Datenfeminismus: Big Data, Überwachung und Gender

Wir sind wandelnde Datenpunkte, egal ob wir sie selber produzieren, oder andere es für uns tun. Gender als Kategorie, ist dabei oft leitend. Wie können feministische Antworten auf staatliche und privatwirtschaftliche Sammelwut aussehen.

Täglich produzieren, konsumieren und teilen wir aktiv Daten, zum Beispiel wenn wir das Internet nutzen, uns in sozialen Medien aufhalten, oder digital kommunizieren. Auch passiv werden wir zu Datenpunkten, wenn Behörden, Arbeitgeber*innen und andere Unternehmen Daten über uns produzieren, verarbeiten und speichern. Daten bestimmen unser Dasein als Staatsbürger*innen, durch das Gesundheits- und Bildungswesen, die Arbeits- und Finanzwelt, den Wohlfahrtsstaat, die Strafverfolgung und nicht zuletzt in unserem durch soziale Kontakte geprägten Alltag.

Technologische Entwicklungen bei maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz verändern unser Verhältnis zu Daten zurzeit jedoch maßgeblich. Entscheidungen, die nicht nur unser Alltagsleben, sondern oft unsere Existenzgrundlagen betreffen, werden zunehmend datenbasiert und automatisiert getroffen. Was einerseits zeitgemäß, innovativ und effizient anmutet, geht andererseits fließend in finstere Szenarien von Überwachung und Kontrolle über.

Wenn diese Themen öffentlich diskutiert werden, bleiben feministische Ansätze oft außen vor. Daten erhalten gern den Anschein von Neutralität – solange eine Entscheidung datenbasiert getroffen wird, wird sie als objektiv gesehen. Feministische Bewegungen haben hier viel zu einem ganzheitlicheren Verständnis von Daten, Überwachung und ihren Auswirkungen auf verschiedene Bevölkerungsgruppen beizutragen. Besonders Intersektionalität kann helfen aufzuzeigen, dass die Auswirkungen von Big Data und datenbasierter Überwachung bei weitem nicht für alle Menschen gleich ausfallen.

Mächtige Daten

Daten bedeuten zunehmend Macht und Überwachung ist eine Ausübung dieser Macht. Wer große Datenmengen sammeln kann und über genügend Ressourcen verfügt, diese Daten zu verknüpfen und zu verarbeiten, verfügt entsprechend über die Macht zu definieren, zu kategorisieren, zu interpretieren und datenbasierte Vorhersagen zu machen.

Die Beziehungen zwischen jenen, die all dies können, und jenen, die lediglich aktiv oder passiv zum Datenpunkt werden, sind Machtbeziehungen. Auch Formen der Diskriminierung, die erstmal gar nicht in den Daten an sich gründen, sondern bereits gesellschaftlich auftreten, gehen in Daten und ihre Verarbeitung über. Schließlich sind es jeweils Menschen, die Daten sammeln und Algorithmen für die Interpretation und Kategorisierung schreiben.

In den Niederlanden lässt man z.B. bereits algorithmisch potentielle Sozialbetrüger*innen ermitteln. Dort wird SyRI eingesetzt, eine Big Data Analyse Software, die personenbezogene Daten von verschiedenen Behörden verknüpft und analysiert, um Menschen ein erhöhtes Missbrauchsrisiko zuzuschreiben. Gesetzlich[1] sind 17 Datenkategorien⁠ zur SyRI Analyse zugelassen, unter anderem Daten zu Wohnung, Krankenversicherung, Beschäftigung und Reintegration, Renten, Steuern, Sozialleistungsbezügen und -bescheiden, Einbürgerungen, etc. Die zur Beurteilung verwendeten Kriterien und Risikoindikatoren werden dabei nicht offengelegt und Betroffene werden weder über ihren Risikostatus, noch über dessen allfällige Folgen informiert.[2]

Solche Überwachungsmaßnahmen richten sich überproportional gegen bereits benachteiligte Gruppen. Wer z.B. arm ist, eine Rente bezieht, schon mal Sozialleistungen bezogen hat, oder von administrativen Maßnahmen betroffen war, wird algorithmisch zum erhöhten Risiko. Dass Frauen,[3] Behinderte,[4]⁠ wie auch Menschen mit Migrationshintergrund[5] überdurchschnittlich von Armut betroffen sind, ist gut belegt

Feminist*innen beschäftigen sich seit jeher mit solchen Machtverhältnissen und verschränkten Diskriminierungsmechanismen in verschiedenen Lebensbereichen. Da liegt es nahe, dass feministische Bewegungen sich auch kritisch mit dem weiter wachsenden Bereich der Daten und Überwachung auseinandersetzen.

Daten gendern

Ein Grundpfeiler ist dabei die Auseinandersetzung mit Geschlechterverhältnissen. Und solange Männer in den Berufsgruppen, die Technologien entwickeln, Daten verarbeiten und Definitionsmacht über Daten und Kategorien ausüben, übervertreten sind, gibt es aus feministischer Sicht viel zu tun.

Zurzeit liegt der Frauenanteil in der Deutschen Tech Branche bei 16,6%, bei einem Gender Pay Gap von 25%.[6] Mit nur 15,1% Frauen als Gründerinnen ist die Tech-lastige Startup Szene nicht besser aufgestellt.[7] Auch im Nachwuchsbereich sieht es schlecht aus: Der Frauenanteil im Informatikstudium liegt bei 20%,[8] und in der beruflichen Ausbildung zur Fachinformatiker*in sind es gerade mal 6%.[9] Da anzusetzen, wo Daten und Technologie entstehen, bleibt also dringend und wichtig. Aber das ist lediglich der Anfang, denn wenn wir Daten und Überwachung aus feministischer Sicht beleuchten, geht es um mehr als Frauenanteile.

Daten und der algorithmische Umgang mit ihnen werfen auch ältere Fragen zur Konstruktion und Festigung von mitunter diskriminierenden Normen in neuer Form auf. Big Data, statistische und algorithmische Methoden beruhen quasi definitionsgemäß auf der Annäherung an eine Norm; und meist ist die implizite Norm, an welcher alle Datensätze (ebenso implizit) gemessen werden, weiß, männlich, cis-Gender[10] und heterosexuell, nicht zuletzt auch, weil diese Demographie nach wie vor die Tech Branche beherrscht.

So findet sich auch die gesellschaftlich tief verankerte Heteronormativität in der Datenwelt wieder. Wo werden abweichende Genderidentitäten ermöglicht und berücksichtigt und wo nicht? Welche Annahmen werden dann in der Datenverarbeitung aufgrund solcher identitären Merkmale getroffen? Wenn Daten Geschlecht binär verstehen, werden nicht nur abweichende Erfahrungen unsichtbar gemacht und damit Trans und non-binary Menschen ausgegrenzt, sondern auch das bereits dominante binäre Geschlechterbild (noch) weiter gefestigt.

Zusätzlich tauchen aber auch neuere Fragen auf. Welche Körperbilder und Normen zu Gesundheit, Beziehungen oder Schwangerschaft werden z.B. in Daten aus Dating-Apps, Fitness- und Ernährungstrackern oder Menstruations- oder Schwangerschafts-Apps konstruiert und gefestigt?[11]⁠ Die Anwender*innenbasis solcher Apps und somit auch ihre Daten, stammen mehrheitlich von einer digital vernetzten und privilegierten Minderheit aus dem Anglo-Amerikanischen und Europäischen Raum. Was bedeutet es gesellschaftlich, wenn diese Daten mitdefinieren, was als gesunde Ernährung gilt oder wie ein “normaler” Schwangerschafts- oder Menstruationsverlauf aussieht?

Datenfeminismus

Seit einigen Jahren tut sich was. Feministische Publikationen zu Gender, Daten und Überwachung werden gängiger, die feministische Netzbewegung gewinnt an Momentum, es entstehen vermehrt queere und feministische Hackspaces[12] und nun scheint auch der Begriff des Datenfeminismus Fuß zu fassen.[13]⁠ Diese Bestrebungen setzen da an, wo Digital Rights Aktivismus, Big Data, algorithmische Entscheidungsfindung und datenbasierte Überwachung auf intersektionale Diskriminierungen treffen. Dennoch fühlt es sich nach wie vor oft an, als existierten breitere feministische Bewegungen und Netzbewegungen mehrheitlich in getrennten Welten.

Dabei können feministische Bewegungen die Überwachungsdebatte mit einem reichen Fundus an Perspektiven auf Ungleichheiten, vielschichtige Diskriminierungen und Machtbeziehungen untermauern. Sie können aufzeigen wie Überwachung und Datenpraxis sich auf unterschiedlich situierte und privilegierte Menschen auch unterschiedlich auswirken. Sie können algorithmische Diskriminierungen aus intersektionaler Perspektive beleuchten und so an einer feministischen Datenpraxis arbeiten.

In Anbetracht der Allgegenwärtigkeit von Daten und datenbasierter Überwachung durch Behörden und Konzerne, ist eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Themen sogar eine dringende Aufgabe für feministische Bewegungen. Umgekehrt sind aber Gender und Intersektionalität ebenso wichtig für Bewegungen rund um die Netzpolitik, Überwachungskritik und eine gerechtere Datenpraxis. Austausch und Zusammenarbeit sind da sehr wünschenswert.

 

[7] Deutscher Startup Monitor 2018, https://deutscherstartupmonitor.de/

[9] Bundesinstitut für Berufsbildung 2016, https://www2.bibb.de/bibbtools/de/ssl/2252.php

[10] Cisgender bezeichnet Menschen, deren persönliche Geschlechteridentität mit dem bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht übereinstimmt.

[12]  Hackspaces sind meist offene, selbstorganisierte Räume, wo Hacker*innen und Technologieinteressierte sich zu Austausch, Zusammenarbeit oder gemeinsamem Lernen durch Workshops und Vorträge treffen.

[13] D’Ignazio & Klein 2018 (öffentliches Review), https://bookbook.pubpub.org/data-feminism