Zusammenfassende Auswertung der Länderstudien

Betrachtet man die derzeitigen thematischen Schwerpunkte der Geschlechterpolitik in den EU-Mitgliedsstaaten, wird deutlich, dass in allen Ländern der Arbeitsmarkt bzw. die Erwerbstätigkeit von Frauen, als auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf (als Frauenthema!), eine zentrale Rolle spielen.

Dies ist sicherlich damit zu erklären, dass in diesem Bereich die am längsten, meisten und weitreichendsten rechtliche Vorgaben (Richtlinien) durch die EU existieren und dass die EU zunächst ein Binnenmarkt darstellt und klar wirtschaftliche Interessen verfolgt.

Es könnte von einer europäischen Harmonisierung in diesem Bereich gesprochen werden, die sich in der jeweiligen Umsetzung der rechtlichen Vorgaben ausdifferenziert.

Ein weiteres wichtiges Thema in den Mitgliedsländern, insbesondere in den baltischen Staaten und in Südeuropa, ist Häusliche Gewalt bzw. Gewalt gegen Frauen.

In diesen Staaten werden Kampagnen seitens der Regierung gestartet bzw. immer wieder aufgegriffen, es wird Aufklärung betrieben, aber auch die NGO`s widmen sich diesem Thema. In den West- und Nordeuropäischen EU-Staaten wurden Ende der 1990er, Anfang der 2000er Jahre Gesetze zur Ächtung und Verfolgung häuslicher Gewalt geschaffen.

Vorherrschendes Thema in den nordwestlichen Staaten der EU ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Sinne der Regelung von Mutterschaftsschutz und Elternzeit.

Schweden und Frankreich gehen in ihren Regelungen über die EU Richtlinien hinaus, in anderen Ländern wie Deutschland, Österreich, Dänemark wurden die Gesetze weitestgehend angeglichen.

Antidiskriminierung und Gleichstellung ist in den Nord- und Westeuropäischen Ländern mittlerweile auch stark auf Antidiskriminierung in multidimensionaler Hinsicht wie Religion, Ethnie, sexuelle Orientierung, Alter etc. - gerichtet, vor allem nach der Durchsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien seitens des EU-Parlaments und der Schaffung rechtlicher Grundlagen dahingehend (z.B. wie in Deutschland das Allgemeine Gleichstellungsgesetz AGG).

Seit 2009 kamen in einigen Mitgliedsstaaten Regierungen an die Macht, die für Konservatismus und nationale Befindlichkeiten stehen.

Dieser macht sich in den „alten“ Mitgliedsstaaten eher in Stagnation der Geschlechterpolitik bemerkbar – kein Zurückfallen hinter die bereits institutionalisierten und bewährten Instrumente und Politiken.

In den „neuen“ Mitgliedsstaaten gibt es aber noch nicht allzu etablierte Instrumente der Gleichstellung. Hier bleibt es abzuwarten, wie die Umsetzung der mustergültig vorhandenen gesetzlichen Grundlagen gestaltet wird.

In Ungarn beispielsweise ist die Gleichstellungspolitik nach der Wahl auf die Verbesserung der Situation von Migrantinnen auf dem Arbeitsmarkt beschränkt.

Die Regierungen der beiden zuletzt beigetretenen Staaten Rumänien und Bulgarien zeigen auch wenig sichtbares Engagement im Bereich der Geschlechtergleichstellung, auch hier geht es vor allem um häusliche Gewalt als Thema sowie den Arbeitsmarkt.

Eine Stagnation von aktiver Gleichstellungspolitik lässt sich z.B. an der immer weniger eingeführten Praxis von Quoten für Frauen in Parteien und Regierungen in den EU-Mitgliedsstaaten festmachen.

Vor 2008 konnte man noch sehr deutliche männeremanzipatorische Bewegungen ausmachen, wie zum Beispiel in Schweden, Polen, vereinzelt auch in Deutschland. Um diese Gruppierungen ist es still geworden.

Öffentlichkeitswirksamer, aber nicht immer konstruktiv, was die Gleichstellungspolitik betrifft, zeigen sich Väterinitiativen.

Die baltischen Staaten haben mit ihrem Beitritt umfangreiche gesetzliche Regelungen zur Gleichstellung getroffen. Eine aktive Regierungspolitik ist eher nicht zu verzeichnen.

Neben den üblichen (s.o.) Regierungsthemen sind es hier vor allem die NGOs, die sich dem Kampf bzw. der Aufklärung gegen die vorhandenen, sehr starken, Geschlechterstereotypen verschrieben haben.

In Polen, Tschechien und der Slowakei existiert nach wie vor eine starke NGO-Szene, wenn auch in der Öffentlichkeit schwächer wahrnehmbar als noch 2007. Die Regierungen erledigen das gleichstellungspolitische „Alltagsgeschäft“ – bahnbrechende Maßnahmen können aber nicht genannt werden.

In Portugal und Griechenland steht die Wirtschaftskrise seit 2009/10 im Fokus von Regierungspolitik. Damit geriet die proaktive Gleichstellungspolitik sehr schnell ins Hintertreffen.

Gleichstellungspolitik ist in allen EU-Staaten ein sogenanntes weiches Thema.

Das EU-Parlament und die Kommission können sich aus ihrer Stellung gegenüber nationalen Politiken aber vor allem um diese weichen Themen kümmern und somit Standards für alle Staaten setzen.

Gesetze müssen verabschiedet werden, eine Überwachung der Ausführung der Richtlinien geschieht seitens der EU. Damit ist Gleichstellung Thema in allen Regierungen, was zumindest die Schaffung von Instrumentarien und Institutionen betrifft; NGOs können dazu aktiv sein.

Lediglich die Internalisierung und Sichtbarkeit der gleichstellungspolitischen Debatten und Maßnahmen unterscheidet sich in den einzelnen Staaten.

Geschlechterpolitik ist nicht mehr wegzudenken und wird sich im Interesse der Frauen und Männer in Europa (unterschiedlich, aber dennoch) kontinuierlich weiterentwickeln müssen.

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Der EU-Ländervergleich ist das Ergebnis einer Rechereche von Tanja Berger und Pamela Dorsch im Auftrag des Gunda-Werner-Instituts der Heinrich-Böll-Stiftung 2010-2011. Letzte Akutalisierungen wurden Ende 2014/ Anfang 2015 durchgeführt.

 

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