Wenn Griechinnen sprechen...

Feministischer Zwischenruf

... sieht die Griechenlandkrise plötzlich ein bisschen anders aus. Frauen in Griechenland sind besonders von der Krise betroffen. Arbeitslosigkeit und verfallende Renten haben mittlerweile nichts anderes als Hunger zur Folge.

Teaser Bild Untertitel
Wenn Frauen keine andere Möglichkeit mehr sehen, Geld zu verdienen, wird die Prostitution zu einer Option. Griechenland in der Krise heißt auch, dass arme Männer ihre letzten Euros zu noch ärmeren Frauen tragen und sich Sex kaufen

Angela Merkel ist die abwesende Königin der Griechenland-Verhandlungen. Die da verhandeln, Schäuble, Varoufakis, Tsipras, Juncker, Dijsselbloem sind dann doch eher Männer. Sie führen den Hahnenkampf des Jahrhunderts auf: Sich selbst maximal aufblasen, Beschimpfungen und Invektiven gegen den Gegner loslassen, ihn lächerlich machen, für nicht verhandlungskompetent erklären, und so weiter - wir schauen schon eine Weile dabei zu. Dass politische Kämpfe so abgehen, geradezu abgehen müssen, sind wir einfach gewohnt, jede Tarifauseinandersetzung läuft so ab. Wenn man dann aber mal hineinschaut, in die Verhandlungen, dann sieht die Sache etwas  anders aus.

Heide Oestreich ist Redakteurin der taz, die tageszeitung und betreut dort vor allem die Geschlechter- und Gesellschaftspolitik. 2004 erschien von ihr das Buch "Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam". 2009 wurde sie vom Journalistenverband Berlin Brandenburg für ihre langjährige Berichterstattung über unbewußte Geschlechterklischees mit dem Preis "Der lange Atem" ausgezeichnet.

So sind etwa die Renten in Griechenland bereits achtmal gekürzt worden. Die Troika aber will, dass sämtliche staatliche Subventionen der maroden Rentenkasse eingestellt werden. Ein echtes Problem. Die Griechen wollen weniger privatisieren als ihre Gläubiger es verlangen - wer sieht, wie in vielen Ländern bereits wieder um einen höheren Staatsanteil bei privatisierten Betrieben gerungen wird, kann diese Zurückhaltung durchaus verstehen. Die Gläubiger wollen die Steuer für Medikamente und Bücher erhöhen, und auf den Strom sogar den Höchstsatz von 23 Prozent nehmen. Würden Sie da erfreut zustimmen?

Der Theaterdonner droht also zu verdecken, dass es um harte Verhandlungspunkte geht und keineswegs um unzurechnungsfähige Griechen, wie manchmal der Eindruck entstehen kann, wenn deutsche Journalist*innen über sie herziehen, als verkörpere die Troika die Vernunft und die Griechen die blanke Unvernunft.

Die vielen Aufgeblasenheiten verdecken, was die griechische Krise im Alltag vieler Menschen bedeutet. Arbeitslosigkeit und verfallende Renten haben mittlerweile nichts anderes als Hunger zur Folge. Griechinnen verdienen etwa 22 Prozent weniger als Griechen. Werden ihre Gehälter gekürzt, sind sie sehr viel schneller existenziell bedroht. Weil der Staat spart, gehen die Arbeitsplätze verloren, die üblicherweise stärker von Frauen besetzt sind: öffentliche Verwaltung, Pflege- und Sozialeinrichtungen. Und wenn die Pflege- und Erziehungsjobs gekürzt werden, dann müssen die Menschen mit privater Pflege und Erziehung einspringen. Das tun meist die Frauen, die arbeitslos wurden - nur diesmal ohne Gehalt.

Eine Sozialhilfe gibt es nicht. Wer die Miete nicht mehr zahlen kann, zählt bald zu den "neuen Obdachlosen", "neo Astegos", die in Athen an vielen Plätzen zu sehen sind. Wie immer, wenn Frauen keine andere Möglichkeit mehr sehen, Geld zu verdienen, wird die Prostitution zu einer Option. Griechenland in der Krise heißt auch, dass arme Männer ihre letzten Euros zu noch ärmeren Frauen tragen und sich Sex kaufen. Die Athener Prostitution stieg laut Athens Bürgermeister um 1.500 Prozent. Auch in der Armut bleiben Ausbeutungsstrukturen zwischen Männern und Frauen bestehen.

Und dann sind da noch die Einwanderinnen. 50 Prozent kommen aus Albanien. Aber auch für Flüchtlinge aus Afrika ist Griechenland ein häufiger Anlaufpunkt. Sie arbeiten entweder als Erntehelferinnen für einen unsicheren Lohn - oder aber ebenfalls als Prostituierte, denn die vielen kleinen Putz- und Nebenjobs, die sie vor der Krise machten, existieren nicht mehr. Weil sie sich nicht schützen können, wachsen die sexuell übertragbaren Krankheiten. Griechische Faschisten machen in manchen Vierteln Athens Jagd auf sie, berichtet die Menschenrechtsexpertin der Linken, Annette Groth.

Würde die abwesende Königin Merkel mal anwesend sein, würde sie dorthin schauen, wo ihre Geschlechtsgenossinnen in Griechenland gelandet sind, dann gäbe es eine Chance, dass der Ton sich änderte. Dass mehr Respekt einkehrte. Dass sachlicher verhandelt würde. Am vergangenen Sonntag interviewte Günther Jauch eine Griechin in seiner Talkshow. Sie hat erzählt, wie es ist, wenn dem Vater die Rente von 380 auf 340 Euro gekürzt wird und die Medikamente zu teuer sind. Sie war eingeladen, um die Emotionen zu repräsentieren, eine miese klischierte Genderpolitik. Aber immerhin tauchte diese Stimme überhaupt einmal auf. Als sie geendet hatte, waren auch die Profi-Diskutant*innen etwas aufgeweicht und sprachen erstmals von ihren Herzen und Gefühlen.

Das war ein seltener und gefährlicher Zeitpunkt für die Theaterdonnerer, die die Griech*innen sonst gern insgesamt als verantwortungslose Hallodris hinstellen. Angela Merkel weiß schon, warum sie sich für ihre Geschlechtesgenossinnen, die Frauen Griechenlands, im Moment nicht interessiert.