Never give up! Am Anfang war ein „Nein“

Rede

In ihrer Rede zur Verleihung des Anne-Klein-Frauenpreises 2019 spricht Nora Szász über den beschwerlichen Weg hin zu ihrer Vision, eines Tages das Recht zu erstreiten, über ihren eigenen Körper frei entscheiden zu können. Von Nora Szász

Nora Szász

Am Anfang war ein „Nein“.

„Nein“ zu der Anzeige, die Natascha Nicklaus und mich an einem warmen Sommertag Ende August 2017 in der Praxis erreichte. Mitten in der Sprechstunde. Eine Anzeige wegen unerlaubter Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch nach §219a. Ein kurzer Austausch. „Nein“, das lassen wir uns nicht bieten. Alles was dann folgte bis heute war - um Hans von Dohnanyi, zu zitieren - der zwangsmäßige Gang eines anständigen Menschen.

Vielen Dank an die Heinrich-Böll-Stiftung und Barbara Unmüßig, an Ulrike Cichon für die gute Organisation, an die Jury für ihre Entscheidung, an Annalena Baerbock für ihre kämpferische und mitreißende Laudatio.

Danken möchten wir auch den beiden Frauen, die uns unabhängig voneinander für den Preis vorgeschlagen haben: Sylvia Groth und Regina Stolzenberg. Ihr seid selber engagierte Kämpferinnen für Frauenrechte und habt die Frauengesundheitsbewegung der letzten Jahrzehnte in Deutschland und Österreich entscheidend mitgeprägt.

Es ist uns eine große Ehre, gerade diesen Preis entgegenzunehmen, der Anne Klein und ihr Lebenswerk als kämpferische Juristin und lesbische Feministin würdigt. Und deshalb freuen wir uns ganz besonders über diese Anerkennung, die wir dankend entgegen nehmen für uns alle, für unsere Bewegung und unseren gemeinsamen Kampf. Und wie toll ist es, dass heute so viele wichtige Menschen, Aktive und Mitstreiter*innen hier sind und gemeinsam mit uns feiern!

Aber nun frage ich euch alle hier im Saal: Wie viel Grund zum feiern haben wir eigentlich? Kann dies wirklich ein Freudentag, eine freudige Zeit für uns sein?

Es gibt so viel zu beklagen:

  1. Wir haben nicht erreicht, was wir erreichen wollten. Letzte Woche hat der Bundestag für eine Neufassung des § 219a des Strafgesetzbuches gestimmt. Damit werden Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland weiter kriminalisiert, Frauen in ihren Grundrechten massiv beschnitten und uns Ärzt*innen misstraut und verboten, eigenverantwortlich zu informieren.
     
  2. Das verabschiedete Reformpaket ist ein Zugeständnis an fundamentale Abtreibungsgegner. Die Pro-Life-Bewegung ist im Vormarsch. Die Antifeminist*innen, militanten Abtreibungsgegner*innen und christlichen Fundamentalist*innen haben ihre Lobbyisten an wichtigen Schaltstellen unserer Gesellschaft sitzen. Sie diffamieren und beleidigen uns öffentlich als „Kindsmörderinnen“, die ein „Tötungshandwerk“ ausüben. Leider wurden keinerlei Schutzmaßnahmen – wie gefordert- in der Reform beschlossen, schwangere Frauen und wir Ärzt*innen können ungehindert weiter bedroht und belästigt werden.
     
  3. Beklemmend ist die hautnahe Erfahrung, wie die SPD sich und ihre politischen Ziele unter dem Primat der Regierungsbeteiligung verkauft hat. Die Abschaffung des §219a wäre bei freier Abstimmung möglich gewesen, eine große Chance wurde vertan – und dass obwohl so viele Genoss*innen hinter uns stehen.

Es ist politisch nicht gut gelaufen für uns, zugegeben. Und dennoch, sehr geehrte Anwesende, liebe Freundinnen und Freunde, glaube ich, haben wir heute mit dieser Mut machenden Auszeichnung durch den Anne-Klein Frauenpreis noch mehr zu feiern. Etwas, was stark und groß geworden ist und unübersehbar: unsere Bewegung.

Was einmal als kleines feines Netzwerk - hier spielt der Arbeitskreis Frauengesundheit eine wichtige Rolle - um den Prozess gegen Kristina Hänel und die damit verbundenen Proteste und Empörung über das Urteil im November 2017 begann, ist mittlerweile zu einem stetig wachsenden bundesweiten Solidaritätsbündnis aus unzählig vielen lokalen und bundesweiten Initiativen und Organisationen geworden.

Hierzu gehört auch die Unterstützung politischer Parteien. Dem Engagement von Ulle Schauws (Bündnis 90/Die Grünen) und Cornelia Möhring (Die Linke) kommt dabei eine zentrale Rolle zu.

Politisch motivierte Strafanzeigen - wie die nach §219a, die wir Ärzt*innen erleiden müssen - haben zum Ziel, einen einzelnen Menschen zum Opfer zu machen und Angst einzuflößen. Genau diesen Gefallen tun wir den Abtreibungsgegnern nicht. Und die Kraft dazu haben wir, weil wir Teil eines Ganzen sind, wir sind getragen von so viel Solidarität, Wärme, fachlichem Austausch und unermüdlichen Engagement einzelner, die ich leider alle an dieser Stelle nicht namentlich erwähnen kann.

Wir geben uns untereinander in einer ungewöhnlich großzügigen solidarischen Art und Weise unser Fachwissen und Know-how weiter und bereichern und entwickeln uns dabei aneinander. Es ist eine gute wertschätzende Kultur, getragen vom Humanismus unseres Denkens und Handelns, die wir all dem Hass der Abtreibungsgegner*innen entgegenstellen.

Ich habe die Vision, dass wir eines Tages auch das letzte uns zustehende Frauenrecht in Deutschland, das Recht über unseren eigenen Körper entscheiden zu können, auch erstreiten werden. Und egal wie rückwärtsgerichtet die Gesetzgebung ist, im Selbstverständnis und Denken, nicht nur von uns Frauen, hat sich dieser Prozess bereits vollzogen.

Dazu trägt unser Kampf bei. Wir haben allen Grund hoffnungsvoll zu sein, denn unsere Gesellschaft ist im Wandel begriffen, der nicht mehr aufzuhalten ist. Und wir sind ansteckend. Wie sehr, dazu will ich euch eine Mail vorlesen, die uns kürzlich in der Praxis erreichte:

„Ich bin keine Patientin von Ihnen und wohne nicht mal ansatzweise in der Nähe von Kassel. Über einen Artikel via Instagram bin ich auf Sie gestoßen bezüglich des §219a im Kampf gegen Hr. Annen und Hr. Hendricks. Ich bewundere Sie und Ihr ganzes Team, dass Sie sich für genau solche Themen einsetzen und kann als junge Frau (19J.), nur meinen größten Dank aussprechen, dass Abtreibung für Sie kein Tabu Thema ist und öffentlich gemacht wird. Ich selbst war noch nie schwanger und weiß nicht einmal ansatzweise wie es sich anfühlt, sich in solch einer „Notlage“ zu befinden. Ich mache gerade eine Ausbildung zur ZFA (Zahnmedizinische Fachangestellte) wir haben das Thema im Politikunterricht meiner Berufsschule. Ich wollte mit dieser Email einfach nur Danke sagen und dass sie bitte niemals aufhören sollen für das zu stehen was Sie machen. Es ist unser Körper, wir sollen darüber selbst entscheiden. Dank Ärztinnen und Assistenzen wie in Ihrer Praxis vorhanden, können junge Frauen selbst entscheiden.

Danke, danke, danke!

NEVER GIVE UP!“

Ja „Never give up“. Danke, Du junge Frau aus Hamburg, für diese wunderbare Ermutigung. Sie ist mehr wert als jedes politische Programm.

Ganz im Sinne Anne Kleins werden wir uns auch weiterhin einmischen und laut und unbequem bleiben.

Trust women, trust doctors.

Noch einmal vielen herzlichen Dank für diese Auszeichnung und die dahinterstehende Wertschätzung und Anerkennung.