung’ wird der lose um den Kopf geschlungen Seidenschal als Zeichen wiedererlangter ‚Freiheit’ ebenso wie als erfolgreiche ‚Annäherung’ an westliche Vorstellungen von Weiblichkeit und den entsprechenden Kleidungsnormen bei gleichzeitiger ‚Abkehr’ vom Islam lesbar. Zugleich bliebt der ‚Schleier’ als Symbol des Fremden bzw. als Kennzeichnung der muslimischen Frau im Bild präsent, jedoch in einer ‚abgeschwächten’ Variante.

Auch die Bildzeitung nimmt auf die weiblichen Delegierten der Petersberg-Konferenz Bezug: Sima Wali wird hier namentlich benannt, der Bildausschnitt ist kleiner gewählt, so dass Mikrophon und das Konferenz-Setting im Hintergrund fehlen: Die Überschrift greift erneut das Stereotyp der ‚geheimnisvollen orientalischen Schönheit’ auf: „Wer ist die schöne Afghanistan-Unterhändlerin?“ (1.12.2001), ist das Foto überschrieben.

Auf politische Ansichten, Ziele oder Forderungen der weiblichen Delegierten wird in den untersuchten Medien bis auf wenige Ausnahmen (wie z.B. der taz) nicht näher eingegangen, noch erhalten diese in den Medien eine eigene Stimme. Konkrete politische An- und Absichten werden lediglich von den männlichen Protagonisten geäußert – bzw. in der medialen Wiedergabe berücksichtigt. So werden die männlichen Konferenzteilnehmer in der Regel namentlich, mit Lebenslauf und politischem Hintergrund vorgestellt, einzeln interviewt und nach ihren politischen Absichten befragt (z.B. Spiegel 48/2001 und 52/2001).

Auch in der Berichterstattung über Nachkriegssituation und die anlaufende ‚Friedensmission’ in Afghanistan werden ausschließlich Männer als politische Handlungsträger in den Fokus genommen, während Frauen(rechte) als Ziel und Zweck dieses Handelns präsentiert werden. Wiederholt wird in Politik und Medien betont, dass sich Wiederaufbau und humanitäre Hilfe in erster Linie an Frauen, Mädchen und Kinder richteten. Die Einführung und Gewährleistung von Frauenrechten werden zum ausdrücklichen Bestandteil der deutschen außenpolitischen Bemühungen:
 
„Deutschland will sich neben der unmittelbaren Nothilfe zum Überleben vor allem beim Aufbau von Gesundheits- und Bildungseinrichtungen einsetzen, besonders für Frauen und Mädchen.“ (FAZ 18.12.2001)
„Die Deutschen sind die ersten in Afghanistan. Nicht mit Soldaten – die hat Großbritannien zum Schutz des politischen Neuanfangs bereits entsandt. […] Aber vor allen anderen Nationen hat Deutschland in dieser Woche damit begonnen, die Rechte der afghanischen Frauen zu stärken und den Aufbau des Bildungssystems vorzubereiten.“ (FAZ 28.12.2001)
 
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die ‚afghanische Frau’ wurde in den Medien weniger als Individuum wahrgenommen, sondern fungiert als Symbol für den ‚Erfolg’ des Krieges und den demokratischen Neubeginn in Afghanistan. Auch die Thematisierung von Gewalt gegen Frauen bzw. die medial heraus gestellte Empörung über die Missachtung von Frauenrechten durch die Taliban, sowie die zum Beweis einer neuen Ordnung gezeigten ‚befreiten’ und ‚entschleierten’ Frauen, bedeuten nicht zwangsläufig ein wirkliches Interesse an den Belangen der afghanischen Frauen, ihren Lebensrealitäten und der nachhaltigen Umsetzung der Forderung nach Frauenrechten.

Ein erstes Indiz dafür ist das selektive Auftauchen des Themas. Die ‚afghanische Frau’ und der Verweis auf die Missachtung bzw. die Forderung nach Wiederherstellung von Frauenrechte kommen in der Berichterstattung vor allem in spezifisch thematischen Konstellationen vor und sind zudem auf einen zeitlichen Rahmen von wenigen Monaten begrenzt. Sie stehen vor allem dann auf der Agenda, wenn es um die vermeintliche Brutalität und Frauenfeindlichkeit des Gegners bzw. des Islams im Allgemeinen, das Ende der Talibanherrschaft sowie die Motive und Gründe des eigenen, außenpolitischen Handelns geht.

Des Weiteren fällt die weitgehende Ignoranz gegenüber afghanischen Frauen als aktiv und politisch Handelnde, und damit als Akteurinnen und Subjekte des Diskurses ins Auge. Es überwiegt eine homogenisierende Perspektive, die die ‚afghanische Frau’ primär auf die Rolle des hilflos ausgelieferten Opfers – der Taliban, des Islams oder des Krieges – reduziert. Dass eine Afghanin als Individuum, mit Namen, Beruf und eigenen Ansichten vorgestellt wird, bleibt im Kontext der gesamten Berichterstattung eine Randerscheinung. Afghanische Frauen erhalten in den Medien nur selten eine eigene Stimme; sie werden nur selten zu ihren politischen Ansichten direkt befragt, noch werden ihre spezifischen Interessen, Erfahrungen und Einschätzung in der Berichterstattung berücksichtigt.

Politische Meinungen von Frauen werden zudem sehr selektiv wiedergegeben. So wurde z.B. die Warnungen vor der Nordallianz weitestgehend ignoriert und diese stattdessen als Helden und Befreier gefeiert. Berichte der Organisation RAWA über die Grausamkeit der Taliban wurden wiederholt zitiert – nicht jedoch ihre grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber dem Krieg. Mehrfach wurde herausgestellt, dass sich afghanische Frauen ‚für mehr Frauenrechte’ einsetzen wollten, aber was sie darunter genau verstehen, wie sie sich die Umsetzung vorstellen, was ihre zentralen Ziele sind etc. ist für die Medien nicht von Bedeutung, es bleibt bei der pauschalen Aussage, dass sie Frauenrechte wollen. Die reale Verbannung der afghanischen Frau aus der Öffentlichkeit wiederholt sich somit in dem medialen Sprechen über die afghanische Frau, in der ihr abermals Handlungsmacht und eigene Stimme abgesprochen werden.

Die Unsichtbarmachung der ‚afghanischen Frau’ als politischen Handlungsträgerin steht wiederum in einem auffälligen Missverhältnis zu der visuellen Darstellung, die Frauen besonders herausstellt. Dabei werden die Fotos zum Argumentationsersatz, da sie häufig ohne direkten Bezug zum Text stehen – ein weiterer Beleg für den symbolischen Charakter der Darstellung. Die Repräsentation der afghanischen Frau als Opfer der Taliban bzw. die beständige Betonung der von den Taliban ausgeübten Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen, insbesondere die Fotos von erschossenen, gesteinigten oder verstümmelten Frauen, erbringen auf der einen Seiten den ‚Beweis’ für die Unmenschlichkeit und Grausamkeit der Feindes, was zugleich ein Einschreiten westlicher Militärs zur Rettung und Befreiung der afghanischen Frauen notwendig erscheinen lässt. In diesem Sinne konnte die Skandalisierung der Gewalt gegen Frauen und der Ruf nach Frauenrechten zur Rechtfertigung und Begründung des eigenen (militärischen) Einschreitens herangezogen und zu einer tragenden Säule der Kriegslegitimation werden.
 
Insbesondere die Anfang November 2001 in den Medien gehäuft auftauchenden Fotografien und Narrationen der freiwilligen Entschleierung der afghanischen Frau fungieren als augenscheinlicher Beweis dafür, dass die Kriegesführung im Sinne der proklamierten Frauenbefreiung erfolgreich war. Das Bild der entschleierten Frau verlieh dem Krieg somit im Nachhinein eine besondere Legitimität und machte ihn als geglückte Frauen-Rettungsaktion plausibel.

Im Kontext des Afghanistankrieges fällt zudem eine sprachliche Verschiebung ins Auge: nicht nur FrauenundKinder, sondern insbesondere „Mädchen“ werden als Opfer sexualisierter und patriarchaler Gewalt herausgestellt. Der beständige Verweis auf das Leiden der Frauen und Mädchen stellt damit gleichsam einen Sonderfall des Topos FrauenundKinder dar. Ähnlich wie Frauen und Kinder, werden Frauen und Mädchen häufig in einem Atemzug genannt, wenn es um das Leiden der Bevölkerung unter den Taliban sowie Ziel und Zweck der deutschen politischen Bemühungen geht. In Anlehnung an Enloes Wortschöpfung könnte deshalb auch von ‚FrauenundMädchen’ gesprochen werden. Im Falle des Afghanistankrieges kommt es zudem zu einer Generalisierung der Beschützerfigur entlang kolonialistischer Wahrnehmungsmuster. Der durch die fortwährende Dämonisierung und Hypermaskulinisierung des Feindes auf den Plan gerufene ‚Retter’ ist nunmehr nicht (allein) zum Schutz der eigenen FrauenundKinder angetreten, sondern ebenso zum ‚Schutz’ bzw. zur ‚Befreiung’ der FrauenundKinder der gegnerischen Seite.

Insgesamt hielten vormals dezidiert feministische Zielsetzungen – wie die Forderung nach Frauenrechten und die Abschaffung patriarchaler Gewalt gegen Frauen – Einzug in die Internationale Politik und wurden als Begründungs- und Legitimierungsmuster politischen Handelns nutzbar gemacht. So wurde wiederholt betont, dass sich das außenpolitische Engagement, insbesondere das deutsche, in erster Linie an die afghanischen Frauen und Mädchen richte bzw. ganz besonders den Frauen und Mädchen zu Gute komme. Der ‚Schutz von FrauenundKindern’ in entlegenen Regionen der Welt wird zu einer zentralen Legitimationsfigur politischen Handelns und zum Bestandteil das nationalen Selbstverständnisses. Kritik und Diskussion machen sich lediglich an der Umsetzung fest, also an der Art und Weise wie das Ziel am besten erreicht werden könnte (rein militärisch oder militärisch-diplomatisch).

Dass das mediale Interesse an der Situation der afghanischen Frau genauso schnell wieder abebbte, wie es begonnen hatte, kann als weiterer Beleg für die Oberflächlichkeit und Symbolhaftigkeit der Darstellung interpretiert werden. Kaum jemand scheint sich nach Ende des Afghanistankrieges noch für die Umsetzung der zuvor proklamierten Frauenrechte oder die tatsächliche Lage der afghanischen Frau zu interessieren. Die Forderung, Frauen in die politische Neugestaltung Afghanistans verstärkt einbeziehen zu wollen, blieb kaum mehr als ein Lippenbekenntnis. Die vormals in den Medien für ihren ‚tapferen Widerstand’ gegen die Taliban gelobte Frauenorganisation RAWA wurde zu den offiziellen Nachkriegs-Verhandlungen auf dem Petersberg noch nicht einmal eingeladen, was für die Medien keinerlei Notiz oder Empörung mehr Wert war. Auch die Tatsache, dass lediglich zwei der Minister_innenposten an Frauen vergeben wurden, scheint der zuvor noch lautstark verkündeten Forderung, Frauen sollten in der neuen gesellschaftspolitischen Ordnung eine zentrale Rolle spielen, Genüge getan zu haben.

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2. Irakkrieg: Der Feind als ein Regime frauenquälender Schurken und Vergewaltiger

Der Bezug auf bedrohte oder leidende Frauen und Kinder stellt auch in dem zweiten im Namen des ‚Krieg gegen den Terror’ geführten Krieges im Irak (20.3.-14.4.2003) eine vordergründige Diskursfigur dar, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Vorherrschend ist die Darstellung von FrauenundKindern als Opfer des von den USA angeführten Krieges, der in den deutschsprachigen Medien anders als der Afghanistankrieg überwiegend abgelehnt wird. Die Berichterstattung über den Verlauf des Irakkrieges wird von einer ausgeprägten Bilderpolitik begleitet, in der Frauen, Mädchen und Kinder als Kriegsopfer, Notleidende und Flüchtlinge im Vordergrund stehen. „Am schlimmsten leiden Iraks Kinder“, titelt die Bildzeitung (31.2.2003) und präsentiert vier großformatige Fotos, die weinende und verletzte Kinder zeigen – alles Mädchen, wie in den Bildunterschriften hervorgehoben wird. Dieselben oder ähnliche Agenturfotos sind auch in der taz (z.B. 31.3.2003), FAZ (z.B. 31.3.2003) und dem Spiegel (z.B. 15/2003) zu finden, sie begleiten die Kriegsberichterstattung im gesamten Verlauf und werden an prominenter Stelle, z.B. auf den Titelbildern platziert (z.B. Spiegel 15/2003; taz 25.3.2003).
 

Die Fotos zeigen überwiegend Mütter mit ihren kleinen Kindern auf der Flucht oder einzelne verletzte Kinder, wobei daran appelliert wird, dass Kinder als besonders schutzbedürftig gelten. Der Bildausschnitt ist zumeist so gewählt, dass individuelle Gesichter, geprägt von einem Ausdruck der Verzweiflung und des Schreckens, im Vordergrund stehen. Die Art und Weise der visuellen Darstellung ist von Bedeutung: „Mitleid und Mitgefühl stellen sich bei Fotos ein, auf denen identifizierbare Einzelpersonen dargestellt werden“, halten Kirchner et al. (2002: 36) anlässlich der Berichterstattung über den Kosovokrieg fest. Diese Tradition setzt sich auch in der Irakkriegsberichterstattung fort, so werden flüchtende Männer eher als Teil einer großen Masse gezeigt, während die Ikonisierung des Leidens Frauen und Kindern bzw. Mädchen vorbehalten bleibt. Der Bezug auf Frauen und Kinder als Opfer von Kriegsgewalt, Flucht und Vertreibung erfüllt in diesem Kontext eine den Krieg delegitimierende Funktion.

 
Die Bilder unschuldiger Mütter und Kinder sind dabei offenbar besonders dazu angetan, Mitleid zu erwecken und die Ungeheuerlichkeit des Krieges zu illustrieren. Das geschlechterstereotype Repräsentationsmuster von schutzbedürftiger Weiblichkeit und beschützender Männlichkeit wird durch die direkte Gegenüberstellung mit Fotos, die wahlweise kämpfende und tötende, oder aber Frauen und Kinder beschützende Soldaten zeigen, noch verstärkt (z.B. taz 28.3.2003, Titelseite).

Im Unterschied zum Afghanistankrieg fällt besonders auf, dass die Symbolik des ‚Schleiers’ bzw. das Narrativ von ‚Verschleierung’ und ‚Entschleierung’ stark in den Hintergrund tritt. Kaum noch wird in den Texten und Bildunterschriften auf die Verschleierung der irakischen Frau Bezug genommen, selbst dann nicht, wenn auf den Fotos verschleierte Frauen zu sehen sind. Das kann damit zusammenhängen, dass die Verknüpfung des Irakkrieges mit dem Feindbild ‚Islam’ weniger vordergründig ist als im Afghanistankrieg.

Der Verweis auf Frauenunterdrückung und (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen fungiert innerhalb der Irakkriegsberichterstattung in erster Linie als ‚Beleg’ für einen krankhafte Grausamkeit einzelner Männer, weniger als Zeichen für die vermeintliche Rückständigkeit und Barbarei einer ganzen Gesellschaft (Taliban) oder religiösen ‚Kultur’ (Islam) wie es im Afghanistankrieg der Fall war. Gewalt gegen Frauen und Frauenfeindlichkeit werden vielmehr als ein individualistisches Kennzeichen einzelner Machthaber dargestellt, allen voran als Merkmal von Saddam Hussein und seiner beiden Söhne. Nur selten wird jedoch die Diskussion über Motivation und Beweggründe des Krieges explizit mit dem Verweis auf die Wiederherstellung oder Einführung von Frauenrechten verknüpft. Die Legitimationsfigur des ‚embedded feminism’ entfaltet ihre Wirkmächtigkeit eher indirekt. So wird die ‚Abscheulichkeit’ des Feindes, ähnlich wie bei der Dämonisierung der Taliban, vor allem mit der Entrechtung von Frauen und (sexualisierter) Gewalt gegen Frauen und Mädchen begründet.
 
„Dies ist ein Regime, das alle Fußknochen eines zweijährigen Mädchens einzeln zerbricht, um seine Mutter zu zwingen, den Aufenthaltsort ihres Mannes preiszugeben. Dies ist ein Regime, das einen Säugling auf Armeslänge von seiner Mutter entfernt hält und das Kind verhungern lässt, um seine Mutter zu einer Aussage zu bewegen. […] Dies ist ein Regime, das eine Frau, eine Tochter oder andere weibliche Verwandte wiederholt vor den Augen eines Mannes vergewaltigt. […] Dies ist ein Regime, das eine junge Mutter auf der Straße vor ihrem Haus und in Anwesenheit ihrer Kinder enthauptet, weil ihr Mann in Verdacht steht, ein Gegner ebendieses Regimes zu sein.“ (Spiegel 5/2003)
 
Häufig sind stark dramatisierende Berichte über Vergewaltigungen, Folter und Hinrichtungen von Frauen, um den „alltäglichen Horror“ des Regimes zu illustrieren. Saddam Husseins Sohn Udai wird als gefürchteter „Frauenschreck“ und „brutaler Playboy des Terror-Triumvirats“ bezeichnet, der im „perversen Luxus“ schwelge und dem die Frauen willkürlich ausgeliefert seien (alles Spiegel 25/2003). Saddam und seine Söhne ließen Frauen täglich zu ihrem eigenen Vergnügen entführen, foltern und töten, wird wiederholt betont.
 
„Anderen Frauen, auf die er ein Auge geworfen hatte, ließ er [Udai, A.N.] nicht einfach wieder ziehen, Er ließ sie auf offener Straße rauben und ihre Begleiter foltern und Töten. Und wenn sich die Mädchen ihm widersetzten, stand darauf nicht Folter, sondern Vergewaltigung, oft der Tod. […] ‚Man hat’, sagt Nasrallah, ‚kaum eines dieser Mädchen je wieder gesehen’.“ (Spiegel 25/2003)
„Frauen, die sich im privaten Kreis gegen Saddam ausgesprochen hatten, wurden in Folterkellern wochenlang nackt gehalten, geschlagen, vergewaltigt.“ (Bild 14.2.2003)
 
Trotz der zumeist ablehnenden Haltung der deutschen Medien zum Irakkrieg erscheint der Krieg durch die permanente Fokussierung auf die Situation der irakischen Frauen doch zumindest moralisch gerechtfertigt, und für die Frauen einen positiven ‚Nebeneffekt’ mit sich zu bringen. Indem Saddam Hussein und seinen Söhnen das Handwerk gelegt wird, kehrt auch für die irakischen Frauen wieder Frieden ein. Nach der Einnahme Bagdads heißt es in einem FAZ-Artikel mit der Überschrift „Endlich erlöst“ im Bezug auf Saddam Hussein:
 
„Nun ist der Mörder der Kinder mit seinem unabwendbaren Schicksal konfrontiert. Er hat Frauen köpfen lassen, Giftgas eingesetzt, die Umwelt zerstört und aus einer reichen Nation eines der ärmsten Länder der Welt gemacht.“ (FAZ 11.4.2003)
 
Kurz vor Ende des Krieges, tauchen in den Medien ebenfalls kurzzeitig Fotos und Erzählungen von geretteten und befreiten FrauenundMädchen auf. Am 10.4.2003 zeigt die Bildzeitung zwei großformatige Fotos, die erneut die im kollektiven Bildgedächtnis fest verankerten Bilder aktualisieren. Gezeigt wird ein US-Soldat mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm (Bildunterschrift: „Ein Bild des Friedens. Ein US-Soldat hält fürsorglich ein kleines Mädchen, das bei den Kämpfen in Bagdad leicht verletzt wurde“). Gleich daneben sieht man das Foto einer in die Kamera strahlenden jungen Frau, die ihren Daumen empor streckt (Bildunterschrift: „Daumen rauf! Ein irakisches Mädchen begrüßt die alliierten Truppen“). Auch im Text ist wiederholt von den glücklichen Frauen die Rede: „Nach drei Wochen Bombenangriffen ruft eine Frau US-Soldaten weinend zu: ‚Wir lieben euch’.“
 
Der Rückgriff auf die altbewährten (Geschlechter-)Stereotypen von frauenfeindlichen Schurken und heldenhaften Soldaten auf der einen, und geretteten FrauenundMädchen auf der anderen Seite, verleiht auch dem Irakkrieg – trotz aller Kritik – im Nachhinein einen positiven Nutzen.

Die Schleiersymbolik in der Irakkriegsberichterstattung ist zudem keineswegs so eindeutig auf die Lesart Zwang und Unterdrückung festgelegt wie es noch im Afghanistankrieg der Fall war. Zu beobachten ist ein wiederkehrendes Bildmotiv, welches zumeist ohne Textbezug auftritt. Die Fotos zeigen schwarz verschleierte und schwer bewaffnete irakische Soldatinnen. Die Bildunterschriften setzen die Fotos regelmäßig in Zusammenhang mit dem ‚Terror-Regime’ und assoziieren eine bevorstehende Gefahr (für die USA). So wird etwa betont, dass es sich bei den Frauen um Sympathisantinnen Saddam Husseins handele, die sich in einem „Protestmarsch gegen die USA“ (Spiegel 5/2003) befänden, und dass ein Bürgerkrieg sowie Racheaktionen gegen die USA bevorstünden: „Solidaritätsmarsch irakischer Frauen für Saddam: Düstere Vorboten eines Bürgerkrieges“ (Spiegel 8/2003).

Eine andere Bildunterschriften lautet: „Irakische Frauenbrigade in Bakba: ‚Amerika erntet die Dornen, die ihre Führer gesät haben“ (Spiegel 3/2003). Auch die taz verfolgt eine ähnliche Bilderpolitik: Schwarz verschleierte Frauen mit großen Gewehren zieren die Titelseite am 26.3.2003, darunter heißt es: „In der Stadt Jusifija, 30 Kilometer südlich von Bagdad gelegen, rufen bewaffnete Frauen antiamerikanische Parolen”. In keinem der Artikel wird jedoch auf die bewaffneten Frauen und Soldatinnen eingegangen. Völlig ohne Textbezug symbolisieren die (verschleierten) kampfbereiten Frauen eine besondere Gefahr für die USA und den Westen. Wie schon im zweiten Golfkrieg erscheinen irakische Soldatinnen als „unweibliche Amazonen mit.

Killerinstinkt“ (Kassel/Klaus 2008: 270), von denen eine besondere Bedrohung auszugehen scheint. Die Opferrolle schwenkt in „fanatische Guerillaaktivität“ (ebd.) um – ein Motiv, welches für die Darstellung von Frauen in Kriegskontexten – wenn sie als Handelnde, Kämpfende und (potentielle) Täterinnen in Erscheinung treten – ebenfalls Tradition besitzt. Exemplarisch bringt ein Titelbild des Spiegel (22.1.2003) die beiden stereotypen Weiblichkeitsrollen zusammen: Die Titel-Collage, in dessen Mittelpunkt das Konterfei Saddam Husseins platziert ist, kombiniert das mehrfach aufgegriffene Foto einer getöteten irakischen Frau mit Kind mit einem Foto der irakischen Frauen-Armee, die, angeordnet über die gesamte Breite des unteren Bildrandes, den stützenden Boden des ‚Saddam-Regimes’ zu bilden scheint.

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3. Post-Konfliktberichterstattung: Frauen als Zeichen für demokratischen Neuanfang und stumme Warnung vor dem Truppenabzug
 
Die Situation der Frauen in Afghanistan und im Irak sowie das Thema Frauenrechte rücken im Verlauf der Post-Konflikt-Berichterstattung immer weiter in den Hintergrund. Afghanische oder irakische Frauen tauchen in den Medien nur noch zu spezifischen Anlässen auf, zum Beispiel, wenn es um das Thema ‚freie Wahlen’ geht oder wenn parlamentarische Abstimmungen über die Verlängerung des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr anstehen. So wird die Berichterstattung über die Parlamentswahlen in Afghanistan (18.9.2005) oder die ersten freien Wahlen im Irak (30.1.2005) von Fotos begleitet, die Frauen auf dem Weg zum Wahllokal oder nach erfolgter Stimmabgabe mit blau oder violett gefärbten Zeigefingern (zur Kennzeichnung, dass die Wahl erfolgt ist und um Wahlbetrug zu vermeiden) zeigen (z.B. FAZ 31.1.2005).
 
Die Fotografien der Frauen haben erneut überwiegend Symbolcharakter: Die anonymen Frauen auf den Fotos werden zum Zeichen des geglückten demokratischen Neubeginns des Landes – bei gleichzeitigem Schweigen über die reale Lage der Frauen, ihre Interessen oder Forderungen in den Texten. So zeigt die taz am 31.1.2005 unter der Schlagzeile „Irak schreitet zur Demokratie“ verschiedene Fotos von Frauen (und Männern) mit dem charakteristischen „Wahlfinger“, den sie „stolz und zufrieden“ (Bildunterschrift) in die Kamera halten. Im Innenteil der Zeitung wird der Bericht fortgesetzt, begleitet von einem Foto, das zwei Frauen bei einer Sicherheitskontrolle vor einem Wahllokal zeigt – wiederum ohne, dass die Lage der Frauen Gegenstand des Artikels wäre oder Frauen selbst zu Wort kämen. Auch die Berichterstattung über die Parlamentswahlen in Afghanistan wird vor allem mit weiblichen Wählerinnen bebildert, die vor einem Wahllokal Schlange stehen (z.B. taz 19.9.2005; FAZ 19.9.2005).

Geht es um die Mandatsverlängerungen des Afghanistaneinsatzes, und damit verbunden um die Bestimmung des militärischen Auftrages und der konkreten Aufgabenfelder der Bundeswehr vor Ort, ist kaum noch von der Lage der Frauen oder der Einführung von Frauenrechten zu lesen. Dies war zu erwarten, nachdem die Situation der afghanischen Frauen bereits nach dem formalen Kriegsende für die Medien kaum noch von Interesse war. Andere militärische Aufgaben wie die Verteidigung der Sicherheit, Terrorbekämpfung oder Stabilisierung des Landes stehen nunmehr im Vordergrund. Auch der Verweis auf die Burka, die vormals so oft als die schlimmste Form der Frauenunterdrückung und Missachtung der Menschenrechte skandalisiert wurde, taucht in den Texten und Bildunterschriften nicht mehr auf, obwohl die afghanischen Frauen auf den Fotos nach wie vor eine Burka tragen. Niemanden scheint es zu verwundern, dass die afghanische Frau die Burka gar nicht abgelegt hat, wie es noch im November 2001 in allen Medien freudig prophezeit wurde. Diese Tatsache ist den meisten Medien keiner Erwähnung wert.

Das Symbol ‚Burka’ ist jedoch aus den Medien nicht völlig verschwunden – die Burka bleibt vielmehr als ‚stille Warnung’ präsent. Auf nahezu jedem Foto, das deutsche Bundeswehrsoldaten in Afghanistan zeigt, ist auch eine ‚Burka-Frau’ zu sehen – sei sie auch noch so klein und in weiter Ferne. Die Burka-Symbolik hat sich offensichtlich etabliert und bedarf keiner expliziten textlichen Begleitung mehr. Es scheint sogar, als würde die Frau mit der Burka im zeitlichen Verlauf der Berichterstattung auf den Fotos immer kleiner werden; während sie 2003 noch gleich groß neben den Bundeswehrsoldaten abgebildet wird (z.B. Spiegel 52/2003), ist sie auf den zahlreichen Fotos aus den Jahren 2005-2010 oft nur noch winzigklein im Bild (z.B. Spiegel 39/2005; 8/2010). Trotzdem bleibt die ‚Burka-Frau’ als symbolische Referenz erhalten, ihre hartnäckige Präsenz auf den Fotos fungiert wie eine beständige Wiederholung der etablierten Legitimierungsfigur ‚Krieg für Frauenrechte’ bzw. als stumme Mahnung, dass der Militäreinsatz (vermeintlich) auch für die afghanischen Frauen geführt wird.

Dass das fast in Vergessenheit geratene Narrativ jederzeit wieder an die Oberfläche treten kann, zeigt die Debatte um den ‚Fall Aisha’, die angestoßen durch das Titelbild des US-Magazins Time Anfang August 2010, auch in den deutschen Medien hohe Wellen schlug. Auf dem Time-Cover ist das Porträtfoto einer verstümmelten jungen Frau ohne Nase zu sehen, die ruhig und eindringlich in die Kamera blickt, dazu die Schlagzeile „What Happens if We Leave Afghanistan“. Auf die Worte folgt kein Fragezeichen, durch das Zusammenspiel mit dem Foto endet der Satz vielmehr mit einem unsichtbaren Ausrufezeichen: Das geschieht, wenn wir Afghanistan verlassen! Das Foto wirkt aufrüttelnd und schockierend, zugleich ist es ein emotionalisierendes Plädoyer für die Fortsetzung des Krieges. Im Heft erfährt man die dazugehörige Geschichte, das Martyrium der Afghanin Bibi Aisha, die als sie zwölf Jahre alt war, mit einem Taliban verheiratet, und von dessen Familie jahrelang gequält und misshandelt worden war. Ihr Ehemann hatte ihr schließlich, auf Geheiß der Taliban wie Time ergänzt, zur ‚Strafe’, weil sie davon gelaufen war, Ohren und Nase abgeschnitten.

Anders als noch im Afghanistankrieg 2001, wird die Kritik an der Instrumentalisierung von Frauenschicksalen wie das von ‚Aisha’ zum Zwecke der Kriegslegitimierung, selbst zum Teil der medialen Debatten. Kritiker_innen sprechen von „Kriegspropaganda der übelsten Sorte“ (taz 7.8.2010), „Sensationsgier“ und „Kriegspornografie“ (Spiegel 32/2010). „Mit einem Bild das direkt ins Herz des Betrachters zielt, wird die Botschaft insinuiert: Wir müssen die militärische Besetzung aufrechterhalten – sonst lassen wir zu, dass Schreckliches passiert. Es ist, kurzum, auf schlimme Weise manipulativ“, schreibt die taz (7.8.2010).

Parallel zu der Empörung über die unzulässige, stark emotionalisierende Instrumentalisierung des Schicksals der jungen Afghanin, kommt es zu einer Reaktivierung des bekannten Frauenrechtsbellizismus (oder auch ‚embedded feminism’), wobei die Verantwortung für die Missstände in Afghanistan allein den Taliban zugeschrieben werden. Der Fall ‚Aisha’ wird vor allem dazu genutzt, der Dämonisierung der Taliban Nachdruck zu verleihen: „Dass die Geschichte, die Aisha erleiden musste, stellvertretend steht für das Leid vieler Frauen unter den Taliban, darüber besteht kein Zweifel“ (Spiegel 32/2010). Indem die Schuld an der Verstümmelung den Taliban zugeschrieben wird, wird die Geschichte Aishas als böse Vorahnung für das gedeutet, was allen Frauen droht, wenn die Taliban wieder an die Macht kommen. Allgemeine gesellschaftliche Missstände in Afghanistan, wie zum Beispiel die fundamentalistischen Bestrebungen der Regierung unter Präsident Hamid Karzai, geraten dadurch aus dem Blick.

Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Frauen und ihrer Rechte haben sich trotz der internationalen Truppenpräsenz in den letzten Jahren stetig verschärft, schreibt Ann Jones in The Nation (30.8.2010). Das „Mädchen ohne Nase“ (taz, Überschrift 7.8.2010) übernimmt damit die Rolle der ‚Burka-Frau’ aus dem Afghanistankrieg, sie steht stellvertretend für die Unterdrückung aller afghanischen Frauen und fungiert als moralischer Appell für eine (Verlängerung der) militärische Intervention im Namen der Frauen(rechte). „Liebes Mädchen aus Afghanistan“, spricht erneut der Bildzeitungs-Kommentator Franz Josef Wagner,

 
„Sie sind das aktuelle Titelfoto von ‚Time’, es fehlen Ihnen Ohren und Nase. Sie sind 19 Jahre alt. Ihr Ehemann hat sie Ihnen zur Strafe abgeschnitten, weil sie vor seiner gewalttätigen Familie fliehen wollten. […] Neun Jahre kämpften unsere Soldaten im Hindukusch, weil der Taliban die Al-Qaida-Terroristen in ihren Gebirgshöhlen versteckte. Das ist ein Krieg des Militärs. Für mich geht es am Hindukusch darum, dass sie ihren Frauen die Nasen, Ohren nicht abschneiden dürfen. Weil das unter Menschen nicht geht. Wir müssen in Afghanistan bleiben, auch unsere deutschen Soldaten. Das verstümmelte Gesicht dieses Mädchens ist Afghanistan.“ (Bild 5.8.2010)
 
Anders als bei der ‚Burka-Frau’ im Afghanistankrieg bleibt die Botschaft im Fall ‚Aisha’ jedoch ambivalent: Ihre Geschichte kann als ein Plädoyer für die Verlängerung des Krieges bzw. der Militärpräsenz nutzbar gemacht werden – genauso aber auch als ein Argument dagegen. Immerhin passierte die Verstümmelung während des militärischen Einsatzes, zu einem Zeitpunkt, an dem die Soldaten der internationalen Gemeinschaft bereits seit neun Jahren in Afghanistan stationiert sind und angeblich für Frieden und Frauenrechte sorgen. So gesehen erfüllt das Beispiel ‚Aisha’ auch eine den Einsatz delegitimierende Funktion und kann als Zeichen für den Misserfolg des Krieges (für Frauenrechte) und die Nutzlosigkeit der internationalen Truppen gelesen werden. So oder so, nachdem Aishas Geschichte in den Medien ein glückliches Happy End genommen hat – die Bildzeitung berichtet ausführlich über die „Rettung des Mädchens“ und ihre „Reise in ein neues Leben“ in die USA, wo sie mit Hilfe einer chirurgischen Operation kostenlos eine neue Nase und Ohren erhalte (11.8.2010) –, ist die Situation der Frauen in Afghanistan wieder von der medialen Agenda verschwunden.
 
Diskussions-Fragen:
  • Kriegslegitimation ist heute insbesondere in Europa an das Konzept des ‚humanitären Krieges’ gebunden. Menschen- und Frauenrechte werden deshalb auch in Zukunft eine unverzichtbare Rolle bei der Begründung und Legitimierung eines Krieges spielen.
  • (Wie) kann einer solchen Vereinnahmung (richtiger) feministischer Forderungen und Anliegen überhaupt entgangen werden?

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Literatur

Dietze, Gabriele (2006): The political Veil. Interconnected Discourses on Burquas and Headscarves in the US and in Europe, in: von Braun, Christina/Brunotte, Ulrike/Dietze, Gabriele/Hrzán, Daniela/Jähnert, Gabriele/Pruin, Dagmar (Hg.): ‘Holy War’ and Gender. ‘Gotteskrieg’ und Geschlecht, Münster, S. 225-238
Enloe, Cynthia (1990): Womenandchildren: Making Feminist Sense of the Persian Gulf Crisis, in: Village Voice, 25. September, S. 29-32
Hunt, Krista (2006): ‚Embedded Feminism’ and the War on Terror, in: Dies./Rygiel, Kim (Hg.): (En)Gendering the War on Terror. War Stories and Camouflaged Politics, Hampshire, S. 51-72
Kassel, Susanne (2004): Krieg im Namen der Frauenrechte? Der Beitrag der Medien zur Konstruktion einer Legitimationsfigur, in: Schweitzer, Christine/Aust, Björn/Schlotter, Peter (Hg.): Demokratien im Krieg, Baden-Baden, S. 161-179
Kirchner, Andrea Kirchner/Kreischner, Sebastian/Ruth, Ina (2002): Bilder, die zum Handeln auffordern, in: Jäger, Margarete/Jäger, Siegfried (Hg.): Medien im Krieg, Duisburg 2002, S. 29-71
Klaus, Elisabeth/Kassel, Susanne (2008): Frauenrechte als Kriegslegitimation in den Medien, in: Dorer, Johanna/Geiger, Brigitte/Köpl, Regina (Hg.): Medien – Politik – Geschlecht. Feministisch Befunde zur politischen Kommunikationsforschung, Wiesbaden, S. 266-280
Maier, Tanja/Stegmann, Stefanie (2003): Unter dem Schleier. Zur Instrumentalisierung von Weiblichkeit: Mediale Repräsentationen im „Krieg gegen den Terror“ , in: Feministische Studien, Heft 1, S. 48-57
Nachtigall, Andrea/Dietrich, Anette (2003): GeschlechterKrieg und FriedensFronten. Zur Funkion(alisierung) der Kategorie Geschlecht im Kontext von Krieg, in: BUKO (Hg.): radikal global. Bausteine für eine internationalistische Linke, Berlin, S. 129-144
Sontag, Susan (2005): Das Leiden anderer betrachten, Frankfurt a. M.
Wenk, Silke (2005): Imperiale Inszenierungen? Visuelle Politik und Irak-Krieg, in: Jaberg, Sabine/Schlotter, Peter (Hg.): Imperiale Weltordnung – Trend des 21. Jahrhunderts?, Baden-Baden, S. 63-93
 
Endnoten:

Ein Teil der Recherche für diese Studie wurde von Alena Kern übernommen, der ich hierfür, sowie für ihre hilfreichen Anregungen und kritischen Kommentare an dieser Stelle ganz herzlich danken möchte.

1 Ebenso wenig fällt auf, dass eins der Fotos bereits aus dem Jahr 1996 stammt. Das mehrfach preisgekrönte Foto des Fotografen Santiago Lyon wurde bereits kurz nach der Machtergreifung der Taliban aufgenommen und zeigt, wie Frauen sich von nun an kleiden müssen: Bald sind alle verschleiert, lautete die implizite Warnung. Das gleiche Bild wird nach dem 11. September in einen neuen Kontext gestellt: Es symbolisiert nun das genaue Gegenteil, den Beginn der ‚Befreiung’ der afghanischen Frau und kündigt von einer baldigen Entschleierung der Frauen.

 
 

2010

 
 

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