Sexualisierte Gewalt an Mädchen und Jungen im Kontext bewaffneter Konflikte.
Bericht zu einem Fachgespräch und Filmvorführung -Sexualisierte Gewalt an Mädchen und Jungen im Kontext bewaffneter Konflikte -10. Dezember 2013 im Rahmen der Ausstellung "Was sehen Sie Frau Lot?"
Ob im Nahen Osten, Zentrafrika, Südostasien oder Mitelamerika, in Kriegsituationen erleben Frauen wie Männer extreme Gewaltsituationen, Angst und Traumata. Zivilist_innen werden gezwungen ihre Wohnungen zu verlassen, sie werden beraubt, geschlagen, erschossen. Oftmals bleibt ihnen nur die Flucht, um sich den Gräueltaten und dem allgegenwärtigen Leid zu entziehen. Insbesondere Kinder sind von unterschiedlichen Formen der Gewalt betroffen und leiden an den Langzeitfolgen der inneren und äusseren Verletzungen. Erzwungene Rekrutierung von Kindern zum Dienst an der Waffe, insbesondere mittels sexualisierter Gewalt gehören zu den gravierendsten Menschenrechtsverletzungen unserer Zeit. Mädchen und Jungen werden zu Täter_innen gemacht; diese Erfahrungen machen für sie ein Leben nach Ende des Krieges als Zivilist_Innen extrem schwierig. Berichten zufolge werden oder wurden hunderttausende Kinder in Ländern wie dem Sudan, Sri Lanka und Uganda gezwungen, als Soldat_innen zu dienen.[1]
Sie werden beim Tragen von Waffen und bei der Versorgung, während Verhören von Gefangenen, und auf dem Schlachtfeld und bei Kampfeinsätzen eingesetzt und zu brutalsten Handlungen gezwungen.
Obwohl diese Problematik schon seit Anfang der Neunziger Jahren bekannt ist, fehlt es an angemessenen Präventionsmechanismen und Reintegrationsprogrammen, die den betroffenen Mädchen und Jungen neue Perspektiven und umfassenden Schutz bieten können. Es gibt zwar einen völkerrechtlichen Rahmen, der die gewaltvolle Rekrutierung von Kindersoldaten verbietet, wie etwa die UN-Kinderrechtskonvention von 1998, aber die Umsetzung dieser Normen erweist sich als schwierig. Junge Menschen aus ruralen Gegenden, die in grosser Armut abgelegen von nationalen Knotenpunkte leben, sind besonders gefährdet. Die Mädchen und Jungen sind oft direkt von den bewaffneten Konflikten und Gewalt betroffen, haben Familienmitglieder verloren oder mussten sich selbst an den Gewalttaten der Rebell_innen oder dem Militär beteiligen.
Um diesen Menschenrechtsverbrechen an Kindern entgegenzuwirken, hat das Gunda-Werner-Instituts in der Heinrich-Böll-Stiftung (GWI) am 10. Dezember 2013 Expert_innen aus verschiedenen Bereichen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Ländern zum Fachgespräch geladen. Eingebettet in eine Ausstellung zum Thema sexualisierter Gewalt an Mädchen und Jungen in Deutschland [2] wurde hierbei an vorherige Fachgespräche zu dem Thema angeknüpft. Erörtert wurden Fragen, wie „Was müssen die internationale Gemeinschaft, die EU und die Bundesregierung gegen die Rekrutierung von Kindern unternehmen? Wie können sie zur Aufarbeitung ihrer Gewalterfahrungen beitragen? Wie können Mädchen und Jungen, die diese Art der Gewalt und Traumatisierung erfahren haben, in die Gesellschaft reintegriert werden?“.
Das Fachgespräch ermöglichte eine umfassende Diskussion über die Gründe dieser Verbrechen an Kindern und die sozialpolitischen Konsequenzen innerhalb und ausserhalb der betroffenen Länder.
Barbara Unmüßig, Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung, betonte in ihrer Einführung in die Veranstaltung die Notwendigkeit zu erörtern, was auf der politischen Ebene und von deutscher Seite aus getan werden kann, um die Regelungen des internationalen Völkerrechts umzusetzen und der weiteren Rekrutierung und Missbrauch von Kindern Einhalt zu gebieten. Einig mit Gitti Hentschel, Leiterin des Gunda-Werner-Instituts, appellierte sie an die Verantwortung der Industrieländer und eröffnete damit ein in Vorträgen und Debatte differenziertes und offenes Fachgespräch in Bezug auf Verantwortlichkeiten, Möglichkeiten und Präventionsstrategien.
Camilla Klein, zuständige Uganda- Koordinatorin bei amnesty international, die ein Jahr in Uganda mit ehemaligen Kindersoldat_innen gearbeitet hat, erläuterte die sozio-ökomischen Umständen und Rekrutierung der Kinder im Norden des Landes. Sie beschrieb die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Faktoren, die Kinder besonders vulnerabel für die Rekrutierung machen, die aber auch für Reintegrationsinitiativen beachtet werden müssen. Armut, mangelnde Perspektiven und unzureichende Ausbildungspielen dabei eine ganz wesentliche Rolle.
Eine Erkenntnis, die Grace Arach,Initiatorin und Koordinatorin der “Foundation of Women Affected by Conflict” (FOWAC) in Uganda, und langjährige Sozialarbeiterin bei einem Caritas-Projekt in Gulu, Uganda bestätigte. Eindrücklich berichtete sie von ihrer Arbeit mit ehemaligen Kindersoldat_innen, die sie auf dem steinigen Weg in ein „normales“ Leben begleitet. Damit vermittelte sie zumindest ansatzweise, wie bedrückend und schwierig die Arbeits- und Lebenssituation in solchen Hilfsprojekten ist.
Es gibt große individuelle Unterschiede zwischen den verschiedenen Schicksalen und Umgehensweisen der Kinder. Sie erzählte von der Perspektivenlosigkeit, der viele Kinder entgegenblicken. Obwohl es in Uganda ein traditionelles System der Versöhnung und der Reintegration gibt, ist es oft schwierig, die Jungen und Mädchen, die zum Teil von Milizen oder Militärs unter brutalsten Umständen entführt und zu einem Leben als Kindersoldat_innen gezwungen wurden, wieder in ihre Familien und Dorfgemeinschaften zurückzuführen. Sie haben zum großen Teil nie eine Schule besucht und mussten viel zu schnell erwachsen werden. Familienmitglieder oder andere enge Angehörige begegnen ihnen in ihren Gemeinschaften oft mit Misstrauen, zum Teil Angst und Ablehnung, in dem Wissen, dass sie in der Rebellenarmee selbst brutalste Taten begangen haben. Zum Teil sind Verwandte aber auch glücklich, die Kinder wieder bei sich zu haben und versuchen, ihnen eine Aufnahme in die Gemeinschaft zu erleichtern. Doch ohne Berufsausbildung und für immer stigmatisiert, haben es diese Kinder extrem schwer, sich in einem zivilen Kontext zu Recht zu finden und eine Zukunftsperspektive zu entwickeln. Durch gezielte Programme und sichere Lebensverhältnisse könnten sie eine Chance auf ein normales Leben erhalten. Doch das volle Ausmaß externer und interner Wunden sowie mangelnde Reintegrationsfähigkeit wird erst allmählich, nach Ende des bewaffneten Konflikts, wenn überhaupt, in vollem Maße sichtbar und erfordert individuelle Betreuung. Mit ihren Schilderungen bot Grace Arach viele Ansätze für eine nachdenkliche Diskussion über konkrete Lösungsansätze.
Theo Hollander, Mitarbeiter eines Refugee Law Projects in Uganda und Doktorand am Zentrum für Konfliktforschung der Universität Utrecht richtete die Aufmerksamkeit auch auf das erweiterte soziale Umfeld. Er berichtete von dem ganz eigenen Regelsystem innerhalb bewaffneter Truppen wie zum Beispiel der Lord Resistance Army im Norden Ugandas. Die Kinder müssen diese Regeln erlernen und sich ihnen fügen. Das angemessene Verhalten in einem zivilen Kontext nach ihrer Rückkehr muss daher von ihnen neu gelernt werden. Besonders wichtig sei der Einbezug von Familienangehörigen, betonte Hollander. Junge Mädchen kehren zum Teil auch als Mütter mit ihren Kindern aus den Camps zurück. Und selbst wenn die jungen Frauen in ihrer Gemeinschaft wieder aufgenommen werden, werden ihre Kinder oft abgelehnt, da ihre Väter zu den Rebellen gehören. Ein Konflikt, mit dem viele Frauen kaum fertig werden. Und insbesondere junge Männer, von denen bekannt ist, dass sie in Kriegscamps gelebt haben und Gräueltaten verübten, werden ein Leben lang damit in Verbindung gebracht. Für Hollander war daraus die Schlussfolgerung, dass die internationalen Hilfsorganisationen sich vermehrt um das soziale Umfeld der Kindersoldat_innen kümmern und Vermittlungsarbeit leisten müssen, um eine umfassende Reintegration überhaupt möglich zu machen.
Wie wichtig eine weitere kritische Reflektion des Themas ist, machte die Genderforscherin und Expertin für das südliche Afrika, Rita Schäfer deutlich. Sie schlug einen umfassenden Bogen zur Kolonialgeschichte, um die Situation im Norden Ugandas sowie in anderen Ländern im subsaharischen Afrika zu betrachten. Sie hob hervor, dass bei geschlechtsspezifischer Gewalt nicht nur auf die Wechselwirkungen zwischen männlich und weiblich geprägten Verhaltensmuster zu achten sei. Auch Dynamiken und Machtverhältnisse zwischen älteren und jüngeren Männern innerhalb militärischer Strukturen seien von wesentlicher Bedeutung und könnten problematische Konsequenzen innerhalb der betroffenen Gesellschaft haben. Zum Beispiel, wenn Kinder, die in diese Gewaltstrukturen gepresst wurden und zu Befehlshabern in Rebellengruppen wurden, über Nacht zu Autoritätspersonen werden. Zugleich würden sie durch das Anordnen und Ausführen verbrecherischer Befehle ihrer Kindheit beraubt. All dies, so die Ethnologin, muss bei Reintegrationsmaßnahmen und –programmen berücksichtigt werden.
Im Anschluss an das Fachgespräch wurde zu einem Dokumentationsfilm und einer öffentlichen Podiumsdiskussion eingeladen. Der Film „Lost Children“ begleitet ehemalige Kindersoldat_innen in Uganda auf ihrem Weg zurück in ihre dörflichen Gemeinschaften und bei der Suche nach einer Normalität, die fast unerreichbar und zugleich erbamungslos erscheint. Auch die Referentin des Fachgesprächs, Grace Arach gehört zu den Akteur_innen des Films. Gezeigt wird unter anderem, wie sie als Sozialarbeiterin versucht, die Kinder und ehemaligen Kindersoldat_innen zu unterstützen, Kontakt zu ihren Herkunftsfamilien aufzunehmen, eine Schule zu absolvieren oder eine Ausbildung zu machen. Sie versucht sie zu begleiten, in eine Nachkriegsgesellschaft integriert zu werden und durch Sprechen über die erlebten Grausamkeiten ihre Traumata zu verarbeiten. Der Film und die dokumentierten Gespräche machen betroffen und benommen. Doch wie im Fachgespräch zuvor betont wurde, sind solche Veranstaltungen wesentlich, um zu Lösungsansätzen zu finden.
Alle Beteiligten waren sich einig, dass Deutschland als wichtiger politischer Akteur im globalen Kontext, aber auch als einer der größten Waffenlieferanten weltweit gefordert ist, durch gezielte Förderungsprogramme und kontinuierliche Thematisierung des Problems zur angemessenen Prävention und Reintegration von Kindersoldat_innen beizutragen. Betroffene und Expert_innen müssen Teil eines politischen Diskurs werden, der adäquate Mechanismen identifiziert, die Kinder auch in Kriegssituationen vor jeder Form von Übergriffen, erst recht vor sexualisierter Gewalt schützen.
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[1] UNICEF. PROMOTION AND PROTECTION OF THE RIGHTS OF CHILDREN. Impact of armed conflict on children. Note by the Secretary-General. A/51/306 http://www.unicef.org/graca/a51-306_en.pdf
[2] Austellung: ”Was sehen Sie, Frau Lot? Ausstellungsprojekt zu sexualisierter Gewalterfahrung von Mädchen, Jungen und Frauen – gegen Täterschutz“ Vom 25.11.2013 - 14.01.2014 in der hbs, Berlin
Video: Abendveranstaltung/Podiumsdiskussion -Sexualisierte Gewalt an Kindersoldat_innen in bewaffneten Konflikten Folgen und Aufarbeitung
Sexualisierte Gewalt an Kindersoldat_innen in bewaffneten Konflikten - Heinrich-Böll-Stiftung
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