Männerleiber - Körperlichkeit zwischen Sein und Tun

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Davidstatue auf einem Hügel, im Hintergrund dramatische Wolken.

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Datum: Samstag, 5. November 2011, 9.15 bis 17.00 Uhr
Ort: Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstrasse 8, 10117 Berlin

 

Der männliche Körper ist ein Politikum. Der Körper ist Gegenstand vergeschlechtlichter und vergeschlechtlichender Körperpolitik und Körperpraxis. Wie sehr das Körperliche von Geschlechterpolitik berührt ist, verdeutlicht der feministische Kampf für die Abschaffung des Straftatbestandes beim Schwangerschaftsabbruch. Ein Kampf, der in Deutschland so lange geführt wird, wie es Deutschland gibt, seit 1871 (und der schon 1972 in der DDR erfolgreich abgeschlossen worden ist). Der Zusammenhang von Körper und Geschlecht ist bereits eingehend diskutiert, allerdings vorrangig mit Blick auf den Frauenkörper. 

Die Fachtagung verfolgt drei Fragerichtungen:

  • Was macht einen Körper zu einem männlichen Körper?
  • Was machen Männer und Jungen mit ihren Körpern – vielleicht auch und gerade, um besonders männlich zu sein?
  • Was machen Staat und Gesellschaft mit den Körpern von Männern?

Auch für den männlichen Körper gilt: Er ist neben seiner Materialität aus von Haut umschlossenen Muskeln, Knochen, Organen ein Objekt für soziokulturelle normative Einschreibungen. Er ist die subjektive Arena für den Kampf, das richtige Geschlecht zu sein, zu haben, zu inszenieren oder zu repräsentieren: zum Beispiel durch Gestik, Mimik, Haltung, Ernährung, Training, Kleidung. 
Die Tagung fragt nach den kollektiven Deutungen und Wertungen und  nach den individuellen Interpretationen und Umsetzungen. Zudem werden die Freiheitsgrade der Selbstgestaltung und das Maß an essentieller Materialität abzuwägen sein: Wie viel autonom absichtsvoller Akt und wie viel unausweichliche, mithin erzwungene Praxis der Wiederholung und Zitation ist der Körper eines Mannes? (Vgl. dazu Judith Butler: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Frankfurt/M: Suhrkamp 1995).

Um Fragen wie diese zu klären, beleuchtet die Tagung Institutionen, Akteure und Praktiken, denen gemein ist, dass sie als Schnittpunkte im Körperdiskurs begriffen werden können. Konkret geht es um Jungen und ihren Umgang mit dem eigenen Körper, besonders um riskante Praktiken. Ein anderes Thema wird die Beschneidungspraxis und ihr Männlichkeit konstituierender Sinngehalt zwischen Initiationsritus und Hygienemaßnahme sein. Männer können ihren Körper in einer meditativen Körperreise ‹erfahren›. Auch wird die Frage nach dem Dualismus Gesundheit – Krankheit gestellt und nach dem damit verbundenen Blick auf den männlichen Körper als einen zu reparierenden Gegenstand oder als ein möglichst gesund zu erhaltendes System. In den Blick kommen wird auch der männliche Körper im Kontext von Militär. Dabei geht es um Verfügungsgewalt über Köper und um ihre ‹Zurichtung› vom zivilen zum soldatischen Körper und ihre Auswirkung auf Männlichkeitskonstruktionen und Geschlechterverhältnisse. Von besonderer Bedeutung ist das Thema Transsexualität, weil es die Verschiebbarkeit der materiellen Grenzen des geschlechtlichen Körpers sichtbar macht. Das Politische (im engen staatspolitischen Sinne) tritt hier besonders klar als Akteur auf, gewissermaßen als Wächter der Normalzweigeschlechtlichkeit.

Ziele und Zielgruppen
Ziel der Tagung ist es, unterschiedliche männlich konnotierte Körperpraxen beispielhaft aufzuzeigen und ihren funktionalen Beitrag zur Konstruktion von Männlichkeit zu analysieren und zu bewerten. Bezüglich der konstruktiven Bewertung sind die damit verwobenen symbolischen Gehalte zu analysieren. Die Tagung soll Aufschluss darüber geben, welche ästhetischen und funktionalen Mechanismen die jeweiligen Körperpraxen hinsichtlich der Herstellung von Männlichkeiten besitzen und Grenzen der Konstruktion und entsprechend der De-Konstruktion aufzeigen. Die Tagung richtet sich insbesondere an Akteuer_innen / Expert_innen aus dem Feld der Männerberatung, Sexualberatung, Lebens-/Paarberatung, Jungenarbeit etc. sowie Politiker_innen aus den Politikbereichen Frauen-/ Geschlechterpolitik, Gesundheit, Jugend/ Familie, Sicherheit/Inneres/Verteidigung und an Wissenschaftler_innen aus dem Bereich der Gesundheitswissenschaften sowie Geschlechterforschung.

Programm

 

Freitag, 4. November
Forum Männer Netzwerktreffen

  • 18.00 Anreise, Imbiss 
  • 18.30 Netzwerktreffen des Forum Männer in Theorie und Praxis der Geschlechterverhältnisse, 
    für Netzwerkmitglieder und Interessierte
    bei Interesse bitte anfragen bei Henning von Bargen
  • 21.00 Informeller Ausklang

 

 

Samstag 5. November 
Fachtagung Männerleiber - Körperlichkeit zwischen Sein und Tun

  • 9.15 Begrüßung
    Henning von Bargen - Gunda Werner Institut
    Andreas Goosses - Forum Männer
    Thematischer Einstieg
    Warum diese Tagung, dieses Thema?
    Volker Handke - Forum Männer
  • 9.45 Einführungsvortrag
    • Körper und Geschlecht 

    Prof. Dr. Anke Abraham - Philipps-Universität Marburg

 

Körper und Geschlecht sind in unserer Kultur auf vielfältige Weise verknüpft. Was ist Natur? Was ist Kultur? Wie werden Zweigeschlechtlichkeit und die binäre Codierung in männlich/weiblich sozial und kulturell vermittelt? Durch das Aufbrechen scheinbar biologisch gegebener Körper- und Geschlechterbilder können an der Schnittstelle «Körper» gesellschaftliche Ansprüche und individuelle Praktiken sichtbar gemacht werden, die über die Entstehung und Etablierung von Geschlechterordnungen Auskunft geben.

  • 11.00 – 13.00 Parallele Workshops / Panel

 

  1. Soldatische Körper – militarisierte Männlichkeit
    Vortrag und Werkstattgespräch mit Prof. Dr. Rolf Pohl -
    Universität Hannover 
    Militär und militärische Ausbildung formt den soldatischen Körper und spielt eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung und Bildung einer Männerrolle, die u.a. Gewalt als Form der Auseinandersetzung legitimiert, propagiert und legalisiert. Krieg und Militär haben eine wichtige Funktion in der (Re-) Konstruktion von Männlichkeit im Rahmen der vorherrschenden Geschlechter-Ordnung. Durch den Eintritt von Frauen und den Wegfall der Wehrpflicht haben sich die Rahmenbedingungen in der Bundeswehr stark verändert. Ändern sich dadurch auch Leitbilder, männlich konnotierte Körperpraxen und letztlich gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse? Was machen Militärausbildung und Kriegserfahrungen aus den Soldat_innen, welche (traumatischen) Spätfolgen können hier eintreten und wie wirken sich diese Erfahrungen auf das Geschlechterverhältnis aus?
  2. Jungen und Körperkonzepte – Vom Ritzen über Koma-Saufen bis zur absichtlichen Selbsttötung
    Workshop mit Prof. Harry Friebel -
    Universität Hamburg
    Sind Selbstverletzungen Symptome für seelische und soziale Belastungen? Selbstverletzungen sind geschlechts- und altersspezifisch verteilt – je nachdem wie/was verletzt wird. Sie häufen sich innerhalb der Pubertät. Ziel des Workshops ist es, Anstöße für ein Verständnis (individuell, strukturell, institutionell) zu diskutieren und Ansätze von Bewältigung (Prävention und Therapie) zu erschließen. Es geht darum, Jungen Gelegenheit zur Selbstthematisierung zu geben «und ihnen zu vermitteln, dass der persönlich ‹richtige› Weg nicht schon vorgegeben, sondern erst noch zu entwickeln ist» (Quelle: Erster deutscher Männergesundheitsbericht, 2010).
  3. Gendersensible Deutung der Penisbeschneidung
    Workshop mit Volker Handke - Geschlechterforscher, Berlin
    Die genitale Beschneidung von männlichen Säuglingen und Kindern ist eine im islamischen, jüdischen und angloamerikanischen Raum weit verbreitete und überwiegend anerkannte Körperpraxis. Während die Manipulation der weiblichen Genitalien als genitale Verstümmelung skandalisiert ist, wird die Entfernung der männlichen Vorhaut als Hygienemaßnahme bagatellisiert oder als Aids-Prophylaxe sogar gefordert. Auf dem Workshop sollen unterschiedliche gesellschaftliche Kontexte der männlichen Beschneidungspraxis aufgezeigt sowie ihr Beitrag zur Herstellung und Vereindeutlichung des sozialen Geschlechts erörtert werden. Diskutiert werden soll die These, dass es sich auch bei der männlichen Beschneidung um eine genitale Verstümmelung handelt, die dazu dient, die soziale Konstruktion der Geschlechterordnung physisch irreversibel zu manifestieren und die Ausdruck anthropogenen Gestaltungswillens von Natur ist.
  4. „Körperreise“
    Selbsterfahrungsworkshop nur für Männer (max. 10 Pers.)

    mit Jens Gerdes - Sozialpädagoge, Berlin
    «Jeder Mann ist so oder auch anders. Jeder Körper ist so oder auch anders. Wunderbar diese Unterschiede, die einen Unterschied machen, und doch verbindet uns etwas.» Ich will mit Männern über Gefühle, Empfindungen und weniger über den Intellekt sprechen. Berührung mit dem Boden, Bewegung in der Hüfte und Spiegelung zwischen uns, um zu erfahren: Wer bin ich gerade? Was ist aus mir geworden, dass ich gerade so bin? Gesammelte Erfahrungen, negative, positive bleiben als Körpererinnerung in Form von Gefühlen, Spannungszuständen, Ahnungen, inneren Bildern gespeichert und sind eifrig im Kontakt mit der Umwelt. Diese verborgenen Geschichten und das alltägliche Wirken sind untrennbar miteinander verbunden. Was lenkt den männlichen Körper? Der Instinkt, die Intuition, der Verstand? Alles gleichzeitig? Und vor allem, gleichberechtigt? 

 

  • 13.00 Mittagspause
  • 14.00 Angebot Körperübung:
    Männer - Stimme - Körper
  • 14.30 Transsexualität / Transgender 
  • Podiumsgespräch mit Vertreter_innen aus Transgender
  •  Netzwerk, Wissenschaft und und Politik

 

Nur wer mit medizinisch-psychologischem Attest nachweist, auch wirklich die andere (aber dann richtige und vollständige) Geschlechtsidentität 

 

zu ‹haben› darf seinen Körper so umgestalten, dass dieser in Übereinstim

 

mung mit dem ‹eigentlichen› ‹eigenen› Geschlecht gebracht wird. Die Krite

 

rien, nach denen juristisch, medizinisch und politisch entschieden wird, sind 

 

hier besonders interessant. Nirgends sonst wird in gleicher Weise starr ein 

 

Zusammenhang von Geschlechtlichkeit/Männlichkeit und Körper als Kon

 

strukt erkennbar. Das ‹Richtige›, also das gesellschaftliche oder politisch 

 

festgelegte Normativ wird klar und eindeutig lesbar – so zumindest die Be

 

hauptung und Hoffnung des Gesetzgebers. Um diesen Zusammenhang mit 

 

Schwerpunkt auf die fleischliche Männlichkeitskonstruktion wird das Ge

 

spräch angeordnet sein und Forderungen an die Politik formulieren. 

 

  • 16.00 Ausblicke in der Speakers‘ Corner, Abschluss
  • 17.00 Ende der Tagung

 

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Informationen

Anmeldung:
Eine Anmeldung ist erforderlich. Bitte melden Sie sich bis zum 22. Oktober 2011 durch Ausfüllen des elektronischen Anmeldeformulars an.

Tagungsflyer:

Kontakt:
Henning von Bargen, Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung
E vonbargen@boell.de
T 030.285 34-180
Veranstaltungsort:
Heinrich-Böll-Stiftung
Schumannstrasse 8
10117 Berlin

Vorbereitungsgruppe:
Harry Friebel (Hamburg), Jens Gerdes (Berlin), Andreas Goosses (Berlin), Volker Handke (Berlin), Dag Schölper (Berlin), Peter Thiel (Berlin), Henning von Bargen (Berlin)

Veranstalter:
Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin
Forum Männer in Theorie und Praxis der Geschlechterverhältnisse, Berlin

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