Wütende weiße Männer

Donald Trump erhielt weniger Stimmen als Hillary Clinton, gewann aber die umkämpften US-Bundesstaaten im “Rostgürtel”. Die Unterstützung männlicher Arbeiter in industriell geprägten Krisenregionen sicherte seinen Sieg. Was bedeutet das für das Wahljahr in Deutschland? Und welche Rolle spielt dabei der Antifeminismus?

Verschwommenes gemaltes Bild mit zwei wütenden, weißen Männern

Der kalifornische Stadtsoziologe Mike Davis machte schon 2004 auf eine politische Verschiebung aufmerksam. Als damals John Kerry gegen George W. Bush verlor, nannte er das Beispiel West Virginia. Im Gebirge der Appalachen, das die Ostküste vom Mittleren Westen trennt, liegt das wichtigste Kohlerevier der USA - in Europa vergleichbar mit dem Ruhrgebiet, der belgischen Wallonie, Oberschlesien oder Südwales. West Virginia, analysierte Davis, sei lange eine Domäne der Demokratischen Partei gewesen. Doch dann gewann der Republikaner Bush mit einem Vorsprung von über zehn Prozent. Der Obama-Hype verdeckte den Trend vorübergehend, bei Trump aber schlug er wieder voll durch: Wütende weiße Arbeiter, auch Gewerkschafter, wählen überdurchschnittlich häufig rechte Populisten.

Ohio, Pennsylvania, Michigan, Wisconsin: Diese “Swing states” im Nordosten der Vereinigten Staaten entschieden die Wahl. Hier liegen die Zentren der amerikanischen Stahl- und Autoindustrie, mit Städten wie Detroit, Milwaukee, Pittsburgh oder Cleveland, die vom Aufschwung der Mikroelektronik in den demokratischen Hochburgen an den Küsten wenig profitiert haben. Hier (und erst recht im ohnehin konservativen Süden) leben die Rednecks, die Hillbillies, wie sie von den intellektuellen Eliten verächtlich genannt werden: jene “Angry white men”, die der US-Männerforscher Michael Kimmel in einem Buch beschrieben hat.

Donald Trump, obwohl selbst alles andere als deklassiert, trifft den Ton dieses Milieus, wenn er “America first” propagiert, wenn er Produktionsverlagerungen in Niedriglohnländer wie Mexiko anprangert; aber ebenso, wenn er in Macho-Manier Frauen als sexuelles Freiwild betrachtet. Seine treuesten Anhänger, so ergaben detaillierte Wahlanalysen, sind weiße Männer mit traditionellen Rollenvorstellungen - die von universitären Gender-Debatten noch nie gehört haben. Doch auch sie fühlen sich diskriminiert, in ganz anderer Weise: durch Quoten und “Affirmative action”, durch staatliche oder betriebliche Programme, die Frauen oder Schwarzen bessere Jobchancen verschaffen sollen.  

Fremde im eigenen Land

Die New York Times diagnostiziert eine “Crisis of whiteness”. Arlie Russell Hochschild, renommierte Soziologin aus Berkeley, stellt in ihrer Studie “Strangers in their own land” Ergebnisse ihrer Feldforschung aus der Kleinstadt Lake Charles in Louisiana vor: New Orleans wurde überflutet, die petrochemische Industrie am Golf von Mexiko verschmutzt die Luft wie nirgendwo sonst, dennoch leugnen viele Bewohner den Klimawandel.  

Mark Lilla hat eine heftige Debatte unter Intellektuellen ausgelöst. Die Demokratische Partei, so der Ideenhistoriker an der Columbia-Universität, sei wegen ihrer Fixierung auf das postmoderne Thema “Diversity” gescheitert. Das ständige Ansprechen der Benachteiligung aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe oder sexueller Orientierung habe Wähler irritiert und Trump den Weg geebnet. Lilla bescheinigt dem liberalen Milieu “eine Art moralische Hysterie in Identitätsfragen”. Jede Raumschiffbesatzung in Hollywood müsse “nach den Farben des Regenbogens besetzt werden”, genauso schräg seien “die Debatten über verletzte Gefühle in Universitätsseminaren”. Er “teile zwar die Grundsätze, aber nicht die Priorität, die diesen Fragen in der Öffentlichkeit eingeräumt wird”.

Lilla erntete auf seine These viel Widerspruch auf beiden Seiten des Atlantiks, und Vergleiche mit der Situation in Deutschland sind ohnehin schwierig. Die Gender Studies an den hiesigen Hochschulen sind intersektional orientiert, stärker als in den USA suchen sie die Verbindungen zum Thema “soziale Ungleichheit”. Und das Ruhrgebiet, sozusagen das deutsche West Virginia, ist bisher keine Hochburg der AfD - auch wenn sich in Dortmund-Dorstfeld und anderswo Nazis breit machen. Anders bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg: Dort wählten, neben Erwerbslosen, auch Facharbeiter mit Gewerkschaftsbindung auffällig oft rechts.

Laut Infratest Dimap stufen sich 56 Prozent der AfD-Anhänger als Gewinner der gesellschaftlichen Entwicklung ein, nur 28 Prozent sehen sich als Modernisierungsverlierer. In solchen Befragungen können subjektive Einstufung und tatsächliche Lage weit auseinander liegen. Doch vor allem im Osten kommt der Protest eher aus der Mittelschicht. Die Hochschild-Formel von den Fremden im eigenen Land taucht in Wilhelm Heitmeyers Langzeitstudie über “Deutsche Zustände” immer wieder auf - in Form einer Selbstbeschreibung. Als “gelernte DDR-Bürger” stellten sich diese nach der Wende manchmal auf öffentlichen Veranstaltungen vor. Der Pegida-Slogan “Wir sind das Volk” richtet sich gegen die “da oben”. Das Anti-Elitäre erinnert zwar an Hillbillies und Rednecks, es kommt aber, zumindest in Dresden, aus einem weitgehend bürgerlichen Umfeld, das mit Globalisierung und ethnischer Vielfalt hadert: Ausländerfeindlichkeit ohne Ausländer.   

Sozialpolitik von rechts

In die Landtage an der Saar und in Nordrhein-Westfalen werden die Rechtspopulisten nach aktuellen Umfragen mit weniger Mandaten einziehen als noch vor ein paar Monaten erwartet. Die Arbeiterviertel in den alten Industrierevieren stehen aber durchaus im Fokus der AfD. Einen Wahlkampf-Schwerpunkt bildet Essen, wo der übergelaufene Ex-Sozialdemokrat Guido Reil kandidiert. Parallel engagiert sich der Bergmann und Ruhrkohle-Betriebsrat in der AVA, “Alternative Vereinigung der Arbeitnehmer” (AVA) - in anderen Regionen heißt sie “Arbeitnehmer in der AfD (AidA). Das alarmiert die Gewerkschaften, die das Thema zwar intern diskutieren, aber öffentlich nicht “unnötig aufwerten” wollen.

Spektakuläre Erfolge im Arbeitermilieu feierte in der Vergangenheit der Front National. Der Soziologe Didier Eribon analysiert in “Die Rückkehr nach Reims”, warum die alten Hochburgen der Kommunisten und Sozialisten im Norden Frankreichs inzwischen Le Pen-Land sind. Er spricht von einer “Art Notwehr der unteren Schichten”. Der FN sei mutiert zu einer Sozialstaats-Partei neuen Typs, er fülle die Lücke, die der Schwenk der europäischen Sozialdemokratie zum Neoliberalismus frei gemacht hat. Eribon nennt das “eine Art politische Notwehr der unteren Schichten”, eine Formel, die auch die manchmal populistisch argumentierende Linke Sahra Wagenknecht benutzt hat. Widerspruch kommt vom Münchner Soziologen Stephan Lessenich: Für ihn handelt es sich um einen “Phantomschmerz”, um die “Notwehr einer Wohlstandsgesellschaft, deren kollektive Identität an eben ihrem Wohlstand und der Sorglosigkeit seines Genusses hängt: mit ein wenig Gerechtigkeit nach innen und vor allen Dingen ungestört von außen”.

Die SPD hat trotz der Agenda 2010 mehr Kredit als die französischen Sozialisten. Sie bietet jetzt einen Kandidaten an, der sich in emotionalen Auftritten als Anwalt der “einfachen Leute” präsentiert. Ob das reicht? Wie antwortet Martin Schulz auf die “Krise der Kerle”? In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel wählten in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich mehr Männer als Frauen die NPD. Das Berlin-Institut spricht von der “Not am Mann”, die internationale Forschung vom “Double loser”, von doppelten Verlierern, die weder Arbeit noch Partnerin finden. In Sachsen-Anhalt ist sich der maskulinistische Verein MANNdat mit dem AfD-Abgeordneten Hans-Thomas Tillschneider einig - im gemeinsamen Kampf für verbitterte Trennungsväter und gegen eine “ideologisch verblendete” Gender-Politik. Mit den Rechten kehren rückwärts gewandte Rollenbilder auf die parlamentarischen Bühnen zurück. Wer dem etwas entgegen setzen will, muss nicht nur “Hartz IV” korrigieren - sondern auch gegen Antifeminismus Stellung beziehen und gleichzeitig ein emanzipatorisch orientiertes geschlechterpolitisches Programm entwickeln.