Quoten für Beiräte, Unternehmen und Politik: Einfach weiter wie gehabt?

Mann/Frau Figuren - Schablone

In den letzten Jahrzehnten sind Normen, Vorschriften und Regulierungsverfahren mit dem Ziel der Förderung von Geschlechtergleichstellung entstanden. Sie nehmen vielfältigste Formen an, wobei Geschlechterquoten sehr verbreitet sind und oft eingesetzt werden. In diesem Zusammenhang spricht Holli (2011b) von unterschiedlichen Generationen von Geschlechterquoten. Die erste Generation von Geschlechterquoten bezieht sich auf Parlamentswahlen. Tatsächlich sind Geschlechterquoten in den 1990er Jahren weithin bekannt geworden als Mittel zur Förderung der politischen Repräsentation von Frauen (Dahlerup, 2006; Krook, 2009). Heute haben weltweit ungefähr die Hälfte aller Länder ein Gesetz über Geschlechterquoten, das die Anzahl von Kandidaten und Kandidatinnen bei Parlamentswahlen regelt (Dahlerup and Freidenvall, 2011). Die zweite Generation von Geschlechterquoten bezieht sich auf Beiräte oder Beratungsausschüsse. Zu diesen Quotenregelungen gibt es deutlich weniger Literatur; hier wird zudem vorwiegend auf den finnischen Fall Bezug genommen (Holli 2011a, b; Holli et al., 2006), wobei es auch andere Länder mit dieser Art von Geschlechterquote gibt. Die dritte und vorerst letzte Generation von Geschlechterquoten bezieht sich auf Unternehmensvorstände, um das Geschlechterverhältnis in Vorständen börsennotierter und staatlicher Unternehmen zu verbessern. Bis heute haben 13 OECD Staaten Geschlechterquoten für Unternehmensvorstände verabschiedet (Armstrong und Walby, 2012).

Der vorliegende Beitrag vergleicht diese drei Generationen von Geschlechterquoten, ersetzt allerdings den Terminus “Generation” durch den Begriff “Gruppe”, da die Chronologie, die Holli (2011b) vorschlägt, nicht notwendigerweise in allen Ländern gleich ist.

Ist es trotzdem wichtig, zwischen den unterschiedlichen Gruppen der Geschlechterquoten zu unterscheiden, je nach dem, auf welchen Bereich sie sich beziehen (politisch, sozial, wirtschaftlich)? Die eigentliche Frage ist, ob sich Geschlechterquoten, die auf  unterschiedliche Bereiche abzielen, wesentlich voneinander unterscheiden oder ob der Hauptunterschied in der Chronologie ihrer Einführung liegt. Um diese Frage beantworten zu können, untersucht der vorliegende Beitrag die in Belgien verabschiedeten Geschlechterquotengesetze, die sich auf nationale Beiräte, Kandidatenwahllisten und Vorstände von börsennotierten und staatlichen Unternehmen beziehen; der Fokus wird hierbei auf den verabschiedeten Regeln und den dahinter stehenden Grundüberlegungen liegen. (…)

Geschlechterquotengruppen im Vergleich

Belgien ist eines der wenigen Länder, das verpflichtende Geschlechterquoten in der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft eingeführt hat. Dies ermöglicht eine vergleichende Analyse von Geschlechterquoten in unterschiedlichen Sektoren, wobei wichtige Hintergrundvariablen, wie die politische Landschaft, Staatsbürgerschaft und das Gendersystem, konstant gehalten werden. Fünf Gesetze passen exemplarisch in eine der drei Gruppen: das 1990 verabschiedete Gesetz zur Einführung von Geschlechterquoten in nationalen Beiräten (im Folgenden AB.1990 genannt) sowie das Nachfolgegesetz aus dem Jahre 1997 (AB.1997); das 1994 verabschiedete Gesetz zur Einführung von Geschlechterquoten auf Kandidatenwahllisten (EL.1994) sowie die Nachfolgegesetze aus dem Jahre 2002 (EL.2002); und das 2011 verabschiedete Gesetz zur Einführung von Geschlechterquoten für Vorstände von börsennotierten und staatlichen Unternehmen (B.2011).

Die Frage ist nun, ob sich Geschlechterquoten, die auf unterschiedliche Bereiche abzielen, wesentlich voneinander unterscheiden oder ob der Hauptunterschied in der Chronologie ihrer Einführung liegt. Für beide Seiten lassen sich Argumente finden. Es leuchtet ein, dass unterschiedliche Bereiche der Gesellschaft mit unterschiedlichen Normen umgehen. Wahlpolitik ist kein Wirtschaftsgeschäft. Während eine gleiche Anzahl von Männern und Frauen, die die Bevölkerung repräsentieren, ein überzeugendes Argument für Politiker ist, da sie das Volk vertreten, setzt die Wirtschaft auf vielfältige Expertise und nicht auf Verhältnismäßigkeit. Man könnte aber auch argumentieren, dass sich Männer und Frauen die Macht teilen sollten. In diesem Fall wäre das Argument der Verhältnismäßigkeit auch für die Wirtschaft relevant. Wenn man allerdings vorträgt, dass Politik eine Frage der Beratung ist, dann ist Verhältnismäßigkeit nicht erforderlich. Das bedeutet, dass sich der Prozentsatz der Geschlechterquote in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen voneinander unterscheiden kann; das Gleiche gilt auch für ihre Bezeichnung und die Argumente, die in Diskussionen hervorgebracht werden.

Gleichermaßen können sich Geschlechterquoten auch in anderer Art und Weise unterscheiden, z.B. was Sanktionen und zusätzlich auferlegte Regeln betrifft. Wieder ist es einleuchtend, dass unterschiedliche Regeln in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen Anwendung finden. Die Konzeptionalisierung der Funktion oder der unterschiedlichen Praktiken in den verschiedenen Sektoren kann den Einsatz (unterschiedlicher Arten) von  Sanktionen anstoßen. Außerdem gehen Politiker mitunter strenger mit sich selbst ins Gericht als mit anderen Sektoren, wobei auch das Gegenteil eintreten kann. Demzufolge können sich neben dem Prozentsatz der Geschlechterquote auch die Bezeichnung, die in Diskussionen verwendeten Argumente, Sanktionen im Falle der Nichteinhaltung und andere ergänzende Regeln voneinander unterscheiden.

Daraus ergeben sich zwei mögliche Thesen: Die erste These besagt, dass sich Geschlechterquoten, die auf verschiedene Bereiche der Gesellschaft abzielen, unterscheiden im Hinblick auf ihre Regeln und zugrundeliegenden Grundüberlegungen. Die Gegenthese meint, dass sich Geschlechterquoten, die sich auf verschiedene Bereiche der Gesellschaft beziehen, nicht im Hinblick auf ihre Regeln und zugrundeliegenden Grundüberlegungen unterscheiden. Vor dem Hintergrund des explorativen Charakters des vorliegenden Beitrags werden beide Thesen in Betracht gezogen. Während Abweichungen zwischen den verschiedenen Geschlechterquotengruppen ein Indikator für wesentliche Unterschiede sind, weist ihr Fehlen aller Wahrscheinlichkeit nach darauf hin, dass der Unterschied vorwiegend in der Chronologie der Einführung zu suchen ist.

Für jeden der fünf vorbenannten Fälle werden die Geschlechterquote und die vor der Verabschiedung geführten Parlamentsdebatten analysiert. Vier Hauptaspekte von Quotenregelungen werden untersucht: a) die festgesetzte Quote (Prozentzahl); b) ihre Bezeichnung; c) Sanktionen und d) spätere, zusätzliche Regeln. Die festgesetzte Quote und ihre Bezeichnung sind Indikatoren für das gesteckte Ziel, Sanktionen und zusätzliche Regeln für die Strenge der Quote. Daneben werden die Argumente, die für und wider Geschlechterquoten eingesetzt werden, analysiert, um die Grundüberlegungen, die hinter einer Geschlechterquote in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen liegen, zu untersuchen. Zu diesem Zweck wurden die parlamentarischen Unterlagen, welche die unterschiedlichen Bedeutungen von Geschlechterquoten berücksichtigen, eingehend studiert.

 Diese Bedeutungen beziehen sich auf den Sinngehalt von Geschlechterquoten, wofür diese stehen bzw. was sie symbolisieren. Beispielsweise können Geschlechterquoten u.a. mehr (oder weniger) Demokratie bzw. ein Verkennen weiblicher Fähigkeiten signalisieren.

Diese Analyse lässt andere Aspekte, mit denen in Diskussionen aufgewartet wird, außer Acht, wie zum Beispiel den Nutzen des Vorschlags des Staatsrates oder anderer, mit Geschlechterquoten in Zusammenhang stehenden Parteiinitiativen. Gesetzesvorlagen durchlaufen unterschiedliche Phasen, bevor sie als Gesetz verabschiedet werden. Jede eingereichte Gesetzesvorlage wird von einer Stellungnahme (der sogenannten toelichting or développements) begleitet, die die entsprechenden Beweggründe schildert. Debatten zu einer Gesetzesvorlage finden zunächst in einem parlamentarischen Ausschuss und anschließend im Plenum statt, dem oft ein Vorschlag des Staatsrates vorausgeht. Während die Plenardebatten vollständig transkribiert werden, werden die Debatten in den parlamentarischen Ausschüssen nur zusammengefasst. (…)

Parlamentarische Debatten zu belgischen Geschlechterquoten

Ähnlich verhält es sich auch mit der Verteilung auf die drei Geschlechterquotengruppen, wenn es um die Grundüberlegungen hinter einer Befürwortung oder Zurückweisung von Geschlechterquoten geht. Der erste Grundgedanke aller drei Gruppen ist Gleichstellung. Verfechter von Geschlechterquoten stellen Gleichstellung vor allem als Gleichbehandlung von Männern und Frauen und Chancengleichheit für Frauen dar. In EL.2002 und B.2011 stehen Geschlechterquoten ebenfalls für einen Schritt hin zu oder die Erreichung von Gleichstellung, im letzten Fall auch für den Wunsch, die Bewegungslosigkeit in diesen Fragen zu überwinden.

In zwei Debatten, AB.1997 und EL.2002, fungierten Geschlechterquoten zudem als Rahmen für einen Schritt hin zu oder die Erreichung von paritätischer Demokratie, wobei paritätische Demokratie hier der französischen Definition von Gleichheit zwischen Männern und Frauen als den beiden Hauptkomponenten der Menschheit folgt: ‘la femme fonde à l’égal de l’homme le genre humain et l’humanité’ (EL.2002). Während AB.1997 gelegentlich auf das Konzept der paritätischen Demokratie Bezug nimmt, taucht es regelmäßig in EL.2002 auf. Die Einführung des Reißverschlussprinzips steht insbesondere für paritätische Demokratie ohne Einschränkung. In beiden Debatten und in EL.1994 wird außerdem auf eine gleiche Teilhabe an oder Repräsentation von Frauen bei Entscheidungsprozessen Bezug genommen, was der Logik der paritätischen Demokratie nahekommt. In den Debatten über Geschlechterquoten in der Wirtschaft finden sich keine Bezüge zur paritätischen Demokratie. Es wird hingegen ausführlich auf die Tatsache verwiesen, dass niemand aufgrund seines Geschlechts ausgeschlossen werden darf (B.2011).

Ein weiterer Grundgedanke aller Gruppen von Geschlechterquoten ist das Thema Macht. Mit Ausnahme von AB.1990 werden Geschlechterquoten explizit in allen Debatten im Zusammenhang mit Machtfragen definiert. Sie brechen bestehende Machtnetzwerke auf und geben Frauen mehr Macht (B.2011) oder die Hälfte der Macht (EL.2002) oder stellen das Machtgleichgewicht einfach wieder her (EL.1994) bzw. führen zu einer Machtverschiebung zwischen Frauen und Männern (AB.1997). Die Debatten stellen außerdem fest, dass Machtverschiebungen nicht spontan entstehen (AB.1997, EL.1994, EL.2002, B.2011) und dass Männer überproportional viel Macht haben (EL.2002).

Eine dritte, normativere Grundüberlegung aller Quotengruppen ist das Thema Vielfalt. Geschlechterquoten spiegeln die Wertschätzung unterschiedlicher Sichtweisen von Frauen und Männern, die in einer Gesellschaft existieren, wider (AB.1997, EL.1994, EL.2002).

Geschlechterquoten sind ein Spiegel dafür, dass benachteiligten Gruppen und BürgerInnen insgesamt mehr Beachtung geschenkt wird (EL.1994, EL.2002). Dieses Thema wird vorwiegend bei Debatten zu Geschlechterquoten für den Politikbereich aufgeworfen. Es lässt sich aber auch in Zusammenhang mit der Wirtschaft finden, da Geschlechterquoten zeigen, dass es notwendig ist, dass Unternehmensvorstände die Zusammensetzung der Gesellschaft widerspiegeln (B.2011).

Das entsprechende Gegenargument lässt sich ebenfalls in allen drei Gruppen wiederfinden. In den Augen der Gegner von Geschlechterquoten reduziert eine Quote die Frauen auf ihr Geschlecht und stellt das Geschlecht über ihre Leistungen. Dieses Konstrukt kann man in allen Debatten wiederfinden, mit Ausnahme der ersten Debatte zu AB.1990. Geschlechterquoten ‚institutionalisierten“ Geschlecht (AB.1997) bzw. die Aufteilung von Männern und Frauen in zwei Geschlechter (B.2011). Geschlechterquoten, wird argumentiert, repräsentieren Geschlecht als etwas, das wichtiger für das gute Funktionieren eines Beirates ist als Kompetenzen, Fähigkeiten, Interessen, Erfahrungen und Professionalität (AB.1997). Geschlechterquoten stünden dafür, dass Frauen ausschließlich mit ihrem Geschlecht und nicht mit ihren Kompetenzen, Interessen und sonstigen Stärken assoziiert werden (B.2011). Geschlechterquoten stünden für die Tatsache, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts eingestellt, ausgewählt oder gewählt werden und nicht aufgrund ihrer Fähigkeiten (EL.2002). Geschlechterquoten sähen Frauen nur durch die Geschlechterbrille; sie zählten nur wegen ihres Geschlechts (EL.1994). Allgemeiner gesprochen, symbolisierten Geschlechterquoten die Tatsache, dass Frauen für inkompetent gehalten werden (AB.1997, EL.1994, EL.2002, B.2011).

Eine fünfte und letzte Grundüberlegung, die sich in allen drei Gruppen wiederfinden lässt, ist das Thema Demokratie, wobei es unterschiedlich ausgestaltet wird, je nachdem, ob Geschlechterquoten befürwortet oder abgelehnt werden. Im ersten Fall wird argumentiert, dass Geschlechterquoten das Bestehen eines strukturellen Demokratiedefizits (EL.2002) oder das Versagen der Demokratie im Bereich Gleichstellung (AB.1997; EL.2002) symbolisieren. Sie deuteten aber auch darauf hin, dass Demokratie gut funktioniert, selbstkorrigierend ist (AB.1990, AB.1997, EL.1994, EL.2002) und dass Männer und Frauen gemeinsam entscheiden, wie sich die Gesellschaft entwickeln soll, was ebenfalls das Funktionieren einer Demokratie ermöglicht (B.2011). Geschlechterquoten repräsentieren somit nicht einfach nur die Tatsache, dass eine Demokratie gut funktioniert; sie stehen auch für Fortschritt (EL.2002) und Zivilisation (B.2011).

Für die Gegner symbolisieren Geschlechterquoten vor allem eine Einschränkung (EL.2002) oder Verletzung der Demokratie (EL.1994), insbesondere des Prinzips der Freiheit. Geschlechterquoten bedeuteten einen Verstoß gegen die Freiheit politischer Parteien, ihre Kandidatenlisten nach eigenen Wünschen zusammenzustellen. Eine solche Deutung wird hauptsächlich in EL.1994 vorgenommen, taucht aber acht Jahre später auch in EL.2002 wieder auf. Stärker noch werden hier Geschlechterquoten als Verletzung der Freiheit des Unternehmertums definiert – die Hauptdeutung von Geschlechterquoten durch ihre Gegner befindet sich in B.2011 – sowie als Verletzung der Trennlinie zwischen Öffentlichem und Privaten (B.2011). Diese negative Deutung in Bezug auf Demokratie und den Staat findet man nur in Debatten zu Geschlechterquoten, die auf den politischen und wirtschaftlichen Bereich abzielen.

Zwei weitere Grundüberlegungen, die ebenfalls nur in vorbenanntem Zusammenhang zu finden sind, konzentrieren sich auf die Rolle des Staates und Fragen der Gerechtigkeit. Geschlechterquoten stehen für positive Diskriminierung (EL.1994, B.2011) oder staatlich-gesteuerte Diskriminierung (B.2011). Der Staat macht etwas, das er eigentlich nicht tun sollte: Er schafft Ergebnisgleichheit, obwohl seine Rolle darauf beschränkt ist, Chancengleichheit herzustellen. Geschlechterquoten symbolisieren also einen coup de force sowie eine autoritäre Haltung des Staates (B.2011). Schwächer ausgedrückt, werden Geschlechterquoten geschaffen, um die bevormundende Haltung des Staates bzw. seinen Lenkungs- und Organisations’wahn‘ zu präsentieren (EL.2002, B.2011). Geschlechterquoten symbolisieren das allgemeine Vertrauensdefizit in der Wirtschaft (B.2011) sowie die fehlende Anerkennung für die Fähigkeiten derjenigen, die die Wahllisten zusammenstellen bzw. die Kandidaten auswählen (EL.2002).

Diese Gegenüberstellung zeigt, dass Geschlechterquoten suggerieren, dass Selbstregulierung nicht funktioniert, ein Thema, das in B.2011 häufig Erwähnung findet. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, dass der Staat das reguliert und lenkt, was nicht spontan entsteht. In EL.2002 wurde dies expliziter ausgedrückt, indem gesagt wurde, dass Geschlechterquoten die Pflicht des Staates zum Eingreifen widerspiegeln, damit auch Frauen in gleichem Maße wie Männer höchste Verantwortungsposten übernehmen können. In diesem Zusammenhang werden Geschlechterquoten auch als Zeichen der Gerechtigkeit eingerichtet (EL.1994, EL.2002, B.2011).

Ein letzter Grundgedanke, den man auch nur in den Debatten über Geschlechterquoten, die auf den politischen und wirtschaftlichen Sektor abzielen, finden kann, bezieht sich auf das bestehende Ungleichgewicht (bzw. seine Ursachen) zwischen den Geschlechtern. Geschlechterquoten symbolisieren die derzeitige Überrepräsentation von Männern (EL.2002) und das Hinterherhinken oder die Ausgrenzung von Frauen (EL.1994). In B.2011 werden Geschlechterquoten ausgiebig und wiederholt dargestellt als Anerkennung einer gläsernen Decke und als Kampf gegen diese und andere Schwellen. In B.2011 stellen Geschlechterquoten außerdem einen Schritt gegen Konservatismus und Machismo dar, was erneut die Vorstellung widerspiegelt, dass diese Maßnahmen dem Kampf gegen Diskriminierungs- und Ausgrenzungsmechanismen gelten. In den Debatten über Geschlechterquoten für Wahllisten zollen Geschlechterquoten der Tatsache Anerkennung, dass Schwellen überwunden werden müssen (EL.2994). Ganz allgemein gesprochen, symbolisieren sie den Wunsch, Diskriminierung zu bekämpfen (EL.1994, EL.2002), indem Diskriminierung nicht nur anerkannt wird, sondern auch die Bereitschaft besteht, etwas gegen sie zu unternehmen.

Tabelle 2: Überblick über Argumente in parlamentarischen Debatten - nach Geschlechterquotengruppe

Bedeutung von Geschlechterquoten

Soziales

Politik

Wirtschaft

Gleichstellung

Gleiche Chancen/Behandlung

Gleiche Chancen/Behandlung

Gleiche Chancen/Behandlung, keine Ausgrenzung aus Gründen des Geschlechts

 

Gleichstellung (2002)

Gleichstellung, Unbeweglichkeit in Sachen Gleichstellung überwinden

Parität (1997), Gleiche Mitwirkung (1997)

Parität (2002), Gleiche Mitwirkung (1994) oder Repräsentation (2002)

 

Macht

Machtverschiebung zwischen den Geschlechtern (1997)

Machtgleichgewicht herstellen (1994), mehr/hälftige Macht den Frauen (2002)

Mehr Macht den Frauen

 

Männer haben überdurchschnittlich viel Macht (2002)

 

Macht, an die sich geklammert wird (1997)

Macht, an die sich geklammert wird

Macht, an die sich geklammert wird; Machtnetze

Vielfalt

Wertevielfalt (1997)

Wertevielfalt

Spiegel der Zusammensetzung der Gesellschaft

 

Aufmerksamkeit für benachteiligte Gruppen

 

Geschlecht und Fähigkeiten

Geschlecht über Fähigkeiten (1997)

Geschlecht über Fähigkeiten

Geschlecht über Fähigkeiten

Frauen werden auf ihr Geschlecht reduziert (1997)

Frauen werden auf ihr Geschlecht reduziert

Frauen werden auf ihr Geschlecht reduziert

Institutionalisierung von Geschlecht (1997)

 

Institutionalisierung der Einteilung m/w

Frauen als inkompetent erachtet (1997)

Frauen als inkompetent erachtet

Frauen als inkompetent erachtet

Demokratie

Funktionen (selbstkorrigierend)

Funktionen (selbstkorrigierend)

Funktionen

Scheitert (beim Erreichen von Gleichstellung) (1997)

Scheitert (beim Erreichen von Gleichstellung) (2002), Bestehen eines strukturellen Demokratiedefizits (2002)

 

 

Scheitert (verletzt das Freiheitsprinzip)

Scheitert (verletzt die unternehmerische Freiheit; Trennung zw. Öffentlichem/Privaten

 

Fortschritt (2002)

Zivilisation

Staat

 

Übernimmt seine Rolle (2002)

Übernimmt seine Rolle, Selbstregulierung funktioniert nicht

 

 

Überschreitet seine Zuständigkeit durch Lenken der Gesellschaft, autoritäre Haltung

 

Bevormundend (2002), Fehlen von Vertrauen in Kompetenz bei Kandidatenauswahl (2002)

Bevormundend,

Fehlen von Vertrauen in Kompetenz bei Kandidatenauswahl

(Un)gerechtigkeit

 

Gerechtigkeit

Gerechtigkeit

 

Positive Diskriminierung (1994)

 Positive Diskriminierung

 

 

Staatlich organisierte Diskriminierung

(Verursacht) Ungleichgewicht

 

Hinterherhinken/

Ausgrenzung von Frauen, Überrepräsentation von Männern (2002)

 

 

Schwellen (1994)

Gläserne Decke und andere Schwellen

 

Diskriminierung

 

 

 

Konservatismus und Machismo

In Kursivschrift die Argumente, die sich gegen Geschlechterquoten aussprechen.

Die Jahreszahlen in Klammern bedeuten, dass nur diese spezifische Quotengruppe von dem Argument betroffen ist.

Schlussfolgerung

Der vorliegende Beitrag interessiert sich für die unterschiedlichen Generationen oder Gruppen von Geschlechterquoten und fragt sich, in welchem Maße diese sich unterscheiden über die Tatsache hinaus, dass sie auf unterschiedliche, gesellschaftliche Bereiche abzielen – den politischen, wirtschaftlichen und sozialen – und zu unterschiedlichen Zeiten verabschiedet wurden. Zu diesem Zweck wurden fünf Gesetze zu Geschlechterquoten exemplarisch analysiert, die seit 1990 in Belgien verabschiedet wurden und auf diese drei Bereiche Bezug nehmen. Die Ergebnisse zeichnen ein klares Bild: Zumindest in Belgien gibt es keinen grundlegenden Unterschied zwischen den Geschlechterquoten für die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereiche. Wenn es jedoch um die festgelegten Regeln geht, lassen sich durchaus Unterschiede erkennen. Die auf den sozialen Bereich angewendeten Geschlechterquoten sehen keine stufenweise Umsetzung vor, wohingegen die anderen diese ermöglichen. Die Geschlechterquoten für die Politik liegen bei 50%. Die Geschlechterquoten für die Wirtschaft werden von einer größeren Zahl unterschiedlicher Sanktionen begleitet als die anderen Geschlechterquotengruppen. Zumindest die beiden letztgenannten Unterschiede müssen aber relativiert werden: Es scheint, dass die belgischen Geschlechterquotenregelungen über die Zeit eine allgemeine Entwicklung durchgemacht haben. Geschlechterquoten sind strenger geworden, indem sie Geschlechtergleichstellung verpflichtend einführen oder die Zusammensetzung eines Organs ins Visier nehmen, mit Sanktionen im Falle der Nichteinhaltung. Die Unterschiede zwischen den Gruppen von Geschlechterquoten lassen sich dann vielleicht durch die Tatsache erklären, dass die Geschlechterquoten für die Politik und die Geschlechterquoten, die der Wirtschaft verpflichtend auferlegt wurden, eher neueren Datums sind. 

Erkenntnisse sind ähnlich, wenn man sich die Grundgedanken anschaut, die hinter den unterschiedlichen Gruppen von Geschlechterquoten liegen. Die entsprechenden Debatten haben viele Grundüberlegungen gemeinsam. Die größte Ausnahme ist, dass die ersten Geschlechterquoten (AB.1990) sehr viel weniger Debatten mit sich brachten als die Folgenden. In den Debatten zu AB.1990 wurden ein paar wenige Argumente hervorgebracht. Was den Rest angeht, lassen sich Argumente, die vorwiegend aus Debatten über Geschlechterquoten für die Politik stammen, auch in anderen Bereichen wiederfinden, und es gibt viele Überlappungen und Parallelen zwischen den Debatten zu Geschlechterquoten in den verschiedenen Bereichen. Interessanterweise unterscheidet sich die Struktur der Geschlechterquoten für die Wirtschaft von der der anderen Gruppen. Es ist unklar, inwieweit dies eine bewusste Entscheidung der Akteure, die den Gesetzesvorschlag eingebracht haben, war. Aber die Tatsache, dass es Ähnlichkeiten in den Debatten gibt, zeigt, dass es laut vielen Akteuren, die an diesen Debatten teilgenommen haben, ebenfalls viele Ähnlichkeiten zwischen den verschiedenen Geschlechterquotengruppen gibt.

Was sagt uns das nun? Wir fragen uns, inwieweit sich diese Geschlechterquoten, obgleich sie auf unterschiedliche Bereiche abzielen, letztlich wirklich unterscheiden? Sie zielen auf eigenständige Sektoren ab und wurden zu unterschiedlichen Zeiten verabschiedet. Und es gibt Unterschiede in den festgesetzten Regeln sowie kleine Abweichungen in den Bezeichnungen und den dahinterliegenden Grundüberlegungen. Dennoch scheint es, als unterschieden sie sich nicht wesentlich voneinander. Die Erkenntnisse stützen die Gegenthese, dass sich Geschlechterquoten, die auf unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche abzielen, in Bezug auf ihre Regeln und dahinterliegenden Grundüberlegungen nicht voneinander unterscheiden. Dennoch sind diese Erkenntnisse mit Vorsicht zu genießen: Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf ein einziges Land, was den Vorteil hat, dass die Zahl der Variablen überschaubar ist. Der nächste Schritt wäre ein länderübergreifender Vergleich, bei dem unterschiedliche Gruppen von Geschlechterquoten in unterschiedlichen Ländern miteinander verglichen werden. Dadurch könnten wir herausfinden, inwieweit die für Belgien ausgemachten Unterschiede letztlich bedeutsam sind. Gibt es ähnliche Unterschiede auch in anderen Ländern? In diesem Fall könnten sie bedeutsamer sein, als es zunächst den Anschein hat, und wir hätten einen Indikator für die Tatsache beseitigt, dass sich unterschiedliche Gruppen von Geschlechterquoten wesentlich voneinander unterscheiden.

Oder weisen unterschiedliche Gruppen von Geschlechterquoten in einem Land mehr Ähnlichkeiten untereinander auf als im Vergleich zu anderen Ländern? Und welche Faktoren wären dafür verantwortlich? In diesem Fall fände die Gegenthese, die der belgische Fall stützt, Bestätigung: Unterschiedliche Gruppen von Geschlechterquoten würden sich nicht wesentlich voneinander unterscheiden.

 

(Eine vollständige Version des Artikels wurde veröffentlicht in International Political Science Review, Band 35, Nr.1, Januar 2014,

siehe:

http://www.ipsa.org/publications/ipsr/volume-35-number-1-january-2014


Literaturverzeichnis

 

Ahern, Kenneth R. und Amy K. Dittmar (2011) The Changing of The Boards: The Impact of Firm Valuation of Mandated Female Board Representation. The Quarterly Journal of Economics 127(1): 137-197.

Araújo, Clara und Ana Isabel García (2006) Latin America. The experience and the impact of quotas in Latin America. In Drude Dahlerup (ed) Women, Quotas and Politics. London: Routledge, 83-111.

Armstrong, Jo und Sylvia Walby (2012) Gender Quotas in Management Boards. Brussels: European Parliament Directorate-General for Internal Affairs.

Bacchi, Carol (2006) Arguing for and against quotas: theoretical issues. In Drude Dahlerup (ed) Women, Quotas and Politics. London: Routledge, 32-51.

Brammer, Stephen, Millington, Andrew und Stephen Pavelin (2007): Gender and Ethnic Diversity among UK Corporate Boards. Corporate Governance: An International Review 15(2): 393-403.

Casey, Catherine, Skibnes, Renate und Judith K. Pringle (2010): Gender Equality and Corporate Governance: Policy Strategies in Norway and New Zealand. Gender, Work and Organization 18(6): 613-630.

Childs, Sarah und Mona Lena Krook (2012) Labels and Mandates in the United Kingdom. In Susan Franceshet, Mona Lena Krook and Jennifer F. Piscopo (eds) The Impact of Gender Quotas. New York: Oxford University Press, 89-102.

Dahlerup, Drude (Hrsg.) (2006) Women, Quotas and Politics. London: Routledge.

Dahlerup, Drude und Lenita Freidenvall (2011) Electoral Gender Quota Systems and their implementation in Europe. Brussels: European Parliament Directorate General for Internal Policies.

Dale-Olsen, Harald, Schone, Pal und Mette Verner (2012) Women on Boards of Directors and Firm Performance: Evidence from Denmark and Norway. Comparative Social Research 29: 211-234.

Desvaux, Georges, Devillard-Hoellinger, Sandrine und Pascal Baumgarten (2007) Women Matter. Gender diversity, a corporate performance driver. No location: McKinsey&Company. Available at: http://www.mckinsey.com/client_service/organization/latest_thinking/wom….

Franceshet, Susan und Jennifer Piscopo (2008) Gender Quotas and Women’s Substantive Representation: Lessons from Argentina. Politics & Gender 4(3): 393-425.

Franceshet, Susan, Krook, Mona Lena und Jennifer Piscopo (eds) (2012) The Impact of Gender Quotas. New York: Oxford University Press.

Holli, Anne Maria (2011a) Female Bodies or Women's Interest Representation? An Analysis of Women's Representation in Finnish Policy Preparatory Institutions. Paper presented in Panel 7: “Institutional Design Change and Transformation,” 2nd European Conference on Gender and Politics, Budapest, January 13–15. Paper.

Holli, Anne Maria (2011b) Transforming local politics? The impact of gender quotas in Finland. In Barbara Pini und Paula McDonald (Hrsg.) Women and Representation in Local Government. International Case Studies. London and New York: Routledge, 142-158.

Holli, Anne Maria, Luhtakallio, Eeva und Eeva Raevaara (2006) Quota Trouble. Talking about Gender Quotas in Finnish Local Politics. International Feminist Journal of Politics 8(2): 169-193.

Htun, Mala und Mark Jones (2002) Engendering the Right to Participate in Decision-making: Electoral Quotas and Women’s Leadership in Latin America. In Nikki Craske and Maxime Molyneux (eds) Gender and the politics of rights and democracy in Latin America. New York: Palgrave Macmillan, 32-56.

Jones, Mark (2004) Quota Legislation and the Election of Women: Learning from the Costa Rican Experience. The Journal of Politics 66(4): 1203-1233.

Jones, Mark (2009) Gender Quotas, Electoral Laws, and the Election of Women. Evidence from the Latin American Vanguard. Comparative Political Studies 42(1): 56-81.

Kittilson, Mikki Caul (2006) Challenging Parties, Changing Parliaments: Women and Elected Office in Contemporary Western Europe. Columbus: Ohio State University Press.

Krook, Mona Lena (2009) Quotas for Women in Politics. New York: Oxford University Press.

Larson, Anna (2012) Collective Identities, Institutions, Security, and State Building in Afghanistan. In Susan Franceshet, Mona Lena Krook and Jennifer F. Piscopo (eds) The Impact of Gender Quotas. New York: Oxford University Press, 136-153.

Longman, Timothy (2006) Rwanda: Achieving Equality or Serving an Authoritarian State? In Gretchen Bauer and Hannah E. Britton (eds) Women in African Parliaments. Boulder/London: Lynne Rienner Publishers, 133-150.

Lovenduski, Joni (Hrsg.) (2005) State Feminism and Political Representation. Cambridge: Cambridge University Press.

Matland, Richard (2006) Electoral Quotas: Frequency and Effectiveness. In Drude Dahlerup (ed) Women, Quotas and Politics. London: Routledge, 275-292.

Meier, Petra (2004) De kracht van de definitie: een vergelijking van de quotawetten in Argentinië, België en Frankrijk. Res Publica 46(1): 80-100.

Miguel, Luis Felipe (2012) Policy Priorities and Women’s Double Bind in Brazil. In Susan Franceshet, Mona Lena Krook and Jennifer F. Piscopo (eds) The Impact of Gender Quotas. New York: Oxford University Press, 103-118.

Phillips, Anne (1995) The Politics of Presence. The Political Representation of Gender, Ethnicity and Race. Oxford: Clarendon Press.

Schmidt, Gregory D. und Kyle L. Saunders (2004) Effective Quotas, Relative Party Magnitude, and the Success of Female Candidates: Peruvian Municipal Elections in Comparative Perspective. Comparative Political Studies 37(6): 704-724.

Schwindt-Bayer, Leslie (2009) Making Quotas Work: The Effect of Gender Quota Laws on the Election of Women. Legislative Studies Quarterly 34(1): 5-28.

Sliwa, Sandra, Meier, Petra und Peter Thijssen (2011) De impact van party magnitude op het aantal vrouwelijke verkozenen. Gender quota in België kritisch bekeken. Res Publica 53(2): 141-165.

Storvik, Aagoth E. und Mari Teigen (2010) Women on board. The Norwegian Experience. Berlin: Friedrich Ebert Stiftung.