36. Green Ladies Lunch: Quoten - (K)ein Garant für feministischen Wandel?

Tisch mit Mikrofon.
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Grün packt an

Rückblick

Quoten - (K)ein Garant für feministischen Wandel?
25 Jahre Grüne Frauenquote, Bilanz und Perspektiven

25. März 2011

Die Debatte eröffneten:

  • Claudia Neusüß, Politikberaterin und Gastprofessorin an der TU Berlin im Bereich Wirtschaft und Change Management
  • Nevim Çil, Politikwissenschaftlerin [» PDF]
  • Astrid Rothe-Beinlich, die frauenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/ Die Grünen
    Beitrag als [» PDF]
  • Sina Doughan, Frauen- und Genderpolitische Sprecherin der Grünen Jugend
    Beitrag als [» PDF]

Moderation:

  • Gitti Hentschel, Leitung Gunda-Werner-Institut

Frauenquoten haben in den letzten Wochen und Monaten in der bundesdeutschen Debatte neue Beachtung und mediale Aufmerksamkeit bekommen. Es gab öffentlich Auseinandersetzungen über Sinn oder Unsinn von Quoten. Doch anders als zu Beginn der Quoten-Debatten in den 80er Jahren verliefen Kontroversen in und quer zu politischen Lagern und vor allem mit und in Wirtschaftskreisen und -Verbänden. Nicht mehr nur Feministinnen und streitbare Grüne treten für die Frauenquote überall ein, sondern auch in der Wirtschaft, in Spitzenpositionen und Aufsichtsräten. Die Allianz der Verfechter_innen für die Geschlechterquotierung ist größer geworden. Selbst in konservativ-patriarchalen Parteien wie der CSU hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es ohne eine gewisse (40%)-Quotierung auch bei ihnen nicht geht.

Allerdings sind Frauen in der Politik, in Kommunalparlamenten ebenso wie im Bundestag – mit Ausnahme der Grünen – noch immer weitgehend unterrepräsentiert. Und trotz Gleichstellungsgesetzen auf Länder- und Bundesebene, trotz Frauenförderprogrammen und anderen Gleichstellungsmaßnahmen für staatliche Institutionen und Organisationen ist die Geschlechtergleichstellung auch dort noch längst nicht erreicht. Das gilt für hochrangige Gremien, für die Wissenschaft, die Medien und in besonderem Maße für die Wirtschaft. Gerade sie ist in Deutschland anscheinend unantastbar. Konsequente Geschlechtergleichstellung per Gesetz mit klaren Quotenregelungen für Wirtschaftsunternehmen – das scheint hier anders als in anderen europäischen Ländern, wie Norwegen, Frankeich, den Niederlanden oder Spanien noch immer fast ein Sakrileg.

Die aktuelle Diskussion, die neue Brisanz der Quotenfrage und das Jubiläum von Bündnis 90/Die Grünen, die seit nunmehr 25 Jahren die Geschlechterquotierung im Statut verankert haben und praktizieren, waren für das GWI Anlass, das feministische Potential von Quotierungen beim 36. Green Ladies Lunch kritisch zu bilanzieren. Immerhin wurde die Quote von feministischen Vorkämpferinnen zu Beginn mit der Hoffnung verbunden auch feministisch-politisch Einfluss auf Strukturen und Inhalte zu nehmen.

Vor allem mit Blick auf Grüne Erfahrungen und Politik ging es um Fragen wie: Was wurde durch die Quote im Rückblick erreicht? (Inwiefern) hat sie als spezifische positive Maßnahme gegen diskriminierende Strukturen wirken können? Hat sie inhaltliche und strukturelle Veränderungen zur Folge gehabt? Oder haben sich eher umkehrt Partei-Strukturen auf die „Quotenfrauen“ ausgewirkt? Ist die Frauenquote als feministisches Erfolgsinstrument zu feiern? Kann sie Garant feministischen Wandels sein? Oder ist sie lediglich eine formale Voraussetzung und Bedingung dafür?

Aus feministischer Sicht stellt sich mit der Forderung einer Frauenquote auch die Frage nach weiteren Quotierungen. Wie ist die Teilhabe anderer gesellschaftlich diskriminierter Gruppen zu organisieren? Taugt die Quote dafür, oder welche anderen Maßnahmen sind notwendig. Kritisch zu betrachten ist auch, dass das Konzept der Quotierung sich an festen Zuschreibungen orientiert: so beinhaltet die Frauenquote die Gefahr, das traditionelle zweigeschlechtliche Gesellschaftsmodell zu verfestigen und weitere Diskriminierungsaspekte wie beispielsweise „Herkunft“ nicht mitzudenken. Hier ist zu fragen, wie feministische Ansätze von Intersektionalität und gleichberechtigten, hierarchie-abbauenden Organisationsformen durchgesetzt werden können. Welche Instrumente und Konzepte jenseits der Quote sind hierfür notwendig?

Vier Frauen waren aufgefordert, zu den aufgeworfenen Fragen Inputs für die weitere Debatte zu geben. Claudia Neusüß, Politikberaterin und Gastprofessorin an der TU Berlin im Bereich Wirtschaft und Change Management, betonte, dass durch die Quote Frauen ein garantierter Raum eröffnet wird, den es zu bespielen gelte. Mit Rückblick auf Grüne Verdienste und Erfolge in Bezug auf die Partizipation von Frauen stellte sie zugleich fest, dass sich im politischen Feld Quantität oft nicht in qualitative Veränderungen umgesetzt hat und es schwierig war, „große“, politische Vorhaben in frauen- und geschlechterpolitischem Sinne zu beeinflussen. Vor dem Hintergrund aktueller grüner Politikkonzepte und programmatischer Vorstellungen plädierte sie für eine feministische, wertorientierte Debatte über perspektivische Vorstellungen, zum Beispiel von dem, was Wirtschaft sein soll. Dazu gehörte für sie auch ein Paradigmenwechseln in der grünen Frauenpolitik hin zu einer „offensiven Geschlechterpolitik, im Sinne einer systematischen, strukturellen, programmatischen Integration in alle Themen und Bereiche“.

Die Politikwissenschaftlerin Nevim Çil verband die Frage um die Frauenquote mit der Frage nach einer Migrant_innenquote. Sie öffnete so die Diskussion und die Wahrnehmung von Ungleichheiten in der Gesellschaft. Dabei wies sie darauf hin, dass anders als bei der Frauenquote die Migrant_innen selbst nicht den Diskurs um die Migrant_innenquote bestimmt haben. Die derzeitige Debatte um Frauenquoten problematisierte Çil, weil die Debatte auf die weiße, 40jährige erfolgsorientierte Frau fokussiere. Eine so isoliert geführte Diskussion werde der „vielfältig zusammengesetzten“ Gesellschaftsstruktur nicht gerecht. Çil plädierte dafür, Benachteiligungsstrukturen, die sich auf die ethnische Herkunft und das Geschlecht beziehen, gemeinsam zu diskutieren. Gegen das vielfach gegen Migrant_innenquoten angeführte Argument, es sei schwierig zu klären, wer zu Migrant_innen zu rechnen sei, wurde in der Diskussion die Selbstzuordnung nach US-amerikanischem Modell angeregt.

Astrid Rothe-Beinlich, die frauenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/ Die Grünen, hob die Quote als „einzigartig wirkungsvolles“ Instrument hervor, das formal Geschlechtergerechtigkeit herstelle. Vor dem Hintergrund grüner Erfahrungen und der immer wieder auch in verschiedenen Bereichen und Landesverbänden der Partei aufkommenden kritischen Debatte über die Quote wies sie auf die Notwendigkeit hin, die Quote wachsam zu verteidigen: Sie werde mit „Zähnen und Klauen an der Quote festhalten“. Trotz weitgehend gleicher Repräsentanz von Frauen und Männern in der Partei seien die Grünen dennoch weit davon entfernt, frauen- und geschlechtergerechte Politik systematisch als Querschnittsthema zu implementieren. Doch auch dann ist für sie eine eigenständige Frauenpolitik unverzichtbar, weil sie weitaus mehr als ein Querschnittsthema sei.

Nicht nur bei den Grünen allgemein, sondern auch innerhalb der Grünen Jugend ist noch viel Sensibilisierungsarbeit in Sachen Quotierung und Geschlechtergleichstellung zu leisten. Das machte Sina Doughan deutlich, die Frauen- und Genderpolitische Sprecherin der Grünen Jugend. Grundsätzlich vertrete die Grüne Jugend einen dekonstruktivistischen Denkansatz, d.h., sie hätten die Vision der Abschaffung der Geschlechterkategorien. Dies stelle jedoch keinen Widerspruch zur Frauenförderung als notwendiges Instrument von Realpolitik dar. Nach Doughan werde die Quote oft mit Hinweis auf die fehlende Bereitschaft von Frauen zur Kandidatur in Frage gestellt. Um dennoch partitätische Besetzungen zu fördern, stellte sie ein Modell vor, nach dem im Falle einer fehlenden Kandidatin, der Sprecherinnenplatz unbesetzt bliebe. So werde auf den Mangel aufmerksam gemacht und ein Anreiz für Frauen zur Kandidatur geschaffen. Für Doughan sind gezielte positive Maßnahmen wegbereitend für eine geschlechtergerechte Gesellschaft in der Geschlecht keine Rolle mehr spielt.

Viel Stoff für die weitere Debatte. Ergebnis: Quoten sind ein besonders wirksames Mittel der formalen Gleichstellung, aber insbesondere im Interesse qualitativer, struktureller Veränderungen im feministischen Sinne sind sie längst nicht ausreichend, sondern weitere positive Maßnahmen, und vor allem feministisches Engagement und die Suche nach Bündnispartner_innen stehen auf der Tagesordnung.

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