Gegen Krieg, Patriarchat und nationalistischen Wahn

100 Jahre Women's International League for Peace and Freedom
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100 Jahre Women's International League for Peace and Freedom

Es waren die Tage der 2. Flandernschlacht, einer der vielen Kämpfe des 1. Weltkriegs, bei denen Tausende ihr Leben lassen mussten. Keine 170 Kilometer nördlich des Schlachtfelds trafen sich an jenem 28. April 1915 über 1.100 Pazifistinnen aus zwölf kriegführenden Staaten beider Seiten der Front in Den Haag. Sie gründeten eine Organisation, die bis heute an ihrem Einsatz für Frieden festhält: Die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit. Genau hundert Jahre später kamen Friedensaktivistinnen aus aller Welt, unter ihnen auch ich, Ende April in den Friedenspalast der niederländischen Stadt und erinnerten an diese Gründung.

Natürlich nutzten wir die Tage auch, um wie unsere feministischen Vorkämpferinnen ausgiebig über die Ursachen von Kriegen und Wege zur Überwindung von bewaffneten Konflikten zu diskutieren. Auch wenn sich die Zeiten geändert haben, ging es wie damals um militaristische Mobilmachung, männliche Dominanz und kapitalistische Ökonomie. Und es ging um Fragen, mit denen sich unsere Schwestern noch nicht beschäftigen konnten. Etwa um die Rolle der Vereinten Nationen und die Bedrohung, die noch immer von Nuklearwaffen ausgeht.

Die destruktiven Tendenzen maskuliner Mentalität

Doch zunächst zurück zu jenen Tagen im April 1915. In einigen Gesellschaften Europas, insbesondere der deutschen, herrschte Kriegseuphorie. Im nationalistischen Taumel sollte Frauen die ihnen zugeschriebene Rolle an der Heimatfront wahrnehmen. „Es ist uns selbstverständlich, dass während eines nationalen Existenzkampfes wir Frauen zu unserem Volk gehören und nur zu ihm“, propagierte etwa Gertrud Bäumer, die Vorsitzende des Dachverbands bürgerlicher Frauenvereine. Dass sich die Pazifistinnen, die vielen als Vaterlandsverräterinnen galten, dennoch zu ihrem Kongress in Den Haag trafen, bezeichnete meine Mentorin und langjährige Frauenliga-Vorsitzende Eleonore Romberg zu Recht als eine unvorstellbare Leistung, die unglaublichen Mut und Entschlossenheit erfordere.

Für die Organisation stand außer Frage, dass neben dem nationalistische Wahn immer auch patriarchale Strukturen angegangen werden müssen. Dabei richteten sich die Kriegsgegnerinnen ebenso an ihre Geschlechtsgenossinnen: „Frauen müssen aufhören, Männer mit einem Gewehr in der Hand zu bewundern, und danach streben, den destruktiven Tendenzen der maskulinen Mentalität entgegenzuwirken“, sagte die Delegierte Anita Augspurg auf einem Frauenliga-Kongress in Washington D.C. im Jahr 1924.

Multilaterale Strukturen stärken

Schon immer orientierte die Frauenliga darauf, multilaterale Strukturen zu stärken. Sie unterstützte den aus der Pariser Friedenskonferenz 1919 entstandenen Völkerbund, machte sich nach dem 2. Weltkrieg für die UNO stark und zählte zu den ersten Nichtregierungsorganisationen, die bei den Vereinten Nationen einen Konsultativstatus erhalten haben. Die UNO als Instrument für die Stärkung internationalen Rechts und der Völkerverständigung – das war die Hoffnung, die sie mit der Organisation verband. Bis heute hält die Frauenliga an dieser Idee fest und erinnert Diplomaten daran, warum die UNO einst gegründet wurde: um die Menschheit von der Geißel des Krieges zu befreien. In einer Zeit, in der die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats ihren Status vor allem für eigene geopolitische und strategische Ziele nutzen, ist diese Erinnerung besonders wichtig.

Sehr eindeutig kritisierten wir in Den Haag die Umsetzung der UN-Resolution 1325, die den Schutz von Frauen in bewaffneten Konflikten und deren Stärkung in Konfliktverhütungsmechanismen vorsieht. Denn die Vereinten Nationen konzentrierten sich vor allem darauf, mehr Soldatinnen in militärische UN-Mission einzubinden. Die eigentliche Vorgabe sah umfangreicher aus: Die weibliche Bevölkerung sollte stärker an friedensfördernden Maßnahmen und entsprechenden Debatten beteiligt werden. Es liegt nun wieder an uns selbst, verstärkt auf dieses Ziel hinzuarbeiten.

„Wir Frauen“, hatte die niederländische Ärztin Aletta Jacobs damals, 1915, die Gründungskonferenz eröffnet, „sind hierhergekommen in dem gleichen Bewusstsein, mit den gleichen Hoffnungen, dem einen Wunsch, dass unsere Stimme bis ans Ende der Erde dringe im Protest gegen diesen fürchterlichen Massenmord und gegen die Annahme, Krieg sei der einzige Weg, internationale Konflikte auszutragen“. Leider ist dieser Satz, vor hundert Jahren gesprochen, heute so aktuell wie damals. Derzeit zählen wir über 50 bewaffnete Konflikte und über 50 Millionen Menschen, die aus ihrer Heimat flüchten müssen – 80 Prozent davon sind weiblich.

Neue Herausforderungen: Das Manifest 2015

Die Arbeit der ältesten internationalen Frauenfriedensorganisation ist also alles andere als obsolet geworden. In Den Haag verabschiedeten wir denn auch ein umfangreiches „Manifest 2015“, das die Leitlinien und Ziele der WIPLF für die Zukunft definiert. Rassistische und sexistische Diskriminierung, das Scheitern kapitalistischen Wirtschaftens sowie patriarchale Strukturen und militaristisches Denken sollen analysiert werden. Auch andere Ansätze wie etwa der zunehmende Kampf um Ressourcen und die Zerstörung der Umwelt sollen stärker ins Blickfeld geraten. Immer steht dabei im Hintergrund, wie sich diese Aspekte auf die Friedens- und Sicherheitspolitik auswirken. Schließlich sollen die Ergebnisse in die internationale Debatte vor allem auf UN-Ebene, aber auch in regionale Strukturen einfließen.

Ab jetzt steht Kozue Akibayashi aus Japan an der Spitze der Frauenliga. In Den Haag wurde sie zur neuen Präsidentin gewählt. „Ich werde auch weiterhin gegen jene globalen Strukturen ankämpfen, die zur Ausbeutung, zu Menschenrechtsverletzungen und in der Folge zu gewaltsamen Konflikten führen“, kündigte sie in ihrer Antrittsrede an. Ich wünsche ihr und der Frauenliga den langen Atem, den es dafür braucht. Doch da bin ich optimistisch: Eine Organisation, die 100 Jahre überstanden und nichts von ihrer Überzeugungskraft eingebüßt hat, braucht auch vor den großen Herausforderungen unserer Zeit nicht zurückschrecken. Denn was ihr wollen, können wir – wenn auch in vielen kleinen Schritten – erreichen.