Eindeutige Faktenlage

Der Zweite Gleichstellungsbericht zeigt, wie Sorge- und Pflegearbeit gerecht verteilt werden kann.

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Nach dem Gender Time Gap wenden Frauen täglich 1,5 Stunden mehr für unbezahlte Sorgearbeit auf
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Mit dem Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung werden wichtige Zukunftsfragen der Gleichstellungspolitik auf die politische Agenda gehoben. Die zuständige Sachverständigenkommission bietet etwa im Bereich der Erwerbs- und Sorgearbeit relevante Analysen und Antworten - zum Beispiel für das Thema Pflege.

Die Empirie macht eine „mangelhafte gesellschaftliche Organisation von Sorgearbeit, die vor allem Alleinerziehende sowie Paare und Familien in Zweiverdiener-Arrangements überfordert“ (S. 101) deutlich. Die Lösung dieses Konflikts ist schwierig, denn Gleichstellungsmaßnahmen müssen Erwerbs- und Sorgearbeit zusammendenken und Rahmenbedingungen für echte Vereinbarkeit schaffen, ohne in traditionelle Geschlechterrollen zurück zu verfallen. Der Gender Time Gap zeigt, wie viel Zeit für unbezahlte Sorgearbeit Männer und Frauen jeweils aufwenden. Er ist die neue Kennzahl für den Unterschied im täglichen Zeitaufwand für unbezahlte Sorgearbeit bei Frauen und Männern. Der Gender Care Gap beträgt 52,4 Prozent. Das heißt, Frauen leisten täglich um die Hälfte mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer. Dies entspricht etwa 1,5 Stunden. Der Gender Care Gap ist in den unterschiedlichen Haushaltsformen unterschiedlich hoch ausgeprägt. Am höchsten ist er bei Paaren mit Kindern und beträgt dort 83,3 Prozent.

In ausblickartigen Kapiteln reißt der Bericht außerdem sehr lesenswert weitere gleichstellungspolitische Themen an, die im Gutachten nicht vertieft werden konnten (z.B. Digitalisierung). Alles in allem ist die Lektüre quer durch alle politischen Ressorts und Themen ein Gewinn – ein Beleg dafür wie die Gleichstellungsperspektive für Politik produktiv gemacht werden kann.

Entscheidung für Teilzeit ist nicht nur privat

Die Leitidee des Gutachtens zum Zweiten Gleichstellungsbericht sieht die „gleichen Verwirklichungschancen unabhängig vom Geschlecht und mit einer entsprechenden Verteilung von Chancen und Risiken im Lebensverlauf“ vor und macht deutlich, was zur bisher erfolgreich war und wo es Nachbesserungsbedarf gibt. Es trägt darüber hinaus Instrumente zusammen, wie man diesem Ziel näher kommen könnte. Noch immer sind Chancen und Risiken im Lebensverlauf extrem ungleich verteilt. Das zeigt sich besonders deutlich bei der Teilhabe von Frauen an der Erwerbsarbeit und Männern an der Sorgearbeit.  Das Ziel der Gleichstellung ist radikal, denn im politischen Diskurs gelten Entscheidungen (zum Beispiel für Teilzeitarbeit) immer noch als privat. Es herrscht deshalb eine große Zurückhaltung, an den strukturellen Rahmenbedingungen der Erwerbs- und Sorgearbeit etwas zu ändern. Der Vorwurf, in private Lebensentscheidungen „hineinregieren“ zu wollen, liegt stets nahe. Die Sachverständigengutachten zu den beiden bisherigen Gleichstellungsberichten, haben die Steuerungsmechanismen, die hinter dem Status Quo stehen, sichtbar gemacht und konsequent analysiert, und auch neue Vorschläge für die Überwindung des Status Quo formuliert.

Gender Care Gap

Im Bereich der bezahlten Arbeit, ist der Gender Pay Gap ein bekannter Indikator für Diskriminierungen in Bezug auf Bruttolöhne. Für unbezahlte Arbeit fehlte bisher ein vergleichbarer. Der Gender Care Gap soll laut Sachverständigenkommission genau diese Lücke schließen. Er gibt an, wieviel mehr unbezahlte Care-arbeit durch Frauen geleistet wird und wurde im 2. Gleichstellungsbericht erstmals berechnet (Stand 2012/2013).

Im Ergebnis zeigt sich, dass erwachsene Frauen in Deutschland im Durchschnitt täglich 87 Minuten mehr Care- Arbeit verrichten als Männer, was einem Gender Care Gap von 52,4 Prozent entspricht.  Frauen wenden also gut anderthalbmal so viel Zeit für Care-Arbeit auf wie Männer. Der größte Gender Care Gap (110,6 Prozent) zeigt sich im Alter von 34 Jahren: Frauen leisten dann durchschnittlich 5 Stunden und 18 Minuten Care-Arbeit täglich, Männer dagegen nur 2 Stunden und 31 Minuten.

Berücksichtigung von Sorgearbeit in der Gleichstellungspolitik

Erwerbsförmige Sorgearbeit muss aufgewertet sein, so die Handlungsempfehlungen des Gutachtens zum Zweite Gleichstellungsberichts. Die niedrigere Bewertung der traditionell weiblichen Berufe ist nach Einschätzung des Berichts ein Ausdruck der geschlechtsspezifischen strukturellen Diskriminierung. Um sie zu überwinden, müssen Aus- und Weiterbildung in diesen Berufen reformiert und vor allem die institutionellen Rahmenbedingungen (einschließlich Bezahlung) der Pflegeberufe neu gestaltet werden (S. 150 ff). In der Pflege solle man generell vom Vorrang der informellen häuslichen Pflege durch Angehörige wegkommen und einen Mix an Pflegedienstleistungen, auch im sozialen Nahraum, vorsehen.

Bezogen auf die unbezahlte Sorgearbeit für Kinder schlägt der Bericht eine Fülle von Maßnahmen vor:

  • Für Väter soll es eine Vaterschaftsfreistellung nach der Geburt geben.
  • Ein flexibles Familienzeitbudget von 120 Tagen bis zur Volljährigkeit soll zusätzlich zu den bis zu 20 Tagen im Jahr gezahlten Kinderkrankengeld zur Verfügung stehen, wenn nicht krankheitsbedingte Termine Flexibilität erfordern.
  • Familiengeld für Elternteile in der Elternzeit soll eingeführt werden, die beide einer reduzierten Vollzeittätigkeit innerhalb eines bestimmten Arbeitszeitkorridors nachgehen (bis zu 24 Monate).
  • Weiterer Ausbau der Partnermonate beim Elterngeld.
  • Verbesserung der Infrastruktur für Kinderbetreuung.

Diese genannten Maßnahmen richten sich größtenteils explizit an Frauen und Männer. Die Verteilung der Sorgearbeit wird so auf der verschiedengeschlechtlichen Paarebene adressiert. Studien über gleichgeschlechtliche Paare legen nach der Analyse des Sachverständigengutachtens nahe, dass die Arbeitsteilung in diesen Paarkonstellationen egalitärer angelegt ist. Trotzdem spielt in lesbischen Partnerschaften für die Arbeitsteilung eine wichtige Rolle, wer die leibliche und wer die soziale Mutter des Kindes ist – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Arbeitsteilung. Auch die gleichgeschlechtliche Paarbeziehung, andere Geschlechter als weiblich-männlich, sowie die Diskriminierung von Trans* (beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt) tauchen also im Bericht durchaus auf. Das Gutachten der Sachverständigenkommission wurde sprachlich und inhaltlich nach den Informationen zur Arbeitsweise der Sachverständigenkommission auch einem „Heteronormativitätscheck“ unterzogen.

Raus aus der Schublade, rein in die Politik

Nach dem Zweiten Gleichstellungsbericht ist nun – in welchen politischen Konstellationen auch immer – die weitere Umsetzung gefragt. Das Wissen über Probleme und Handlungsbedarfe im Bereich der Gleichstellungspolitik ist vorhanden und umfangreich aufgearbeitet. Die weiteren Schritte sind klar: In allen Bereichen der Politik braucht es den Blick auf die Auswirkungen von Reformen auf die Gleichstellung von Frauen und Männern. Es bleibt daher zu hoffen, dass der Zweiten Gleichstellungsbericht in Zukunft nicht nur in den Schubladen liegt, sondern Basis für weitere Reformvorhaben wird.