Vier Argumente zur Verteidigung des Ehegattensplittings – und vier Entkräftungen

Mit welchen Argumenten versuchen die Befürworter*innen des Ehegattensplittings, dieses Steuersystem zu verteidigen? In dem Text werden die vier häufigsten „Pro“-Argumente aufgeführt und diskutiert.

Ein Foto von vier Stahlketten, die von einer Decke hängen.
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Wie lassen sich die Argument für das Ehegattenplitting entkräften?

Befürworter (und seltener zu lesen: Befürworterinnen) des Ehegattensplittings berufen sich im Wesentlichen auf das Verfassungsgerichtsurteil von 1957 und der darauf folgenden Steuerrechtsreform 1958, um das Ehegattensplitting zu verteidigen. Maßgabe dieses Urteils war, die aus der Zusammenveranlagung resultierenden Nachteile für Ehepaare zu vermeiden, da Paare bis dato nach der Heirat steuerlich oft benachteiligt wurden. In seinem Urteil verwies das BVerfG auch empfehlend auf die Möglichkeit des Ehegattensplittings, welches der früheren Diskriminierung vorbeugen und damit den grundgesetzlichen Schutz der Ehe sicherstellen könnte. Die Argumente für das Ehegattensplitting stützen sich im Wesentlichen auf dieses Urteil. Womit konkret wird das Ehegattensplitting heute noch verteidigt?

  1. Argument: Das Ehegattensplitting stellt eine an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehepaare orientierte sachgerechte Besteuerung dar, die dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. I GG entspricht.

    Dieses Argument führt unter anderem der FDP-Politiker Dr. Volker Wissing in seinem Text über das [Ehegattensplitting als „leistungsgerechte Besteuerung der Familie“] an. Richtig ist, dass nach Art. 6 (1) GG Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen. Der Grundsatz der (steuerlichen) Nicht-Diskriminierung der Ehe und der Gesamteinkommensbesteuerung ist also als Konsequenz des Artikels 6 GG zu verstehen. Fraglich ist allerdings, warum dieser grundgesetzliche Schutz der Ehe ausgerechnet über eine Steuervergünstigung realisiert werden sollte – die steuerliche Benachteiligung durch Eheschließung ließe sich auch anders vermeiden, um dem Urteil des BVerfG von 1957 zu genügen. Selbst der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung stellte in seinem [Jahresgutachten 2007/2008, Seite 291] fest, dass das Ehegatten-Splitting eine verfassungskonforme, wenn auch nicht verfassungsrechtlich zwingende Form der Ehegattenbesteuerung darstellt.

    Zudem ist fraglich, wem gegenüber eine „Diskriminierung“ festgestellt wird: Zwar sollten Verheiratete nicht gegenüber zwei Ledigen mit gleicher Erwerbs- und Einkommensverteilung benachteiligt werden. Dass jedoch eine Einverdienstehe höher besteuert würde als eine Ehe mit zwei Einkommen von insgesamt gleicher Höhe, widerspricht nicht dem Verfassungsurteil, sondern nur dem Prinzip der Globaleinkommensbesteuerung, also der gemeinsamen Besteuerung von Ehegatten als Wirtschaftsgemeinschaft. Diese ist jedoch kein aus dem Grundgesetz resultierendes Gebot. Sowohl das Prinzip der Globalbesteuerung als auch die positive steuerliche Diskriminierung auf der Basis des grundgesetzlichen Schutzes der Institution Ehe stellt eine unzureichende Begründung für das Ehegattensplitting dar.
     

  2. Argument: Das Ehegattensplitting als solches ist geschlechtsneutral. Es respektiert unter Beachtung von Art. 6 und 12 GG die Freiheit der Eheleute hinsichtlich ihrer individuellen Aufgabenverteilung.

    Eine geschlechtsspezifische Diskriminierung oder auch nur eine ungerechte Konsequenz wollen die VerteidigerInnen des Ehegattensplittings in der besonderen Vergünstigung für Einverdienstehen nicht erkennen. Die steuerliche Bevorzugung der „Hausfrauenehe“ wird mit dem Verweis auf die Artikel 6 und 12 des Grundgesetzes – Schutz der Ehe und Freiheit der Berufwahl – begründet. Die Meinung, das Ehegattensplitting respektiere die Freiheit der Eheleute hinsichtlich der Entscheidung, wie das Familienleben organisiert wird, führt die Debatte geradezu ad absurdum. Denn durch diese Besteuerung hält sich der Staat eben gerade nicht aus der eheinternen Arbeitsteilung heraus, sondern belohnt jene Paare, die sich für eine möglichst asymmetrische Aufgabenverteilung entscheiden und fördert damit eine geschlechterstereotype Arbeitsteilung. Prof. Miriam Beblo [Präsentation: "Geschlechterpolitische Bewertung von Individualbesteuerung", PDF] von der Fachhochschule für Wirtschaft in Berlin sieht hierin eine gezielte Verstärkung des „ökonomischen Teufelskreises“. Die innerfamiliäre geschlechterstereotype Arbeitsteilung führt dazu, dass sich PartnerInnen ungleich spezialisieren: auf Erwerbsarbeit oder auf Familien- und Hausarbeit. Dadurch verstetigen sich die – vielleicht auch nur kurzzeitig – eingenommenen traditionellen Rollenmuster, denn der „Marktwert“ der Arbeitskraft der erwerbstätigen Person steigt und jener der im Haushalt tätigen Person sinkt. Es ist dann rationaler, wenn vor allem die Person mit dem höheren „Marktwert“ sich auf Erwerbsarbeit konzentriert und die andere Person – empirisch meist die Frau – hauptsächlich die Familien- und Hausarbeit übernimmt. In der Folge bleiben Lohndifferenzen und unterschiedliche Erwerbsbeteiligung von Männern und Frauen bestehen. Das Ehegattensplitting mit seinem spezifischen Anreizsystem verstärkt diesen ökonomischen Teufelskreis. Gisela Färber, Professorin an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer und Referentin beim ersten steuerpolitischen Fachgespräch des GWI in der Heinrich-Böll-Stiftung, sieht in den ehezentrierten Instrumenten des Steuer- und Sozialsystems eine steuerliche Stärkung der ökonomischen Abhängigkeit von Frauen. Insbesondere betont sie, dass die Diskriminierung von Frauen durch das Ehegattensplitting im Lohnsteuervorabzugsverfahren, das einer Angleichung an das Splitting dient, fortgesetzt wird. Würde der Staat diese Bevormundung wirklich zurücknehmen und die Entscheidung über die eheinterne Arbeitsteilung komplett den Eheleuten überlassen wollen, wäre die Individualbesteuerung der einzig mögliche Weg dazu.

    Zudem ist das Ehegattensplitting sozial ungerecht, da es spitzenverdienende Alleinverdienerhaushalte bevorzugt. Diese steuerliche Besserstellung wohlhabender Ehen mit nur einem Verdiener widerspricht der vertikalen Steuergerechtigkeit und spielt einzelne Konstellationen innerehelicher Einkommensverhältnisse gegeneinander aus. Finanzpolitisch wird also vor allem die Ehe als Lebensform mit einer möglichst ungleichen Aufgabenverteilung gefördert. Die Förderung von Machtasymmetrien im Privaten ist jedoch keine gute Basis für eine demokratische Gemeinschaft selbstbewusster StaatsbürgerInnen.
     

  3. Argument: Das Ehegattensplitting ist keine Steuervergünstigung oder Privilegierung der Ehe, sondern nur die unterlassene Diskriminierung von Ehegatten.

    Auch dieses Argument, vorgebracht vom Gießener Wirtschaftsprofessor Dr. Wolfgang Scherf ["Abschaffung des Ehegattensplittings bewirkt steuerliche Diskriminierung von Ehegatten", PDF], bezieht sich direkt auf das Verfassungsgerichtsurteil von 1957 und die darauf folgende Steuerreform. Aus heutiger Sicht stellt sich die Frage, an welchem Punkt eine mögliche Benachteiligung problematischer ist: Die Benachteiligung einer Rechtsform, nämlich der ehelichen Gemeinschaft, oder die systemimmanente Diskriminierung von Individuen? Der Schutz der Ehe nach Art. 6 GG wird in dieser Argumentation offensichtlich höher gewichtet als das Gleichheitsgebot nach Art. 3 GG. Dort heißt es jedoch in [Absatz (2)]: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Wird dieses Gebot ernst genommen, ist das Ehegattensplitting nicht verfassungskonform, da von diesem System eine mittelbare Diskriminierung von Frauen ausgeht.

    Außerdem ist es fraglich, ob das Ehegattensplitting die verfassungskonforme Antwort auf das aus dem Grundgesetz resultierende Nicht-Diskriminierungsgebot auch in ökonomischer und steuerlicher Hinsicht darstellt. Zwar wird – ausschließlich bezogen auf das Steuerrecht – eine direkte Diskriminierung durch das Ehegattensplitting vermieden. Die indirekte Diskriminierung aber und vor allem die Tatsache, dass der Zweitverdienst in der Ehe und damit die Erhöhung des gesamten Haushaltsnettoeinkommens behindert wird, erzielen sehr wohl eine Schlechterstellung von verheirateten Paaren gegenüber ledigen Paaren. Dem ledigen Paar ist die Erhöhung des gemeinsamen Einkommens durch höhere Erwerbsbeteiligung aufgrund einer individuellen Besteuerung ohne Hürden möglich, während ein verheiratetes Paar demgegenüber steuerliche Verluste in Kauf nehmen muss. Insofern hat das Ehegattensplitting sogar diskriminierenden Charakter, wenn die Betrachtung über die engen Grenzen des Steuerrechts hinausgeht.

    Zudem ist auffällig, dass die BefürworterInnen das Wort „Splittingvorteil“ bewusst vermeiden, da dieser Begriff ein (möglicherweise ungerechtfertigtes?) Steuerprivileg für Verheiratete suggeriere (BVerfG, Urteil vom 3.11.1982). Stattdessen betont beispielsweise Volker Wissing, dass nach dem Einkommenssteuerrecht und dem Familienrecht eine Ehe als Wirtschaftsgemeinschaft gleichberechtigter Partner betrachtet wird, in der die Ehegatten das oder die Einkommen in einen gemeinsamen Topf fließen lassen und gleichberechtigt daran teilhaben. Das Verfahren der Ehegattenbesteuerung müsse dieser Einkommenszusammenlegung und -aufteilung Rechnung tragen. Das Ehegattensplitting orientiert sich an der „wirtschaftlichen Realität der intakten Durchschnittsehe“ (BVerfG, Urteil vom 3.11.1982), wie das Bundesverfassungsgericht 1982 sehr schön formuliert hat – ungeachtet der Frage, wie realistisch das Ideal der intakten Durchschnittsehe je war und ist.

    Ganz im Sinne dieser Idealvorstellung argumentiert der Gießener Wirtschaftsprofessor Wolfgang Scherf, dass sich ein positiver Splittingvorteil ja nur dann ergäbe, wenn man zwei Ehegatten, von denen nur einer erwerbstätig ist und Einkommen erzielt, mit zwei Ledigen in derselben Erwerbskonstellation vergleichen würde. Stattdessen solle die (angebliche) hälftige Aufteilung des gemeinsamen Einkommens auf beide Ehegatten berücksichtigt werden, und hier ergäbe sich gegenüber zwei gleichermaßen erwerbstätigen Ledigen kein Splittingvorteil (Scherf 2006: 5). Damit erhebt Scherf allerdings den verwaltungstechnischen Akt der Zusammenveranlagung zur vorgeblichen Realität gleichhohen Einkommens beider Ehepartner – ungeachtet tatsächlicher eheinterner Einkommens- und Verteilungsverhältnisse. Argumentativ unsauber ist auch Scherfs Feststellung, dass die steuerliche Leistungsfähigkeit eines Ehepaares geringer ist jene einer alleinstehenden Person mit gleich hohem Einkommen. Dies trifft sicherlich zu – aber auch hier wird das Ehepaar als ein Steuersubjekt (und nicht als zwei Personen mit jeweiligem Einkommen) betrachtet, dem eine Person gegenüber gestellt wird. Mit dieser Argumentation lässt sich selbstverständlich jede Art der Diskriminierung der Ehe belegen, weil Scherf in seinen Vergleichen gar nicht erst vom Individuum aus argumentiert.
     

  4. Argument: Das Ehegattensplitting ist familienpolitisch sinnvoll, da es die Ehe als (potenzielle) Elternschaft schützt.

    Ebenso realitätsfern und antiquiert ist auch dieses Argument. Abgesehen von der Problematik, dass das Ehegattensplitting eine Ehe steuerlich günstiger behandelt, aber nicht unbedingt im grundgesetzlichen Sinne „schützt“, führt Wissing ein Argument – kein Urteil – des Bundesverfassungsgerichts von 1987 an. Das Gericht betonte, dass die Ehe Voraussetzung für die bestmögliche körperliche, geistige und seelische Entwicklung des Kindes sei. Die rechtliche Institution der Ehe aber garantiert noch lange nicht, dass möglichst beide Eltern ihren Kindern die notwendige Aufmerksamkeit, Liebe und Fürsorge zukommen lassen – dass dies von der Frage verheiratet/nicht verheiratet unabhängig ist, dürfte mittlerweile jeder und jedem klar sein. Zudem kann die Tatsache, dass „noch über 50 Prozent der Kinder in Ehen und nur 30 Prozent in nichtehelichen Lebensgemeinschaften“ (so Wissing 2007) leben, aus heutiger Sicht problemlos auch anders herum gelesen werden: Es leben annähernd genauso viele Kinder in eheähnlichen Gemeinschaften oder mit nur einem Elternteil zusammen wie in Ehen – die Ehe verliert als Basis der Elternschaft also klar an Bedeutung. Engagierte Eltern müssen nicht verheiratet sein, Eheleute sind nicht per se die besten Eltern und schließlich wollen auch nicht alle verheirateten Menschen Kinder haben. Ehe und Familie dürfen zwei verschieden Dinge sein – womit die Begründung für das Ehegattensplitting als Schutz der Ehe mit Perspektive auf die Familie überholt ist.